I, 20 ff) — Um diese Stelle, ein Zeugniss allerersten Ranges für die Psychologie jeder Tschandala-Moral, zu verstehn, lese man die erste Abhandlung meiner Genealogie der Moral: in ihr wurde zum ersten Mal der Gegensatz einer vornehmen und einer aus Ressentiment und ohnmächtiger Rache gebornen Tschandala-Moral an's Licht gestellt. Paulus war der grösste aller Apostel der Rache…
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— Was folgt daraus? Dass man gut thut, Handschuhe anzuziehn, wenn man das neue Testament liest. Die Nähe von so viel Unreinlichkeit zwingt beinahe dazu. Wir würden uns» erste Christen «so wenig wie polnische Juden zum Umgang wählen: nicht dass man gegen sie auch nur einen Einwand nöthig hätte… Sie riechen beide nicht gut. — Ich habe vergebens im neuen Testamente auch nur nach Einem sympathischen Zuge ausgespäht; Nichts ist darin, was frei, gütig, offenherzig, rechtschaffen wäre. Die Menschlichkeit hat hier noch nicht ihren ersten Anfang gemacht, — die Instinkte der Reinlichkeit fehlen… Es giebt nur schlechte Instinkte im neuen Testament, es giebt keinen Muth selbst zu diesen schlechten Instinkten. Alles ist Feigheit, Alles ist Augen-Schliessen und Selbstbetrug darin.
Jedes Buch wird reinlich, wenn man eben das neue Testament gelesen hat: ich las, um ein Beispiel zu geben, mit Entzücken unmittelbar nach Paulus jenen anmuthigsten, übermüthigsten Spötter Petronius, von dem man sagen könnte, was Domenico Boccaccio über Cesare Borgia an den Herzog von Parma schrieb:»é tutto festo«— unsterblich gesund, unsterblich heiter und wohlgerathen… Diese kleinen Mucker verrechnen sich nämlich in der Hauptsache. Sie greifen an, aber Alles, was von ihnen angegriffen wird, ist damit ausgezeichnet. Wen ein» erster Christ «angreift, den besudelt er nicht… Umgekehrt: es ist eine Ehre,»erste Christen «gegen sich zu haben. Man liest das neue Testament nicht ohne eine Vorliebe für das, was darin misshandelt wird, — nicht zu reden von der» Weisheit dieser Welt«, welche ein frecher Windmacher» durch thörichte Predigt «umsonst zu Schanden zu machen sucht… Aber selbst die Pharisäer und Schriftgelehrten haben ihren Vortheil von einer solchen Gegnerschaft: sie müssen schon etwas werth gewesen sein, um auf eine so unanständige Weise gehasst zu werden. Heuchelei — das wäre ein Vorwurf, den» erste Christen «machen dürften! — Zuletzt waren es die Privilegirten: dies genügt, der Tschandala-Hass braucht keine Gründe mehr. Der» erste Christ«— ich fürchte, auch der» letzte Christ«, den ich vielleicht noch erleben werde- ist Rebell gegen alles Privilegirte aus unterstem Instinkte, — er lebt, er kämpft immer für» gleiche Rechte«… Genauer zugesehn, hat er keine Wahl. Will man, für seine Person, ein» Auserwählter Gottes «sein — oder ein» Tempel Gottes«, oder ein» Richter der Engel«—, so ist jedes andre Princip der Auswahl, zum Beispiel nach Rechtschaffenheit, nach Geist, nach Männlichkeit und Stolz, nach Schönheit und Freiheit des Herzens, einfach» Welt«, — das Böse an sich… Moral: jedes Wort im Munde eines» ersten Christen «ist eine Lüge, jede Handlung, die er thut, eine Instinkt-Falschheit, — alle seine Werthe, alle seine Ziele sind schädlich, aber wen er hasst, was er hasst, das hat Werth… Der Christ, der Priester-Christ in Sonderheit, ist ein Kriterium für Werthe — Habe ich noch zu sagen, dass im ganzen neuen Testament bloss eine einzige Figur vorkommt, die man ehren muss? Pilatus, der römische Statthalter. Einen Judenhandel ernst zu nehmen — dazu überredet er sich nicht. Ein Jude mehr oder weniger — was liegt daran?… Der vornehme Hohn eines Römers, vor dem ein unverschämter Missbrauch mit dem Wort» Wahrheit «getrieben wird, hat das neue Testament mit dem einzigen Wort bereichert, das Werth hat, — das seine Kritik, seine Vernichtung selbst ist:»was ist Wahrheit!»…
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— Das ist es nicht, was uns abscheidet, dass wir keinen Gott wiederfinden, weder in der Geschichte, noch in der Natur, noch hinter der Natur, — sondern dass wir, was als Gott verehrt wurde, nicht als» göttlich«, sondern als erbarmungswürdig, als absurd, als schädlich empfinden, nicht nur als Irrthum, sondern als Verbrechen am Leben… Wir leugnen Gott als Gott… Wenn man uns diesen Gott der Christen bewiese, wir würden ihn noch weniger zu glauben wissen. — In Formel: deus, qualem Paulus creavit, dei negatio. — Eine Religion, wie das Christenthum, die sich an keinem Punkte mit der Wirklichkeit berührt, die sofort dahinfällt, sobald die Wirklichkeit auch nur an Einem Punkte zu Rechte kommt, muss billiger Weise der» Weisheit der Welt«, will sagen der Wissenschaft, todtfeind sein, — sie wird alle Mittel gut heissen, mit denen die Zucht des Geistes, die Lauterkeit und Strenge in Gewissenssachen des Geistes, die vornehme Kühle und Freiheit des Geistes vergiftet, verleumdet, verrufen gemacht werden kann. Der» Glaube «als Imperativ ist das Veto gegen die Wissenschaft, — in praxi die Lüge um jeden Preis… Paulus begriff, dass die Lüge — dass» der Glaube «noth that; die Kirche begriff später wieder Paulus. — jener» Gott«, den Paulus sich erfand, ein Gott, der» die Weisheit der Welt«(im engern Sinn die beiden grossen Gegnerinnen alles Aberglaubens, Philologie und Medizin)»zu Schanden macht«, ist in Wahrheit nur der resolute Entschluss des Paulus selbst dazu:»Gott «seinen eignen Willen zu nennen, thora, das ist urjüdisch. Paulus will» die Weisheit der Welt «zu Schanden machen: seine Feinde sind die guten Philologen und Ärzte alexandrinischer Schulung — , ihnen macht er den Krieg. In der That, man ist nicht Philolog und Arzt, ohne nicht zugleich auch Antichrist zu sein. Als Philolog schaut man nämlich hinter die» heiligen Bücher«, als Arzt hinter die physiologische Verkommenheit des typischen Christen. Der Arzt sagt» unheilbar«, der Philolog» Schwindel".
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— Hat man eigentlich die berühmte Geschichte verstanden, die am Anfang der Bibel steht, — von der Höllenangst Gottes vor der Wissenschaft?… Man hat sie nicht verstanden. Dies Priester-Buch par excellence beginnt, wie billig, mit der grossen inneren Schwierigkeit des Priesters: er hat nur Eine grosse Gefahr, folglich hat» Gott «nur Eine grosse Gefahr. —
Der alte Gott, ganz» Geist«, ganz Hohe
Und in der That, mit der Langeweile hatte es nun ein Ende, — aber auch mit Anderem noch! Das Weib war der zweite Fehlgriff Gottes. — »Das Weib ist seinem Wesen nach Schlange, Heva«— das weiss jeder Priester;»vom Weib kommt jedes Unheil in der Welt«— das weiss ebenfalls jeder Priester.»Folglich kommt von ihm auch die Wissenschaft«… Erst durch das Weib lernte der Mensch vom Baume der Erkenntniss kosten. — Was war geschehn? Den alten Gott ergriff eine Höllenangst. Der Mensch selbst war sein grösster Fehlgriff geworden, er hatte sich einen Rivalen geschaffen, die Wissenschaft macht gottgleich, — es ist mit Priestern und Göttern zu Ende, wenn der Mensch wissenschaftlich wird! — Moral: die Wissenschaft ist das Verbotene an sich, — sie allein ist verboten. Die Wissenschaft ist die erste Sünde, der Keim aller Sünde, die Erbsünde. Dies allein ist Moral. — »Du sollst nicht erkennen«. — der Rest folgt daraus. — Die Höllenangst Gottes verhinderte ihn nicht, klug zu sein. Wie wehrt man sich gegen die Wissenschaft? das wurde für lange sein Hauptproblem. Antwort: fort mit dem Menschen aus dem Paradiese! Das Glück, der Müssiggang bringt auf Gedanken, — alle Gedanken sind schlechte Gedanken… Der Mensch soll nicht denken. — Und der» Priester an sich «erfindet die Noth, den Tod, die Lebensgefahr der Schwangerschaft, jede Art von Elend, Alter, Mühsal, die Krankheit vor Allem, — lauter Mittel im Kampfe mit der Wissenschaft! Die Noth erlaubt dem Menschen nicht, zu denken… Und trotzdem! entsetzlich! Das Werk der Erkenntniss thürmt sich auf, himmelstürmend, götter-andämmernd, — was thun! — Der alte Gott erfindet den Krieg, er trennt die Völker, er macht, dass die Menschen sich gegenseitig vernichten (die Priester haben immer den Krieg nöthig gehabt…) Der Krieg — unter Anderem ein grosser Störenfried der Wissenschaft! — Unglaublich! Die Erkenntniss, die Emancipation vom Priester, nimmt selbst trotz Kriegen zu. — Und ein letzter Entschluss kommt dem alten Gott:»der Mensch ward wissenschaftlich, — es hilft Nichts, man muss ihn ersäufen!»…
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— Man hat mich verstanden. Der Anfang der Bibel enthält die ganze Psychologie des Priesters. — Der Priester kennt nur Eine grosse Gefahr: das ist die Wissenschaft — der gesunde Begriff von Ursache und Wirkung. Aber die Wissenschaft gedeiht im Ganzen nur unter glücklichen Verhältnissen, — man muss Zeit, man muss Geist überflüssig haben, um zu» erkennen«…»Folglich muss man den Menschen unglücklich machen«, — dies war zu jeder Zeit die Logik des Priesters. — Man erräth bereits, was, dieser Logik gemäss, damit erst in die Welt gekommen ist: — die» Sünde«… Der Schuld- und Strafbegriff, die ganze» sittliche Weltordnung «ist erfunden gegen die Wissenschaft, — gegen die Ablösung des Menschen vom Priester… Der Mensch soll nicht hinaus, er soll in sich hinein sehn; er soll nicht klug und vorsichtig, als Lernender, in die Dinge sehn, er soll überhaupt gar nicht sehn: er soll leiden… Und er soll so leiden, dass er jeder Zeit den Priester nöthig hat. — Weg mit den Ärzten! Man hat einen Heiland nöthig.- Der Schuld- und Strafbegriff, eingerechnet die Lehre von der» Gnade«, von der» Erlösung«, von der» Vergebung«— Lügen durch und durch und ohne jede psychologische Realität — sind erfunden, um den Ursachen-Sinn des Menschen zu zerstören: sie sind das Attentat gegen den Begriff Ursache und Wirkung! — Und nicht ein Attentat mit der Faust, mit dem Messer, mit der Ehrlichkeit in Hass und Liebe! Sondern aus den feigsten, listigsten, niedrigsten Instinkten heraus! Ein Priester-Attentat! Ein Parasiten-Attentat! Ein Vampyrismus bleicher unterirdischer Blutsauger!… Wenn die natürlichen Folgen einer That nicht mehr» natürlich «sind, sondern durch Begriffs-Gespenster des Aberglaubens, durch» Gott«, durch» Geister«, durch» Seelen «bewirkt gedacht werden, als bloss» moralische «Consequenzen, als Lohn, Strafe, Wink, Erziehungsmittel, so ist die Voraussetzung zur Erkenntniss zerstört, — so hat man das grösste Verbrechen an der Menschheit begangen. — Die Sünde, nochmals gesagt, diese Selbstschändungs-Form des Menschen par excellence, ist erfunden, um Wissenschaft, um Cultur, um jede Erhöhung und Vornehmheit des Menschen unmöglich zu machen; der Priester herrscht durch die Erfindung der Sünde. -
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— Ich erlasse mir an dieser Stelle eine Psychologie des» Glaubens«, der» Gläubigen «nicht, zum Nutzen, wie billig, gerade der» Gläubigen«. Wenn es heute noch an solchen nicht fehlt, die es nicht wissen, inwiefern es unanständig ist,»gläubig «zu sein — oder ein Abzeichen von décadence, von gebrochnem Willen zum Leben — , morgen schon werden sie es wissen. Meine Stimme erreicht auch die Harthörigen. — Es scheint, wenn anders ich mich nicht verhört habe, dass es unter Christen eine Art Criterium der Wahrheit giebt, das man» den Beweis der Kraft «nennt.»Der Glaube macht selig: also ist er wahr.«— Man dürfte hier zunächst einwenden, dass gerade das Seligmachen nicht bewiesen, sondern nur versprochen ist: die Seligkeit an die Bedingung des» Glaubens «geknüpft, — man soll selig werden, weil man glaubt… Aber dass thatsächlich eintritt, was der Priester dem Gläubigen für das jeder Controle unzugängliche» Jenseits «verspricht, womit bewiese sich das? — Der angebliche» Beweis der Kraft «ist also im Grunde wieder nur ein Glaube daran, dass die Wirkung nicht ausbleibt, welche man sich vom Glauben verspricht. In Formel:»ich glaube, dass der Glaube selig macht; — folglich ist er wahr.«— Aber damit sind wir schon am Ende. Dies» folglich «wäre das absurdum selbst als Criterium der Wahrheit. — Setzen wir aber, mit einiger Nachgiebigkeit, dass das Seligmachen durch den Glauben bewiesen sei — nicht nur gewünscht, nicht nur durch den etwas verdächtigen Mund eines Priesters versprochen: wäre Seligkeit, — technischer geredet, Lust jemals ein Beweis der Wahrheit?
So wenig, dass es beinahe den Gegenbeweis, jedenfalls den höchsten Argwohn gegen» Wahrheit «abgiebt, wenn Lustempfindungen über die Frage» was ist wahr «mitreden. Der Beweis der» Lust «ist ein Beweis für» Lust«, — nichts mehr; woher um Alles in der Welt stünde es fest, dass gerade wahre Urtheile mehr Vergnügen machten als falsche, und, gemäss einer prästabilirten Harmonie, angenehme Gefühle mit Nothwendigkeit hinter sich drein zögen? — Die Erfahrung aller strengen, aller tief gearteten Geister lehrt das Umgekehrte.