Doch die
war jetzt das fuhrende Schiff, und von dem raschen Urteil seines Kommandanten konnte Erfolg oder Fehlschlag dessen abhangen, was Pelham-Martin beabsichtigte.
Als Bolitho Pelham-Martin gegenuber einmal erwahnt hatte, da? Farquhar sein Mitgefangener an Bord eines amerikanischen Kaperschiffs gewesen war, hatte der Kommodore lediglich gesagt:»Sehr interessant. Sie mussen es mir gelegentlich erzahlen. «Und wahrend Bolitho jetzt in Gedanken versunken hin- und herschritt, fragte er sich unwillkurlich, wie Pelham-Martin reagieren mochte, wenn er je entdeckte, da? der Mann, in dessen Gefangenschaft Bolitho geraten war, sein eigener Bruder gewesen war.
Inch kam in seine Nahe und versuchte, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen.
«Nun?«Bolitho wendete sich Inch abrupt zu und verdrangte das seltsame Verhalten seines Kommodore aus seinen Gedanken.»Was kann ich fur Sie tun?»
«Geschutzexerzieren, Sir?«fragte Inch. Er zog seine Uhr.»Ich hoffe, da? wir heute besser abschneiden.»
Bolitho unterdruckte ein Lacheln. Inch war gegenwartig so ernsthaft, hatte sich aber als Erster Offizier erheblich verbessert.
«Sehr gut«, erwiderte Bolitho.»Es dauert immer noch zu lange, bis das Schiff gefechtsklar ist. Ich wunsche, da? es in zehn Minuten geschafft wird und keine Sekunde langer dauert. Es gibt auch zu viele Verzogerungen beim Laden und Ausrennen.»
Inch nickte duster.»Ich wei?, Sir.»
Bolitho drehte sich halb um, als aus den Wanten des Gro?mastes plotzlich Gelachter zu horen war. Er sah drei Midshipmen um die Wette zum Masttopp aufentern und erkannte in einem seinen Neffen. Merkwurdig, da? sie sich auf dem dichtbesetzten Schiff so selten begegneten, und es war kaum moglich, sich nach Pascoes Wohlergehen zu erkundigen, ohne den Anschein der Begunstigung oder, schlimmer noch, des Mi?trauens zu wecken.
Er sagte kuhl:»Sie kennen meinen Standard: Gefechtsklar in zehn Minuten oder schneller. Dann alle zwei Minuten drei Breitseiten. «Er blickte Inch ruhig an.»Ich schlage vor, da? Sie heute morgen ein Geschutz den Midshipmen uberlassen. Es wird sie vor Dummheiten bewahren und, was wichtiger ist, unseren Leuten einen Ansporn geben. Es wird ihnen guttun, wenn sie wissen, da? sie eine Bedienung aus Offizieren in Schnelligkeit und Genauigkeit schlagen konnen.»
Inch nickte.»Ich werde es sofort veranlassen, Sir. «Er errotete verlegen.»Ich — ich meine, auf der Stelle, Sir.»
Bolitho nahm sein Auf-und-ab-Gehen wieder auf. Die Wangenmuskeln schmerzten ihn, weil er zu verhindern versuchte, da? sich sein Grinsen uber sein ganzes Gesicht ausbreitete. Es sah ganz so aus, als ob Inch versuche, in allem seinem Kommandanten nachzueifern, sogar in seiner Sprechweise.
Genau bei zwei Glasen verlie? Bolitho das Achterdeck und machte sich auf den Weg zur Achterkajute. Er traf Pelham-Martin am Tisch sitzend an, eine seidene Serviette unter dem Kinn und als Abschlu? seines spaten Fruhstucks eine letzte Tasse Kaffee trinkend.
Er sagte:»Ich habe fur die Mannschaft Geschutzexerzieren befohlen, Sir.»
Pelham-Martin betupfte seinen kleinen Mund mit dem Zipfel seiner Serviette und runzelte die Stirn, als das Deck vom Rumpeln der Geschutzlafetten und dem Stampfen von Fu?en erbebte.
«So hat es den Anschein. «Er brachte seine schwere Gestalt in eine andere Stellung in seinem Sessel.»Gibt es sonst etwas zu melden?»
Bolitho betrachtete ihn unbewegt. Es war immer das gleiche.»Wir steuern Westsudwest, Sir, und der Wind ist stetig wie bisher.
Ich habe die Bramsegel setzen lassen, und mit etwas Gluck sollten wir St. Kruis in drei Wochen erreichen.»
Pelham-Martin schnitt eine Grimasse.»Das klingt sehr zuversichtlich. Aber selbstverstandlich kennen Sie diese Gewasser. «Er blickte auf den Sto? Papiere und Seekarten auf dem Schreibtisch.»Ich hoffe zu Gott, da? uns in St. Kruis neue Nachrichten erwarten. «Er runzelte die Stirn.»Naturlich kann man bei den Hollandern nie genau wissen.»
Bolitho sah zur Seite.»Es ist fur keinen leicht, wenn sein Vaterland erobert wird, Sir.»
Der Kommodore grunzte.»Das interessiert mich nicht. Der entscheidende Punkt ist, werden sie uns helfen?»
«Ich glaube schon, Sir. Die Hollander sind immer gute Freunde gewesen. Genauso, wie sie ehrenhafte und mutige Gegner waren.»
«Mag sein. «Pelham-Martin erhob sich auf seine kurzen Beine und bewegte sich langsam uber das krangende Deck. Am Schreibtisch blatterte er unschlussig in den Papieren und sagte dann bitter:»Meine Befehle geben mir keinen wirklichen Hinweis darauf, was ich zu erwarten habe. Keinerlei Richtlinien. «Er brach ab und drehte sich heftig um, als ob er auf Kritik gefa?t ware.»Nun? Was meinen Sie?»
Langsam entgegnete Bolitho:»Ich finde, wir sollten uns etwas zutrauen. Versuchen, Lequiller und seinen Schiffen immer einen Schritt voraus zu sein und vorherzusehen, was er beabsichtigt. Er wird andere zwingen, ihm zu helfen und ihn mit Nachschub zu versorgen. Aber ihm mu? auch standig bewu?t sein, da? sein Geschwader verletzlich ist. Darum mu? er bemuht sein, es ohne Verzogerung und mit der gro?tmoglichen Wirkung einzusetzen. «Er trat an die Seekarte heran.»Ihm mu? bewu?t sein, da? er gejagt wird, und das gibt ihm einen Vorteil.»
Pelham-Martin stutzte sich schwer auf den Schreibtisch.»Das wei? ich selbst, verdammt noch mal.»
«Es ist notwendig, da? wir ihn stellen und daran hindern, seine Absichten zu verwirklichen, ehe er handeln kann.»
«Du lieber Himmel, Mann, wissen Sie, was Sie damit sagen?«Sein Ton war schockiert.»Sie schlagen vor, da? ich an irgendeinen Punkt auf der Karte segeln und mich da festsetzen und auf ihn warten soll.»
Ruhig erwiderte Bolitho:»Eine Jagd bleibt eine Jagd, Sir. Selten kann eine Formation Schiffe eine andere uberholen, ohne ungewohnlich viel Gluck zu haben. Um einen Haifisch zu fangen, braucht man einen geeigneten Koder; einen, der so verlockend ist, da? auch der abgefeimteste Hai nicht widerstehen kann.»
Pelham-Martin strich sich uber das Kinn.»Schatzschiffe. Denken Sie
Es klopfte, und Inch trat, den Hut unter dem Arm, uber die Schwelle.
«Was gibt's?«Noch eine Minute langer, und es ware moglich gewesen, da? Pelham-Martin ihm mehr anvertraut hatte.
Inch schluckte.»Bitte um Entschuldigung, da? ich store, Sir. «Er sah Pelham-Martin an.
Der Kommodore lie? sich in einen Sessel sinken und winkte ab.»Sprechen Sie bitte, Mr. Inch. «Er schien uber die Unterbrechung beinahe erleichtert zu sein.
Inch sagte:»Mr. Stepkyne wunscht eine Bestrafung zu verhangen, Sir. Aber die Umstande. «Er blickte auf seine Fu?e.»Es handelt sich um Mr. Pascoe, Sir.»
Pelham-Martin antwortete milde:»Kaum eine Affare fur den Kommandanten, mochte ich meinen.»
Bolitho wu?te, da? hinter Inchs Worten viel mehr stand.»Schik-ken Sie Mr. Stepkyne bitte nach achtern.»
Pelham-Martin murmelte:»Wenn Sie Ihr Urteil lieber woanders verkunden wollen, habe ich dafur gewi? Verstandnis, Bolitho. Es ist immer mi?lich, wenn man einen Verwandten an Bord hat. Da kommt man manchmal nicht umhin, voreingenommen zu sein, oder?»
Bolitho sah auf ihn hinab, aber die Augen des Kommodore waren undurchsichtig und ohne Ausdruck.
«Ich habe nichts zu verbergen. Vielen Dank, Sir,»
Stepkyne kam in die Kajute, das dunkle Gesicht sehr beherrscht.
Inch sagte:»Es war wirklich nichts Besonderes, Sir. «Fest fugte er hinzu:»Beim Geschutzexerzieren wurde einem Kanonier der Fu? gequetscht, als sie einen Zwolfpfunder ausrannten. Die Mids-hipmen wechselten sich als Geschutzfuhrer ab, und Mr. Pascoe weigerte sich, sein Geschutz auszurennen, solange der Mann von der Konkurrenz nicht ersetzt war. Er sagte, das ware ein unfairer Vorteil, Sir.»
Stepkyne hielt den Blick auf einen Punkt uber Bolithos Schulter gerichtet.»Ich befahl ihm, mit dem Exerzieren fortzufahren, Sir. Beim Artillerieschie?en ist kein Platz fur so kindische Spielereien. «Er hob die Schultern, als sei die Angelegenheit zu trivial, um daruber zu reden.»Doch er war nicht bereit, meinen Befehl zu befolgen. Darum loste ich ihn ab. «Er pre?te die Lippen zusammen.»Er mu? bestraft werden, Sir.»
Bolitho spurte, da? der Kommodore ihn beobachtete, fuhlte sogar, wie amusiert er war.
«War das alles?»
Stepkyne nickte.»Ja, Sir.»
Inch trat einen Schritt vor.»Der Junge wurde provoziert, Sir. Ich bin uberzeugt, er wollte nichts Unrechtes tun.»
Stepkyne zuckte mit keiner Wimper.»Er ist kein Junge, Sir. Er gilt als Offizier, und ich dulde keine Unverschamtheiten, weder von ihm noch von jemand anderem, der im Rang unter mir steht.»
Bolitho sah Inch an.»Hat Mr. Pascoe Ihrer Ansicht nach in irgendeiner Form Insubordination gezeigt?«Sein Ton wurde scharfer.»Die Wahrheit, Mr. Inch!»
Inch machte ein ungluckliches Gesicht.»Nun ja, Sir. Er nannte den Zweiten Offizier einen verdammten Lugner.»
«Verstehe. «Bolitho verschrankte die Finger hinter dem Rucken.»Wer hat es au?er Ihnen gehort?»
Inch antwortete:»Mr. Gascoigne und Ihr Bootsfuhrer, glaube ich,
Sir.»
Bolitho nickte kalt.»Sehr gut, Mr. Inch. Sie konnen eine Strafe verhangen.»
Die Tur schlo? sich hinter den beiden Offizieren, und PelhamMartin sagte vergnugt:»Nun, da drohte doch keine Meuterei, oder? Jedenfalls haben ein paar Schlage mit dem Rohrstock noch keinem geschadet. Ich mochte wetten, da? auch Sie in Ihrer Jugend die Bekanntschaft mit der Zuchtrute gemacht haben.»
«Mehrmals, Sir. «Bolitho sah ihn kalt an.»Aber ich erinnere mich nicht daran, da? es mir gutgetan hatte.»
Pelham-Martin zuckte mit den Schultern und erhob sich.»Dem sei, wie es mag. Jetzt werde ich mich eine Weile hinlegen. Ich habe uber vieles nachzudenken.»
Bolitho blickte ihm nach, verargert uber sich selbst, weil er seine Sorge gezeigt hatte, und uber Pelham-Martins Mangel an Verstandnis.
Als Bolitho spater in dem kleinen Kartenraum sa? und in seinem Mittagsmahl stocherte, versuchte er, sich auf die franzosischen Schiffe zu konzentrieren, zu uberdenken, was er aus des Kommodore kurzem Anfall von Vertraulichkeit erraten konnte, und sich dann in die Lage des feindlichen Befehlshabers zu versetzen.
Es klopfte, und er horte den Wachtposten der Marinesoldaten rufen:»Midshipman der Wache, Sir.»
«Herein. «Ohne sich umzudrehen, wu?te Bolitho, da? es Pascoe war. In der kleinen Kabine konnte er sein schnelles Atmen horen und nahm, als er sprach, den Schmerz in seiner Stimme wahr.
«Mr. Roths Respekt, Sir, und ob er mit den Neunpfundern auf dem Achterdeck exerzieren darf?»
Bolitho drehte sich um und betrachtete den Jungen ernst. Sechs Schlage mit dem Rohrstock des Bootsmanns waren immer schwer zu ertragen. Tomlins Arm war wie ein Baumast, und Pascoes schlanker Korper bestand mehr aus Knochen denn aus Fleisch. Und obwohl Bolitho es besser gewu?t hatte, war er nicht in der Lage gewesen, sich von dem Skylight fernzuhalten, als die kurze Bestrafung vollzogen wurde; bei jedem zischenden Schlag hatte er unwillkurlich mit den Zahnen geknirscht und doch Stolz empfunden, als nicht ein einziger Schmerzensschrei oder Protestruf Pascoes zu horen gewesen war.
Jetzt sah er bla? aus und kniff die Lippen zusammen, und als ihre Blicke sich uber dem Kartentisch begegneten, konnte Bolitho Pas-coes Schmerzen fast wie seine eigenen fuhlen.
Als Kommandant hatte er sich von seinen Offizieren fernzuhalten, aber es wurde von ihm erwartet, da? er alles bemerkte und alles uber sie wu?te. Sie mu?ten ihm vertrauen und ihm folgen, aber er sollte sich in keiner Weise einmischen, wenn es um Fragen der Disziplin ging. Falls nicht. Die Worte klangen wie ein Vorwurf in ihm nach.
«Sie mussen verstehen, Mr. Pascoe, da? Disziplin auf einem Kriegsschiff von allergro?ter Bedeutung ist. Ohne sie gibt es keine Ordnung und Schlagkraft, wenn es wirklich darauf ankommt. Noch stehen Sie am Fu? einer hohen, gefahrlichen Leiter. Eines Tages, vielleicht fruher als erwartet, werden Sie an der Reihe sein, Strafen zu verhangen, vielleicht sogar uber das Leben eines Mannes zu entscheiden.»
Pascoe schwieg, den Blick auf Bolithos Mund gerichtet.
«Mr. Stepkyne hatte recht. Geschutzexerzieren ist zwar ein Wettkampf, aber kein Spiel. Das Uberleben dieses Schiffes und jedes einzelnen an Bord hangt von seiner Kampfkraft ab. Sie konnen ein Schiff von Plymouth bis ans Ende der Welt fuhren, und manche mogen dann sagen, Sie hatten Ihre Sache gut gemacht. Doch so lange Sie es nicht neben ein feindliches Schiff gelegt haben und die
Kanonen sprechen lassen, wissen Sie nicht, wie schmal der Grat zwischen Erfolg und Untergang ist.»
Pascoe erwiderte leise:»Er hat gesagt, mein Vater ware ein Verrater und Rebell, und er wurde keinen Widerspruch von einem Bastard dulden. «Sein Mund bebte, Tranen des Zorns traten ihm in die Augen.»Ich — ich habe erwidert, da? mein Vater ein Offizier des Konigs war, aber — aber er hat mich nur ausgelacht. «Er schlug die Augen nieder.»Da nannte ich ihn einen Lugner.»
Bolitho packte die Tischkante. Es war eingetreten, und er hatte selbst schuld. Er hatte damit rechnen mussen, daran denken sollen, da? auch Stepkyne aus Falmouth stammte und ganz bestimmt von seinem Bruder gehort hatte. Aber sein Wissen zu nutzen, um einen Untergebenen zu demutigen, der zu jung und unerfahren war, um die Bedeutung des Exerzierens zu erkennen, das war jammerlich.
Langsam sagte er:»Sie haben Ihre Bestrafung tapfer hingenommen, Mr. Pascoe.»
«Darf ich etwas fragen, Sir?«Pascoe sah ihn wieder an, sein Gesicht bestand nur aus Augen.»Stimmt das, was er gesagt hat?»
Bolitho stand auf und ging zu den Regalen mit zusammengerollten Seekarten.»Nur teilweise. «Er horte den Jungen hinter sich aufschluchzen und fugte hinzu:»Hugh hatte seine Grunde dafur, da? er so gehandelt hat, aber eines kann ich Ihnen versichern: Er war ein tapferer Mann. Einer, auf den Sie stolz gewesen waren, wenn Sie ihn gekannt hatten. «Er drehte sich zu dem Jungen um.»Und ich wei?, da? er auch auf Sie stolz gewesen ware.»
Pascoe ballte die Fauste.»Man hat mir gesagt…«Seine Stimme schwankte. Er suchte nach Worten.»Man hat mir immer gesagt…«Er fand die Worte nicht.
«Solange man klein ist, wird einem vieles erzahlt. Wie Mr. Step-kyne gesagt hat, sind Sie jetzt Offizier und mussen lernen, mit der Wirklichkeit fertigzuwerden, in welcher Form sie sich auch zeigt.»
Pascoes Stimme kam wie aus weiter Ferne.»Ein Verrater? Mein Vater war ein Verrater?»
Bolitho sagte traurig:»Eines Tages werden Sie verstehen, genau wie ich gelernt habe, ihn zu verstehen. Ich werde Ihnen spater mehr von ihm erzahlen; vielleicht sind Sie dann nicht mehr ganz so verbittert.»