Der Wanderer und sein Schatten - Фридрих Ницше 18 стр.


Jetzt erst ist das Zeitalter der Zyklopenbauten! Endliche Sicherheit der Fundamente, damit alle Zukunft auf ihnen ohne Gefahr bauen kann! Unmöglichkeit fürderhin, daß die Fruchtfelder der Kultur wieder über Nacht von wilden und sinnlosen Bergwässern zerstört werden! Steindämme und Schutzmauern gegen Barbaren, gegen Seuchen, gegenleibliche und geistige Verknechtung ! Und dies alles zunächst wörtlich und gröblich, aber allmählich immer höher und geistiger verstanden, so daß alle hier angedeuteten Maßregeln die geistreiche Gesamtvorbereitung des höchsten Künstlers der Gartenkunst zu sein scheinen, der sich dann erst zu seiner eigentlichen Aufgabe wenden kann, wenn jene vollkommen ausgeführt ist! — Freilich: bei den weiten Zeitstrecken, welche hier zwischen Mittel und Zweck liegen, bei der großen, übergroßen, Kraft und Geist von Jahrhunderten anspannenden Mühsal, die schon not tut, um nur jedes einzelne Mittel zu schaffen oder herbeizuschaffen, darf man es den Arbeitern an der Gegenwart nicht zu hart anrechnen, wenn sie laut dekretieren, die Mauer und das Spalierseischon der Zweck und das letzte Ziel; da ja noch niemand den Gärtner und die Fruchtpflanzen sieht,um derentwillendas Spalier da ist.

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Das Recht des allgemeinen Stimmrechts. —Das Volk hat sich das allgemeine Stimmrecht nicht gegeben, es hat dasselbe, überall, wo es jetzt in Geltung ist, empfangen und vorläufig angenommen: jedenfalls hat es aber das Recht, es wieder zurückzugeben, wenn es seinen Hoffnungen nicht genug tut. Dies scheint jetzt allerorten der Fall zu sein: denn wenn bei irgend einer Gelegenheit, wo es gebraucht wird, kaum Zweidrittel, ja vielleicht nicht einmal die Majorität aller Stimmberechtigten an die Stimm-Urne kommt, so ist dies ein Votumgegendas ganze Stimmsystem überhaupt. — Man muß hier sogar noch viel strenger urteilen. Ein Gesetz, welches bestimmt, daß die Majorität über das Wohl aller die letzte Entscheidung habe, kann nicht auf derselben Grundlage, welche durch dasselbe erst gegeben wird, aufgebaut werden; es bedarf notwendig einer noch breiteren: und dies ist dieEinstimmigkeit aller . Das allgemeine Stimmrecht darf nicht nur der Ausdruck eines Majoritäten-Willens sein: das ganze Land muß es wollen. Deshalb genügt schon der Widerspruch einer sehr kleinen Minorität, dasselbe als untunlich wieder beiseite zu stellen: und dieNichtbeteiligungan einer Abstimmung ist eben ein solcher Widerspruch, der das ganze Stimmsystem zum Falle bringt. Das» absolute Veto «des einzelnen oder, um nicht ins Kleinliche zu verfallen, das Veto weniger Tausende hängt über diesem System, als die Konsequenz der Gerechtigkeit: bei jedem Gebrauche, den man von ihm macht, muß es, laut der Art von Beteiligung, erst beweisen, daß es nochzu Rechtbesteht.

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Das schlechte Schließen. —Wie schlecht schließt man, auf Gebieten, wo man nicht zu Hause ist, selbst wenn man als Mann der Wissenschaft noch so sehr an das gute Schließen gewöhnt ist! Es ist beschämend! Und nun ist klar, daß im großen Welttreiben, in Sachen der Politik, bei allem Plötzlichen und Drängenden, wie es fast jeder Tag heraufführt, eben diesesschlechte Schließenentscheidet: denn niemand ist völlig in dem zu Hause, was über Nacht neu gewachsen ist; alles Politisieren, auch bei den größten Staatsmännern, ist Improvisieren auf gut Glück.

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Prämissen des Maschinen-Zeitalters. —Die Presse, die Maschine, die Eisenbahn, der Telegraph sind Prämissen, deren tausendjährige Konklusion noch niemand zu ziehen gewagt hat.

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Ein Hemmschuh der Kultur. —Wenn wir hören: dort haben die Männer nicht Zeit zu den produktiven Geschäften; Waffenübungen und Umzüge nehmen ihnen den Tag weg, und die übrige Bevölkerung muß sie ernähren und kleiden, ihre Tracht aber ist auffallend, oftmals bunt und voll Narrheiten; dort sind nur wenige unterscheidende Eigenschaften anerkannt, die einzelnen gleichen einander mehr als anderwärts oder werden doch als Gleiche behandelt; dort verlangt und gibt man Gehorsam ohne Verständnis: man befiehlt, aber man hütet sich zu überzeugen; dort sind die Strafen wenige, diese wenigen aber sind hart und gehen schnell zum Letzten, Fürchterlichsten; dort gilt der Verrat als das größte Verbrechen, schon die Kritik der Übelstände wird nur von den Mutigsten gewagt; dort ist ein Menschenleben wohlfeil, und der Ehrgeiz nimmt häufig die Form an, daß er das Leben in Gefahr bringt, — wer dies alles hört, wird sofort sagen:»es ist das Bild einerbarbarischen, in Gefahr schwebenden Gesellschaft. «Vielleicht, daß der eine hinzufügt:»es ist die Schilderung Spartas«; ein anderer wird aber nachdenklich werden und vermeinen, es seiunser modernes Militärwesenbeschrieben, wie es inmitten unsrer andersartigen Kultur und Sozietät dasteht — als ein lebendiger Anachronismus, als das Bild, wie gesagt, einer barbarischen, in Gefahr schwebenden Gesellschaft, als ein posthumes Werk der Vergangenheit, welches für die Räder der Gegenwart nur den Wert eines Hemmschuhs haben kann. — Mitunter tut aber auch ein Hemmschuh der Kultur auf das Höchste not: wenn es nämlich zu schnell bergab oder, wie in diesem Falle vielleicht,bergaufgeht.

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Mehr Achtung vor den Wissenden! —Bei der Konkurrenz der Arbeit und der Verkäufer ist dasPublikumzum Richter über das Handwerk gemacht: das hat aber keine strenge Sachkenntnis und urteilt nach demScheineder Güte. Folglich wird die Kunst des Scheines (und vielleicht der Geschmack) unter der Herrschaft der Konkurrenz steigen, dagegen die Qualität aller Erzeugnisse sich verschlechtern müssen. Folglich wird, wofern nur die Vernunft nicht im Werte fällt, irgendwann jener Konkurrenz ein Ende gemacht werden und ein neues Prinzip den Sieg über sie davontragen. Nur der Handwerksmeister sollte über das Handwerk urteilen, und das Publikum abhängig sein vom Glauben an diePersondes Urteilenden und an seine Ehrlichkeit. Demnach keine anonyme Arbeit! Mindestens müßte ein Sachkenner als Bürge derselben dasein undseinenNamen als Pfand einsetzen, wenn der Name des Urhebers fehlt oder klanglos ist. DieWohlfeilheiteines Werkes ist für den Laien eine andere Art Schein und Trug, da erst dieDauerhaftigkeitentscheidet, daß und inwiefern eine Sache wohlfeil ist; jene aber ist schwer und von dem Laien gar nicht zu beurteilen. — Also: was Effekt auf das Auge macht und wenig kostet, das bekommt jetzt das Übergewicht, — und das wird natürlich die Maschinenarbeit sein. Hinwiederum begünstigt die Maschine, das heißt die Ursache der größten Schnelligkeit und Leichtigkeit der Herstellung, auch ihrerseits dieverkäuflichsteSorte: sonst ist kein erheblicher Gewinn mit ihr zu machen; sie würde zu wenig gebraucht und zu oft stille stehen. Was aber am verkäuflichsten ist, darüber entscheidet das Publikum, wie gesagt: es muß das Täuschendste sein, das heißtdas , was einmal gutscheintund sodann auch wohlfeilscheint . Also auch auf dem Gebiete der Arbeit muß unser Losungswort sein:»Mehr Achtung vor den Wissenden!»

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Die Gefahr der Könige.

 —Die Demokratie hat es in der Hand, ohne alle Gewaltmittel, nur durch einen stetig geübten gesetzmäßigen Druck, das König- und Kaisertumhohlzu machen: bis eine Null übrig bleibt, vielleicht, wenn man will, mit der Bedeutung jeder Null, daß sie, an sich nichts, doch an die rechte Seite gestellt, dieWirkungeiner Zahl verzehnfacht. Das Kaiser- und Königtum bliebe ein prachtvoller Zierrat an der schlichten und zweckmäßigen Gewandung der Demokratie, das schöne Überflüssige, welches sie sich gönnt, der Rest alles historisch ehrwürdigen Urväterzierrates, ja das Symbol der Historie selber — und in dieser Einzigkeit etwas höchst Wirksames, wenn es, wie gesagt, nicht für sich allein steht, sondern richtiggestelltwird. — Um der Gefahr jener Aushöhlung vorzubeugen, halten die Könige jetzt mit den Zähnen an ihrer Würde alsKriegsfürstenfest: dazu brauchen sie Kriege, das heißt Ausnahmezustände, in denen jener langsame, gesetzmäßige Druck der demokratischen Gewalten pausiert.

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Der Lehrer ein notwendiges Übel. —So wenig wie möglich Personen zwischen den produktiven Geistern und den hungernden und empfangenden Geistern! Denn dieMittlerwesenfälschen fast unwillkürlich die Nahrung, die sie vermitteln: sodann wollen sie zur Belohnung für ihr Vermitteln zu viel fürsich , was also den originalen, produktiven Geistern entzogen wird: nämlich Interesse, Bewunderung, Zeit, Geld und anderes. — Also: man sehe immerhin den Lehrer als ein notwendiges Übel an, ganz wie den Handelsmann: als ein Übel, das man so klein wie möglich machen muß! — Wenn vielleicht die Not der deutschen Zustände jetzt ihren Hauptgrund darin hat, daß viel zu viele vom Handel leben und gut leben wollen (also dem Erzeugenden die Preise möglichst zu verringern und den Verzehrenden die Preise möglichst zu erhöhen suchen, um am möglichst großen Schaden beider den Vorteil zu haben): so kann man gewiß einen Hauptgrund der geistigen Notstände in der Überfülle von Lehrern sehen ihretwegen wird so wenig und so schlecht gelernt.

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Die Achtungssteuer. —Den uns Bekannten, von uns Geehrten, sei es ein Arzt, Künstler, Handwerker, der etwas für uns tut und arbeitet, bezahlen wir gern so hoch als wir können, oft sogar über unser Vermögen: dagegen bezahlt man den Unbekannten so niedrig es nur angehen will; hier ist ein Kampf, in welchem jeder um den Fußbreit Landes kämpft und mit sich kämpfen macht. Bei der Arbeit des Bekanntenfür unsist etwasUnbe- zahlbares , die in seine Arbeitunsertwegenhineingelegte Empfindung und Erfindung: wir glauben das Gefühl hiervon nicht anders als durch eine ArtAufopferungunsererseits ausdrücken zu können. — Die stärkste Steuer ist dieAchtungssteuer . Je mehr die Konkurrenz herrscht und man von Unbekannten kauft, für Unbekannte arbeitet, desto niedriger wird diese Steuer, während sie gerade der Maßstab für die Höhe des menschlichen Seelen- Verkehresist.

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Das Mittel zum wirklichen Frieden. —Keine Regierung gibt jetzt zu, daß sie das Heer unterhalte, um gelegentliche Eroberungsgelüste zu befriedigen; sondern der Verteidigung soll es dienen. Jene Moral, welche die Notwehr billigt, wird als ihre Fürsprecherin angerufen. Das heißt aber: sich die Moralität und dem Nachbar die Immoralität vorbehalten, weil er angriffs- und eroberungslustig gedacht werden muß, wenn unser Staat notwendig an die Mittel der Notwehr denken soll; überdies erklärt man ihn, der genau ebenso wie unser Staat die Angriffslust leugnet und auch seinerseits das Heer vorgeblich nur aus Notwehrgründen unterhält, durch unsere Erklärung, weshalb wir ein Heer brauchen, für einen Heuchler und listigen Verbrecher, welcher gar zu gern ein harmloses und ungeschicktes Opfer ohne allen Kampfüberfallenmöchte. So stehen nun alle Staaten jetzt gegeneinander: sie setzen die schlechte Gesinnung des Nachbars und die gute Gesinnung bei sich voraus. Diese Voraussetzung ist aber eineInhumanität , — so schlimm und schlimmer als der Krieg: ja, im Grunde ist sie schon die Aufforderung und Ursache zu Kriegen, weil sie, wie gesagt, dem Nachbar die Immoralitätunter- schiebtund dadurch die feindselige Gesinnung und Tat zu provozieren scheint. Der Lehre von dem Heer als einem Mittel der Notwehr muß man ebenso gründlich abschwören als den Eroberungsgelüsten. Und es kommt vielleicht ein großer Tag, an welcher ein Volk, durch Kriege und Siege, durch die höchste Ausbildung der militärischen Ordnung und Intelligenz ausgezeichnet und gewöhnt, diesen Dingen die schwersten Opfer zu bringen, freiwillig ausruft:» wir zerbrechen das Schwert «— und sein gesamtes Heerwesen bis in seine letzten Fundamente zertrümmert.Sich wehrlos machen, während man der Wehrhafteste war , aus einerHöheder Empfindung heraus, — das ist das Mittel zumwirklichenFrieden, welcher immer auf einem Frieden der Gesinnung ruhen muß: während der sogenannte bewaffnete Friede, wie er jetzt in allen Ländern einhergeht, der Unfriede der Gesinnung ist, der sich und dem Nachbar nicht traut und halb aus Haß, halb aus Furcht die Waffen nicht ablegt. Lieber zugrunde gehn als hassen und fürchten, undzweimal lieber zugrunde gehn als sich hassen und fürchten machen , — dies muß einmal auch die oberste Maxime jeder einzelnen staatlichen Gesellschaft werden! — Unsern liberalen Volksvertretern fehlt es, wie bekannt, an Zeit zum Nachdenken über die Natur des Menschen: sonst würden sie wissen, daß sie umsonst arbeiten, wenn sie für eine» allmähliche Herabminderung der Militärlast «arbeiten. Vielmehr: erst wenn diese Art Not am größten ist, wird auch die Art Gott am nächsten sein, die hier allein helfen kann. Der Kriegsglorien-Baum kann nur mit einem Male, durch einen Blitzschlag zerstört werden: der Blitz aber kommt, ihr wißt es ja, aus der Höhe. –

285

Ob der Besitz mit der Gerechtigkeit ausgeglichen werden kann. —Wird die Ungerechtigkeit des Besitzes stark empfunden — der Zeiger der großen Uhr ist einmal wieder an dieser Stelle — , so nennt man zwei Mittel, derselben abzuhelfen: einmal eine gleiche Verteilung und sodann die Aufhebung des Eigentums und den Zurückfall des Besitzes an die Gemeinschaft. Letzteres Mittel ist namentlich nach dem Herzen unserer Sozialisten, welche jenem altertümlichen Juden darüber gram sind, daß er sagte: du sollst nicht stehlen. Nach ihnen soll das siebente Gebot vielmehr lauten: du sollst nicht besitzen. — Die Versuche nach dem ersten Rezepte sind im Altertum oft gemacht worden, zwar immer nur in kleinem Maßstabe, aber doch mit einem Mißerfolg, der auch uns noch Lehrer sein kann.

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