Hier Arzt sein, hier unerbittlich sein, hier das Messer führen — das gehört zu uns, das ist unsre Art Menschenliebe, damit sind wir Philosophen, wir Hyperboreer!
8
Es ist nothwendig zu sagen, wen wir als unsern Gegensatz fühlen — die Theologen und Alles, was Theologen-Blut im Leibe hat — unsre ganze Philosophie… Man muss das Verhängniss aus der Nähe gesehn haben, noch besser, man muss es an sich erlebt, man muss an ihm fast zu Grunde gegangen sein, um hier keinen Spaass mehr zu verstehn (— die Freigeisterei unsrer Herrn Naturforscher und Physiologen ist in meinen Augen ein Spaass, — ihnen fehlt die Leidenschaft in diesen Dingen, das Leiden an ihnen — ) jene Vergiftung reicht viel weiter als man denkt: ich fand den Theologen-Instinkt des Hochmuths überall wieder, wo man sich heute als» Idealist «fühlt, — wo man, vermöge einer höheren Abkunft, ein Recht in Anspruch nimmt, zur Wirklichkeit überlegen und fremd zu blicken… Der Idealist hat, ganz wie der Priester, alle grossen Begriffe in der Hand (— und nicht nur in der Hand!), er spielt sie mit einer wohlwollenden Verachtung gegen den» Verstand«, die» Sinne«, die» Ehren«, das» Wohlleben«, die» Wissenschaft «aus, er sieht dergleichen unter sich, wie schädigende und verführerische Kräfte, über den
9
Diesem Theologen-Instinkte mache ich den Krieg: ich fand seine Spur überall. Wer Theologen-Blut im Leibe hat, steht von vornherein zu allen Dingen schief und unehrlich. Das Pathos, das sich daraus entwickelt, heisst sich Glaube: das Auge Ein-für-alle Mal vor sich schliessen, um nicht am Aspekt unheilbarer Falschheit zu leiden. Man macht bei sich eine Moral, eine Tugend, eine Heiligkeit aus dieser fehlerhaften Optik zu allen Dingen, man knüpft das gute Gewissen an das Falsch-sehen, — man fordert, dass keine andre Art Optik mehr Werth haben dürfe, nachdem man die eigne mit den Namen» Gott«»Erlösung«»Ewigkeit «sakrosankt gemacht hat. Ich grub den Theologen-Instinkt noch überall aus: er ist die verbreitetste, die eigentlich unterirdische Form der Falschheit, die es auf Erden giebt. Was ein Theologe als wahr empfindet, das muss falsch sein: man hat daran beinahe ein Kriterium der Wahrheit. Es ist sein unterster Selbsterhaltungs-Instinkt, der verbietet, dass die Realität in irgend einem Punkte zu Ehren oder auch nur zu Worte käme. So weit der Theologen-Einfluss reicht, ist das Werth-Urtheil auf den Kopf gestellt, sind die Begriffe» wahr «und» falsch «nothwendig umgekehrt: was dem Leben am schädlichsten ist, das heisst hier» wahr«, was es hebt, steigert, bejaht, rechtfertigt und triumphiren macht, das heisst» falsch«… Kommt es vor, dass Theologen durch das» Gewissen «der Fürsten (oder der Völker — ) hindurch nach der Macht die Hand ausstrecken, zweifeln wir nicht, was jedes Mal im Grunde sich begiebt: der Wille zum Ende, der nihilistische Wille will zur Macht…
10
Unter Deutschen versteht man sofort, wenn ich sage, dass die Philosophie durch Theologen-Blut verderbt ist. Der protestantische Pfarrer ist Grossvater der deutschen Philosophie, der Protestantismus selbst ihr peccatum originale. Definition des Protestantismus: die halbseitige Lähmung des Christenthums — und der Vernunft… Man hat nur das Wort» Tübinger Stift «auszusprechen, um zu begreifen, was die deutsche Philosophie im Grunde ist — eine hinterlistige Theologie… Die Schwaben sind die besten Lügner in Deutschland, sie lügen unschuldig… Woher das Frohlocken, das beim Auftreten Kants durch die deutsche Gelehrtenwelt gieng, die zu drei Viertel aus Pfarrer- und Lehrer-Söhnen besteht — , woher die deutsche Überzeugung, die auch heute noch ihr Echo findet, dass mit Kant eine Wendung zum Besseren beginne? Der Theologen-Instinkt im deutschen Gelehrten errieth, was nunmehr wieder möglich war… Ein Schleichweg zum alten Ideal stand offen, der Begriff» wahre Welt«, der Begriff der Moral als Essenz der Welt (— diese zwei bösartigsten Irrthümer, die es giebt!) waren jetzt wieder, Dank einer verschmitzt-klugen Skepsis, wenn nicht beweisbar, so doch nicht mehr widerlegbar… Die Vernunft, das Recht der Vernunft reicht nicht so weit… Man hatte aus der Realität eine» Scheinbarkeit «gemacht; man hatte eine vollkommen erlogne Welt, die des Seienden, zur Realität gemacht… Der Erfolg Kant's ist bloss ein Theologen-Erfolg: Kant war, gleich Luther, gleich Leibnitz, ein Hemmschuh mehr in der an sich nicht taktfesten deutschen Rechtschaffenheit —
11
Ein Wort noch gegen Kant als Moralist. Eine Tugend muss unsre Erfindung sein, unsre persönlichste Nothwehr und Nothdurft: in jedem andren Sinne ist sie bloss eine Gefahr. Was nicht unser Leben bedingt, schadet ihm: eine Tugend bloss aus einem Respekts-Gefühle vor dem Begriff» Tugend «wie Kant es wollte, ist schädlich. Die» Tugend«, die» Pflicht«, das» Gute an sich«, das Gute mit dem Charakter der Unpersönlichkeit und Allgemeingültigkeit — Hirngespinnste, in denen sich der Niedergang, die letzte Entkräftung des Lebens, das Königsberger Chinesenthum ausdrückt. Das Umgekehrte wird von den tiefsten Erhaltungs- und Wachsthums-Gesetzen geboten: dass jeder sich seine Tugend, seinen kategorischen Imperativ erfinde. Ein Volk geht zu Grunde, wenn es seine Pflicht mit dem Pflichtbegriff überhaupt verwechselt. Nichts ruinirt tiefer, innerlicher als jede» unpersönliche «Pflicht, jede Opferung vor dem Moloch der Abstraktion. — Dass man den kategorischen Imperativ Kant's nicht als lebensgefährlich empfunden hat!… Der Theologen-Instinkt allein nahm ihn in Schutz! — Eine Handlung, zu der der Instinkt des Lebens zwingt, hat in der Lust ihren Beweis, eine rechte Handlung zu sein: und jener Nihilist mit christlich-dogmatischen Eingeweiden verstand die Lust als Einwand… Was zerstört schneller als ohne innere Nothwendigkeit, ohne eine tief persönliche Wahl, ohne Lustarbeiten, denken, fühlen? als Automat der» Pflicht«? Es ist geradezu das Recept zur décadence, selbst zum Idiotismus… Kant wurde Idiot. — Und das war der Zeitgenosse Goethes! Dies Verhängniss von Spinne galt als der deutsche Philosoph, — gilt es noch!… ich hüte mich zu sagen, was ich von den Deutschen denke… Hat Kant nicht in der französischen Revolution den Übergang aus der unorganischen Form des Staats in die organische gesehn? Hat er sich nicht gefragt, ob es eine Begebenheit gebt, die gar nicht anders erklärt werden könne als durch eine moralische Anlage der Menschheit, so dass mit ihr, Ein-für-alle Mal, die» Tendenz der Menschheit zum Guten «bewiesen sei? Antwort Kant's:»das ist die Revolution. «Der fehlgreifende Instinkt in Allem und jedem, die Widernatur als Instinkt, die deutsche décadence als Philosophie — das ist Kant.
12
Ich nehme ein Paar Skeptiker bei Seite, den anständigen Typus in der Geschichte der Philosophie: aber der Rest kennt die ersten Forderungen der intellektuellen Rechtschaffenheit nicht. Sie machen es allesammt wie die Weiblein, alle diese grossen Schwärmer und Wunderthiere, — sie halten die» schönen Gefühle «bereits für Argumente, den» gehobenen Busen «für einen Blasebalg der Gottheit, die Überzeugung für ein Kriterium der Wahrheit. Zuletzt hat noch Kant, in» deutscher «Unschuld, diese Form der Corruption, diesen Mangel an intellektuellem Gewissen unter dem Begriff» praktische Vernunft «zu verwissenschaftlichen versucht: er erfand eigens eine Vernunft dafür, in welchem Falle man sich nicht um die Vernunft zu kümmern habe, nämlich wenn die Moral, wenn die erhabne Forderung» du sollst «laut wird. Erwägt man, dass fast bei allen Völkern der Philosoph nur die Weiterentwicklung des priesterlichen Typus ist, so überrascht dieses Erbstück des Priesters, die Falschmünzerei vor sich selbst, nicht mehr. Wenn man heilige Aufgaben hat, zum Beispiel die Menschen zu bessern, zu retten, zu erlösen, wenn man die Gottheit im Busen trägt, Mundstück jenseitiger Imperative ist, so steht man mit einer solchen Mission bereits ausserhalb aller bloss verstandesmässigen Werthungen, — selbst schon geheiligt durch eine solche Aufgabe, selbst schon der Typus einer höheren Ordnung!… Was geht einen Priester die Wissenschaft an! Er steht zu hoch dafür! — Und der Priester hat bisher geherrscht! Er bestimmte den Begriff» wahr «und» unwahr«!…
13
Unterschätzen wir dies nicht: wir selbst, wir freien Geister, sind bereits eine» Umwerthung aller Werthe«, eine leibhafte Kriegs- und Siegs-Erklärung an alle alten Begriffe von» wahr «und» unwahr«. Die werthvollsten Einsichten werden am spätesten gefunden; aber die werthvollsten Einsichten sind die Methoden. Alle Methoden, alle Voraussetzungen unsrer jetzigen Wissenschaftlichkeit haben Jahrtausende lang die tiefste Verachtung gegen sich gehabt, auf sie hin war man aus dem Verkehre mit» honnetten «Menschen ausgeschlossen, — man galt als» Feind Gottes«, als Verächter der Wahrheit, als» Besessener«. Als wissenschaftlicher Charakter war man Tschandala… Wir haben das ganze Pathos der Menschheit gegen uns gehabt — ihren Begriff von dem, was Wahrheit sein soll, was der Dienst der Wahrheit sein soll: jedes» du sollst «war bisher gegen uns gerichtet… Unsre Objekte, unsre Praktiken, unsre stille vorsichtige misstrauische Art — Alles schien ihr vollkommen unwürdig und verächtlich. — Zuletzt dürfte man, mit einiger Billigkeit, sich fragen, ob es nicht eigentlich ein ästhetischer Geschmack war, was die Menschheit in so langer Blindheit gehalten hat: sie verlangte von der Wahrheit einen pittoresken Effekt, sie verlangte insgleichen vom Erkennenden, dass er stark auf die Sinne wirke. Unsre Bescheidenheit gieng ihr am längsten wider den Geschmack… Oh wie sie das erriethen, diese Truthähne Gottes -
14
Wir haben umgelernt. Wir sind in allen Stücken bescheidner geworden. Wir leiten den Menschen nicht mehr vom» Geist«, von der» Gottheit «ab, wir haben ihn unter die Thiere zurückgestellt. Er gilt uns als das stärkste Thier, weil er das listigste ist: eine Folge davon ist seine Geistigkeit. Wir wehren uns anderseits gegen eine Eitelkeit, die auch hier wieder laut werden möchte: wie als ob der Mensch die grosse Hinterabsicht der thierischen Entwicklung gewesen sei. Er ist durchaus keine Krone der Schöpfung, jedes Wesen ist, neben ihm, auf einer gleichen Stufe der Vollkommenheit… Und indem wir das behaupten, behaupten wir noch zuviel: der Mensch ist, relativ genommen, das missrathenste Thier, das krankhafteste, das von seinen Instinkten am gefährlichste
15
Weder die Moral noch die Religion berührt sich im Christenthume mit irgend einem Punkte der Wirklichkeit. Lauter imaginäre Ursachen (»Gott«,»Seele«,»Ich«»Geist«,»der freie Wille«— oder auch» der unfreie«); lauter imaginäre Wirkungen (»Sünde«,»Erlösung«,»Gnade«,»Strafe«,»Vergebung der Sünde«). Ein Verkehr zwischen imaginären Wesen (»Gott«»Geister«»Seelen«); eine imaginäre Naturwissenschaft (anthropocentrisch; völliger Mangel des Begriffs der natürlichen Ursachen) eine imaginäre Psychologie (lauter Selbst- Missverständnisse, Interpretationen angenehmer oder unangenehmer Allgemeingefühle, zum Beispiel der Zustände des nervus sympathicus mit Hülfe der Zeichensprache religiös-moralischer Idiosynkrasie, — »Reue«,»Gewissensbiss«,»Versuchung des Teufels«,»die Nähe Gottes«); eine imaginäre Teleologie (»das Reich Gottes«,»das jüngste Gericht«,»das ewige Leben«).