) Christlich ist der Hass gegen den Geist, gegen Stolz, Muth, Freiheit, libertinage des Geistes; christlich ist der Hass gegen die Sinne, gegen die Freuden der Sinne, gegen die Freude überhaupt…
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Dies Christenthum, als es seinen ersten Boden verliess, die niedrigsten Stände, die Unterwelt der antiken Welt, als es unter Barbaren-Völkern nach Macht ausgieng, hatte hier nicht mehr müde Menschen zur Voraussetzung, sondern innerlich verwilderte und sich zerreissende, — den starken Menschen, aber den missrathenen. Die Unzufriedenheit mit sich, das Leiden an sich ist hier nicht wie bei dem Buddhisten eine übermässige Reizbarkeit und Schmerzfähigkeit, vielmehr umgekehrt ein übermächtiges Verlangen nach Wehethun, nach Auslassung der inneren Spannung in feindseligen Handlungen und Vorstellungen. Das Christenthum hatte barbarische Begriffe und Werthe nöthig, um über Barbaren Herr zu werden: solche sind das Erstlingsopfer, das Bluttrinken im Abendmahl, die Verachtung des Geistes und der Cultur; die Folterung in allen Formen, sinnlich und unsinnlich; der grosse Pomp des Cultus. Der Buddhismus ist eine Religion für späte Menschen, für gütige, sanfte, übergeistig gewordne Rassen, die zu leicht Schmerz empfinden (Europa ist noch lange nicht reif für ihn — ): er ist eine Rückführung derselben zu Frieden und Heiterkeit, zur Diät im Geistigen, zu einer gewissen Abhärtung im Leiblichen. Das Christenthum will über Raubthiere Herr werden; sein Mittel ist, sie krank zu machen, — die Schwächung ist das christliche Rezept zur Zähmung, zur» Civilisation«. Der Buddhismus ist eine Religion für den Schluss und die Müdigkeit der Civilisation, das Christenthum findet sie noch nicht einmal vor, — es begründet sie unter Umständen.
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Der Buddhismus, nochmals gesagt, ist hundert Mal kälter, wahrhafter, objektiver. Er hat nicht mehr nöthig, sich sein Leiden, seine Schmerzfähigkeit anständig zu machen durch die Interpretation der Sünde, — er sagt bloss, was er denkt» ich leide«. Dem Barbaren dagegen ist Leiden an sich nichts Anständiges: er braucht erst eine Auslegung, um es sich einzugestehn, dass er leidet (sein Instinkt weist ihn eher auf Verleugnung des Leidens, auf stilles Ertragen hin) Hier war das Wort» Teufel «eine Wohlthat: man hatte einen übermächtigen und furchtbaren Feind, — man brauchte sich nicht zu schämen, an einem solchen Feind zu leiden. —
Das Christenthum hat einige Feinheiten auf dem Grunde, die zum Orient gehören. Vor allem weiss es, dass es an sich ganz gleichgültig ist, ob Etwas wahr
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Ich berühre hier nur das Problem der Entstehung des Christenthums. Der erste Satz zu dessen Lösung heisst: das Christenthum ist einzig aus dem Boden zu verstehn, aus dem es gewachsen ist, — es ist nicht eine Gegenbewegung gegen den jüdischen Instinkt, es ist dessen Folgerichtigkeit selbst, ein Schluss weiter in dessen furchteinflössender Logik. In der Formel des Erlösers:»das Heil kommt von den Juden«. — Der zweite Satz heisst: der psychologische Typus des Galiläers ist noch erkennbar, aber erst in seiner vollständigen Entartung (die zugleich Verstümmelung und Überladung mit fremden Zügen ist — ) hat er dazu dienen können, wozu er gebraucht worden ist, zum Typus eines Erlösers der Menschheit. Die Juden sind das merkwürdigste Volk der Weltgeschichte, weil sie, vor die Frage von Sein und Nichtsein gestellt, mit einer vollkommen unheimlichen Bewusstheit das Sein um jeden Preis vorgezogen haben: dieser Preis war die radikale Fälschung aller Natur, aller Natürlichkeit, aller Realität, der ganzen inneren Welt so gut als der äusseren. Sie grenzten sich ab gegen alle Bedingungen, unter denen bisher ein Volk leben konnte, leben durfte, sie schufen aus sich einen Gegensatz-Begriff zu natürlichen Bedingungen, — sie haben, der Reihe nach, die Religion, den Cultus, die Moral, die Geschichte, die Psychologie auf eine unheilbare Weise in den Widerspruch zu deren Natur-Werthen umgedreht. Wir begegnen demselben Phänomene noch einmal und in unsäglich vergrösserten Proportionen, trotzdem nur als Copie: — die christliche Kirche entbehrt, im Vergleich zum» Volk der Heiligen«, jedes Anspruchs auf Originalität.
Die Juden sind, ebendamit, das verhängnissvollste Volk der Weltgeschichte: in ihrer Nachwirkung haben sie die Menschheit dermaassen falsch gemacht, dass heute noch der Christ antijüdisch fühlen kann, ohne sich als die letzte jüdische Consequenz zu verstehn.
Ich habe in meiner» Genealogie der Moral «zum ersten Male den Gegensatz-Begriff einer vornehmen Moral und einer ressentiment-Moral psychologisch vorgeführt, letztere aus dem Nein gegen die erstere entsprungen: aber dies ist die jüdisch-christliche Moral ganz und gar. Um Nein sagen zu können zu Allem, was die aufsteigende Bewegung des Lebens, die Wohlgerathenheit, die Macht, die Schönheit, die Selbstbejahung auf Erden darstellt, musste hier sich der Genie gewordne Instinkt des ressentiment eine andre Welt erfinden, von wo aus jene Lebens-Bejahung als das Böse, als das Verwerfliche an sich erschien. Psychologisch nachgerechnet, ist das jüdische Volk ein Volk der zähesten Lebenskraft, welches, unter unmögliche Bedingungen versetzt, freiwillig, aus der tiefsten Klugheit der Selbst-Erhaltung, die Partei aller décadence-Instinkte nimmt, — nicht als von ihnen beherrscht, sondern weil es in ihnen eine Macht errieth, mit der man sich gegen» die Welt «durchsetzen kann. Sie sind das Gegenstück aller décadents: sie haben sie darstellen müssen bis zur Illusion, sie haben sich, mit einem non-plus-ultra des schauspielerischen Genies, an die Spitze aller décadence-Bewegungen zu stellen gewusst (— als Christenthum des Paulus — ), um aus ihnen Etwas zu schaffen, das stärker ist als jede Ja-sagende Partei des Lebens. Die décadence ist, für die im Juden- und Christenthum zur Macht verlangende Art von Mensch, eine priesterliche Art, nur Mittel: diese Art von Mensch hat ein Lebens-Interesse daran, die Menschheit krank zu machen und die Begriffe» gut «und» böse«,»wahr «und» falsch «in einen lebensgefährlichen und weltverleumderischen Sinn umzudrehn. —
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Die Geschichte Israels ist unschätzbar als typische Geschichte aller Entnatürlichung der Natur-Werthe: ich deute fünf Thatsachen derselben an. Ursprünglich, vor allem in der Zeit des Königthums, stand auch Israel zu allen Dingen in der richtigen, das heisst der natürlichen Beziehung. Sein Javeh war der Ausdruck des Macht-Bewusstseins, der Freude an sich, der Hoffnung auf sich: in ihm erwartete man Sieg und Heil, mit ihm vertraute man der Natur, dass sie giebt, was das Volk nöthig hat — vor allem Regen. Javeh ist der Gott Israels und folglich Gott der Gerechtigkeit: die Logik jedes Volks, das in Macht ist und ein gutes Gewissen davon hat. Im Fest-Cultus drücken sich diese beiden Seiten der Selbstbejahung eines Volks aus: es ist dankbar für die grossen Schicksale, durch die es obenauf kam, es ist dankbar im Verhältniss zum Jahreskreislauf und allem Glück in Viehzucht und Ackerbau. — Dieser Zustand der Ding
, nicht mehr sein unterster Instinkt des Lebens, sondern abstrakt geworden, Gegensatz zum Leben geworden, — Moral als grundsätzliche Verschlechterung der Phantasie, als» böser Blick «für alle Dinge. Was ist jüdische, was ist christliche Moral? Der Zufall um seine Unschuld gebracht; das Unglück mit dem Begriff» Sünde «beschmutzt; das Wohlbefinden als Gefahr, als» Versuchung«; das physiologische Übelbefinden mit dem Gewissens-Wurm vergiftet…
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Der Gottesbegriff gefälscht; der Moralbegriff gefälscht: — die jüdische Priesterschaft blieb dabei nicht stehn. Man konnte die ganze Geschichte Israels nicht brauchen: fort mit ihr! — Diese Priester haben jenes Wunderwerk von Fälschung zu Stande gebracht, als deren Dokument uns ein guter Theil der Bibel vorliegt: sie haben ihre eigne Volks-Vergangenheit mit einem Hohn ohne Gleichen gegen jede Überlieferung, gegen jede historische Realität ins Religiöse übersetzt, das heisst, aus ihr einen stupiden Heils-Mechanismus von Schuld gegen Javeh und Strafe, von Frömmigkeit gegen Javeh und Lohn gemacht. Wir würden diesen schmachvollsten Akt der Geschichts-Fälschung viel schmerzhafter empfinden, wenn uns nicht die kirchliche Geschichts-Interpretation von Jahrtausenden fast stumpf für die Forderungen der Rechtschaffenheit in historicis gemacht hätte. Und der Kirche sekundirten die Philosophen: die Lüge» der sittlichen Weltordnung «geht durch die ganze Entwicklung selbst der neueren Philosophie. Was bedeutet» sittliche Weltordnung«? Dass es, ein für alle Mal, einen Willen Gottes giebt, was der Mensch zu thun, was er zu lassen habe; dass der Werth eines Volkes, eines Einzelnen sich darnach bemesse, wie sehr oder wie wenig dem Willen Gottes gehorcht wird; dass in den Schicksalen eines Volkes, eines Einzelnen sich der Wille Gottes als herrschend, das heisst als strafend und belohnend, je nach dem Grade des Gehorsams, beweist.