«Dieses Schiff wird lange kampfunfahig bleiben, Sir«, erganzte Keen.»Hat es die Flagge gestrichen?»
Keen starrte ihn an. Er erkannte Bolithos Stimme kaum wieder; sie war barsch, gnadenlos.»Nein, Sir.»
Bolitho blinzelte, als eine feindliche Kugel durch die Wanten fuhr und ein Mann so schrill aufschrie wie eine gepeinigte Frau.
«Es darf nie wieder kampfen. Fuhren Sie das Gefecht fort. «Er hielt Keen, der sich hastig entfernen wollte, am Arm fest.»Wenn wir abbrechen, geht der Franzose hier vor Anker und repariert. Aber ich will, da? dieses Schiff total zerstort wird.»
Keen nickte. Ihm schwirrte der Kopf vom Krachen der Kanonen, dem aufgeregten Rufen der Marinesoldaten, und er empfand Ubelkeit, als er Blut an der Bordwand des Feindes herablaufen sah; er konnte sich das Grauen unter Deck gut vorstellen.
Paget, die Augen hell im rauchgeschwarzten Gesicht, schaute fragend zu ihm auf.
Keen machte eine Kopfbewegung, und Sekunden spater fetzte wieder eine Breitseite heraus, kalkuliert und mit Bedacht. Kaum ein Geschutz erwiderte das Feuer. Durchs Fernrohr sah Keen, wie der Fockmast des Franzosen zu kippen begann.
Er winkte Stayt, der sich ein Sprachrohr schnappte und gelenkig in die Wanten des Besanmastes kletterte.
«Wei?e Flagge, Sir!«rief jemand.
Keen schaute zu Bolitho hinuber und erwartete fast doch noch die Order zum Abfeuern der Breitseite.
Bolitho spurte den Blick. Er konnte von Keen nur einen verschwommenen Umri? erkennen, das Blau und Wei? der Uniform, sein blondes Haar. Rauch und Anstrengung lie?en sein Auge brennen, doch seine Stimme klang beherrscht:»Die Franzosen sollen das Schiff verlassen. Dann versenken Sie es.»
Paget rief:»Starke Rauchentwicklung, Sir. Er mu? Feuer gefangen haben.»
Bolitho wartete, bis das Deck waagrecht war, und ging dann zur Querreling. Er horte schwache Rufe von dem anderen Schiff und roch schwelende Takelage, die den Franzosen jeden Augenblick in ein Inferno verwandeln konnte.
«Der Krieg ist kein Spiel, Val«, sagte er leise,»und auch kein Ehrenhandel fur Freund oder Feind. «Sein Ton verhartete sich.»Denken Sie an die
Da gab es kein Pardon fur den armen Hallowes. Jetzt gebe auch ich keins. «Er machte kehrt und ging auf die andere Seite, rutschte dabei in einer Blutlache aus. Hier war ein Seesoldat von einer Kugel gefallt worden, die Bolitho nur um eine Handbreit verfehlt hatte.
Paget schrie:»Nein, die Yawl hat Feuer gefangen, Sir!»
Keen hob das Fernrohr und sah das kleinere Schiff vom Zweidecker wegtreiben. Anstatt den Versuch zu unternehmen, die Flammen zu loschen, sprangen die Manner zu seinem Erstaunen ins Wasser.
Bolitho, der die eifrigen Spekulationen auf dem Achterdeck mitangehort hatte, sagte scharf:»Nehmen Sie sofort Fahrt auf! Diese Yawl mu? Pulver geladen haben!»
Pfeifen zwitscherten, und die Manner hasteten wieder auf ihre Posten. Andere legten auf den Rahen uber den durchlocherten Segeln aus, als sich das Schiff langsam dem einladenden Horizont zuwandte.
Die Explosion kam wie ein Vulkanausbruch. Sie uberraschte die Manner und erschutterte den Rumpf, als wolle sie ihre Rache bis hin zur
Keen schaute hin und konnte die jahe Katastrophe kaum begreifen. Ein wenig naher, und
Der Rauch hatte seinem Auge so ubel mitgespielt, da? er ihre Gesichter kaum erkennen konnte. Doch ihre Besturzung spurte er auch so, und sie bereitete ihm Genugtuung. Auf dem Weg nach unten, von Allday gestutzt, dachte er an Keens unglaubigen Tonfall, als er ihm befohlen hatte, das Gefecht weiterzufuhren. In diesem Augenblick hatte er mehr als nur Zorn empfunden, mehr als die Schmerzen, die ihn fast geblendet hatten. Nein, es war Ha? gewesen. Etwas Wei?gluhendes, Gnadenloses, das ihn fast dazu bewogen hatte, eine weitere Breitseite zu befehlen. Der Feind war langst geschlagen gewesen, als ein Verzweifelter an einem Bootshaken die wei?e Flagge gehi?t hatte. Argwohnisch, fast furchtsam dachte er daruber nach. Also Ha?. Dieses Gefuhl war ihm bisher so fremd gewesen wie Feigheit.
Das Deck neigte sich, und als der Wind das neugesetzte Gro?bramsegel blahte, entfernte sich die
Keen hatte Bolithos Gesicht beobachtet und die Wirkung seiner kaltschnauzigen Bemerkung auf die jungen Offiziere.
Er kannte seinen Admiral in fast jeder Situation und liebte ihn mehr als jeden anderen Mann. Aber manchmal war er ihm ein Fremder.
Tuson wischte sich die Finger an einem Lappen ab und musterte Bolitho streng.
«Wenn Sie so weitermachen, Sir Richard, kann ich Ihre Genesung nicht langer garantieren.»
Er rechnete mit einer scharfen Entgegnung, aber zu seinem Schrecken schien Bolitho uberhaupt nicht zugehort zu haben. Er war an die Heckfenster getreten und starrte apathisch ins glitzernde Kielwasser.
Durch das Schiff hallten Hammerschlage, und Taljen quietschten, als neues Tauwerk zu den Rahen hinaufgehievt wurde, um wahrend des Gefechts beschadigtes zu ersetzen.
Die Atmosphare an Bord war fast unbeschwert. Man hatte einen Sieg errungen. Funf Manner waren gefallen, zwei schwer verwundet. Den Rest hatte Tuson als leichtverletzt bezeichnet. Die Heftigkeit ihres Angriffs hat die Verluste niedriger gehalten, als Bolitho zu hoffen gewagt hatte. Er hatte Tusons Warnung verstanden; aber es war sinnlos, Einwande zu erheben.
Durch die dicke Scheibe sah er den dunstigen Umri? der
war voraus auf Station, und abgesehen von den Reparaturen und funf Seebestattungen wies nichts darauf hin, da? sie einen franzosischen Zweidecker versenkt hatten. Keen hatte festgestellt, da? der Name des Schiffes
war, ehe die Karronade sein Heck zu Kleinholz gemacht hatte.
«Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Sir…«fuhr Tu-son fort.
Bolitho schaute in seine Richtung.»Sie sind ein guter Arzt. Aber was konnen Sie mir schon raten? Beim Gehen verliere ich das Gleichgewicht wie ein betrunkener Matrose, und ich kann kaum einen Mann vom anderen unterscheiden. Was wollen Sie mir dagegen raten?»
«Trotz allem haben Sie ein Gefecht gewonnen, Sir.»
Bolitho wies nach oben zum Skylight.»Die Manner haben es gewonnen, nicht ich.»
«Sie konnten einen Stellvertreter anfordern«, Tuson sprach trotzig weiter, auch als Bolitho wutend herumfuhr,»und sich daheim von einem Facharzt behandeln lassen.»
«Ich werde Nelson nicht um einen Gefallen bitten. Die Franzosen kommen heraus, das wei? ich genau.»
«Und was soll aus dem Madchen werden?»
Bolitho lehnte sich zuruck und spurte die Sonne durch das Glas hei? auf seiner Brust.
«Ich werde Vorkehrungen fur sie treffen.»
Tuson lachelte.»Sie wollen mich nicht mit hineinziehen, wie?»
Es klopfte an, und Keen betrat die Kajute. Er war in den drei Tagen seit dem Gefecht fast unablassig auf den Beinen gewesen.
«Geht es Ihnen gut, Sir?«fragte er Bolitho. Bolitho wies auf einen Stuhl.»Jedenfalls nicht schlechter.»
Keen sah, da? Bolithos Fu? nervos wippte.
hat ein Schiff im Sudwesten gemeldet, Sir. Ein kleines, das sich unter vollen Segeln nahert.«»Aha.»
Keen war bemuht, seine Besorgnis zu verbergen. Bolitho wirkte so uninteressiert. Alles Feuer, alle Entschlossenheit, die er bei der Vernichtung des Franzosen gezeigt hatte, schien verschwunden zu sein.
Der Posten rief:»Midshipman der Wache, Sir!»
Keen seufzte und ging zur Tur.»Na, was ist, Mr. Hickling? Spannen Sie uns nicht auf die Folter.»
Der Junge zog eine Grimasse und versuchte, sich an den genauen Wortlaut der Meldung zu erinnern.
«Empfehlung von Mr. Paget, Sir. «Sein Blick glitt an Keen vorbei in die Kajute, wo sich Bolithos Umri? vor den Heckfenstern abhob. Hickling war erst dreizehn und hatte wahrend des Gefechts auf dem unteren Batteriedeck mit ansehen mussen, wie ein Mann von Splittern zerrissen wurde. Trotzdem wirkt er unverandert, dachte Keen.
Hickling fuhr fort:»Das Schiff ist als die Brigg
Der Midshipman eilte fort, und Keen sagte leise:»Das war sehr freundlich von Ihnen, Sir. Nicht jeder hatte sich die Muhe gemacht.»
Er sah Bolitho zur Sitzbank zuruckkehren und merkte, da? er bedachtig einen Fu? vor den anderen setzte, als wolle er die Bewegungen des Schiffes ertasten, einer Falle ausweichen.
Bolitho wu?te, da? Keen ihn beobachtete. Aber wie konnte ich meinen Kummer teilen? dachte er. Wie kann ich ihm sagen, da? ich au?er mir vor Sorge bin? Ha?, Rachsucht, Kaltblutigkeit sollten in meinem Leben keine Rolle spielen, und dennoch.
«Ich mache mir die Muhe, weil ich nicht vergessen habe, wie ich mich in seinem Alter fuhlte, Val. Getreten und schikaniert, von keinem geachtet, keiner vertraute mir — ein gutes Wort hatte da einen gewaltigen Unterschied gemacht. «Er schuttelte den Kopf.»Ich hoffe nur, da? ich das nicht vergesse.»
Der Schiffsarzt hatte seine Tasche gepackt und verabschiedete sich. An der Tur schaute er Keen an.»Da der junge Mr. Bolitho im Anmarsch ist, hoffe ich, da? wir in dieser schwierigen Situation bald einen Verbundeten bekommen.»
Bolitho zog die Stirn kraus.»Unverschamtheit!»
Keen schlo? die Tur.»Was er sagt, hat Hand und Fu?.»
In jaher Erkenntnis fuhr Bolitho zusammen. Adam wu?te nichts von seiner Verletzung. Wie wurde er es aufnehmen?
«Ihr Neffe ist stolz auf Sie, Sir«, meinte Keen sanft, als hatte er seine Gedanken gelesen.»Und ich bin es auch.»
Bolitho gab keine Antwort und starrte noch immer achteraus, als Keen sich entfernte.
Oben nickte Keen seinen Offizieren zu und schaute zum klaren Himmel auf. Es war schon, aber kuhl. Er trat an die Querreling und blickte hinab in die Kuhl, den Marktplatz, wie er es nannte. Der Segelmacher und seine Gehilfen waren darin mit ihrem Handwerk beschaftigt, flickten und verstarkten. Bootsmann und Schiffszimmermann berieten uber die Holzvorrate, und starker Teergeruch lag in der Luft.
Doch Keen dachte an das Nachspiel des Gefechts. An die Erleichterung, als er Zenoria wieder in den Armen hielt, an das unglaubliche Gluck, das einer dem anderen bedeutete. Sie hatte das Gesicht an seiner Brust vergraben, als er sie so fest umarmte, da? er durch das Hemd hindurch die Narbe auf ihrem Rucken spurte.
Die letzte, furchterliche Explosion war durch den Laderaum gefahren wie ein Donnerschlag, hatte Ozzard berichtet. Zenoria habe seine und Millies Hand gehalten und mehr Mut bewiesen als sie beide zusammen.
Keen erblickte Allday an den inzwischen wieder eingesetzten Booten. Wutend reckte er den Kopf bis auf eine Handbreit vor das Gesicht des Zweiten Bootsfuhrers. Das sah ubel aus. Wie den Arzt begann auch Keen Bankarts Anwesenheit zu storen.
«An Deck! Schiff Backbord voraus!»
Keen warf Paget einen Blick zu und nickte.
Wie gern hatte er an der Schanzkleidpforte gestanden, wenn Adam an Bord kam. Doch das war Keens Privileg — ein Kommandant begru?te den anderen. Aber er wu?te, da? er nicht nur aus Tradition fernblieb. Er hatte auch Angst vor dem, was sein Neffe denken und sagen mochte, wenn er ihn zu Gesicht bekam.
Allday trat aus der Schlafkabine und hielt ihm den Rock hin. Bolitho war so in Gedanken, da? er Alldays finstere Laune nicht spurte. Vielleicht ein Brief von Belinda…
Er hob den Kopf, als Pagets Stimme ubers Deck schallte.
Das Ruder der
Allday musterte ihn stumpf. Er konnte es nicht ertragen, seinen Admiral so hilflos und unsicher zu sehen. Er hatte versucht, ihn mit seinem Korper zu decken, als sie den Franzosen angriffen, weil Bolitho einfach dagestanden hatte, unfahig oder nicht bereit, sich in Deckung zu begeben.
«Schon, Adam wiederzusehen, auch wenn es nur fur kurze Zeit ist«, sagte Bolitho.»Inch sto?t in ein paar Tagen zu uns, und dann machen wir uns gemeinsam auf die Suche nach Jobert!»
Allday nahm den alten Degen von der Wand. Er ha?te Jobert, weil er Bolitho so zugerichtet hatte.
Pfeifen trillerten, die Seesoldaten prasentierten ihre Musketen. Aber es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Yovell die au?ere Tur offnete. Bolitho kam Adam ein paar Schritte entgegen, bemuht, an einer Stelle zu bleiben, von der aus er an einem Tisch oder Stuhl Halt finden konnte.
Doch es kamen zwei Besucher, nicht nur einer.
Bolitho ergriff Adams Hande und merkte, da? sein Neffe bereits Bescheid wu?te.
«Wie geht's, Onkel?«Adam versuchte nicht, seine Besorgnis zu verbergen.