“Ich mag mit Bürgern und Bauern nichts zu tun haben, wenn ich ihnen nicht geradezu befehlen kann.”, versetzte Eduard.
“Du hast so unrecht nicht,” erwiderte der Hauptmann, “denn auch mir machten dergleichen Geschäfte im Leben schon viel Verdruß. Wie schwer ist es, daß der Mensch recht abwäge, was man aufopfern muß gegen das, was zu gewinnen ist! wie schwer, den Zweck zu wollen und die Mittel nicht zu verschmähen. Viele verwechseln gar die Mittel und den Zweck, erfreuen sich an jenen, ohne diesen im Auge zu behalten. Jedes übel soll an der Stelle geheilt werden, wo es zum Vorschein kommt, und man bekümmert sich nicht um jenen Punkt, wo es eigentlich seinen Ursprung nimmt, woher es wirkt. Deswegen ist es so schwer, Rat zu pflegen, besonders mit der Menge, die im Täglichen ganz verständig ist, aber selten weiter sieht als auf morgen. Kommt nun gar dazu, daß der eine bei einer gemeinsamen Anstalt gewinnen, der andre verlieren soll, da ist mit Vergleich nun gar nichts auszurichten. Alles eigentlich gemeinsame Gute muß durch das unumschränkte Majestätsrecht gefördert werden.”
Indem sie standen und sprachen, bettelte sie ein Mensch an, der mehr frech als bedürftig aussah. Eduard, ungern unterbrochen und beunruhigt, schalt ihn, nachdem er ihn einigemal vergebens gelassener abgewiesen hatte; als aber der Kerl sich murrend, ja gegenscheltend, mit kleinen Schritten entfernte, auf die Rechte des Bettlers trotzte, dem man wohl ein Almosen versagen, ihn aber nicht beleidigen dürfe, weil er so gut wie jeder andere unter dem Schutze Gottes und der Obrigkeit stehe, kam Eduard ganz aus der Fassung.
Der Hauptmann, ihn zu begütigen, sagte darauf: “Laß uns diesen Vorfall als eine Aufforderung annehmen, unsere ländliche Polizei auch hierüber zu erstrecken. Almosen muß man einmal geben; man tut aber besser, wenn man sie nicht selbst gibt, besonders zu Hause. Da sollte man mäßig und gleichförmig in allem sein, auch im Wohltun. Eine allzu reichliche Gabe lockt Bettler herbei, anstatt sie abzufertigen; dagegen man wohl auf der Reise, im Vorbeifliegen, einem Armen an der Straße in der Gestalt des zufälligen Glücks erscheinen und ihm eine überraschende Gabe zuwerfen mag. Uns macht die Lage des Dorfes, des Schlosses eine solche Anstalt sehr leicht, ich habe schon früher darüber nachgedacht.
An dem einen Ende des Dorfes liegt das Wirtshaus, an dem andern wohnen ein Paar alte gute Leute; an beiden Orten mußt du eine kleine Geldsumme niederlegen. Nicht der ins Dorf Hereingehende, sondern der Hinausgehende erhält etwas; und da die beiden Häuser zugleich an den Wegen stehen, die auf das Schloß führen, so wird auch alles, was sich hinaufwenden wollte, an die beiden Stellen gewiesen.”
“Komm,” sagte Eduard, “wir wollen das gleich abmachen; das Genauere können wir immer noch nachholen.” Siegingen zum wirt und zu dem alten Paare, und die Sache war abgetan.
“Ich weiß recht gut,” sagte Eduard, indem sie zusammen den Schloßberg wieder hinauf’stiegen, “daß alles in der Welt ankommt auf einen gescheiten Einfall und auf einen festen Entschluß. So hast du die Parkanlagen meiner Frau sehr richtig beurteilt und mir auch schon einen Wink zum Bessern gegeben, den ich ihr, wie ich gar nicht leugnen will, sogleich mitgeteilt habe.”
“Ich konnte es vermuten,” versetzte der Hauptmann, “aber nicht billigen. Du hast sie irre gemacht; sie läßtalles liegen und trutzt in dieser einzigen Sache mit uns: denn sie vermeidet, davon zu reden, und hat uns nicht wieder zur Mooshütte geladen, ob sie gleich mit Ottilien in den Zwischenstunden hinaufgeht.”
“Dadurch müssen wir uns”, versetzte Eduard, “nicht abschrecken lassen. Wenn ich von etwas Gutem überzeugt bin, was geschehen könnte und sollte, so habe ich keine Ruhe, bis ich es getan sehe. Sind wir doch sonst so klug, etwas einzuleiten. Laß uns die englischen Parkbeschreibungen mit Kupfern zur Abendunterhaltung vornehmen, nachher deine Gutskarte. Man muß es erst problematisch und nur wie zum Scherz behandeln; der Ernst wird sich schon finden. Nach dieser Verabredung wurden die Bücher aufgeschlagen, worin man jedesmal den Grundriß der Gegend und ihre landschaftliche Ansicht in ihrem ersten rohen Naturzustande gezeichnet sah, sodann auf andern Blättern die Veränderung vorgestellt fand, welche die Kunst daran vorgenommen, um alles das bestehende Gute zu nutzen und zu steigern. Hievon war der übergang zur eigenen Besitzung, zur eignen Umgebung und zu dem, was man daran ausbilden könnte, sehr leicht.
Die von dem Hauptmann entworfene Karte zum Grunde zu legen, war nunmehr eine angenehme Beschäftigung, nur konnte man sich von jener ersten Vorstellung, nach der Charlotte die Sache einmal angefangen hatte, nicht ganz losreißen. Doch erfand man einen leichtern Aufgang auf die Höhe; man wollte oberwärts am Abhange vor einem angenehmen Hölzchen ein Lustgebäude aufführen; dieses sollte einen Bezug auf’s Schloß haben, aus den Schloßfenstern sollte man es übersehen, von dorther Schloß und Gärten wieder bestreichen können.
Der Hauptmann hatte alles wohl überlegt und gemessen und brachte jenen Dorfweg, jene Mauer am Bache her, jene Ausfüllung wieder zur Sprache. “Ich gewinne” sagte er, indem ich einen bequemen Weg zur Anhöhe hinaufführe, gerade soviel Steine, als ich zu jener Mauer bedarf. Sobald eins ins andre greift, wird beides wohlfeiler und geschwinder bewerkstelligt.”
“Nun aber”, sagte Charlotte, “kommt meine Sorge. Notwendig muß etwas Bestimmtes ausgesetzt werden; und wenn man weiß, wieviel zu einer solchen Anlage erforderlich ist, dann teilt man es ein, wo nicht auf Wochen, doch wenigstens auf Monate. Die Kasse ist unter meinem Beschluß; ich zahle die Zettel, und die Rechnung führe ich selbst.”
“Du scheinst uns nicht sonderlich viel zu vertrauen”, sagte Eduard. “Nicht viel in willkürlichen Dingen.”, versetzte Charlotte. “Die Willkür wissen wir besser zu beherrschen als ihr.”
Die Einrichtung war gemacht, die Arbeit rasch angefangen, der Hauptmann immer gegenwärtig, und Charlotte nunmehr fast täglich Zeuge seines ernsten und bestimmten Sinnes. Auch er lernte sie näher kennen, und beiden wurde es leicht, zusammenzuwirken und etwas zustande zu bringen.
Es ist mit den Geschäften wie mit dem Tanze — Personen, die gleichen Schritt halten, müssen sich unentbehrlich werden; ein wechselseitiges Wohlwollen muß notwendig daraus entspringen, und daß Charlotte dem Hauptmann, seitdem sie ihn näher kennen gelernt, wirklich wohlwollte, davon war ein sicherer Beweis, daß sie ihn einen schönen Ruheplatz, den sie bei ihren ersten Anlagen besonders ausgesucht und verziert hatte, der aber seinem Plane entgegenstand, ganz gelassen zerstören ließ, ohne auch nur die mindeste unangenehme Empfindung dabei zu haben.
7. KAPITEL
Indem nun Charlotte mit dem Hauptmann eine gemeinsame Beschäftigung fand, so war die Folge, daß sich Eduard mehr zu Ottilien gesellte. Für sie sprach ohnehin seit einiger Zeit eine stille, freundliche Neigung in seinem Herzen. Gegen jedermann war sie dienstfertig und zuvorkommend; daß sie es gegen ihn am meisten sei, das wollte seiner Selbstliebe scheinen. Nun war keine Frage: was für Speisen und wie er sie liebte, hatte sie schon genau bemerkt; wieviel Zucker er zum Tee zu nehmen pflegte, und was dergleichen mehr ist, entging ihr nicht. Besonders war sie sorgfältig, alle Zugluft abzuwehren, gegen die er eine übertriebene Empfindlichkeit zeigte und deshalb mit seiner Frau, der es nicht luftig genug sein konnte, manchmal in Widerspruch geriet. Ebenso wußte sie im Baum— und Blumengarten Bescheid. Was er wünschte, suchte sie zu befördern, was ihn ungeduldig machen konnte, zu verhüten, dergestalt, daß sie in kurzem wie ein freundlicher Schutzgeist ihm unentbehrlich ward und er anfing, ihre Abwesenheit schon peinlich zu empfinden. Hiezu kam noch, daß sie gesprächiger und offner schien, sobald sie sich allein trafen.
Eduard hatte bei zunehmenden Jahren immer etwas Kindliches behalten, das der Jugend Ottiliens besonders zusagte. Sie erinnerten sich gern früherer Zeiten, wo sie einander gesehen; es stiegen diese Erinnerungen bis in die ersten Epochen der Neigung Eduards zu Charlotten. Ottilie wollte sich der beiden noch als des schönsten Hofpaares erinnern; und wenn Eduard ihr ein solches Gedächtnis aus ganz früher Jugend absprach, so behauptete sie doch besonders einen Fall noch vollkommen gegenwärtig zu haben, wie sie sich einmal, bei seinem Hereintreten, in Charlottens Schoß versteckt, nicht aus Furcht, sondern aus kindischer überraschung. Sie hätte dazusetzen können: weil er so lebhaften Eindruck auf sie gemacht, weil er ihr gar so wohl gefallen.
Bei solchen Verhältnissen waren manche Geschäfte, welche die beiden Freunde zusammen früher vorgenommen, gewissermaßen in Stocken geraten, so daß sie für nötig fanden, sich wieder eine übersicht zu verschaffen, einige Auf’sätze zu entwerfen, Briefe zu schreiben. Sie bestellten sich deshalb auf ihre Kanzlei, wo sie den alten Kopisten müßig fanden. Sie gingen an die Arbeit und gaben ihm bald zu tun, ohne zu bemerken, daß sie ihm manches aufbürdeten, was sie sonst selbst zu verrichten gewohnt waren. Gleich der erste Auf’satz wollte dem Hauptmann, gleich der erste Brief Eduarden nicht gelingen. Sie quälten sich eine Zeitlang mit Konzipieren und Umschreiben, bis endlich Eduard, dem es am wenigsten vonstatten ging, nach der Zeit fragte.
Da zeigte sich denn, daß der Hauptmann vergessen hatte, seine chronometrische Sekunden-Uhr aufzuziehen, das erste Mal seit vielen Jahren; und sie schienen, wo nicht zu empfinden, doch zu ahnen, daß die Zeit anfange, ihnen gleichgültig zu werden.
Indem so die Männer einigermaßen in ihrer Geschäftigkeit nachließen, wuchs vielmehr die Tätigkeit der Frauen. überhaupt nimmt die gewöhnliche Lebensweise einer Familie, die aus den gegebenen Personen und aus notwendigen Umständen entspringt, auch wohl eine außerordentliche Neigung, eine werdende Leidenschaft in sich wie in ein Gefäß auf, und es kann eine ziemliche Zeit vergehen, ehe dieses neue Ingrediens eine merkliche Gärung verursacht und schäumend über den Rand schwillt.
Bei unsern Freunden waren die entstehenden wechselseitigen Neigungen von der angenehmsten Wirkung. Die Gemüter öffneten sich, und ein allgemeines Wohlwollen entsprang aus dem besonderen. Jeder Teil fühlte sich glücklich und gönnte dem andern sein Glück. Ein solcher Zustand erhebt den Geist, indem er das Herz erweitert, und alles, was man tut und vornimmt, hat eine Richtung gegen das Unermeßliche. So waren auch die Freunde nicht mehr in ihrer Wohnung befangen. Ihre Spaziergänge dehnten sich weiter aus, und wenn dabei Eduard mit Ottilien, die Pfade zu wählen, die Wege zu bahnen, vorauseilte, so folgte der Hauptmann mit Charlotten in bedeutender Unterhaltung, teilnehmend an manchem neu entdeckten Plätzchen, an mancher unerwarteten Aussicht, geruhig der Spur jener rascheren Vorgänger.
Eines Tages leitete sie ihr Spaziergang durch die Schloßpforte des rechten Flügels hinunter nach dem Gasthofe, über die Brücke gegen die Teiche zu, an denen sie hingingen, soweit man gewöhnlich das Wasser verfolgte, dessen Ufer sodann, von einem buschigen Hügel und weiterhin von Felsen eingeschlossen, aufhörte gangbar zu sein.
Aber Eduard, dem von seinen Jagdwanderungen her die Gegend bekannt war, drang mit Ottillen auf einem bewachsenen Pfade weiter vor, wohl wissend, daß die alte, zwischen Felsen versteckte Mühle nicht weit abliegen konnte. Allein der wenig betretene Pfad verlor sich bald, und sie fanden sich im dichten Gebüsch zwischen moosigem Gestein verirrt, doch nicht lange, denn das Rauschen der Räder verkündigte ihnen sogleich die Nähe des gesuchten Ortes.
Auf eine Klippe vorwärts tretend, sahen sie das alte schwarze wunderliche Holzgebäude im Grunde vor sich, von steilen Felsen sowie von hohen Bäumen umschattet. Sie entschlossen sich kurz und gut, über Moos und Felstrümmer hinabzusteigen. Eduard voran; und wenn er nun in die Höhe sah und Ottilie, leicht schreitend, ohne Furcht und ängstlichkeit, im schönsten Gleichgewicht von Stein zu Stein ihm folgte, glaubte er ein himmlisches Wesen zu sehen, das über ihm schwebte. Und wenn sie nun manchmal an unsicherer Stelle seine ausgestreckte Hand ergriff, ja sich auf seine Schulter stützte, dann konnte er sich nicht verleugnen, daß es das zarteste weibliche Wesen sei, das ihn berührte. Fast hätte er gewünscht, sie möchte straucheln, gleiten, daß er sie in seine Arme auffangen, sie an sein Herz drücken könnte. Doch dies hätte er unter keiner Bedingung getan, aus mehr als einer Ursache; er fürchtete sie zu beleidigen, sie zu beschädigen.
Wie dies gemeint sei, erfahren wir sogleich. Denn als er nun, herabgelangt, ihr unter den hohen Bäumen am ländlichen Tische gegenüber saß, die freundliche Müllerin nach Milch, der bewillkommende Müller Charlotten und dem Hauptmann entgegengesandt war, fing Eduard mit einigem Zaudern zu sprechen an.
“Ich habe eine Bitte, liebe Ottilie; verzeihen Sie mir die, wenn Sie mir sie auch versagen. Sie machen kein Geheimnis daraus, und es braucht es auch nicht, daß Sie unter Ihrem Gewand, auf Ihrer Brust ein Miniaturbild tragen.