»Aber du bist ja schüchtern wie ein Neuling. Das hätte ich von dir nie vermutet … Es ist aber sehr reizvoll, ich schwöre es dir beim heiligen Bara …!«
Wohl oder übel mußte er sie nun bei den Händen nehmen. Er blickte sie von oben herab an und sah ihr lackglänzendes, unordentliches Haar, ihre runden, nackten Schultern, über die kleine Klümpchen Puder kollerten, und ihre winzigen rosaroten Ohren. Abscheulich, dachte er. Daraus wird nichts. Aber schade, sie muß doch einiges wissen … Don Reba plaudert im Schlaf … Er nimmt sie zuden Verhören mit, und sie liebt Verhöre … Ich kann nicht … »Nun?« fragte sie gereizt.
»Ihre Teppiche sind sehr hübsch, Dona«, sagte er laut. »Aber ich muß jetzt gehen.«
Zuerst verstand sie nicht, dann aber verzerrten sich ihre Züge. »Wie kannst du es wagen?« flüsterte sie böse, aber er hatte schon mit den Handflächen die Tür ertastet, schlüpfte auf den Korridor und machte sich rasch aus dem Staub. Von heut an wasche ich mich nicht mehr, dachte er. Hier muß man ein Dreckfink sein, aber kein Gott!
»Du Klepper!« schrie sie ihm nach. »Du elendes altes Weib! Ins Loch mit dir …!«
Rumata riß heftig ein Fenster auf und sprang in den Hof hinab. Eine Zeitlang stand er dann unter einem Baum und saugte gierig die kalte Luft ein.
Dann fiel ihm die dumme weiße Feder ein. Er riß sie wütend herunter und zertratsie unter seinem Stiefel. Bei meinem Freund Paschka wäre auch nichts herausgekommen, dachte er. Bei niemandem. (Bist du überzeugt? – Ja. – Dann taugt ihr eben nichts. – Aber mir wird übel davon! – Dem Experiment sind deine Gefühle egal. Wenn du nicht kannst, dann laß die Finger davon! – Ich bin doch kein Tier! – Wenn es das Experiment erfordert, muß man zum Tier werden. – Das Experiment kann so etwas nicht fordern. – Wie du siehst, es kann! – Aber dann …! – Was, dann? – Er wußte nicht, was dann folgen würde. – Dann … Dann … Nun gut, sagen wir halt, ich bin ein schlechter Historiker. – Er zuckte mit den Schultern – Versuchen wir, ein besserer zu werden. Lernen wir, uns in ein Schwein zu verwandeln …)
Es war Mitternacht, als er bei seinem Haus anlangte. Er löste nur die Spangen an seinem Fes, warf sich, ohne sich auszuziehen, auf einen Diwan im Salon und schlief ein wie ein Toter. Er wurde geweckt von dem unwilligen Schreien Unos und einem gutmütigen Baßgebrüll.
»Mach dich fort, geh weg, du kleines Biest, ich reiß dir die Ohren aus!«
»Der Herr schläft, sag ich Euch!«
»Fort! Kriech mir nicht um die Beine!«
»Kein Einlaß, ich sag es Euch!«
Die Tür sprang krachend auf, und ins Zimmer stürzte, riesenhaft wie das wilde Untier Pech, Don Bau, Baron Pampa, rotwangig, weiße Zähne, hängender Schnurrbart, in einem keck aufs Ohr gezogenen runden Samthut und einem teuren himbeerfarbenen Überwurf, unter dem deutlich ein Kupferpanzer durchschimmerte. Er schleppte Uno hinter sich her, der sich krampfhaft an das rechte Hosenbein des Barons klammerte.
»Baron!« rief Rumata und ließ seine Beine vom Sofa herabgleiten. »Wie sind Sie in der Stadt aufgetaucht, mein Freund? Uno, laß den Baron in Ruhe!«
»Ein selten anhänglicher Bursche«, sagte der Baron und näherte sich Rumata mit ausgebreiteten Armen. »Der ist in Ordnung. Wieviel wollen Sie für ihn? Ja, aber darüber später … Lassen Sie sich umarmen!«
Sie umarmten einander. Vom Baron ging ein angenehmer Duft nach staubiger Landstraße, Pferd und einem gemischten Bukett von verschiedenen Weinen aus.
»Ich sehe, Sie sind auch völlig nüchtern«, sagte er mit Trauer in der Stimme. »Übrigens, Sie sind ja immer nüchtern, Sie Glücklicher!«
»Nehmen Sie doch Platz, mein Freund«, sagte Rumata. »Uno! Bring uns Estorischen, aber nicht zu wenig!«
»Keinen Tropfen!«
»Keinen Tropfen Estorischen? Uno, laß den Estorischen, bring uns Irukanischen!«
»Überhaupt keinen Wein!« sagte der Baron kummervoll. »Ich trinke nicht.« Rumata setzte sich.
»Was ist passiert?« fragte er besorgt. »Sind Sie nicht gesund?«
»Gesund bin ich wie ein Büffel. Aber diese verdammten Familienszenen … Kurz gesagt, ich habe mich mit der Baronin zerstritten … Und jetzt bin ich hier.«
»Gestritten mit der Baronin? Sie?! Jetzt machen Sie aber einen Punkt, Baron, was sind das für seltsame Späße?«
»Stellen Sie sich vor. Ich komme mir selber wie umnebelt vor. Hundertzwanzig Meilen bin ich wie im Nebel hergeritten!«
»Mein Freund«, sagte Rumata, »wir machen uns gleich auf und reiten zurück nach Schloß Bau.«
»Aber mein Pferd hat noch nicht verschnauft«, entgegnete der Baron. »Und dann, ich will sie bestrafen !«
» Wen?«
»Die Baronin, hol’s der Teufel! Bin ich ein Mann oder nicht?! Sehen Sie, sie ist unzufrieden mit Pampa – dem – Betrunkenen, soll sie nur schauen, wie er nüchtern ist! Lieber verfaule ich hier bei ordinärem Wasser, als ins Schloß zurückzukehren …« Uno maulte mürrisch:
»Sagt ihm, er soll nicht so mit den Ohren wackeln.«
»Scher dich weg, du kleiner Wolf!« zeterte der gutmütige Baß des Barons. »Und bring mir Bier! Ich hab geschwitzt und muß mich wieder auffüllen.«
Im Laufe einer halben Stunde füllte der Baron sich wieder auf und plauderte dabei munter drauflos. In den Intervallen zwischen den Schlucken berichtete er Rumata von seinen Unannehmlichkeiten. Er verfluchte des öfteren »diese Saufbolde, meine Nachbarn, die mein Schloß überfallen haben. Unter dem Vorwand, mit mir auf die Jagd zu gehen, kommen sie schon am frühen Morgen – und ehe man sich’s versieht, sind sie schon alle betrunken und zerschlagen die Möbel. Übers ganze Schloß fallen sie her, alles besudeln sie, verärgern die Dienerschaft, verderben die Hunde und geben dem jungen Baron ein abscheuliches Beispiel. Dann fahren sie alle nach Hause, und du, stocksteif betrunken, bleibst mit der Baronin allein zurück, Auge in Auge …«
Am Ende seiner Geschichte geriet der Baron ganz außer sich und war sogar schon nahe daran, Estorischen zu verlangen, riß sich aber wieder zusammen und sagte:
»Rumata, mein Freund. Gehen wir weg von hier. Sie haben viel zu teure Weine! Gehen wir …!«
»Aber wohin?«
»Das ist doch ganz egal, wohin! Nun, vielleicht in die Graue Freude ?«
»Hm …«, machte Rumata. »Und was werden wir tun in der Grauen Freude ?«
Eine Zeitlang schwieg der Baron und zog sich widerspenstig am Bart.
»Also wie?« sagte er schließlich. »Seltsame Fragen stellen Sie. Na, wir sitzen einfach da, plaudern ein wenig …«
»In der Grauen Freude ?«fragte Rumata zweifelnd. »Ja. Ich verstehe Sie«, sagte der Baron. »Das ist scheußlich … Aber trotzdem, gehen wir. Hier bin ich die ganze Zeit versucht, Estorischen zu verlangen …!«
»Mein Pferd!« sagte Rumata und ging ins Herrenzimmer, um seinen Sender zu holen.
Einige Minuten später ritten sie Seite an Seite in einem engen Gäßchen dahin, eingehüllt von undurchdringlicher Dunkelheit. Der Baron hatte seine gute Laune wiedergefunden und erzählte mit lauter Stimme davon, was sie vorgestern für einen Rieseneber erlegt hätten, dann über die erstaunlichen Eigenschaften des jungen Barons und von dem Wunder im Kloster des heiligen Tukky, wo der Abt einen sechsfingrigen Knaben aus seiner Hüfte gebar … Dabei vergaß er auch seine Späße nicht. Von Zeit zu Zeit heulte er wie ein Wolf, sang Wiegenlieder und klopfte mit dem Peitschenstiel gegen geschlossene Fensterläden.
Als sie bei der Grauen Freude angelangt waren, hielt der Baron sein Pferd an und versank in tiefes Nachdenken. Rumata wartete. Aufdringlich leuchteten die schmutzigen Fenster der Schenke, die Pferde scharrten an den Balken, die stark geschminkten Mädchen, die auf einer Bank unter dem Fenster saßen, stritten sich laut herum, und zwei Hausburschen rollten unter großer Anstrengung ein riesiges Faß mit Saliterflecken durch die Tür. Der Baron sagte kummervoll:
»Allein …! Es ist schrecklich, daran zu denken, die ganze Nacht vor mir, und allein! Und auch sie ist dort allein …!«
»Seien Sie nicht so traurig, mein Freund«, sagte Rumata. »Bei ihr ist doch der junge Baron, und bei Ihnen bin ich.«
»Das ist ganz was anderes«, sagte der Baron. »Sie haben ja keine Ahnung, mein Freund. Sie sind viel zu jung und leichtsinnig … Ihnen macht es, mir scheint, sogar Vergnügen, diese Schlampen da anzuschauen …«
»Und warum nicht«, entgegnete Rumata und betrachtete den Baron neugierig. »Für mich sind das recht passable Mädchen.« Der Baron wackelte mit dem Kopf und lachte sarkastisch. »Da, die dort drüben steht«, sagte er laut, »die hat einen Hängehintern. Und die, die sich jetzt kratzt, die hat überhaupt keinen … Kühe sind das, mein Freund, im besten Fall sind das Kühe … Denken Sie doch an die Baronin! Was für Hände, welche Grazie …! Was für ein Körper, mein Lieber …!«
»Ja«, sagte Rumata zustimmend. »Die Baronin ist schön. – Gehen wir weg von hier.«
»Wohin?« fragte der Baron gedrückt. »Und wozu?« In sein Gesicht kam plötzlich Entschlossenheit. »Nein, mein Freund, ich gehe nicht weg von hier. Nirgendwohin, aber Sie können tun, was Ihnen beliebt.« Er stieg vom Pferd. »Obwohl es für mich eine Beleidigung wäre, wenn Sie mich hier allein ließen.«
»Aber ich bleibe natürlich bei Ihnen«, sagte Rumata. »Aber …«
»Kein aber«, sagte der Baron.
Sie warfen die Zügel einem herbeieilenden Diener zu und stolzierten an den Mädchen vorbei in das Gastzimmer. Die Luft war zum Schneiden dick. Das schwache Licht der Ölfunzeln durchdrang kaum den dichten Nebel von verschiedenen Ausdünstungen, es war wie in einem großen und sehr schmutzigen Schwitzbad. Schweißüberströmte Soldaten in aufgeknöpften Uniformen, umherziehendes Seemannsvolk in bunten Kaftanen über den nackten Leibern, Frauen mit kaum bedeckter Brust, graue Sturmowiki mit den Kampfbeilen zwischen den Knien und einige heruntergekommene Handwerker aßen und tranken an langen Tischen aus rohem Holz, fluchten, lachten, weinten, küßten und brüllten unanständige Lieder. Auf der linken Seite konnte man im Nebel den Schanktisch erahnen, wo der Wirt auf einem Podest inmitten gigantischer Fässer thronte und von wo er einen Schwarm geschickter und betrügerische Diener dirigierte. Rechts leuchtete grell ein großes Rechteck durch den Nebel, der Eingang in das »gute Zimmer« – den Raum für edle Dons, ehrbare Kaufleute und die Grauen Offiziere.
»Warum sollten wir schließlich nicht einen hinter die Binde gießen?« fragte Baron Pampa gereizt, faßte Rumata am Ärmel und strebte in einem engen Durchgang zwischen den Tischen der Theke zu, wobei er den sitzenden Gästen mit seinem leicht abstehenden Gürtelpanzer den Rücken zerkratzte. An der Theke nahm er dem Wirt einen riesigen Krug aus der Hand, ließ ihn bis oben füllen, leerte ihn schweigend auf einen Zug bis zur Neige und erklärte dann, daß jetzt alles hin sei und nur mehr eines überbleibe – sich gehörig zu amüsieren. Dann wandte er sich an den Wirt und erkundigte sich lautstark, ob es in diesem Unternehmen einen Platz gäbe, wo edle Leute wohlanständig und bescheiden ihre Zeit verbringen könnten, ohne von jeglichem Geschmeiß, Gesindel und Auswurf behelligt zu werden. Der Wirt versicherte ihm, daß in ebendiesem Unternehmen ein solcher Platz existiere. »Ausgezeichnet!« sagte der Baron majestätisch und warf dem Wirt einige Goldstücke hin. »Bring Er mir und diesem Don hier das Beste, was Er nur hat. Soll uns aber nicht irgendein abgeschlecktes Kokottchen, sondern eine ehrenhafte ältere Frau bedienen!« Der Wirt selbst begleitete die edlen Dons in das Extrazimmer. Hier waren wenig Leute. In der Ecke unterhielt sich eine Gruppe düsterer Grauer Offiziere, vier Leutnants in engen Uniformen und zwei Hauptmänner in kurzen Soldatenmänteln mit den Epauletten des Sicherheitsministeriums auf der Schulter. Am Fenster dösten bei einem dünnhalsigen Weinkrug zwei Aristokraten dahin: Ihre Gesichter waren ganz sauer von der allgemeinen Niedergeschlagenheit. Am Nebentisch saß ein Häuflein verarmter Dons in zerknautschten Jacken und gestopften Überwürfen. Sie tranken in kleinen Schlücken ihr Bier und ließen alle Augenblicke ihre gierigen Blicke im Zimmer umherschweifen.
Der Baron polterte auf einen freien Tisch zu, blinzelte böse zu den Grauen Offizieren hinüber und brummte: »Also auch hier geht es nicht ohne das Gesindel …« Aber da kam auch schon eine dicke beschürzte Tante herangewackelt und brachte den ersten Gang. Der Baron krächzte gierig, zog seinen Dolch aus dem Gürtel und stürzte sich auf sein Festmahl. Schweigend verschlang er dicke Brocken eines gebratenen Hirschen, Berge marinierter Mollusken, Berge von Meereskrebsen, Unmengen von Salaten und Mayonnaisen, dazu trank er Wasserfälle von Wein, Bier und Hausbier, und schließlich auch Wein, vermischt mit Bier und Hausbier. Die verarmten Dons wollten einer nach dem andern an seinen Tisch rücken, der Baron aber wies sie mit einer weit ausholenden Handbewegung und mit dem Knurren seiner Gedärme ab.
Plötzlich hörte er auf zu essen, starrte Rumata mit hervorquellenden Augen an und brüllte mit Raubtierstimme: »Ich war schon lange nicht in Arkanar, mein edler Freund. Und ich sage Ihnen bei meiner Ehre, irgendwas gefällt mir hier nicht!«
»Was denn, Baron?« fragte Rumata interessiert, während er den Flügel eines Huhnes abnagte.
Auf den Gesichtern der verarmten Dons zeichnete sich ehrfürchtige Aufmerksamkeit ab.
»Sagen Sie mir, mein Freund!« donnerte der Baron und wischte seine fetten Hände am Überwurf ab, »seit wann ist es in der Hauptstadt seiner Hoheit, unseres Königs, Brauch, daß die Nachkommen der ältesten Geschlechter des Reiches keinen Schritt tun können, ohne auf irgendwelche elenden Krämer oder Metzger zu stoßen?!« Die edlen Dons wechselten untereinander rasche Blicke und begannen sich zurückzuziehen. Rumata blinzelte in die Ecke, wo die Grauen saßen. Diese setzten die Gläser ab und schauten herüber. »Ich werde Ihnen sagen, wo der Hund begraben liegt, edle Dons«, fuhr Baron Pampa fort. »Das kommt alles daher, weil ihr feige Memmen seid. Ihr duldet sie, weil ihr euch fürchtet. Da, du da, du fürchtest dich!« brüllte er aus Leibeskräften und blickte dem nächststehenden verarmten Don scharf in die Augen. Der aber zog den Schweif ein und verließ den Tisch mit einem blassen Lächeln. »Feiglinge!« trompetete der Baron. Sein Schnurrbart stand ihm vor Aufregung zu Berge.
Aber von den verarmten Dons war nicht viel zu erwarten. Sie hatten offenbar keine Lust zu raufen, sie wollten essen und trinken. Da schleuderte der Baron einen Fuß über die Bank, drehte seine rechte Schnurrbarthälfte um seine Faust, heftete den Blick in die Ecke, wo die Grauen Offiziere saßen, und erklärte:
»Aber ich, meine Herrn, ich fürchte nicht einmal den Teufel! Ich zertrete das Graue Geschmeiß, wo es mir unter die Füße kommt!«
»Was winselt dieses Bierfaß dort?« erkundigte sich ein Grauer Hauptmann mit langem Gesicht lautstark.
Der Baron lächelte zufrieden. Er erhob sich mit Getöse vom Tisch und sprang mit seinem schweren Körper auf die Bank. Rumata zog die Brauen hoch und machte sich an seinen zweiten Flügel. »He da, Graue Höllenbrut!« brüllte der Baron so laut, als wären die Offiziere kilometerweit von ihm entfernt. »Wisset, daß vor drei Tagen ich, Baron Pampa Don Bau, den Euren einen hübschen Denkzettel verpaßt habe. Sie verstehen, mein Freund«, wandte er sich von der Zimmerdecke herunter an Don Rumata, »da habe ich zusammen mit Vater Kabani am Abend bei mir im Schloß ein ganz klein wenig getrunken. Plötzlich kommt mein Pferdeknecht dahergelaufen und meldet, daß eine Rotte Grauer dabei ist, die Schenke Zum goldenen Hufeisen zu zertrümmern. Meine Schenke. Auf meinem eigenen Grund und Boden! Ich kommandiere: Auf die Pferde! Und schon waren wir dort. Ich schwöre Ihnen bei meinen Sporen, es war eine ganze Rotte, so an die zwanzig Mann! Sie hatten drei meiner Leute geschnappt, sich dann besoffen wie die Schweine – trinken können diese Krämer nicht! – und begannen gerade, alles kurz und klein zu schlagen. Ich faßte einen an den Beinen, und los ging das fröhliche Treiben. Ich jagte sie bis zu den Schweren Schwertern … Blut gab es – Sie werden es nicht glauben, mein Freund –, Blut bis zu den Knien, und Kampfbeile blieben weiß Gott wie viele zurück!«
Hier wurde die Erzählung des Barons unterbrochen. Der Hauptmann mit dem langen Gesicht holte mit der Hand aus, und sein schweres Wurfmesser krachte gegen den Brustpanzer des Barons. »Na also!« sagte der Baron und zog einen riesigen Zweihänder aus der Scheide.
Mit unerwarteter Geschicklichkeit sprang er auf den Boden, sein Schwert durchschnitt in einem glitzernden Bogen die Luft und hieb einen Stützbalken durch. Der Baron fluchte. Die Decke senkte sich ein wenig, und auf die Köpfe rieselte der Verputz. Jetzt waren alle auf den Beinen. Die verarmten Dons drückten sich an die Wand. Die jungen Aristokraten kletterten auf den Tisch, um besser zu sehen. Die Grauen bildeten mit gezogenen Klingen einen Halbkreis und näherten sich mit ganz kleinen Schritten dem Baron. Nur Rumata blieb sitzen und überlegte, an welcher Seite des Barons er aufstehen könnte, ohne unter das Schwert zu geraten. Die breite Schwertklinge zischte unheilverkündend durch die Luft und beschrieb blitzende Kreise über dem Kopf des Barons. Der Baron konnte einen in Begeisterung versetzen. Es war an ihm etwas von einem Lasthubschrauber mit dem Propeller im Leerlauf. Als sie ihn von drei Seiten umzingelt hatten, waren die Grauen gezwungen, stehenzubleiben. Einer von ihnen stand unglücklicherweise mit dem Rücken zu Rumata, und Rumata beugte sich über den Tisch, faßte ihn am Kragen, warf ihn auf den Rücken gegen einige Teller mit Überbleibseln und versetzte ihm mit der Handkante einen Schlag hinters Ohr. Der Graue schloß die Augen und wurde steif. Der Baron schrie:
»Schneiden Sie ihm die Gurgel durch, edler Rumata, die übrigen erledige ich!«
Er wird sie alle umbringen, dachte Rumata mit Unbehagen. »Aufgepaßt!« sagte er zu den Grauen. »Wir werden uns doch nicht gegenseitig den schönen Abend verderben. Ihr kommt nicht gegen uns auf. Werft die Waffen weg und haut ab!«
»Das wäre ja noch schöner!« entgegnete der Baron aufgebracht. »Ich will mich schlagen! Sie sollen sich schlagen! Schlagt euch doch, ihr Teufel!«
Mit diesen Worten ging er auf die Grauen los, wobei er sein Schwert immer schneller über dem Kopf wirbeln ließ. Die Grauen wichen zurück und wurden bleich. Offenbar sahen sie zum erstenmal in ihrem Leben einen Lasthubschrauber. Rumata sprang über den Tisch. »Halten Sie ein, mein Freund!« sagte er. »Wir haben überhaupt keinen Grund, uns mit diesen Leuten zu streiten. Ihnen gefällt ihre Anwesenheit hier nicht? Schön, sollen sie weggehen!«
»Ohne Waffen gehen wir nicht«, sagte einer der Leutnants mürrisch. »Wir werden bestraft. Ich bin auf Patrouille.«
»Hol euch der Teufel, so geht eben mit den Waffen«, entschied Rumata. »Die Klingen in die Scheide, Hände hinter den Kopf, und einzeln hinaustreten! Und keine Faxen! Oder ich zerschlage euch die Knochen!«
»Wie sollen wir denn hinausgehen?« erkundigte sich gereizt der Hauptmann mit dem langen Gesicht. »Dieser Don versperrt uns doch den Weg!«
»Und werde ihn auch weiter versperren!« sagte der Baron starrköpfig.
Die jungen Dons lachten spöttisch.
»Nun gut«, sagte Rumata. »Ich werde den Baron halten, und ihr geht hinaus, einer nach dem andern, aber rasch … Lang werde ich ihn nicht halten können! He, dort in der Tür, gebt den Eingang frei!… Baron«, sagte er und faßte Pampa um die breite Taille, »mir scheint, Sie haben einen wichtigen Umstand vergessen. Dieses berühmte Schwert wurde doch von Ihren Vorfahren nur zum edlen Kampf verwendet, denn es steht geschrieben: Zieh nicht in den Tavernen! «
Auf dem Gesicht des Barons, der unterdessen noch immer sein Schwert drehte, erschien ein Anflug von Nachdenklichkeit. »Aber ich habe doch kein anderes Schwert«, sagte er unschlüssig. »Um so mehr …!« sagte Rumata bedeutungsvoll. »Glauben Sie …?« Der Baron schwankte noch immer. »Sie wissen es doch besser als ich!«
»Ja«, sagte der Baron, »Sie haben recht.« Er schaute zu seinen wütend wirbelnden Händen auf. »Sie werden es nicht glauben, Don Rumata, aber ich halte das drei oder vier Stunden hintereinander aus und werde überhaupt nicht müde dabei … Ach, warum kann sie mich jetzt nicht sehen?!«
»Ich werde es ihr berichten«, versprach Rumata. Der Baron seufzte und senkte das Schwert. Die Grauen schlichen geduckt an ihm vorbei. Der Baron blickte ihnen nach. »Ich weiß nicht, ich weiß nicht …«, sagte er unschlüssig. »Was glauben Sie, habe ich richtig gehandelt, daß ich keinem von ihnen die Knochen zerschlagen habe?«
»Vollkommen richtig gehandelt«, versicherte Rumata. »Nun also«, sagte der Baron, als er sein Schwert in die Scheide steckte. »Wenn es uns schon nicht geglückt ist, uns zu schlagen, dann wollen wir wenigstens ordentlich trinken und etwas dazu zu beißen haben.« Er zog den Grauen Leutnant, der noch immer bewußtlos war, an den Beinen vom Tisch herunter und krähte mit schallender Stimme: »He, Wirt! Wein und was Anständiges zu essen!« Die jungen Aristokraten kamen an den Tisch und gratulierten untertänigst zum Sieg.
»Kleinigkeit, Kleinigkeit!« sagte der Baron selbstgefällig. »Sechs magere Milchbärte – und feige wie alle Krämer. Im Goldenen Hufeisen habe ich zwei Dutzend von der Sorte verjagt … Wie gut«, wandte er sich an Rumata, »daß ich damals nicht mein Kampfschwert bei mir hatte! Aus Zerstreutheit hätte ich es entblößen können. Obwohl ja das Goldene Hufeisen eigentlich keine Taverne ist, sondern bloß eine Schenke …«
»Manche behaupten auch«, sagte Rumata, »daß es heißt: Zieh nicht in den Schenken! «
Die Wirtin brachte neue Schüsseln mit Fleisch und mehr Wein. Der Baron krempelte die Ärmel auf und machte sich an die Arbeit. »Übrigens«, sagte Rumata, »wer waren denn die drei Gefangenen, die Sie im Goldenen Hufeisen befreiten?«
Der Baron hörte auf zu kauen und starrte Rumata an. »Aber, mein teurer Freund, ich habe mich wohl nicht deutlich genug ausgedrückt. Ich hab niemanden befreit. Ja, ja, sie waren verhaftet, aber das ist eine Angelegenheit des Staates … Warum hätte ich sie befreien sollen? Irgendein Don wahrscheinlich, ein großer Feigling, ein alter Bücherwurm und sein Diener …« Er zuckte mit den Schultern. »Ja, natürlich«, sagte Rumata.
Da schoß dem Baron plötzlich das Blut ins Gesicht, und er rollte seine Augen furchterregend. »Was?! Schon wieder?!« brüllte er.
Rumata drehte sich um. In der Tür stand Don Ripat. Der Baron fuhr auf und warf dabei Bänke und Schüsseln um. Don Ripat blickte Rumata bedeutungsvoll an und ging wieder hinaus. »Ich bitte um Vergebung, Baron«, sagte Rumata im Aufstehen. »Der Dienst des Königs ruft …«