Joanne K. Rowling
Kapitel 1 – Dudleys Wahnsinn
Der bisher hei?este Tag des Sommers ging zu Ende und eine einschlafernde Stille lag uber den gro?en, viereckigen Hausern des Liguster Weges. Autos, die ublicherweise glanzten, standen staubig in ihren Auffahrten und Rasen, die einst Smaragdgrun waren, dorrten aus und farbten sich gelb, da die Verwendung von Rasensprengern aufgrund der Durre verboten worden war. Dem Verfolgen ihres ublichen Auto waschens und Rasenmahens vorenthalten, hatten sich die Einwohner des Liguster Weges in den Schatten ihrer kuhlen Hauser zuruckgezogen, die Fenster weit aufgeworfen in der Hoffnung auf eine nicht existente Brise. Die einzige Person, die sich im Freien aufhielt, war ein Junge im Teenageralter, der flach auf seinem Rucken in einem Blumenbeet au?erhalb von Nummer Vier lag.
Er war ein magerer, schwarzhaariger, bebrillter Junge, der den gedruckten, ein bi?chen ungesunden Anblick von jemandem hatte, der in einer viel zu kurzen Zeitspanne gewachsen war. Seine Jeans waren schmutzig und eingerissen, sein T-Shirt ausgebeult und verblichen, und die Sohlen seiner Sportschuhe losten sich vom Oberstoff ab. Harry Potters Erscheinung machte ihn bei den Nachbarn nicht beliebt, die die Art von Leuten waren, die dachten, diese Art von Nachlassigkeit sollte per Gesetz strafbar sein, aber nachdem er sich an diesem Abend hinter einem gro?en Hortensien-Busch versteckt hatte, war er fur vorbeikommende Passanten quasi unsichtbar. In der Tat war er nur zu entdecken, falls Onkel Vernon oder Tante Petunia ihre Kopfe aus dem Wohnzimmerfenster stecken und geradewegs nach unten in das Blumenbeet sehen wurden.
Im Gro?en und Ganzen, dachte sich Harry, konnte er sich nur zu der Idee gratulieren, sich hier zu verstecken. Es war vielleicht nicht sehr bequem auf der hei?en, harten Erde zu liegen, aber andererseits starrte niemand ihn an, der seine Zahne so laut mahlte, da? er die Nachrichten nicht horen konnte, oder ihn mit unangenehmen Fragen bombardierte, wie es jedesmal passierte, als er versuchte hatte, sich im Wohnzimmer hinzusetzten und mit seinem Onkel und seiner Tante fernsehen wollte.
Als ob sein Gedanke durch das offene Fenster geflattert ware, begann Vernon Dursley, Harrys Onkel, plotzlich zu sprechen.
»Ich bin froh zu sehen, das der Junge aufgehort hat, sich einzumischen. Nebenbei bemerkt, wo ist er gerade?«
»Ich wei? nicht,«sagte Tante Petunia unbekummert.»Nicht im Haus.«
Onkel Vernon grunzte.
»Die
»Vernon, shh!«sagte Tante Petunia.»Das Fenster ist offen!«
»Oh – ja – entschuldige, Teuerste.
Die Dursleys wurden still. Harry horte sich einen Werbespot uber Frucht & Kleie-Fruhstucksflocken an, wahrend er Frau Figg, eine verruckte, Katzen liebende, alte Dame vom nahegelegenem Wisteria Walk zusah, wie sie langsam vorbei schlenderte. Sie blickte mi?fallend und murrte zu sich selbst. Harry war sehr zufrieden, da? er hinter dem Busch verborgen war, da Frau Figg kurzlich dazu ubergegangen war, ihn wann auch immer sie ihn sah, zum Tee einzuladen.
Sie bog um die Ecke und war ausser Sicht, bevor Onkel Vernons Stimme sich erneut aus dem Fenster ergo?.
»Dudders ist raus zu einem Tee?«
»Bei den Polkisses,«sagte Tante Petunia liebevoll.»Er hat so viele kleine Freunde gemacht, er ist so beliebt!«
Harry unterdruckte ein Schnauben nur mit Schwierigkeit. Die Dursleys waren wirklich erstaunlich dumm, wenn es um ihren Sohn Dudley ging. Sie hatten ihm alle seine schwachen Lugen uber das Teetrinken, bei den verschiedenen Mitgliedern seiner Bande an jedem Abend der Sommerferien, abgenommen. Harry wu?te nur zu genau, das Dudley noch nie auch nur irgendwo zum Tee gewesen war, er und seine Bande verbrachten jeden Abend damit, den Spielplatz zu beschadigen, an Stra?enecken zu rauchen und Steine auf voruberfahrende Autos und Kinder zu werfen. Harry hatte sie dabei wahrend seiner Abendspaziergange durch Little Whinging gesehen; er hatte die meiste Zeit seines Urlaubs mit dem durchwandern von Stra?en verbracht, unterwegs die Zeitungen der Mulleimer ausschlachtend.
Die Eroffnungsmusik, die die sieben Uhr Nachrichten ankundigte, erreichte Harrys Ohren und sein Magen wurde flau.
Vielleicht heute nacht – nach einem Monat des Wartens – ware die Nacht.
.
»Ich wurde Sie Leben lang Mittagsschlaf machen lassen,«knurrte Onkel Vernon uber das Ende des Satzes des Nachrichtensprechers, aber egal: im Blumenbeet au?erhalb, schien Harrys Magen sich zu entspannen. Wenn irgendetwas geschehen ware, ware es sicherlich das Erste in den Nachrichten gewesen; Tod und Zerstorung waren wichtiger als gestrandete Urlauber.
Er lie? einen langen, langsamen Atemzug heraus und starrte hinauf in den brillanten blauen Himmel. Jeden Tag dieses Sommer war gleich: die Spannung, die Erwartung, die vorubergehende Erleichterung, und dann stieg wieder die Spannung… und immer nachdrucklicher wahrend all der Zeit wurde die Frage,
»Ich hoffe, das hort er nebenan!,«brullte Onkel Vernon.»Der mit seinen nachts um drei Uhr laufenden Rasensprengern!,«dann ein Hubschrauber, der fast auf Gebiet nahe Surrey abgesturzt ware, dann die Scheidung einer beruhmten Schauspielerin von ihrem beruhmten Ehemann (»Als, wenn wir an ihren schabigen Angelegenheiten interessiert waren,«seufzte Tante Petunia, die den Fall exzessiv in jeder Zeitschrift, die Sie in ihre knochernen Hande bekam, verfolgte).
Harry schlo? seine Augen gegen den jetzt rotflammenden Abendhimmel, wahrend der Nachrichtensprecher sagte,»- und schlie?lich, hat Bungy der Wellensittich eine neue Methode zum Abkuhlen in diesem Sommer gefunden. Bungy, der in den»Funf Federn«in Barnsley lebt, hat gelernt, Wasserski zu fahren! Mary Dorkins hat mehr daruber herausgefunden.«
Harry offnete seine Augen. Wenn sie schon wasserskifahrende Wellensittiche bringen, wurde es nichts geben, fur das sich das Zuhoren noch lohnen wurde. Er rollte vorsichtig zur Seite, erhob sich auf seine Knie und Ellenbogen und bereitete sich darauf vor, unter dem Fenster hervor zu kriechen.
Er hatte sich ungefahr 5 cm erhoben, als einige Dinge in sehr schneller Reihenfolge geschahen.
Ein lauter, widerhallender
Harry glaubte, sein Kopf ware in zwei Teile gespalten worden. Er versuchte seinen Blick auf die Stra?e zu fokussieren, die Quelle der Gerausche ausmachend, aber er hatte sich kaum wieder aufgerichtet, als zwei gro?e purpurrote Hande durch das geoffnete Fenster schossen und sich fest um seine Kehle schlossen.
»Steck – das – weg!,«keuchte Onkel Vernon in Harrys Ohr.» Jetzt! Bevor«s – jemand – sieht!,«
»Las – mich – los!,«keuchte Harry.
Sie kampften einige Sekunden lang, Harry zog mit seiner linken Hand an den wurstahnlichen Fingern seines Onkels, hielt mit seiner rechten Hand den Zauberstab fest im Griff; dann, als der Schmerz am Oberende von Harrys Kopf besonders ekelhaft pochte, jaulte Onkel Vernon auf und lies Harry frei, als hatte er einen elektrischen Schlag bekommen. Eine unsichtbare Kraft schien durch seinen Neffen gelaufen zu sein, die es ihm unmoglich machte ihn festzuhalten.
Nach Luft schnappend, fiel Harry uber den Hortensien-Busch, richtete sich auf und schaute sich um. Es gab kein Zeichen davon auszumachen, was die lauten knackenden Gerausche verursacht hatte, aber dafur sahen einige Gesichter durch verschiedene nahe gelegene Fenster. Harry stopfte seinen Zauberstab hastig in seine Jeans zuruck und versuchte unschuldig auszuschauen.
»Reizender Abend!,«rief Onkel Vernon, winkte zu der Dame aus Nummer Sieben, die von wutend hinter ihren Vorhangen heruberstarrte.»Haben Sie auch die Fehlzundung des Autos gehort. Lie? Petunia und mich auch zusammenfahren!«
Er grinste weiter auf eine scheu?liche, manische Art und Weise, bis all die neugierigen Nachbarn von ihren verschiedenen Fenstern verschwunden waren, dann wurde das Grinsen zu einer Grimasse des Zorns, als er Harry zu sich winkte.
Harry kam ein paar Schritte naher, sorgsam darauf bedacht, sich dem Punkt fernzuhalten, an dem Onkel Vernons Hande ausgestreckte Hande ihn weiter hatten wurgen konnen.
»Was zum Teufel sollte das bedeuten, Junge?,«fragte Onkel Vernon mit einer krachzenden Stimme, die vor Wut zitterte…»Was hat was zu bedeuten«sagte Harry kalt. Er sah weitere die Stra?e links und rechts herauf, immer noch hoffend die Person zu erblicken, die dieses krachende Gerausch gemacht hatte.
»Einen Larm zu veranstalten wie eine startende Gewehrkugel, direkt vor unserem -«
»Ich habe dieses Gerausch nicht gemacht«sagte Harry standhaft.
Tante Petunia«s dunnes Pferdegesicht erschien jetzt neben Onkel Vernons breitem purpurfarbenem. Sie sah fuchsteufelswild aus.
»Warum hast Du unter unserem Fenster gelauert?«
»Ja – ja, guter Punkt, Petunia!
»Nachrichten gehort! Schon wieder?«
»Nun, sie andern sich halt jeden Tag, wi?t ihr?«sagte Harry.
»Versuch nicht, mich fur dumm zu verkaufen, Junge! Ich will wissen, was Du wirklich Wahrheit wolltest – und erzahl mir nicht von diesem
»Aha«whisperte Onkel Vernon triumphierend»Versuch Dich da mal rauszureden. Als ob wir nicht wussten, da? Du alle Deine Nachrichten von diesen verdammten Vogeln bekommst!«
Harry zogerte einen Moment. Es kostete ihn einige Uberwindung, um dieses Mal die Wahrheit zu sagen, obwohl seine Tante und sein Onkel unmoglich wissen konnten, wie schlecht er sich fuhlte, als er es zugab.
»Die Eulen…bringen mir keine Nachrichten,«sagte er tonlos.
»Ich glaube es nicht,«sagte Tante Petunia sofort.
»Genau wie ich,«sagte Onkel Vernon eindringlich.
»Wir wissen, da? du dir einen Spa? erlaubst,«sagte Tante Petunia.
»Wir sind ja nicht dumm,«sagte Onkel Vernon.
»Wirklich, das mir neu,«sagte Harry, sein Zorn steigend und bevor ihn die Dursleys zuruck rufen konnten, hatte er sich umgedreht, den Vorgarten uberquert, war uber die niedrige Gartenmauer gestiegen und lief die Stra?e hinauf.
Er war jetzt in Schwierigkeiten und er wu?te das. Er wurde sich spater seiner Tante und seinem Onkel stellen und den Preis fur seinen Ungehorsam zahlen mussen, aber das interessierte ihn in diesem Moment nicht; er dachte uber wichtigere Dinge nach.
Harry war sicher, da? der knallende Larm von jemandem gemacht worden war, der apparierte oder disapparierte. Es war genau das Gerausch, das Dobby der Hauself machte, wenn er sich in Luft aufloste. War es moglich, da? Dobby hier im Ligusterweg war? Konnte Dobby ihm in genau diesem Moment folgen? Als ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging, drehte er sich um und starrte den Ligusterweg hinunter, aber er schien vollig allein zu sein und Harry war sicher, da? Dobby nicht wu?te, wie er sich unsichtbar machen konnte.
Er ging weiter, genau wissend welchen Weg er nahm, da er diese Stra?en in letzter Zeit so oft entlang gegangen war, da? ihn seine Fu?e automatisch zu seinen Lieblingsorten trugen. Alle paar Schritte sah er zuruck uber seine Schulter.
Etwas Magisches war in seiner Nahe gewesen, als er unter den sterbenden Begonien Tante Petunias lag, dessen war er sich sicher. Warum hatten sie nicht mit ihm gesprochen, warum hatten sie keinen Kontakt zugelassen, warum versteckten sie sich jetzt?
Und dann, als sein Gefuhl der Frustration den Hochststand erreichte, verschwand seine Gewissheit…Vielleicht war es doch kein magisches Gerausch gewesen. Vielleicht wartete er so dringend auf das kleinste Zeichen von Kontakt aus der Welt, zu der er gehorte, da? er schon bei gewohnlichen Gerauschen ubertrieben reagierte. Konnte er
Morgen fruh wurde ihn der Wecker um funf Uhr aufwecken, so da? er die Eule bezahlen konnte, die den
lieferte – aber gab es irgendeinen Grund, ihn weiterhin zu nehmen? Harry sah lediglich kurz die Titelseite an, bevor er ihn beiseite warf; als diese Idioten, die die Zeitung herausbrachten, schlie?lich merkten, da? Voldemort zuruck war, wurde es die Schlagzeile sein und das war das einzige, fur das Harry sich interessierte.
Wenn er Gluck hatte, kamen auch Eulen mit Briefen von seinen besten Freunden Ron und Hermine, obwohl alle Erwartungen, ihre Briefe wurden ihm lang ersehnte Nachrichten bringen schon langst verflogen waren.
Und womit waren Ron und Hermine beschaftigt? Warum hatte er, Harry, nichts zu tun? Hatte er nicht oft genug bewiesen, da? er selbst dazu in der Lage war, viel mehr zu bewaltigen, als die beiden? Hatten sie alle vergessen, was er getan hatte? War nicht er es gewesen, der diesen Friedhof betreten und beobachtet hatte, da? Cedric ermordet wurde und er an diesen Grabstein gebunden worden war und beinahe getotet wurde?