Der Mann von f?nfzig Jahren - фон Гёте Иоганн Вольфганг 5 стр.


In solcher Stimmung konnte man die Ankunft des Vaters gar wohl erwarten, auch wurden sie durch eintretende Naturereignisse zu einer tatigen Lebensweise aufgeregt. Das anhaltende Regenwetter, das sie bisher in dem Schlo? zusammenhielt, hatte uberall, in gro?en Wassermassen niedergehend, Flu? um Flu? angeschwellt; es waren Damme gebrochen, und die Gegend unter dem Schlosse lag als ein blanker See, aus welchem die Dorfschaften, Meierhofe, gro?ere und kleinere Besitztumer, zwar auf Hugeln gelegen, doch immer nur inselartig hervorschauten.

Auf solche zwar seltene, aber denkbare Falle war man eingerichtet; die Hausfrau befahl, und die Diener fuhrten aus. Nach der ersten allgemeinsten Beihulfe ward Brot gebacken, Stiere wurden geschlachtet, Fischerkahne fuhren hin und her, Hulfe und Vorsorge nach allen Enden hin verbreitend. Alles fugte sich schon und gut, das freundlich Gegebene ward freudig und dankbar aufgenommen, nur an einem Orte wollte man den austeilenden Gemeindevorstehern nicht trauen; Flavio ubernahm das Geschaft und fuhr mit einem wohlbeladenen Kahn eilig und glucklich zur Stelle. Das einfache Geschaft, einfach behandelt, gelang zum besten; auch entledigte sich, weiterfahrend, unser Jungling eines Auftrags, den ihm Hilarie beim Scheiden gegeben. Gerade in den Zeitpunkt dieser Ungluckstage war die Niederkunft einer Frau gefallen, fur die sich das schone Kind besonders interessierte. Flavio fand die Wochnerin und brachte allgemeinen und diesen besondern Dank mit nach Hause. Dabei konnte es nun an mancherlei Erzahlungen nicht fehlen. War auch niemand umgekommen, so hatte man von wunderbaren Rettungen, von seltsamen, scherzhaften, ja lacherlichen Ereignissen viel zu sprechen; manche notgedrungene Zustande wurden interessant beschrieben. Genug, Hilarie empfand auf einmal ein unwiderstehliches Verlangen, gleichfalls eine Fahrt zu unternehmen, die Wochnerin zu begru?en, zu beschenken und einige heitere Stunden zu verleben.

Nach einigem Widerstand der guten Mutter siegte endlich der freudige Wille Hilariens, dieses Abenteuer zu bestehen, und wir wollen gern bekennen, in dem Laufe, wie diese Begebenheit uns bekannt geworden, einigerma?en besorgt gewesen zu sein, es moge hier einige Gefahr obschweben, ein Stranden, ein Umschlagen des Kahns, Lebensgefahr der Schonen, kuhne Rettung von seiten des Junglings, um das lose geknupfte Band noch fester zu ziehen. Aber von allem diesem war nicht die Rede, die Fahrt lief glucklich ab, die Wochnerin ward besucht und beschenkt; die Gesellschaft des Arztes blieb nicht ohne gute Wirkung, und wenn hier und da ein kleiner Ansto? sich hervortat, wenn der Anschein eines gefahrlichen Moments die Fortrudernden zu beunruhigen schien, so endete solches nur mit neckendem Scherz, da? eins dem andern eine angstliche Miene, eine gro?ere Verlegenheit, eine furchtsam Gebarde wollte abgemerkt haben. Indessen war das wechselseitige Vertrauen bedeutend gewachsen; die Gewohnheit, sich zu sehen und unter allen Umstanden zusammen zu sein, hatte sich verstarkt, und die gefahrliche Stellung, wo Verwandtschaft und Neigung zum wechselseitigen Annahern und Festhalten sich berechtigt glauben, ward immer bedenklicher.

Anmutig sollten sie jedoch auf solchen Liebeswegen immer weiter und weiter verlockt werden. Der Himmel klarte sich auf, eine gewaltige Kalte, der Jahreszeit gema?, trat ein, die Wasser gefroren, ehe sie verlaufen konnten. Da veranderte sich das Schauspiel der Welt vor allen Augen auf einmal; was durch Fluten erst getrennt war, hing nunmehr durch befestigten Boden zusammen, und alsobald tat sich als erwunschte Vermittlerin die schone Kunst hervor, welche, die ersten raschen Wintertage zu verherrlichen und neues Leben in das Erstarrte zu bringen, im hohen Norden erfunden worden. Die Rustkammer offnete sich, jedermann suchte nach seinen gezeichneten Stahlschuhen, begierig, die reine, glatte Flache, selbst mit einiger Gefahr, als der erste zu beschreiten. Unter den Hausgenossen fanden sich viele zu hochster Leichtigkeit Geubte; denn dieses Vergnugen ward ihnen fast jedes Jahr auf benachbarten Seen und verbindenden Kanalen, diesmal aber in der fernhin erweiterten Flache.

Flavio fuhlte sich nun erst durch und durch gesund, und Hilarie, seit ihren fruhsten Jahren von dem Oheim angeleitet, bewies sich so lieblich als kraftig auf dem neu erschaffenen Boden; man bewegte sich lustig und lustiger, bald zusammen, bald einzeln, bald getrennt, bald vereint. Scheiden und Meiden, was sonst so schwer aufs Herz fallt, ward hier zum kleinen, scherzhaften Frevel, man floh sich, um sich einander Augenblicks wieder zu finden.

Aber innerhalb dieser Lust und Freudigkeit bewegte sich auch eine Welt des Bedurfnisses; immer waren bisher noch einige Ortschaften nur halb versorgt geblieben, eilig flogen nunmehr auf tuchtig bespannten Schlitten die notigsten Waren hin und wider, und was der Gegend noch mehr zugute kam, war, da? man aus manchen der vorubergehenden Hauptstra?e allzu fernen Orten nunmehr schnell die Erzeugnisse des Feldbaues und der Landwirtschaft in die nachsten Magazine der kleinen Stadte und Flecken bringen und von dorther aller Art Waren zuruckfuhren konnte. Nun war auf einmal eine bedrangte, den bittersten Mangel empfindende Gegend wieder befreit, wieder versorgt, durch eine glatte, dem Geschickten, dem Kuhnen geoffnete Flache verbunden.

Auch das junge Paar unterlie? nicht, bei vorwaltendem Vergnugen mancher Pflichten einer liebevollen Anhanglichkeit zu gedenken. Man besuchte jene Wochnerin, begabte sie mit allem Notwendigen; auch andere wurden heimgesucht: Alte, fur deren Gesundheit man besorgt gewesen; Geistliche, mit denen man erbauliche Unterhaltung sittlich zu pflegen gewohnt war und sie jetzt in dieser Prufung noch achtenswerter fand; kleinere Gutsbesitzer, die kuhn genug vor Zeiten sich in gefahrliche Niederungen angebaut, diesmal aber, durch wohlangelegte Damme geschutzt, unbeschadigt geblieben — und nach grenzenloser Angst sich ihres Daseins doppelt erfreuten. Jeder Hof, jedes Haus, jede Familie, jeder einzelne hatte seine Geschichte, er war sich und auch wohl andern eine bedeutende Person geworden, deswegen fiel auch einer dem andern Erzahlenden leicht in die Rede. Eilig war jeder im Sprechen und Handeln, Kommen und Gehen, denn es blieb immer die Gefahr, ein plotzliches Tauwetter mochte den ganzen schonen Kreis glucklichen Wechselwirkens zerstoren, die Wirte bedrohen und die Gaste vom Hause abschneiden.

War man den Tag in so rascher Bewegung und dem lebhaftesten Interesse beschaftigt, so verlieh der Abend auf ganz andere Weise die angenehmsten Stunden; denn das hat die Eislust vor allen andern korperlichen Bewegungen voraus, da? die Anstrengung nicht erhitzt und die Dauer nicht ermudet. Samtliche Glieder scheinen gelenker zu werden und jedes Verwenden der Kraft neue Krafte zu erzeugen, so da? zuletzt eine selig bewegte Ruhe uber uns kommt, in der wir uns zu wiegen immerfort gelockt sind.

Heute nun konnte sich unser junges Paar von dem glatten Boden nicht loslosen, jeder Lauf gegen das erleuchtete Schlo?, wo sich schon viele Gesellschaft versammelte, ward plotzlich umgewendet und eine Ruckkehr ins Weite beliebt; man mochte sich nicht voneinander entfernen, aus Furcht, sich zu verlieren, man fa?te sich bei der Hand, um der Gegenwart ganz gewi? zu sein. Am allersu?esten aber schien die Bewegung, wenn uber den Schultern die Arme verschrankt ruhten und die zierlichen Finger unbewu?t in beiderseitigen Locken spielten.

Der volle Mond stieg zu dem gluhenden Sternenhimmel herauf und vollendete das Magische der Umgebung. Sie sahen sich wieder deutlich und suchten wechselseitig in den beschatteten Augen Erwiderung wie sonst, aber es schien anders zu sein. Aus ihren Abgrunden schien ein Licht hervorzublicken und anzudeuten, was der Mund weislich verschwieg, sie fuhlten sich beide in einem festlich behaglichen Zustande.

Alle hochstammigen Weiden und Erlen an den Graben, alles niedrige Gebusch auf Hohen und Hugeln war deutlich geworden; die Sterne flammten, die Kalte war gewachsen, sie fuhlten nichts davon und fuhren dem lang daherglitzernden Widerschein des Mondes, unmittelbar dem himmlischen Gestirn selbst entgegen. Da blickten sie auf und sahen im Geflimmer des Widerscheins die Gestalt eines Mannes hin und her schweben, der seinen Schatten zu verfolgen schien und selbst dunkel, vom Lichtglanz umgeben, auf sie zuschritt: unwillkurlich wendeten sie sich ab, jemanden zu begegnen ware widerwartig gewesen. Sie vermieden die immerfort sich herbewegende Gestalt, die Gestalt schien sie nicht bemerkt zu haben und verfolgte ihren geraden Weg nach dem Schlosse. Doch verlie? sie auf einmal diese Richtung und umkreiste mehrmals das fast beangstigte Paar. Mit einiger Besonnenheit suchten sie fur sich die Schattenseite zu gewinnen, im vollen Mondglanz fuhr jener auf sie zu, er stand nah vor ihnen, es war unmoglich, den Vater zu verkennen.

Hilarie, den Schritt anhaltend, verlor in Uberraschung das Gleichgewicht und sturzte zu Boden, Flavio lag zu gleicher Zeit auf einem Knie und fa?te ihr Haupt in seinen Scho? auf, sie verbarg ihr Angesicht, sie wu?te nicht, wie ihr geworden war. — »Ich hole einen Schlitten, dort unten fahrt noch einer voruber, ich hoffe, sie hat sich nicht beschadigt; hier, bei diesen hohen drei Erlen find' ich euch wieder!«so sprach der Vater und war schon weit hinweg. Hilarie raffte sich an dem Jungling empor. — »La? uns fliehen«, rief sie,»das ertrag' ich nicht.«— Sie bewegte sich nach der Gegenseite des Schlosses heftig, da? Flavio sie nur mit einiger Anstrengung erreichte, er gab ihr die freundlichsten Worte.

Auszumalen ist nicht die innere Gestalt der drei nunmehr nachtlich auf der glatten Flache im Mondschein Verirrten, Verwirrten. Genug, sie gelangten spat nach dem Schlosse, das junge Paar einzeln, sich nicht zu beruhren, sich nicht zu nahern wagend, der Vater mit dem leeren Schlitten, den er vergebens ins Weite und Breite hilfreich herumgefuhrt hatte. Musik und Tanz waren schon im Gange, Hilarie, unter dem Vorwand schmerzlicher Folgen eines schlimmen Falles, verbarg sich in ihr Zimmer, Flavio uberlie? Vortanz und Anordnung sehr gern einigen jungen Gesellen, die sich deren bei seinem Au?enbleiben schon bemachtigt hatten. Der Major kam nicht zum Vorschein und fand es wunderlich, obgleich nicht unerwartet, sein Zimmer wie bewohnt anzutreffen, die eignen Kleider, Wasche und Geratschaften, nur nicht so ordentlich, wie er's gewohnt war, umherliegend. Die Hausfrau versah mit anstandigem Zwang ihre Pflichten, und wie froh war sie, als alle Gaste, schicklich untergebracht, ihr endlich Raum lie?en, mit dem Bruder sich zu erklaren. Es war bald getan, doch brauchte es Zeit, sich von der Uberraschung zu erholen, das Unerwartete zu begreifen, die Zweifel zu heben, die Sorge zu beschwichtigen; an Losung des Knotens, an Befreiung des Geistes war nicht sogleich zu denken.

Unsere Leser uberzeugen sich wohl, da? von diesem Punkte an wir beim Vortrag unserer Geschichte nicht mehr darstellend, sondern erzahlend und betrachtend verfahren mussen, wenn wir in die Gemutszustande, auf welche jetzt alles ankommt, eindringen und sie uns vergegenwartigen wollen.

Wir berichten also zuerst, da? der Major, seitdem wir ihn aus den Augen verloren, seine Zeit fortwahrend jenem Familiengeschaft gewidmet, dabei aber, so schon und einfach es auch vorlag, doch in manchem Einzelnen auf unerwartete Hindernisse traf. Wie es denn uberhaupt so leicht nicht ist, einen alten verworrenen Zustand zu entwickeln und die vielen verschrankten Faden auf einen Knaul zu winden. Da er nun deshalb den Ort ofters verandern mu?te, um bei verschiedenen Stellen und Personen die Angelegenheit zu betreiben, so gelangten die Briefe der Schwester nur langsam und unordentlich zu ihm. Die Verirrung des Sohnes und dessen Krankheit erfuhr er zuerst; dann horte er von einem Urlaub, den er nicht begriff. Da? Hilariens Neigung im Umwenden begriffen sei, blieb ihm verborgen, denn wie hatte die Schwester ihn davon unterrichten mogen!

Auf die Nachricht der Uberschwemmung beschleunigte er seine Reise, kam jedoch erst nach eingefallenem Frost in die Nahe der Eisfelder, schaffte sich Schrittschuhe, sendete Knechte und Pferde durch einen Umweg nach dem Schlosse, und sich mit raschem Lauf dorthin bewegend, gelangte er, die erleuchteten Fenster schon von ferne schauend, in einer tagklaren Nacht zum unerfreulichsten Anschauen und war mit sich selbst in die unangenehmste Verwirrung geraten.

Der Ubergang von innerer Wahrheit zum au?ern Wirklichen ist im Kontrast immer schmerzlich; und sollte Lieben und Bleiben nicht eben die Rechte haben wie Scheiden und Meiden? Und doch, wenn sich eins vom andern losrei?t, entsteht in der Seele eine ungeheure Kluft, in der schon manches Herz zugrunde ging. Ja der Wahn hat, solange er dauert, eine unuberwindliche Wahrheit, und nur mannliche, tuchtige Geister werden durch Erkennen eines Irrtums erhoht und gestarkt. Eine solche Entdeckung hebt sie uber sich selbst, sie stehen uber sich erhoben und blicken, indem der alte Weg versperrt ist, schnell umher nach einem neuen, um ihn alsofort frisch und mutig anzutreten.

Unzahlig sind die Verlegenheiten, in welche sich der Mensch in solchen Augenblicken versetzt sieht; unzahlig die Mittel, welche eine erfinderische Natur innerhalb ihrer eigenen Krafte zu entdecken, sodann aber auch, wenn diese nicht auslangen, au?erhalb ihres Bereichs freundlich anzudeuten wei?.

Zu gutem Gluck jedoch war der Major durch ein halbes Bewu?tsein, ohne sein Wollen und Trachten, schon auf einen solchen Fall im tiefsten vorbereitet. Seitdem er den kosmetischen Kammerdiener verabschiedet, sich seinem naturlichen Lebensgange wieder uberlassen, auf den Schein Anspruche zu machen aufgehort hatte, empfand er sich am eigentlichen korperlichen Behagen einigerma?en verkurzt. Er empfand das Unangenehme eines Uberganges vom ersten Liebhaber zum zartlichen Vater; und doch wollte diese Rolle immer mehr und mehr sich ihm aufdringen. Die Sorgfalt fur das Schicksal Hilariens und der Seinigen trat immer zuerst in seinen Gedanken hervor, bis das Gefuhl von Liebe, von Hang, von Verlangen annahernder Gegenwart sich erst spater entfaltete. Und wenn er sich Hilarien in seinen Armen dachte, so war es ihr Gluck, was er beherzigte, das er ihr zu schaffen wunschte, mehr als die Wonne, sie zu besitzen. Ja er mu?te sich, wenn er ihres Andenkens rein genie?en wollte, zuerst ihre himmlisch ausgesprochene Neigung, er mu?te jenen Augenblick denken, wo sie sich ihm so unverhofft gewidmet hatte.

Nun aber, da er in klarster Nacht ein vereintes junges Paar vor sich gesehen, die Liebenswurdigste zusammensturzend, in dem Scho?e des Junglings, beide seiner verhei?enen hulfreichen Wiederkunft nicht achtend, ihn an dem genau bezeichneten Orte nicht erwartend, verschwunden in die Nacht, und er sich selbst im dustersten Zustande uberlassen: wer fuhlte das mit und verzweifelte nicht in seine Seele?

Die an Vereinigung gewohnte, auf nahere Vereinigung hoffende Familie hielt sich besturzt auseinander; Hilarie blieb hartnackig auf ihrem Zimmer, der Major nahm sich zusammen, von seinem Sohne den fruheren Hergang zu erfahren. Das Unheil war durch einen weiblichen Frevel der schonen Witwe verursacht. Um ihren bisher leidenschaftlichen Verehrer Flavio einer andern Liebenswurdigen, welche Absicht auf ihn verriet, nicht zu uberlassen, wendet sie mehr scheinbare Gunst, als billig ist, an ihn. Er, dadurch aufgeregt und ermutigt, sucht seine Zwecke heftig bis ins Ungehorige zu verfolgen, woruber denn erst Widerwartigkeit und Zwist, darauf ein entschiedener Bruch dem ganzen Verhaltnis unwiederbringlich ein Ende macht.

Vaterlicher Milde bleibt nichts ubrig, als die Fehler der Kinder, wenn sie traurige Folgen haben, zu bedauern und, wo moglich, herzustellen; gehen sie la?licher, als zu hoffen war, voruber, sie zu verzeihen und zu vergessen. Nach wenigem Bedenken und Bereden ging Flavio sodann, um an der Stelle seines Vaters manches zu besorgen, auf die ubernommenen Guter und sollte dort bis zum Ablauf seines Urlaubs verweilen, dann sich wieder ans Regiment anschlie?en, welches indessen in eine andere Garnison verlegt worden.

Eine Beschaftigung mehrerer Tage war es fur den Major, Briefe und Pakete zu eroffnen, welche sich wahrend seines langeren Ausbleibens bei der Schwester gehauft hatten. Unter andern fand er ein Schreiben jenes kosmetischen Freundes, des wohlkonservierten Schauspielers. Dieser, durch den verabschiedeten Kammerdiener benachrichtigt von dem Zustande des Majors und von dem Vorsatze, sich zu verheiraten, trug mit der besten Laune die Bedenklichkeiten vor, die man bei einem solchen Unternehmen vor Augen haben sollte; er behandelte die Angelegenheit auf seine Weise und gab zu bedenken, da? fur einen Mann in gewissen Jahren das sicherste kosmetische Mittel sei, sich des schonen Geschlechts zu enthalten und einer loblichen, bequemen Freiheit zu genie?en. Nun zeigte der Major lachelnd das Blatt seiner Schwester, zwar scherzend, aber doch ernstlich genug auf die Wichtigkeit des Inhaltes hindeutend. Auch war ihm indessen ein Gedicht eingefallen, dessen rhythmische Ausfuhrung uns nicht gleich beigeht, dessen Inhalt jedoch durch zierliche Gleichnisse und anmutige Wendung sich auszeichnete:

«Der spate Mond, der zur Nacht noch anstandig leuchtet, verbla?t vor der aufgehenden Sonne; der Liebeswahn des Alters verschwindet in Gegenwart leidenschaftlicher Jugend; die Fichte, die im Winter frisch und kraftig erscheint, sieht im Fruhling verbraunt und mi?farbig aus, neben hell aufgrunender Birke.»

Wir wollen jedoch weder Philosophie noch Poesie als die entscheidenden Helferinnen zu einer endlichen Entschlie?ung hier vorzuglich preisen; denn wie ein kleines Ereignis die wichtigsten Folgen haben kann, so entscheidet es auch oft, wo schwankende Gesinnungen obwalten, die Waage dieser oder jener Seite zuneigend. Dem Major war vor kurzem ein Vorderzahn ausgefallen, und er furchtete, den zweiten zu verlieren. An eine kunstlich scheinbare Wiederherstellung war bei seinen Gesinnungen nicht zu denken, und mit diesem Mangel um eine junge Geliebte zu werben, fing an, ihm ganz erniedrigend zu scheinen, besonders jetzt, da er sich mit ihr unter einem Dach befand. Fruher oder spater hatte vielleicht ein solches Ereignis wenig gewirkt, gerade in diesem Augenblicke aber trat ein solcher Moment ein, der einem jeden an eine gesunde Vollstandigkeit gewohnten Menschen hochst widerwartig begegnen mu?. Es ist ihm, als wenn der Schlu?stein seines organischen Wesens entfremdet ware und das ubrige Gewolbe nun auch nach und nach zusammenzusturzen drohte.

Wie dem auch sei, der Major unterhielt sich mit seiner Schwester gar bald einsichtig und verstandig uber die so verwirrt scheinende Angelegenheit; sie mu?ten beide bekennen, da? sie eigentlich nur durch einen Umweg ans Ziel gelangt seien, ganz nahe daran, von dem sie sich zufallig, durch au?ern Anla?, durch Irrtum eines unerfahrnen Kindes verleitet, unbedachtsam entfernt; sie fanden nichts naturlicher, als auf diesem Wege zu verharren, eine Verbindung beider Kinder einzuleiten und ihnen sodann jede elterliche Sorgfalt, wozu sie sich die Mittel zu verschaffen gewu?t, treu und unablassig zu widmen. Vollig in Ubereinstimmung mit dem Bruder, ging die Baronin zu Hilarien ins Zimmer. Diese sa? am Flugel, zu eigner Begleitung singend und die eintretende Begru?ende mit heiterem Blick und Beugung zum Anhoren gleichsam einladend. Es war ein angenehmes, beruhigendes Lied, das eine Stimmung der Sangerin aussprach, die nicht besser ware zu wunschen gewesen. Nachdem sie geendigt hatte, stand sie auf, und ehe die altere Bedachtige ihren Vortrag beginnen konnte, fing sie zu sprechen an:»Beste Mutter! es war schon, da? wir uber die wichtigste Angelegenheit so lange geschwiegen; ich danke Ihnen, da? Sie bis jetzt diese Saite nicht beruhrten, nun aber ist es wohl Zeit, sich zu erklaren, wenn es Ihnen gefallig ist. Wie denken Sie sich die Sache?»

Die Baronin, hochst erfreut uber die Ruhe und Milde, zu der sie ihre Tochter gestimmt fand, begann sogleich ein verstandiges Darlegen der fruhern Zeit, der Personlichkeit ihres Bruders und seiner Verdienste; sie gab den Eindruck zu, den der einzige Mann von Wert, der einem jungen Madchen so nahe bekannt geworden, auf ein freies Herz notwendig machen musse, und wie sich daraus, statt kindlicher Ehrfurcht und Vertrauen, gar wohl eine Neigung, die als Liebe, als Leidenshaft sich zeige, entwickeln konne. Hilarie horte aufmerksam zu und gab durch bejahende Mienen und Zeichen ihre vollige Einstimmung zu erkennen; die Mutter ging auf den Sohn uber, und jene lie? ihre langen Augenwimpern fallen; und wenn die Rednerin nicht so ruhmliche Argumente fur den Jungeren fand, als sie fur den Vater anzufuhren gewu?t hatte, so hielt sie sich hauptsachlich an die Ahnlichkeit beider, an den Vorzug, den diesem die Jugend gebe, der zugleich, als vollkommen gattlicher Lebensgefahrte gewahlt, die vollige Verwirklichung des vaterlichen Daseins von der Zeit wie billig verspreche. Auch hierin schien Hilarie gleichstimmig zu denken, obschon ein etwas ernsterer Blick und ein manchmal niederschauendes Auge eine gewisse in diesem Fall hochst naturliche innere Bewegung verrieten. Auf die au?eren glucklichen, gewisserma?en gebietenden Umstande lenkte sich hierauf der Vortrag. Der abgeschlossene Vergleich, der schone Gewinn fur die Gegenwart, die nach manchen Seiten hin sich erweiternden Aussichten, alles ward vollig der Wahrheit gema? vor Augen gestellt, da es zuletzt auch an Winken nicht fehlen konnte, wie Hilarien selbst erinnerlich sein musse, da? sie fruher dem mit ihr heranwachsenden Vetter, und wenn auch nur wie im Scherze, sei verlobt gewesen. Aus alle dem Vorgesagten zog nun die Mutter den sich selbst ergebenden Schlu?, da? nun mit ihrer und des Oheims Einwilligung die Verbindung der jungen Leute ungesaumt stattfinden konne.

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