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Ich erzähle noch die Geschichte des» Rings«. Sie gehört hierher. Auch sie ist eine Erlösungsgeschichte: nur dass dies Mal Wagner es ist, der erlöst wird. — Wagner hat, sein halbes Leben lang, an die Revolution geglaubt, wie nur irgend ein Franzose an sie geglaubt hat. Er suchte nach ihr in der Runenschrift des Mythus, er glaubte in Siegfried den typischen Revolutionär zu finden. — »Woher stammt alles Unheil in der Welt?«fragte sich Wagner. Von» alten Verträgen«: antwortete er, gleich allen Revolutions-Ideologen. Auf deutsch: von Sitten, Gesetzen, Moralen, Institutionen, von Alledem, worauf die alte Welt, die alte Gesellschaft ruht.»Wie schafft man das Unheil aus der Welt? Wie schafft man die alte Gesellschaft ab?«Nur dadurch, dass man den» Verträgen«(dem Herkommen, der Moral) den Krieg erklärt. Das thut Siegfried. Er beginnt früh damit, sehr früh: seine Entstehung ist bereits eine Kriegserklärung an die Moral — er kommt aus Ehebruch, aus Blutschande zur Welt… Nicht die Sage, sondern Wagner ist der Erfinder dieses radikalen Zugs; an diesem Punkte hat er die Sage corrigirt… Siegfried fährt fort, wie er begonnen hat: er folgt nur dem ersten Impulse, er wirft alles Ueberlieferte, alle Ehrfurcht, alle Furcht über den Haufen. Was ihm missfällt, sticht er nieder. Er rennt alten Gottheiten unehrerbietig wider den Leib. Seine Hauptunternehmung aber geht dahin, das Weib zu emancipiren — »Brünnhilde zu erlösen«… Siegfried und Brünnhilde; das Sakrament der freien Liebe; der Aufgang des goldnen Zeitalters; die Götterdämmerung der alten Moral — das Uebel ist abgeschafft… Wagner's Schiff lief lange Zeit lustig auf dieser Bahn. Kein Zweifel, Wagner suchte auf ihr sein höchstes Ziel. — Was geschah? Ein Unglück. Das Schiff fuhr auf ein Riff; Wagner sass fest. Das Riff war die Schopenhauerische Philosophie; Wagner sass auf einer conträren Weltansicht fest. Was hatte er in Musik gesetzt? Den Optimismus. Wagner schämte sich. Noch dazu einen Optimismus, für den Schopenhauer ein böses Beiwort geschaffen hatte — den ruchlosen Optimismus. Er schämte sich noch einmal. Er besann sich lange, seine Lage schien verzweifelt… Endlich dämmerte ihm ein Ausweg: das Riff, an dem er scheiterte, wie? wenn er es als Ziel, als Hinterabsicht, als eigentlichen Sinn seiner Reise interpretirte? Hier zu scheitern — das war auch ein Ziel. Bene navigavi, cum naufragium feci… Und er übersetzte den» Ring «in's Schopenhauerische. Alles läuft schief, Alles geht zu Grunde, die neue Welt ist so schlimm, wie die alte: — das Nichts, die indische Circe winkt… Brünnhilde, die nach der ältern Absicht sich mit einem Liede zu Ehren der freien Liebe zu verabschieden hatte, die Welt auf eine socialistische Utopie vertröstend, mit der» Alles gut wird«, bekommt jetzt etwas Anderes zu thun. Sie muss erst Schopenhauer studiren; sie muss das vierte Buch der» Welt als Wille und Vorstellung «in Verse bringen. Wagner war erlöst… Allen Ernstes, dies war eine Erlösung. Die Wohlthat, die Wagner Schopenhauern verdankt, ist unermesslich. Erst der Philosoph der décadence gab dem Künstler der décadence sich selbst —
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Dem Künstler der décadence — da steht das Wort. Und damit beginnt mein Ernst. Ich bin ferne davon, harmlos zuzuschauen, wenn dieser décadent uns die Gesundheit verdirbt — und die Musik dazu! Ist Wagner überhaupt ein Mensch? Ist er nicht eher eine Krankheit? Er macht Alles krank, woran er rührt, — er hat die Musik krank gemacht —
Ein typischer décadent, der sich nothwendig in seinem verderbten Geschmack fühlt, der mit ihm einen höheren Geschmack in Anspruch nimmt, der seine Verderbniss als Gesetz, als Fortschritt, als Erfüllung in Geltung zu bringen weiss.
Und man wehrt sich nicht. Seine Verführungskraft steigt in's Ungeheure, es qualmt um ihn von Weihrauch, das Missverständniss über ihn heisst sich» Evangelium«— er hat durchaus nicht bloss die Armen des Geistes zu sich überredet!
Ich habe Lust, ein wenig die Fenster aufzumachen. Luft! Mehr Luft! —
Dass man sich in Deutschland über Wagner betrügt, befremdet mich nicht. Das Gegentheil würde mich befremden. Die Deutschen haben sich einen Wagner zurecht gemacht, den sie verehren können: sie waren noch nie Psychologen, sie sind damit dankbar, dass sie missverstehn. Aber dass man sich auch in Paris über Wagner betrügt! wo man beinahe nichts Andres mehr ist als Psycholog. Und in Sankt-Petersburg! wo man Dinge noch erräth, die selbst in Paris nicht errathen werden. Wie verwandt muss Wagner der gesammten europäischen décadence sein, dass er von ihr nicht als décadent empfunden wird! Er gehört zu ihr: er ist ihr Protagonist, ihr grösster Name… Man ehrt sich, wenn man ihn in die Wolken hebt. — Denn dass man nicht gegen ihn sich wehrt, das ist selbst schon ein Zeichen von décadence. Der Instinkt ist geschwächt. Was man zu scheuen hätte, das zieht an. Man setzt an die Lippen, was noch schneller in den Abgrund treibt. — Will man ein Beispiel? Aber man hat nur das régime zu beobachten, das sich Anämische oder Gichtische oder Diabetiker selbst verordnen. Definition des Vegetariers: ein Wesen, das eine corroborirende Diät nöthig hat. Das Schädliche als schädlich empfinden, sich etwas Schädliches verbieten können ist ein Zeichen noch von Jugend, von Lebenskraft. Den Erschöpften lockt das Schädliche: den Vegetarier das Gemüse. Die Krankheit selbst kann ein Stimulans des Lebens sein: nur muss man gesund genug für dies Stimulans sein! — Wagner vermehrt die Erschöpfung: deshalb zieht er die Schwachen und Erschöpften an. Oh über das Klapperschlangen-Glück des alten Meisters, da er gerade immer» die Kindlein «zu sich kommen sah! —
Ich stelle diesen Gesichtspunkt voran: Wagner's Kunst ist krank. Die Probleme, die er auf die Bühne bringt — lauter Hysteriker-Probleme — , das Convulsivische seines Affekts, seine überreizte Sensibilität, sein Geschmack, der nach immer schärfern Würzen verlangte, seine Instabilität, die er zu Principien verkleidete, nicht am wenigsten die Wahl seiner Helden und Heldinnen, diese als physiologische Typen betrachtet (- eine Kranken-Galerie! — ): Alles zusammen stellt ein Krankheitsbild dar, das keinen Zweifel lässt. Wagner est une névrose. Nichts ist vielleicht heute besser bekannt, Nichts jedenfalls besser studirt als der Proteus-Charakter der Degenerescenz, der hier sich als Kunst und Künstler verpuppt. Unsre Aerzte und Physiologen haben in Wagner ihren interessantesten Fall, zum Mindesten einen sehr vollständigen. Gerade, weil Nichts moderner ist als diese Gesammterkrankung, diese Spätheit und Überreiztheit der nervösen Maschinerie, ist Wagner der moderne Künstler par excellence, der Cagliostro der Modernität. In seiner Kunst ist auf die verführerischeste Art gemischt, was heute alle Welt am nöthigsten hat, — die drei grossen Stimulantia der Erschöpften, das Brutale, das Künstliche und das Unschuldige (Idiotische).
Wagner ist ein grosser Verderb für die Musik. Er hat in ihr das Mittel errathen, müde Nerven zu reizen, — er hat die Musik damit krank gemacht. Seine Erfindungsgabe ist keine kleine in der Kunst, die Erschöpftesten wieder aufzustacheln, die Halbtodten in's Leben zu rufen. Er ist der Meister hypnotischer Griffe, er wirft die Stärksten noch wie Stiere um. Der Erfolg Wagner's — sein Erfolg bei den Nerven und folglich bei den Frauen — hat die ganze ehrgeizige Musiker-Welt zu Jüngern seiner Geheimkunst gemacht. Und nicht nur die ehrgeizige, auch die kluge… Man macht heute nur Geld mit kranker Musik; unsre grossen Theater leben von Wagner.
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— Ich gestatte mir wieder eine Erheiterung. Ich setze den Fall, dass der Erfolg Wagner's leibhaft würde, Gestalt annähme, dass er, verkleidet zum menschenfreundlichen Musikgelehrten, sich unter junge Künstler mischte. Wie meinen Sie wohl, dass er sich da verlautbarte? —
Meine Freunde, würde er sagen, reden wir fünf Worte unter uns. Es ist leichter, schlechte Musik zu machen als gute. Wie? wenn es ausserdem auch noch vortheilhafter wäre? wirkungsvoller, überredender, begeisternder, zuverlässiger? wagnerischer?… Pulchrum est paucorum hominum. Schlimm genug! Wir verstehn Latein, wir verstehn vielleicht auch unsern Vortheil. Das Schöne hat seinen Haken: wir wissen das. Wozu also Schönheit? Warum nicht lieber das Grosse, das Erhabne, das Gigantische, Das, was die Massen bewegt? — Und nochmals: es ist leichter, gigantisch zu sein als schön; wir wissen das…
Wir kennen die Massen, wir kennen das Theater. Das Beste, was darin sitzt, deutsche Jünglinge, gehörnte Siegfriede und andre Wagnerianer, bedarf des Erhabenen, des Tiefen, des Überwältigenden. So viel vermögen wir noch. Und das Andre, das auch noch darin sitzt, die Bildungs-Cretins, die kleinen Blasirten, die Ewig-Weiblichen, die Glücklich-Verdauenden, kurz das Volk- bedarf ebenfalls des Erhabenen, des Tiefen, des Überwältigenden. Das hat Alles einerlei Logik.»Wer uns umwirft, der ist stark; wer uns erhebt, der ist göttlich; wer uns ahnen macht, der ist tief.«— Entschliessen wir uns, meine Herrn Musiker: wir wollen sie umwerfen, wir wollen sie erheben, wir wollen sie ahnen machen. So viel vermögen wir noch.
Was das Ahnen-machen betrifft: so nimmt hier unser Begriff» Stil «seinen Ausgangspunkt. Vor Allem kein Gedanke! Nichts ist compromittirender als ein Gedanke! Sondern der Zustand vor dem Gedanken, das Gedräng der noch nicht geborenen Gedanken, das Versprechen zukünftiger Gedanken, die Welt, wie sie war, bevor Gott sie schuf, — eine Recrudescenz des Chaos… Das Chaos macht ahnen…
In der Sprache des Meisters geredet: Unendlichkeit, aber ohne Melodie.
Was, zuzweit, das Umwerfen angeht, so gehört dies zum Theil schon in die Physiologie. Studiren wir vor Allem die Instrumente. Einige von ihnen überreden selbst noch die Eingeweide (- sie öffnen die Thore, mit Händel zu reden), andre bezaubern das Rückenmark. Die Farbe des Klangs entscheidet hier; was erklingt, ist beinahe gleichgültig. Raffiniren wir in diese in Punkte! Wozu uns sonst verschwenden? Seien wir im Klang charakteristisch bis zur Narrheit! Man rechnet es unserm Geiste zu, wenn wir mit Klängen viel zu rathen geben! Agaçiren wir die Nerven, schlagen wir sie todt, handhaben wir Blitz und Donner, — das wirft um…
Vor Allem aber wirft die Leidenschaft um. — Verstehen wir uns über die Leidenschaft. Nichts ist wohlfeiler als die Leidenschaft! Man kann aller Tugenden des Contrapunktes entrathen, man braucht Nichts gelernt zu haben, — die Leidenschaft kann man immer! Die Schönheit ist schwierig: hüten wir uns vor der Schönheit!… Und gar die Melodie! Verleumden wir, meine Freunde, verleumden wir, wenn anders es uns ernst ist mit dem Ideale, verleumden wir die Melodie! Nichts ist gefährlicher als eine schöne Melodie! Nichts verdirbt sicherer den Geschmack! Wir sind verloren, meine Freunde, wenn man wieder schöne Melodien liebt!…
Grundsatz: die Melodie ist unmoralisch. Beweis: Palestrina. Nutzanwendung: Parsifal. Der Mangel an Melodie heiligt selbst…
Und dies ist die Definition der Leidenschaft. Leidenschaft — oder die Gymnastik des Hässlichen auf dem Seile der Enharmonik. — Wagen wir es, meine Freunde, hässlich zu sein! Wagner hat es gewagt! Wälzen wir unverzagt den Schlamm der widrigsten Harmonien vor uns her! Schonen wir unsre Hände nicht! Erst damit werden wir natürlich…
Einen letzten Rath! Vielleicht fasst er Alles in Eins. — Seien wir Idealisten! — Dies ist, wenn nicht das Klügste, so doch das Weiseste, was wir thun können. Um die Menschen zu erheben, muss man selbst erhaben sein. Wandeln wir über Wolken, haranguiren wir das Unendliche, stellen wir die grossen Symbole um uns herum! Sursum! Bumbum! — es giebt keinen besseren Rath. Der» gehobene Busen «sei unser Argument, das» schöne Gefühl «unser Fürsprecher. Die Tugend behält Recht noch gegen den Contrapunkt.»Wer uns verbessert, wie sollte der nicht selbst gut sein?«so hat die Menschheit immer geschlossen. Verbessern wir also die Menschheit! — damit wird man gut (damit wird man selbst» Klassiker«: — Schiller wurde» Klassiker«). Das Haschen nach niederem Sinnesreiz, nach der sogenannten Schönheit hat den Italiäner entnervt: bleiben wir deutsch! Selbst Mozart's Verhältniss zur Musik — Wagner hat es uns zum Trost gesagt! — war im Grunde frivol… Lassen wir niemals zu, dass die Musik» zur Erholung diene«; dass sie» erheitere«; dass sie» Vergnügen mache«. Machen wir nie Vergnügen! — wir sind verloren, wenn man von der Kunst wieder hedonistisch denkt… Das ist schlechtes achtzehntes Jahrhundert… Nichts dagegen dürfte räthlicher sein, bei Seite gesagt, als eine Dosis — Mucker thum, sit venia verbo. Das giebt Würde. — Und wählen wir die Stunde, wo es sich schickt, schwarz zu blicken, öffentlich zu seufzen, christlich zu seufzen, das grosse christliche Mitleiden zur Schau zu stellen. Der Mensch ist verderbt: wer erlöst ihn?» was erlöst ihn?«— Antworten wir nicht. Seien wir vorsichtig. Bekämpfen wir unsern Ehrgeiz, welcher Religionen stiften möchte. Aber Niemand darf zweifeln, dass wir ihn erlösen, dass unsre Musik allein erlöst… (Wagner's Aufsatz» Religion und Kunst«.)
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Genug! Genug! Man wird, fürchte ich, zu deutlich nur unter meinen heitern Strichen die sinistre Wirklichkeit wiedererkannt haben — das Bild eines Verfalls der Kunst, eines Verfalls auch der Künstler. Der letztere, ein Charakter-Verfall, käme vielleicht mit dieser Formel zu einem vorläufigen Ausdruck: der Musiker wird jetzt zum Schauspieler, seine Kunst entwickelt sich immer mehr als ein Talent zu lügen. Ich werde eine Gelegenheit haben (in einem Capitel meines Hauptwerks, das den Titel führt» Zur Physiologie der Kunst«), des Näheren zu zeigen, wie diese Gesammtverwandlung der Kunst in's Schauspielerische eben so bestimmt ein Ausdruck physiologischer Degenerescenz (genauer, eine Form des Hysterismus) ist, wie jede einzelne Verderbniss und Gebrechlichkeit der durch Wagner inaugurirten Kunst: zum Beispiel die Unruhe ihrer Optik, die dazu nöthigt, in jedem Augenblick die Stellung vor ihr zu wechseln. Man versteht Nichts von Wagner, so lange man in ihm nur ein Naturspiel, eine Willkür und Laune, eine Zufälligkeit sieht. Er war kein» lückenhaftes«, kein» verunglücktes«, kein» contradiktorisches «Genie, wie man wohl gesagt hat. Wagner war etwas Vollkommnes, ein typischer décadent, bei dem jeder» freie Wille «fehlt, jeder Zug Nothwendigkeit hat. Wenn irgend Etwas interessant ist an Wagner, so ist es die Logik, mit der ein physiologischer Missstand als Praktik und Prozedur, als Neuerung in den Principien, als Krisis des Geschmacks Schluss für Schluss, Schritt für Schritt macht.
Ich halte mich dies Mal nur bei der Frage des Stils auf. — Womit kennzeichnet sich jede litterarische décadence? Damit, dass das Leben nicht mehr im Ganzen wohnt. Das Wort wird souverain und springt aus dem Satz hinaus, der Satz greift über und verdunkelt den Sinn der Seite, die Seite gewinnt Leben auf Unkosten des Ganzen — das Ganze ist kein Ganzes mehr. Aber das ist das Gleichniss für jeden Stil der décadence: jedes Mal Anarchie der Atome, Disgregation des Willens,»Freiheit des Individuums«, moralisch geredet, — zu einer politischen Theorie erweitert» gleiche Rechte für Alle«. Das Leben, die gleiche Lebendigkeit, die Vibration und Exuberanz des Lebens in die kleinsten Gebilde zurückgedrängt, der Rest arm an Leben. überall Lähmung, Mühsal, Erstarrung oder Feindschaft und Chaos: beides immer mehr in die Augen springend, in je höhere Formen der Organisation man aufsteigt. Das Ganze lebt überhaupt nicht mehr: es ist zusammengesetzt, gerechnet, künstlich, ein Artefakt. —