* "Verhehl auch meine Künste, die darfst du niemand sagen;
So mag die Königstochter wenig Ruhm erjagen
An deinem edeln Leben, worauf ihr sinnt der Mut.
Nun sieh doch, wie so furchtlos vor dir die Königin tut." (469)Da schoss mit großen Kräften die herrliche Maid
Auf einen neuen Schildrand, mächtig und breit,
Den trug an seiner Linken der Siegelinde Kind:
Das Feuer sprang vom Stahle als ob es wehte der Wind. (470)Des starken Spießes Schneide den ganzen Schild durchdrang,
Dass das Feuer lohend aus den Ringen sprang.
Von dem Schuss strauchelten die kraftvollen Degen:
War nicht die Tarnkappe, sie wären beide tot erlegen. (471)Siegfried dem kühnen vom Munde brach das Blut.
Bald hatt er sich ermannet: da nahm der Degen gut
Den Spieß, den sie geschossen ihm hatte durch den Rand:
Den warf ihr bald zurücke des starken Siegfriedes Hand. (472)* Er dacht: "Ich will nicht schießen das schöne Mägdelein."
Des Spießes Schneide kehrt' er hinter den Rücken sein;
Mit der Speerstange schoss er auf ihr Gewand,
Dass es laut erhallte von seiner kraftreichen Hand. (473)Das Feuer stob vom Panzer, als trieb' es der Wind.
Es hatte wohl geschossen König Siegmunds Kind;
Ihr reichten nicht die Kräfte vor solchem Schuss zu stehn:
Das wär von König Gunthern in Wahrheit nimmer geschehn. (474)Brunhild die Schöne bald auf die Füße sprang.
"Edler Ritter Gunther, des Schusses habe Dank!"
Sie wähnte noch, er hätt es mit seiner Kraft getan;
Nein, gefället hatte sie ein viel stärkerer Mann. (475)Da trat sie hin geschwinde, zornig war ihr Mut,
Den Stein hoch erhob sie, die edle Jungfrau gut;
Sie schwang ihn mit Kräften weithin von der Hand,
Dann sprang sie nach dem Wurfe, dass laut erklang ihr Gewand. (476)Der Stein war geflogen zwölf Klafter von dem Schwung:
Die Jungfrau wohl geschaffen erreicht' ihn doch im Sprung.
Hin ging der schnelle Siegfried, wo der Stein nun lag:
Gunther musst ihn wägen, des Wurfs der Verholne plag. (477)Siegfried war verwogen, kräftig und lang;
Den Stein warf er ferner, dazu er weiter sprang:
Von seinen schönen Künsten empfing er Kraft genug,
Dass er in dem Sprunge den König Gunther noch trug. (478)* Der Sprung, der war ergangen, der Stein lag nun da,
Gunther wars, der Degen, den man einzig sah.
Brunhild die schöne ward vor Zorne rot;
Gewendet hatte Siegfried dem König Gunther den Tod. (479)Zu ihrem Ingesinde sprach laut die Fürstin da,
Als sie gesund den Helden an des Kreises Ende sah:
"Ihr meine Freund und Mannen, tretet gleich heran:
Ihr sollt dem König Gunther alle werden untertan." (480)Da legten die Kühnen die Waffen von der Hand,
Und boten sich zu Füßen von Burgondenland
Gunther dem reichen, so mancher kühne Mann:
Sie wähnten all, er hätte das Spiel mit seiner Kraft getan. (481)Er grüßte sie gar minniglich: Wohl war er tugendreich.
Da nahm ihn bei den Händen das Mägdlein ohne gleich:
Sie erlaubt' ihm zu gebieten in ihrem ganzen Land;
Da freuten des sich alle die Degen kühn und gewandt. (482)Sie bat den edeln Ritter mit ihr zurück zu gehn
Zu dem weiten Saale. Als das war geschehn,
Da bot man den Recken der Dienste desto mehr:
Dankwart und Hagen, die litten es ohne Wehr. (483)Siegfried der schnelle weise war genug,
Dass er die Tarnkappe zum Schiffe wieder trug;
Dann ging er zu dem Saale, wo manche Fraue saß,
Und er mit andern Degen alles Leides vergaß. (484)* "Was säumet ihr, mein Herre? Was beginnt ihr nicht die Spiel',
Euch will die Königstochter erteilen doch so viel,
Und lasst uns bald erschauen, wie es damit bestellt?"
Als wüsst er nichts von allem, so tat der listige Held. (485)* Da sprach die Königstochter: "Wie konnte das geschehn,
Dass ihr nicht habt die Spiele, Herr Siegfried, gesehn,
Worin hier obsiegte König Gunthers Hand?"
Zur Antwort gab ihr Hagen aus der Burgonden Land: (486)* Er sprach: "Da habt ihr, Fraue, uns betrübt den Mut:
Da war bei dem Schiffe Siegfried der Degen gut,
Als der Vogt vom Rheine das Spiel euch abgewann;
Drum ist es ihm unkundig," sprach der Held in Gunthers Bann. (487)"Nun wohl mir dieser Märe," sprach Siegfried der Degen,
"Dass hier eure Hochfahrt also ist erlegen,
Und jemand lebt, der euer Meister möge sein.
Nun sollt ihr, edle Jungfrau, uns hinnen folgen an den Rhein." (488)Da sprach die Wohlgetane: "Das mag noch nicht geschehn:
Erst frag ich meine Vettern, und die in meinem Lehn.
Ich darf ja nicht so leichthin verlassen dieses Land:
Meine besten Freunde, die werden erst noch besandt." (489)Da ließ sie ihre Boten nach allen Seiten gehn:
Sie besandte ihre Freunde und die in ihrem Lehn,
Dass sie zum Isensteine kämen unverwandt;
Einem jeden lies sie geben reiches, herrliches Gewand. (490)Da ritten alle Tage, beides, spät und früh,
Der Veste Brunhildens die Recken scharweis zu.
"Nun jadoch," sprach da Hagen, "was haben wir getan?
Wir erwarten uns zum Schaden der schönen Brunhilde Bann. (491)Wenn sie mit ihren Kräften kommen in dies Land,
Der Königin Gedanken, die sind uns unbekannt:
Wie, wenn sie also zürnet, dass wir sind verloren?
So ist das edle Mägdlein uns zu großen Sorgen geboren!" (492)Da sprach der starke Siegfried: "Dem will ich widerstehn.
Was euch da Sorge schaffet, das lass ich nicht geschehn:
Ich will euch Hilfe bringen her in dieses Land
Durch auserwählte Recken: Die sind euch noch unbekannt. (493)Ihr sollt nach mir nicht fragen, ich will von hinnen fahren;
Gott mag eure Ehre derweilen wohl bewahren.
Ich komme bald zurücke und bring euch tausend Mann
Der allerbesten Degen, deren ich Kunde je gewann." (494)"So bleibt auch nicht zu lange," der König sprach da so,
"Wir sind aus guten Gründen eurer Hilfe froh."
Er sprach: "Ich komme wieder gewiss in wenig Tagen;
Dass ihr mich weg gesendet sollt ihr der Königin sagen." (495)
Lasst mich der Kammer pflegen; bleiben auf der Flut
Will ich bei den Frauen und hüten ihr Gewand,
Bis dass wir sie bringen in der Burgonden Land. (547)