«Feuer frei, Mr. Stepkyne!«Er ri? die Faust scharf nach unten.»Jetzt!»
Stepkyne hastete das Hauptdeck entlang und verharrte bei jedem Geschutzfuhrer gerade lange genug, um den Feind durch die Stuckpforte zu beobachten.
Aus der Bordwand der
feuerten die Geschutze, immer zwei und zwei, schmetterten die Kugeln in einem gelassenen und erbarmungslosen Bombardement in das Heck und die Wasserlinie des Feindes.
Doch jemand an Bord der
Dann scho? sie, und auf der Steuerbordseite der
schlug die eiserne Faust ein, donnerte in die schweren Planken oder fuhr jaulend durch die Geschutzpforten und brachte Tod und Chaos uber die zusammengedrangten Manner unter Deck.
Durch den Rauch konnte Bolitho die Maststengen des ersten Schiffs wahrnehmen, den hell zungelnden Wimpel im Masttopp, als sie uber Stag ging und sich wieder dem Gegner zuwandte. Ihre Buggeschutze bellten bereits bosartig, obwohl es unmoglich zu erkennen war, ob die Schusse trafen oder uber ihr Ziel hinausflogen und auf ihrem Verbundeten einschlugen.
Pelham-Martin schrie:»Wenn sie dichter herankommt, dann schlagen sie von beiden Seiten auf uns ein!«Er fuhr mit wilden Augen herum.»Warum, bei allen Heiligen, habe ich nur auf Sie gehort?»
Bolitho fing einen Matrosen auf, der vom Netz zurucktaumelte und dem das Blut bereits aus der Brust stromte. Er fuhr einen bleichen Midshipman an:»Hier, Mr. Penrose, helfen Sie diesem Mann aufs Hauptdeck!»
Inch war wieder an seiner Seite.»Der hier halt sich nur zuruck, bis auch sein Kampfgefahrte da ist. «Er zuckte zusammen, als eine Kugel eine tiefe Furche in die Steuerbordgangway ri? und einen bereits verstummelten Toten zur Seite schleuderte.
«Falls wir es ihm erlauben, Mr. Inch. «Bolitho deutete auf den Bug des anderen Schiffs.»Steuerbordruder! Wir werden ihn zwingen, an uns heranzukommen.»
Sehr langsam, denn ihre Segel bestanden fast nur noch aus Fetzen, reagierte die
auf den Druck des Ruders. Weiter und weiter schwang sie herum, bis ihr Bugspriet hoch uber das Deck des Feindes zu ragen schien, als ob sie geradewegs durch seine Fockwanten fahren wollten.
Stumm beobachtete Inch, wie die Kanonen auf dem Hauptdeck an ihren Taljen wieder binnenbords geschleudert wurden. Die Gestalten um sie herum hasteten durch den dichten Rauch, die nackten Korper schwarz vom Pulver und glanzend vor Schwei?, wahrend sie sich bemuhten, ihren Offizieren zu gehorchen.
Doch die Salven fielen unregelma?iger und weniger gut gezielt, und der Abstand zwischen den einzelnen Schussen wurde langer. Im Vergleich dazu schien der Feind schneller und genauer zu schie?en; die Netze uber Bolithos Kanonieren schwankten wild unter abgerissenem Tauwerk und zerfetzter Leinwand. Und auch mehr als ein Dutzend Korper waren uber die Netze verstreut. Manche schlaff und kraftlos, andere zuckend und aufschreiend wie gefangene Vogel, wahrend sie ungehort und unbeachtet starben.
Hauptmann Dawson winkte mit seinem Degen und schrie zu seinen Leuten in den Masten hinauf. Die Marinesoldaten feuerten so schnell wie bisher, und hier und dort sturzte ein Mann aus der Takelage des Feindes, als Beweis fur ihre Treffsicherheit. Wenn einer der britischen Marinesoldaten tot oder verwundet ausfiel, trat ein anderer an seine Stelle, und Munro, der riesige Sergeant, gab brullend den Takt beim Laden und Zielen an, fuchtelte dazu mit seinem Sabel, wie Bolitho es beim taglichen Drill an ihm gesehen hatte, seit sie aus Plymouth ausgelaufen waren.
Der franzosische Kommandant schien nicht bereit zu sein, diese neuerliche Herausforderung anzunehmen; er steuerte sein Schiff mit herumschwingenden Rahen wieder fort, bis er den Wind genau von achtern hatte.
Hicks hatte seine andere Karronade abgefeuert, doch wieder war es ein klaglicher Schu?. Er traf die Bordwand des Feindes, die Kugel barst unter den Stuckpforten des Hauptdecks und hinterlie? ein gezacktes Loch in Form eines riesigen Sterns.
Bolitho blickte zu seinen eigenen Leuten hinunter und bi? sich auf die Lippe, bis sie beinahe blutete. Der Mut begann sie zu verlassen. Sie hatten sich besser gehalten und besser gekampft, als er zu hoffen gewagt hatte, aber es konnte nicht mehr lange so weitergehen.
Ein Chor lauter Stimmen veranla?te ihn, aufzublicken; starr vor Entsetzen, sah er die Gro?bramstenge mit Rah und Segel schwanken und sich dann wie trunken nach Backbord neigen, ehe sie, Segel und Manner wegfegend, auf Deck sturzte.
Uber dem Larm horte er Tomlins laute Stimme, sah Axte in der Sonne blinken und beobachtete wie im Traum einen nackten Matrosen, der, nur einen Streifen Leinwand um die Huften, irren Blicks auf die Gro?wanten zuraste und wie ein Affe in die Webeleinen auf enterte. Pelham-Martins Stander flatterte hinter ihm her, als er auf den Mast hinaufkletterte, um den gefallenen Wimpel zu ersetzen.
Der Kommodore murmelte mit belegter Stimme:»Mein Gott, o du barmherziger Gott.»
Schwerfallig glitt die zersplitterte Spiere uber die Gangway und sturzte neben der Bordwand hinab. Ein toter Toppgast hatte sich in den Resten des Riggs verfangen, den Mund in einem letzten Fluch oder Protestschrei noch weit geoffnet.
Midshipman Gascoigne band sich einen Fetzen ums Handgelenk. Sein Gesicht war bla?, aber entschlossen, wahrend er beobachtete, wie ihm das Blut uber die Finger rann. Mitten zwischen Qualm und Tod, Blutlachen und winselnden Verwundeten schien nur PelhamMartin unverletzt und unberuhrt zu sein. In seinem schweren Mantel wirkte er mehr wie ein Felsbrocken als wie ein menschliches Wesen, und sein Gesicht war eine Maske, die wenig uber den Mann selbst verriet.
Vielleicht war er uber Angst oder Resignation schon hinaus, dachte Bolitho dumpf. Unfahig, sich zu ruhren, stand er nur da und wartete auf das Ende seiner Hoffnungen, die Vernichtung seiner selbst und aller um ihn herum.
Bolitho erstarrte, als aus dem Achterdecksniedergang eine Gestalt auftauchte und uber einen ausgestreckten Marinesoldaten wegstieg. Es war Midshipman Pascoe mit bis zum Gurtel offenstehendem Hemd. Das Haar klebte ihm in der Stirn, und er sah sich um, wohl benommen von den blutigen Opfern und dem Durcheinander. Dann hob er entschlossen das Kinn und kam zur Achterdecksleiter.
Inch sah ihn und schrie ihm entgegen:»Was gibt's?»
Pascoe antwortete:»Mr. Beauclerks Respekt, Sir, und er la?t Ihnen mitteilen, da? Mr. Lang verwundet worden ist.»
Beauclerk war der Funfte und jungste Offizier. Es ware zuviel von ihm verlangt gewesen, die drei?ig Vierundzwanzigpfunder zu kommandieren.
Bolitho befahl laut:»Mr. Roth! Sie ubernehmen unten das Kommando!»
Als der Leutnant zum Niedergang lief, winkte Bolitho den Mids-hipman heran.»Alles in Ordnung, Junge?»
Pascoe sah ihn mit leerem Blick an und strich sich das Haar aus den Augen.»Aye, Sir. «Er schauderte, als ob ihm plotzlich eiskalt ware.»Ich glaube, ja.»
Eine Musketenkugel, die ihre Kraft verbraucht hatte, fiel vor seinen Fu?en aufs Deck, und er ware gesturzt, wenn Bolitho nicht zugegriffen hatte.
«Bleib hier, Junge. «Bolitho hielt seinen Arm, spurte seine Magerkeit und die klamme Kalte der Angst.
Pascoe sah sich um, seine Augen leuchteten sehr hell.»Ist es fast voruber, Sir?»
Oben ri? wieder ein Fall, und ein schwerer Block fiel klappernd auf den Verschlu? eines Geschutzes. Ein Seemann schrie im dichten Rauch auf, fluchte und stammelte sinnlose Worter, bis das Geschutz feuerte und er sich wieder in seine Umgebung einfugte.
Bolitho zog den Jungen zu den Netzen.»Noch nicht, mein Sohn, noch nicht. «Grinsend zeigte er die Zahne, um seine Verzweiflung zu verbergen. In wenigen Augenblicken wurden sie den beiden Schiffen wieder auf kurze Entfernung gegenuberstehen. Gleichgultig, welchen Schaden sie ihnen zufugen konnten, das Ende war unausweichlich.
«Captain, Sir!«Inch kam durch den Qualm auf ihn zu.»Der
Feind dreht ab!«Er deutete aufgeregt hinuber.»Sehen Sie doch, Sir, sie setzen beide mehr Segel!»
Bolitho kletterte in die Besanwanten, seine Glieder waren schwer wie Blei. Aber es stimmte: Beide Schiffe drehten ab und nahmen bei dem achterlichen Wind schnell Fahrt auf. Der Rauch wirbelte hinter ihnen hoch wie aus dem Wasser aufsteigender Dunst.
In einem Streifen Sonnenlicht sah er, da? auch die franzosische Fregatte mit rundgebra?ten Rahen ablief. Ihre durchlocherten und geschwarzten Segel zeugten vom Einsatz der
Abdiel,
Bolitho schwenkte mit dem Glas von der kleinen Fregatte ab, und als er uber eine geschwungene, grune Halbinsel hinausblickte, glaubte er einen Augenblick, er habe den Verstand verloren.
Dort kam ein weiteres Schiff um die Landzunge. Seine Segel schimmerten wei? in der Morgensonne, seine hohe Bordwand warf die tanzenden Reflexe der Wellen zuruck, als es majestatisch durch den Wind ging und Kurs auf die
nahm.
Pelham-Martins Stimme zitterte.»Wer ist das?»
Die Kanoniere der
verlie?en bereits ihre hei?geschossenen Geschutze, standen auf den Gangways und starrten zu dem stattlichen Neuankommling hinuber. Als dann die Besatzung der
so laut ein, da? sogar die Schreie der Verwundeten ubertont wurden.
Bolitho beobachtete das Schiff. Er konnte die lange, dreifarbige Flagge an ihrer Gaffel auswehen sehen, die schmucken, vergoldeten Schnitzereien an der Hutte. Er sagte sich, da? die
zwar alt war, da? dies aber das alteste Schiff war, das ihm je vor Augen gekommen war.
Langsam antwortete er:»Das ist ein Hollander. «Er setzte das Glas ab und fugte hinzu:»Was befehlen Sie, Sir?»
Pelham-Martin beobachtete das hollandische Schiff, als es noch einmal uber Stag ging und dann gemachlich in Lee hinter der
vorbeisegelte.
«Befehlen?«Er schien sich zusammenzurei?en.»In den Hafen einlaufen!»
«Signal an
Inch sah Midshipman Pascoe an und schuttelte den Kopf.»Merken Sie sich diesen Morgen gut. Was Sie auch spater tun oder erreichen werden, einem Mann wie ihm werden Sie nie wieder begegnen. «Dann trat er an die Reling, um die ubriggebliebenen Toppsgasten zusammenzurufen.
Bolitho horte Inchs Worte nicht, er sah auch nicht den Ausdruck in den Augen des Jungen. Er beobachtete das fremde, veraltete Linienschiff, das wieder uber Stag ging, um sie in die Bucht zu geleiten. Wenn es nicht gekommen ware… Er hielt inne und blickte auf seine Uhr. Einen Augenblick glaubte er, sie ware stehengeblieben, doch nach einem weiteren Blick aufs Zifferblatt schob er sie wieder in die Tasche. Eine Stunde, langer hatte es nicht gedauert. Doch ihm kam es vor, als waren Sie zehnmal so lang im Gefecht gewesen. Er zwang sich, zum Hauptdeck hinunterzublicken, wo der Arzt mit seinen blutbefleckten Helfern die noch nicht betreuten Verwundeten einsammelte. Wie lange mu?te es erst seinen Leuten vorgekommen sein?
Mit einem Seufzer schob er seinen erschopften Korper von der Reling fort und wandte sich der Hutte zu. Er bemerkte den Jungen, der ihn beobachtete, in den Augen tiefe Verwunderung.
«Wie Sie sehen, Mr. Pascoe, kann man des Ausgangs nie sicher sein. «Lachelnd ging er nach achtern, um mit dem Kommodore zu sprechen.
Als er an den Neunpfundern in Luv vorbeikam, traten die Kanoniere grinsend zuruck und winkten ihm. Er spurte das starre Lacheln auf seinen Lippen und lauschte auf die eigene Stimme, die ihren erregten Ausrufen antwortete, wie jemand, der neben sich selbst steht; ein Zuschauer.
Doch als er die Hutte erreicht hatte und sein Schiff in seiner ganzen Lange uberblickte, spurte er noch etwas. Es mochte vom Kampf zernarbt und blutig sein, aber es war unbesiegt. Trotz aller Beschadigungen und Verstummelungen, trotz des schrecklichen Larms und der nervenzerfetzenden Einschlage, war ihm etwas Gutes geschehen.
Es war nicht mehr nur ein Schiff mit zusammengewurfelter Mannschaft. Zum Guten oder Bosen war es eins mit den Menschen geworden, die auf ihm dienten. Als hatte die kurze wilde Schlacht alle zu einer Einheit zusammengeschwei?t, die ein einziges Ziel verfolgten: zu uberleben.
Er sah den Arzt auf sich zukommen und stahlte sich fur das, was vor ihm lag. Menschen waren im Sonnenlicht dieses Morgens gestorben. Wie viele, das wu?te er noch nicht.
Als er zu den zerfetzten Segeln und gesplitterten Spieren aufblickte, empfand er diesen unbekannten Toten gegenuber eine seltsame Dankbarkeit. Seine Aufgabe wurde es sein, dafur zu sorgen, da? ihr Opfer nicht vergeblich gebracht worden war.
VIII Neuigkeiten fur den Kommodore
Der Marinesoldat salutierte stramm, als Bolitho in die Achterkajute trat und die Tur hinter sich schlo?. Alle Fenster waren weit geoffnet, und Decke und Wande waren mit Reflexen des bewegten Wassers drau?en bedeckt. Die
rollte geruhsam vor Anker, und wenn er durch eines der Heckfenster blickte, sah er die nahe Halbinsel in der hei?en Luft flimmern: grun, friedlich und ein starker Kontrast zu dem Anblick, den er auf dem Oberdeck gerade hinter sich gelassen hatte.
Durch die offene Tur zum Schlafraum horte er Pelham-Martin rufen:»Nun, was haben Sie mir zu melden?»
Bolitho stutzte sich auf den Schreibtisch und starrte mit leerem Blick auf das klare Wasser unterm Heck.»Zwanzig Tote, Sir. Zwanzig weitere schwerverwundet. «Es schien ihm wenig sinnvoll, die anderen zu erwahnen: die mit Fleisch wunden und Verbrennungen, oder jene, die taub geworden waren, vielleicht fur immer.
«Verstehe. «Es war zu horen, wie Kisten uber den Boden der Kajute geschleift wurden, und dann trat Pelham-Martin mit schweren Schritten in die Reflexe des Sonnenlichts.»Was ist mit den Verwundeten? Werden sie sich erholen?»
Bolitho konnte ihn nur stumm anstarren. Die
hatte vor weniger als drei?ig Minuten Anker geworfen, und wahrend er das Zuwasserlassen der Boote uberwacht und das Ausma? der Schaden am Rumpf und in der Takelage abgeschatzt hatte, hatte sich der
Kommodore anscheinend mit mehr personlichen Problemen befa?t. Er trug seinen Paraderock, und sein wei?es Hemd und seine wei?en Breecheshosen sahen aus, als ob sie gerade vom Schneider gekommen waren.
Schlie?lich sagte Bolitho:»Meist sind es Splitterverletzungen, Sir, aber funf haben Arme oder Hande verloren.»
Pelham-Martin betrachtete ihn ernst.»Nun, ich mu? an Land und den Gouverneur dieser, ah, dieser Siedlung aufsuchen. «Er zupfte die Manschette seines Hemdes unter dem goldbestickten Armel hervor.»Notwendig, aber trotzdem verdammt lastig. «Er sah sich in der Kajute um.»Sie bleiben besser hier und tun das Erforderliche, damit das Schiff wieder einsatzfahig wird. «Er lie? den Blick auf Bolithos zerrissenem Hemd ruhen.»Und ich wurde vorschlagen, da? Sie auch etwas fur Ihr Au?eres tun.»
Bolitho sah ihn kalt an.»Ich war der Ansicht, da? es zunachst Wichtigeres fur mich zu tun gab, Sir.»
Der Kommodore hatte dafur nur ein Achselzucken ubrig.»Diese Haltung fuhrt zu nichts. Sie kannten das ungleiche Krafteverhaltnis, und dennoch haben Sie das Gefecht herausgefordert.»
«Waren wir eine Woche fruher hier gewesen, Sir, ware es gar nicht zu einem Gefecht gekommen, es sei denn, zu unseren Bedingungen.»
Der Kommodore betrachtete sich im Spiegel an der Schottwand.»Mag sein. «Heftig drehte er sich nach Bolitho um.»Es ist uns jedoch gelungen, die Franzosen zu vertreiben, und ich werde dafur sorgen, da? Ihr Anteil daran in meinem Bericht berucksichtigt wird. Doch jetzt mu? ich Sie verlassen. Wenn ich gebraucht werden sollte, schicken Sie ein Boot zur Stadt. «Er ging an ein Heckfenster und beugte sich hinaus.»Ich mu? sagen, es lief nicht alles so, wie ich erwartet hatte.»