Und wie man Wagnern verstand! — Dieselbe Art Mensch, die für Hegel geschwärmt, schwärmt heute für Wagner; in seiner Schule schreibt man sogar Hegelisch! — Vor Allen verstand ihn der deutsche Jüngling. Die zwei Worte» unendlich «und» Bedeutung «genügten bereits: ihm wurde dabei auf eine unvergleichliche Weise wohl. Es ist nicht die Musik, mit der Wagner sich die Jünglinge erobert hat, es ist die» Idee«: — es ist das Räthselreiche seiner Kunst, ihr Versteckspielen unter hundert Symbolen, ihre Polychromie des Ideals, was diese Jünglinge zu Wagner führt und lockt;»es ist Wagner's Genie der Wolkenbildung, sein Greifen, Schweifen und Streifen durch die Lüfte, sein Überall und Nirgendswo, genau Dasselbe, womit sie seiner Zeit Hegel verführt und verlockt hat! — Inmitten von Wagner's Vielheit, Fülle und Willkür sind sie wie bei sich selbst gerechtfertigt — »erlöst«—. Sie hören mit Zittern, wie in seiner Kunst die grossen Symbole aus vernebelter Ferne mit sanftem Donner laut werden; sie sind nicht ungehalten, wenn es zeitweilig grau, grässlich und kalt in ihr zugeht. Sind sie doch sammt und sonders, gleich Wagnern selbst, verwandt mit dem schlechten Wetter, dem deutschen Wetter! Wotan ist ihr Gott: aber Wotan ist der Gott des schlechten Wetters… Sie haben Recht, diese deutschen Jünglinge, so wie sie nun einmal sind: wie könnten sie vermissen, was wir Anderen, was wir Halkyonier bei Wagnern vermissen — la gaya scienza; die leichten Füsse; Witz, Feuer, Anmuth; die grosse Logik; den Tanz der Sterne; die übermüthige Geistigkeit; die Lichtschauder des Südens; das glatte Meer — Vollkommenheit…
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Ich habe erklärt, wohin Wagner gehört — nicht in die Geschichte der Musik. Was bedeutet er trotzdem in deren Geschichte? Die Heraufkunft des Schauspielers in der Musik: ein capitales Ereigniss, das zu denken, das vielleicht auch zu fürchten giebt. in Formel:»Wagner und Liszt.«— Noch nie wurde die Rechtschaffenheit der Musiker, ihre» Echtheit «gleich gefährlich auf die Probe gestellt. Man greift es mit Händen: Der grosse Erfolg, der Massen-Erfolg ist nicht mehr auf Seite der Echten, — man muss Schauspieler sein, ihn zu haben! — Victor Hugo und Richard Wagner — sie bedeuten Ein und Dasselbe: dass in Niedergangs-Culturen, dass überall, wo den Massen die Entscheidung in die Hände fällt, die Echtheit überflüssig, nachtheilig, zurücksetzend wird. Nur der Schauspieler weckt noch die grosse Begeisterung. — Damit kommt für den Schauspieler das goldene Zeitalter herauf — für ihn und für Alles, was seiner Art verwandt ist. Wagner marschirt mit Trommeln und Pfeifen an der Spitze aller Künstler des Vortrags, der Darstellung, des Virtuosenthums; er hat zuerst die Kapellmeister, die Maschinisten und Theatersänger überzeugt. Nicht zu vergessen die Orchestermusiker: — er» erlöste «diese von der Langenweile… Die Bewegung, die Wagner schuf, greift selbst in das Gebiet der Erkenntniss über: ganze zugehörige Wissenschaften tauchen langsam aus jahrhundertealter Scholastik empor. Ich hebe, um ein Beispiel zu geben, mit Auszeichnung die Verdienste Riemann's um die Rhythmik hervor, des Ersten, der den Hauptbegriff der Interpunktion auch für die Musik geltend gemacht hat (leider vermittelst eines hässlichen Wortes: er nennt's» Phrasirung«). — Dies Alles sind, ich sage es mit Dankbarkeit, die Besten unter den Verehrern Wagner's, die Achtungswürdigsten — sie haben einfach Recht, Wagnern zu verehren. Der gleiche Instinkt verbindet sie mit einander, sie sehen in ihm ihren höchsten Typus, sie fühlen sich zur Macht, zur Grossmacht selbst umgewandelt, seit er sie mit seiner eignen Gluth entzündet hat. Hier nämlich, wenn irgendwo, ist der Einfluss Wagner's wirklich wohlthätig gewesen. Noch nie ist in dieser Sphäre so viel gedacht, gewollt, gearbeitet worden. Wagner hat allen diesen Künstlern ein neues Gewissen eingegeben: was sie jetzt von sich fordern, von sich erlangen, das haben sie nie vor Wagner von sich gefordert — sie waren früher zu bescheiden dazu. Es herrscht ein andrer Geist am Theater, seit Wagner's Geist daselbst herrscht: man verlangt das Schwerste, man tadelt hart, man lobt selten, — das Gute, das Ausgezeichnete gilt als Regel. Geschmack thut nicht mehr Noth; nicht einmal Stimme. Man singt Wagner nur mit ruinirter Stimme: das wirkt» dramatisch«. Selbst Begabung ist ausgeschlossen. Das espressivo um jeden Preis, wie es das Wagnerische Ideal, das décadence-Ideal verlangt, verträgt sich schlecht mit Begabung. Dazu gehört bloss Tugend — will sagen Dressur, Automatismus,»Selbstverleugnung. «Weder Geschmack, noch Stimme, noch Begabung: die Bühne Wagner's hat nur Eins nöthig — Germanen!… Definition des Germanen: Gehorsam und lange Beine… Es ist voll tiefer Bedeutung, dass die Heraufkunft Wagner's zeitlich mit der Heraufkunft des» Reichs «zusammenfällt: beide Thatsachen beweisen Ein und Dasselbe — Gehorsam und lange Beine. — Nie ist besser gehorcht, nie besser befohlen worden. Die Wagnerischen Kapellmeister in Sonderheit sind eines Zeitalters würdig, das die Nachwelt einmal mit scheuer Ehrfurcht das klassische Zeitalter des Kriegs nennen wird. Wagner verstand zu commandiren; er war auch damit der grosse Lehrer. Er commandirte als der unerbittliche Wille zu sich, als die lebenslängliche Zucht an sich: Wagner, der vielleicht das grösste Beispiel der Selbstvergewaltigung abgiebt, das die Geschichte der Künste hat (- selbst Alfieri, sonst sein Nächstverwandter, ist noch überboten. Anmerkung eines Turiners).
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Mit dieser Einsicht, dass unsre Schauspieler verehrungswürdiger als je sind, ist ihre Gefährlichkeit nicht als geringer begriffen… Aber wer zweifelt noch daran, was ich will, — was die drei Forderungen sind, zu denen mir diesmal mein Ingrimm, meine Sorge, meine Liebe zur Kunst den Mund geöffnet hat?
Dass das Theater nicht Herr über die Künste wird.
Dass der Schauspieler nicht zum Verführer der Echten wird.
Dass die Musik nicht zu einer Kunst zu lügen wird.
FRIEDRICH NIETZSCHE.
Nachschrift
— Der Enst der letzten Worte erlaubt mir, an dieser Stelle noch einige Sätze aus einer ungedruckten Abhandlung mitzutheilen, welche zum Mindesten über meinen Ernst in dieser Sache keinen Zweifel lassen. Jene Abhandlung ist betitelt: Was Wagner uns kostet.
Die Anhängerschaft an Wagner zahlt sich theuer. Ein dunkles Gefühl hierüber ist auch heute noch vorhanden. Auch der Erfolg Wagner's, sein Sieg, riss dies Gefühl nicht in der Wurzel aus. Aber ehemals war es stark, war es furchtbar, war es wie ein düsterer Hass — fast drei Viertheile von Wagner's Leben hindurch. Jener Widerstand, den er bei uns Deutschen fand, kann nicht hoch genug geschätzt und zu Ehren gebracht werden. Man wehrte sich gegen ihn wie gegen eine Krankheit, nicht mit Gründen — man widerlegt keine Krankheit sondern mit Hemmung, Misstrauen, Verdrossenheit, Ekel, mit einem finsteren Ernste, als ob in ihm eine grosse Gefahr herumschliche. Die Herren Aesthetiker haben sich blossgestellt, als sie, aus drei Schulen der deutschen Philosophie heraus, Wagner's Principien mit» wenn «und» denn «einen absurden Krieg machten — was lag ihm an Principien, selbst den eigenen! — Die Deutschen selbst haben genug Vernunft im Instinkt gehabt, um hier sich jedes» wenn «und» denn «zu verbieten. Ein Instinkt ist geschwächt, wenn er sich rationalisirt: denn damit, dass er sich rationalisirt, schwächt er sich. Wenn es Anzeichen dafür giebt, dass, trotz dem Gesammt-Charakter der europäischen décadence, noch ein Grad Gesundheit, noch eine Instinkt-Witterung für Schädliches und Gefahrdrohendes im deutschen Wesen wohnt, so möchte ich unter ihnen am wenigsten diesen dumpfen Widerstand gegen Wagner unterschätzt wissen. Er macht uns Ehre, er erlaubt selbst zu hoffen: so viel Gesundheit hätte Frankreich nicht mehr aufzuwenden. Die Deutschen, die Verzögerer par excellence in der Geschichte, sind heute das zurückgebliebenste Culturvolk Europa's: dies hat seinen Vortheil, — eben damit sind sie relativ das jüngste.
Die Anhängerschaft an Wagner zahlt sich theuer. Die Deutschen haben eine Art Furcht vor ihm vor ganz Kurzem erst verlernt, — die Lust, ihn loszusein, kam ihnen bei jeder Gelegenheit.*) — Erinnert man sich eines curiosen Umstandes noch, bei dem, ganz zuletzt, ganz unerwartet, jenes alte Gefühl wieder zum Vorschein kam? Es geschah beim Begräbnisse Wagner's, dass der erste deutsche Wagner-Verein, der Münchener, an seinem Grabe einen Kranz niederlegte, dessen Inschrift sofort berühmt wurde.»Erlösung dem Erlöser!«— lautete sie. Jedermann bewunderte die hohe Inspiration, die diese Inschrift diktirt hatte, Jedermann einen Geschmack, auf den die Anhänger Wagner's ein Vorrecht haben; Viele aber auch (es war seltsam genug!) machten an ihr dieselbe kleine Correctur:»Erlösung vom Erlöser!«— Man athmete auf. —
Die Anhängerschaft an Wagner zahlt sich theuer. Messen wir sie an ihrer Wirkung auf die Cultur. Wen hat eigentlich seine Bewegung in den Vordergrund gebracht? Was hat sie immer mehr in's Grosse gezüchtet? — Vor Allem die Anmaassung des Laien, des Kunst-Idioten. Das organisirt jetzt Vereine, das will seinen» Geschmack «durchsetzen, das möchte selbst in rebus musicis et musicantibus den Richter machen. Zuzweit: eine immer grössere Gleichgültigkeit gegen jede strenge, vornehme, gewissenhafte Schulung im Dienste der Kunst; an ihre Stelle gerückt den Glauben an das Genie, auf deutsch: den frechen Dilettantismus (- die Formel dafür steht in den Meistersingern). Zudritt und zuschlimmst: die Theatrokratie — , den Aberwitz eines Glaubens an den Vorrang des Theaters, an ein Recht auf Herrschaft des Theaters über die Künste, über die Kunst… Aber man soll es den Wagnerianern hundert Mal in's Gesicht sagen, was das Theater ist: immer nur ein Unterhalb der Kunst, immer nur etwas Zweites, etwas Vergröbertes, etwas für die Massen Zurechtgebogenes, Zurechtgelogenes! Daran hat auch Wagner Nichts verändert: Bayreuth ist grosse Oper — und nicht einmal gute Oper… Das Theater ist eine Form der Demolatrie in Sachen des Geschmacks, das Theater ist ein Massen-Aufstand, ein Plebiscit gegen den guten Geschmack… Dies eben beweist der Fall Wagner: er gewann die Menge, — er verdarb den Geschmack, er verdarb selbst für die Oper unsren Geschmack! —
Die Anhängerschaft an Wagner zahlt sich theuer. Was macht sie aus dem Geist? befreit Wagner den Geist? — Ihm eignet jede Zweideutigkeit, jeder Doppelsinn, Alles überhaupt, was die Ungewissen überredet, ohne ihnen zum Bewusstsein zu bringen, wofür sie überredet sind. Damit ist Wagner ein Verführer grossen Stils. Es giebt nichts Müdes, nichts Abgelebtes, nichts Lebensgefährliches und Weltverleumderisches in Dingen des Geistes, das von seiner Kunst nicht heimlich in Schutz genommen würde — es ist der schwärzeste Obskurantismus, den er in die Lichthüllen des Ideals verbirgt. Er schmeichelt jedem nihilistischen (- buddhistischen) Instinkte und verkleidet ihn in Musik, er schmeichelt jeder Christlichkeit, jeder religiösen Ausdrucksform der décadence. Man mache seine Ohren auf: Alles, was je auf dem Boden des verarmten Lebens aufgewachsen ist, die ganze Falschmünzerei der Transscendenz und des Jenseits, hat in Wagner's Kunst ihren sublimsten Fürsprecher — nicht in Formeln: Wagner ist zu klug für Formeln — sondern in einer Überredung der Sinnlichkeit, die ihrerseits wieder den Geist mürbe und müde macht. Die Musik als Circe… Sein letztes Werk ist hierin sein grösstes Meisterstück. Der Parsifal wird in der Kunst der Verführung ewig seinen Rang behalten, als der Geniestreich der Verführung… Ich bewundere dies Werk, ich möchte es selbst gemacht haben; in Ermangelung davon verstehe ich es… Wagner war nie besser inspirirt als am Ende. Das Raffinement im Bündniss von Schönheit und Krankheit geht hier so weit, dass es über Wagner's frühere Kunst gleichsam Schatten legt: — sie erscheint zu hell, zu gesund. Versteht ihr das? Die Gesundheit, die Helligkeit als Schatten wirkend? als Einwand beinahe?… So weit sind wir schon reine Thoren… Niemals gab es einen grösseren Meister in dumpfen hieratischen Wohlgerüchen, — nie lebte ein gleicher Kenner alles kleinen Unendlichen, alles Zitternden und Überschwänglichen, aller Femininismen aus dem Idiotikon des Glücks! — Trinkt nur, meine Freunde, die Philtren dieser Kunst! Ihr findet nirgends eine angenehmere Art, euren Geist zu entnerven, eure Männlichkeit unter einem Rosengebüsche zu vergessen… Ah dieser alte Zauberer! Dieser Klingsor aller Klingsore! Wie er uns damit den Krieg macht! uns, den freien Geistern! Wie er jeder Feigheit der modernen Seele mit Zaubermädchen-Tönen zu Willen redet! — Es gab nie einen solchen Todhass auf die Erkenntniss! — Man muss Cyniker sein, um hier nicht verführt zu werden, man muss beissen können, um hier nicht anzubeten. Wohlan, alter Verführer! Der Cyniker warnt dich — cave canem…
Die Anhängerschaft an Wagner zahlt sich theuer. Ich beobachte die Jünglinge, die lange seiner Infektion ausgesetzt waren. Die nächste, relativ unschuldige Wirkung ist die
*) Anmerkung. — War Wagner überhaupt ein Deutscher? Man hat einige Gründe, so zu fragen. Es ist schwer, in ihm irgend einen deutschen Zug ausfindig zu machen. Er hat, als der grosse Lerner, der er war, viel Deutsches nachmachen gelernt — das ist Alles. Sein Wesen selbst widerspricht dem, was bisher als deutsch empfunden wurde: nicht zu reden vom deutschen Musiker! — Sein Vater war ein Schauspieler Namens Geyer. Ein Geyer ist beinahe schon ein Adler… Das, was bisher als» Leben Wagner's «in Umlauf gebracht ist, ist fable convenue, wenn nicht Schlimmeres. Ich bekenne mein Misstrauen gegen jeden Punkt, der bloss durch Wagner selbst bezeugt ist. Er hatte nicht Stolz genug zu irgend einer Wahrheit über sich, Niemand war weniger stolz; er blieb, ganz wie Victor Hugo, auch im Biographischen sich treu, — er blieb Schauspieler.