Trotzdem räth Alles ab von ihr: gerade die Überlieferung würde für diesen Fall eine merkwürdig treue und objektive sein müssen: wovon wir Gründe haben das Gegentheil anzunehmen. Einstweilen klafft ein Widerspruch zwischen dem Berg- See- und Wiesen-Prediger, dessen Erscheinung wie ein Buddha auf einem sehr wenig indischen Boden anmuthet, und jenem Fanatiker des Angriffs, dem Theologen- und Priester-Todfeind, den Renan's Bosheit als» le grand maitre en ironie «verherrlicht hat. Ich selber zweifle nicht daran, dass das reichliche Maass Galle (und selbst von esprit) erst aus dem erregten Zustand der christlichen Propaganda auf den Typus des Meisters übergeflossen ist: man kennt ja reichlich die Unbedenklichkeit aller Sektirer, aus ihrem Meister sich ihre Apologie zurechtzumachen. Als die erste Gemeinde einen richtenden, hadernden, zürnenden, bösartig spitzfindigen Theologen nöthig hatte, gegen Theologen, schuf sie sich ihren» Gott «nach ihrem Bedürfnisse: wie sie ihm auch jene völlig unevangelischen Begriffe, die sie jetzt nicht entbehren konnte,»Wiederkunft«,»jüngstes Gericht«, jede Art zeitlicher Erwartung und Verheissung ohne Zögern in den Mund gab. -
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Ich wehre mich, nochmals gesagt, dagegen, dass man den Fanatiker in den Typus des Erlösers einträgt: das Wort impérieux, das Renan gebraucht, annullirt allein schon den Typus. Die» gute Botschaft «ist eben, dass es keine Gegensätze mehr giebt; das Himmelreich gehört den Kindern; der Glaube, der hier laut wird, ist kein erkämpfter Glaube, — er ist da, er ist von Anfang, er ist gleichsam eine ins Geistige zurückgetretene Kindlichkeit. Der Fall der verzögerten und im Organismus unausgebildeten Pubertät als Folgeerscheinung der Degenerescenz ist wenigstens den Physiologen vertraut. — Ein solcher Glaube zürnt nicht, tadelt nicht, wehrt sich nicht: er bringt nicht» das Schwert«, — er ahnt gar nicht, in wiefern er einmal trennen könnte. Er beweist sich nicht, weder durch Wunder, noch durch Lohn und Verheissung, noch gar» durch die Schrift«: er selbst ist jeden Augenblick sein Wunder, sein Lohn, sein Beweis, sein» Reich Gottes«. Dieser Glaube formulirt sich auch nicht — er lebt, er wehrt sich gegen Formeln. Freilich bestimmt der Zufall der Umgebung, der Sprache, der Vorbildung einen gewissen Kreis von Begriffen: das erste Christenthum handhabt nur jüdischsemitische Begriffe (— das Essen und Trinken beim Abendmahl gehört dahin, jener von der Kirche, wie alles jüdische, so schlimm missbrauchte Begriff) Aber man hüte sich darin mehr als eine Zeichenrede, eine Semiotik, eine Gelegenheit zu Gleichnissen zu sehn. Gerade, dass kein Wort wörtlich genommen wird, ist diesem Anti-Realisten die Vorbedingung, um überhaupt reden zu können. Unter Indern würde er sich der Sankhyam-Begriffe, unter Chinesen der des Laotse bedient haben — und keinen Unterschied dabei fühlen. — Man könnte, mit einiger Toleranz im Ausdruck, Jesus einen» freien Geist «nennen — er macht sich aus allem Festen nichts: das Wort tödtet, alles was fest ist, tödtet. Der Begriff, die Erfahrung» Leben«, wie er sie allein kennt, widerstrebt bei ihm jeder Art Wort, Formel, Gesetz, Glaube, Dogma. Er redet bloss vom Innersten:»Leben «oder» Wahrheit «oder» Licht «ist sein Wort für das Innerste, — alles übrige, die ganze Realität, die ganze Natur, die Sprache selbst, hat für ihn bloss den Werth eines Zeichens, eines Gleichnisses. — Man darf sich an dieser Stelle durchaus nicht vergreifen, so gross auch die Verführung ist, welche im christlichen, will sagen kirchlichen Vorurtheil liegt: Eine solche Symbolik par excellence steht ausserhalb aller Religion, aller Cult-Begriffe, aller Historie, aller Naturwissenschaft, aller Welt-Erfahrung, aller Kenntnisse, aller Politik, aller Psychologie, aller Bücher, aller Kunst — sein» Wissen «ist eben, die reine Thorheit darüber, dass es Etwas dergleichen giebt. Die Cultur ist ihm nicht einmal vom Hörensagen bekannt, er hat keinen Kampf gegen sie nöthig, — er verneint sie nicht… Dasselbe gilt vom Staat, von der ganzen bürgerlichen Ordnung und Gesellschaft, von der Arbeit, vom Kriege — er hat nie einen Grund gehabt,»die Welt «zu verneinen, er hat den kirchlichen Begriff» Welt «nie geahnt… Das Verneinen ist eben das ihm ganz Unmögliche. — Insgleichen fehlt die Dialektik, es fehlt die Vorstellung dafür, dass ein Glaube, eine» Wahrheit «durch Gründe bewiesen werden könnte (— seine Beweise sind innere» Lichter«, innere Lust-Gefühle und Selbstbejahungen, lauter» Beweise der Kraft«—) Eine solche Lehre kann auch nicht widersprechen, sie begreift gar nicht, dass es andre Lehren giebt, geben kann, sie weiss sich ein gegentheiliges Urtheilen gar nicht vorzustellen… Wo sie es antrifft, wird sie aus innerstem Mitgefühle über» Blindheit «trauern, — denn sie sieht das» Licht«—, aber keinen Einwand machen…
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In der ganzen Psychologie des» Evangeliums «fehlt der Begriff Schuld und Strafe; insgleichen der Begriff Lohn. Die» Sünde«, jedwedes Distanz-Verhältniss zwischen Gott und Mensch ist abgeschafft, — eben das ist die» frohe Botschaft«. Die Seligkeit wird nicht verheissen, sie wird nicht an Bedingungen geknüpft.- sie ist die einzige Realität — der Rest ist Zeichen, um von ihr zu reden…
Die Folge eines solchen Zustandes projicirt sich in eine neue Praktik, die eigentlich evangelische Praktik. Nicht ein» Glaube «unterscheidet den Christen: der Christ handelt, er unterscheidet sich durch ein andres Handeln. Dass er dem, der böse gegen ihn ist, weder durch Wort, noch im Herzen Widerstand leistet. Dass er keinen Unterschied zwischen Fremden und Einheimischen, zwischen Juden und Nichtjuden macht (»der Nächste «eigentlich der Glaubensgenosse, der Jude) Dass er sich gegen Niemanden erzürnt, Niemanden geringschätzt. Dass er sich bei Gerichtshöfen weder sehn lässt, noch in Anspruch nehmen lässt (»nicht schwören«) Dass er sich unter keinen Umstände
Das Leben des Erlösers war nichts andres als diese Praktik, — sein Tod war auch nichts andres… Er hatte keine Formeln, keinen Ritus für den Verkehr mit Gott mehr nöthig — nicht einmal das Gebet. Er hat mit der ganzen jüdischen Buss- und Versöhnungs-Lehre abgerechnet; er weiss, wie es allein die Praktik des Lebens ist, mit der man sich» göttlich«,»selig«,»evangelisch«, jeder Zeit ein» Kind Gottes «fühlt.
Nicht» Busse«, nicht» Gebet um Vergebung «sind Wege zu Gott: die evangelische Praktik allein führt zu Gott, sie eben ist» Gott«— Was mit dem Evangelium abgethan war, das war das Judenthum der Begriffe» Sünde«,»Vergebung der Sünde«,»Glaube«,»Erlösung durch den Glauben«— die ganze jüdische Kirchen-Lehre war in der» frohen Botschaft «verneint.
Der tiefe Instinkt dafür, wie man leben müsse, um sich» im Himmel «zu fühlen, um sich» ewig «zu fühlen, während man sich bei jedem andren Verhalten durchaus nicht» im Himmel fühlt«: dies allein ist die psychologische Realität der» Erlösung«. — Ein neuer Wandel, nicht ein neuer Glaube…
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Wenn ich irgend Etwas von diesem grossen Symbolisten verstehe, so ist es das, dass er nur innere Realitäten als Realitäten, als» Wahrheiten «nahm, — dass er den Rest, alles Natürliche, Zeitliche, Räumliche, Historische nur als Zeichen, als Gelegenheit zu Gleichnissen verstand. Der Begriff» des Menschen Sohn «ist nicht eine concrete Person, die in die Geschichte gehört, irgend etwas Einzelnes, Einmaliges, sondern eine» ewige «Thatsächlichkeit, ein von dem Zeitbegriff erlöstes psychologisches Symbol. Dasselbe gilt noch einmal, und im höchsten Sinne, von dem Gott dieses typischen Symbolikers, vom» Reich Gottes«, vom» Himmelreich«, von der» Kindschaft Gottes«. Nichts ist unchristlicher als die kirchlichen Cruditäten von einem Gott als Person, von einem» Reich Gottes«, welches kommt, von einem» Himmelreich «jenseits, von einem Sohne Gottes«, der zweiten Person der Trinität. Dies Alles ist — man vergebe mir den Ausdruck — die Faust auf dem Auge — oh auf was für einem Auge! des Evangeliums; ein welthisto-rischer Cynismus in der Verhöhnung des Symbols… Aber es liegt ja auf der Hand, was mit den Zeichen» Vater «und» Sohn «angerührt wird — nicht auf jeder Hand, ich gebe es zu: mit dem Wort» Sohn «ist der Eintritt in das Gesammt-Verklärungs-Gefühl aller Dinge (die Seligkeit) ausgedrückt, mit dem Wort» Vater «dieses Gefühl selbst, das Ewigkeits-, das Vollendungs-Gefühl. — Ich schäme mich daran zu erinnern, was die Kirche aus diesem Symbolismus gemacht hat: hat sie nicht eine Amphitryon-Geschichte an die Schwelle des christlichen» Glaubens «gesetzt? Und ein Dogma von der» unbefleckten Empfängniss «noch obendrein?… Aber damit hat sie die Empfängniss befleckt —
Das» Himmelreich «ist ein Zustand des Herzens — nicht Etwas, das»über der Erde «oder» nach dem Tode «kommt. Der ganze Begriff des natürlichen Todes fehlt im Evangelium: der Tod ist keine Brücke, kein Übergang, er fehlt, weil einer ganz andern bloss scheinbaren, bloss zu Zeichen nützlichen Welt zugehörig. Die» Todesstunde «ist kein christlicher Begriff — die» Stunde«, die Zeit, das physische Leben und seine Krisen sind gar nicht vorhanden für den Lehrer der» frohen Botschaft«… Das» Reich Gottes «ist nichts, das man erwartet; es hat kein Gestern und kein Übermorgen, es kommt nicht in» tausend Jahren«— es ist eine Erfahrung an einem Herzen; es ist überall da, es ist nirgends da…
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Dieser» frohe Botschafter «starb wie er lebte, wie er lehrte — nicht um» die Menschen zu erlösen«, sondern um zu zeigen, wie man zu leben hat. Die Praktik ist es, welche er der Menschheit hinterliess: sein Verhalten vor den Richtern, vor den Häschern, vor den Anklägern und aller Art Verleumdung und Hohn, — sein Verhalten am Kreuz. Er widersteht nicht, er vertheidigt nicht sein Recht, er thut keinen Schritt, der das Äusserste von ihm abwehrt, mehr noch, er fordert es heraus… Und er bittet, er leidet, er liebt mit denen, in denen, die ihm Böses thun… Die Worte zum Schächer am Kreuz enthalten das ganze Evangelium.»Das ist wahrlich ein göttlicher Mensch gewesen, ein Kind Gottes «sagt der Schächer.»Wenn du dies fühlst — anwortet der Erlöser — so bist du im Paradiese, so bist auch du ein Kind Gottes…«Nicht sich wehren, nicht zürnen, nicht verantwortlich-machen… Sondern auch nicht dem Bösen widerstehen, — ihn lieben…
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Erst wir, wir freigewordenen Geister, haben die Voraussetzung dafür, Etwas zu verstehn, das neunzehn Jahrhunderte missverstanden haben, — jene Instinkt und Leidenschaft gewordene Rechtschaffenheit, welche der» heiligen Lüge «noch mehr als jeder andren Lüge den Krieg macht… Man war unsäglich entfernt von unsrer liebevollen und vorsichtigen Neutralität, von jener Zucht des Geistes, mit der allein das Errathen so fremder, so zarter Dinge ermöglicht wird: man wollte jeder Zeit, mit einer unverschämten Selbstsucht, nur seinen Vortheil darin, man hat aus dem Gegensatz zum Evangelium die Kirche aufgebaut…
Wer nach Zeichen dafür suchte, dass hinter dem grossen Welten-Spiel eine ironische Göttlichkeit die Finger handhabte, er fände keinen kleinen Anhalt in dem ungeheuren Fragezeichen, das Christenthum heisst. Dass die Menschheit vor dem Gegensatz dessen auf den Knien liegt, was der Ursprung, der Sinn, das Recht des Evangeliums war, dass sie in dem Begriff» Kirche «gerade das heilig gesprochen hat, was der» frohe Botschafter «als unter sich, als hinter sich empfand — man sucht vergebens nach einer grösseren Form welthistorischer Ironie -
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— Unser Zeitalter ist stolz auf seinen historischen Sinn: wie hat es sich den Unsinn glaublich machen können, dass an dem Anfange des Christenthums die grobe Wunderthäter — und Erlöser-Fabel steht, — und dass alles Spirituale und Symbolische erst eine spätere Entwicklung ist? Umgekehrt: die Geschichte des Christenthums — und zwar vom Tode am Kreuze an — ist die Geschichte des schrittweise immer gröberen Missverstehns eines ursprünglichen Symbolismus. Mit jeder Ausbreitung des Christenthums über noch breitere, noch rohere Massen, denen die Voraussetzungen immer mehr abgiengen, aus denen es geboren ist, wurde es nöthiger, das Christenthum zu vulgarisiren, zu barbarisiren, — es hat Lehren und Riten aller unterirdischen Culte des imperium Romanurn, es hat den Unsinn aller Arten kranker Vernunft in sich eingeschluckt. Das Schicksal des Christenthums liegt in der Nothwendigkeit, dass sein Glaube selbst so krank, so niedrig und vulgär werden musste, als die Bedürfnisse krank, niedrig und vulgär waren, die mit ihm befriedigt werden sollten. Als Kirche summirt sich endlich die kranke Barbarei selbst zur Macht, — die Kirche diese Todfeindschaftsform zu jeder Rechtschaffenheit, zu jeder Höhe der Seele, zu jeder Zucht des Geistes, zu jeder freimüthigen und gütigen Menschlichkeit. — Die christlichen — die vornehmen Werthe: erst wir, wir freigewordnen Geister, haben diesen grössten Werth-Gegensatz, den es giebt, wiederhergestellt! —
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— Ich unterdrücke an dieser Stelle einen Seufzer nicht.