Freilich war anzunehmen, daß ich nicht das erste Wesen sein würde, welches da eine Zuflucht suchte. Ich kroch hin und stocherte mit dem Bärentöter hinein; wirklich stöberte ich da allerlei Viehzeug auf; ich sah sogar zwei Klapperschlangen, welche die Flucht ergriffen. Das wäre eine sehr schlimme Gesellschaft für mich gewesen, und es war nur gut, daß sie nicht angriffsweise gegen den Ruhestörer vorgingen. Sie hatten wohl vor kurzem gefressen gehabt, und wenn diese Tiere gesättigt sind, hat man sie nicht so sehr zu fürchten, wie wenn sie Hunger haben.
Nun schob ich mich soweit wie möglich unter den Epheu hinein, hütete mich dabei aber sehr, irgend eine Ranke abzureißen, was mich den Roten sehr leicht hätte verraten können. Da vorauszusehen war, daß mein Aufenthalt an dieser Stelle kein kurzer sein werde, machte ich es mir möglichst bequem und wartete dann der Dinge, welche kommen würden. Ganz selbstverständlich sorgte ich dafür, daß ich durch den Epheu sehen und alles beobachten konnte.
Ein anderer wäre im Zweifel darüber gewesen, ob die Roten überhaupt kommen würden; ich aber war überzeugt, daß meine Vermutung richtig sei. Leider lag ich im Walde und nicht am Rande desselben, wo ich sie schon von weitem hätte sehen können.
Die Zeit vergeht einem unter solchen Umständen sehr langsam; die Minuten werden zu Stunden. Es war auch möglich, daß die Indsmen nicht die gerade Richtung einhielten und also den Wald an einer andern Stelle betraten. Wenn das der Fall sein sollte, so wurde mir die Ausführung meines Vorhabens erschwert.
Darum war ich herzlich froh, als ich endlich ein Geräusch hörte, welches sich mir näherte. Sie kamen, Erst sah ich zwei Rote, welche vorausgeritten waren, um nach einem geeigneten Platze zu suchen. Sie sahen sich um, und der eine sagte zum andern:
»Hier ist eine gute Stelle. Mein Bruder kann absteigen; ich werde die andern holen.«
Er ritt zurück, während sein Kamerad aus dem Sattel stieg und sein Pferd nach dem Wasser führte, um es trinken zu lassen. Nach kurzer Zeit kam der ganze Trupp, doch ohne den Häuptling. Ich sah die zwei Diener und die zwei Führer des Persers, welche gebunden waren, und ich sah zu meiner Freude auch die beiden Snuffles. Sie waren unverletzt und ritten ihre Maultiere. Meine List war also gelungen; man hatte diese beiden Tiere gefunden. Nur fragte es sich, ob die Snuffles so klug gewesen waren, nicht zu verraten, daß sie sich in Gesellschaft befunden hatten.
Die Gefangenen wurden aus den Sätteln gehoben und auf die Erde gelegt. Auch die Roten setzten sich und ließen ihre Pferde im Buschwerke nach Laub und Gras suchen. Erst jetzt durfte ich sicher sein, daß meine Spur unentdeckt bleiben werde.
Daß der Häuptling nicht gleich mitgekommen war, bekümmerte mich nicht im geringsten; es war mir im Gegenteile sehr lieb. To-kei-chun fühlte seine Würde und hielt es für derselben angemessen, nicht unter den gewöhnlichen Kriegern zu reiten, sondern ein Stück zurückzubleiben. Wenn er dies später ebenso that, stand zu erwarten, daß er nicht zu gleicher Zeit mit den andern aufbrechen, sondern noch einige Minuten warten werde. In diesem Falle bekam ich dadurch Gelegenheit, ihn in meine Gewalt zu bringen, wenn sich nicht schon vorher eine andere dazu fand.
Endlich kam er, wohl eine volle Viertelstunde später als die andern. Er stieg ab und setzte sich ganz nahe an den umgestürzten Baum, unter dessen Epheudecke ich lag. Er stopfte sich seine Friedenspfeife und rauchte sie in langsamen Zügen aus, ohne ein Wort zu sprechen. Seine Leute Waren ebenso schweigsam. Als er den letzten Zug gethan hatte, hing er sich die Pfeife wieder um den Hals und sagte zu den beiden Roten, welche zuerst gekommen waren:
»Mein Brüder mögen mir die beiden Bleichgesichter herbringen, welche Snuffles genannt werden.«
Jim und Tim wurden wie Säcke herbeigeschleppt und vor To-kei-chun niedergelegt. Dieser fixierte eine Zeitlang ihre Gesichter und sagte dann:
»Die beiden Snuffles mögen hören, was ich ihnen zu sagen habe, und mir endlich eine wahre Antwort geben. Sie sollen am Makik-Natun den Tod des Marterpfahles erleiden; aber wenn sie offen und ehrlich sprechen, werden wir ihnen die Freiheit geben. Haben sie den weißen Mann gekannt, der unser Gefangener war und gestern abend auf so unbegreifliche Weise verschwunden ist?«
Jim antwortete:
»Du legst uns diese Frage nun zum fünftenmal vor, und ich antworte zum fünftenmal ganz dasselbe: Wir haben ihn nicht gekannt.«
»Aber ihr wißt, wohin er ist?«
»Nein.«
»Er war gebunden, so fest gebunden, daß er sich nicht selbst losmachen konnte!«
»Du wirst dich irren; er wird eben nicht fest gebunden gewesen sein und hat sich selbst befreit.«
»Ich habe kurz vorher selbst seine Fesseln untersucht; sie waren gut.«
»So ist er wahrscheinlich ein Zauberer. Die Bleichgesichter haben ja auch ihre Medizinmänner und Tausendkünstler. So einem ist es sehr leicht, sich aus den festesten Banden zu befreien.«
»Nein. Es muß jemand dagewesen sein, der ihm die Riemen geöffnet hat.«
»Ganz unmöglich! Er lag ja mitten unter euch und wurde von euch allen bewacht.«
»Als wir dich und deinen Bruder fingen, gaben wir nicht auf ihn acht; in diesem Augenblicke ist er fort.«
»Trotzdem ihm die Hände und Füße gefesselt waren?«
»Ja. Es ist ein Bleichgesicht in der Nähe gewesen, welches den Augenblick benutzt und ihn fortgeschafft hat.«
»Einen Gefangenen aus siebzig Indianern herausgeholt? Das müßte ein verwegener, ja ein tollkühner Mann sein. Es gibt keinen vernünftigen Menschen, der dies wagen würde.«
»Es gibt einen, aber auch nur einen einzigen.«
»Wer wäre das?«
»Old Shatterhand. Ich kenne diesen weißen, räudigen Hund; ich weiß alles, was er gethan und gewagt hat. Er war einst mein Gefangener und hat uns gezwungen, ihn loszulassen. Das, was gestern abend geschah, ist ganz genau so, als ob er es gethan hätte. Wenn ich nicht wüßte, daß er weit von hier im Norden ist, um den Tod Winnetous, seines ebenso räudigen Bruders, zu rächen, so glaubte ich, er sei hier. Du hast mit deinem Bruder unser Lager beschlichen, als uns der Gefangene abhanden kam; ihr müßt den kennen, der ihn befreit hat.«
»Wir wissen nichts.«
»Das ist eine Lüge, welche euch das Leben kosten wird. Wenn ihr uns die Wahrheit sagtet, würden wir euch die Freiheit schenken.«
»Das ist auch eine Lüge!«
»Es ist keine!«
»Ich weiß, daß es nicht wahr ist und daß du uns durch dieses Versprechen zum Reden bringen willst.«
»Was To-kei-chun verspricht, das hält er!«
»Pshaw! Wenn du mit uns das Kalumet darauf rauchst, wollen wir es glauben.«
»To-kei-chun raucht mit keinem Gefangenen die Pfeife des Friedens.«
»Da hast du es; du willst uns täuschen! Ihr habt das Beil des Krieges ausgegraben; folglich ist jeder Weiße verloren, der in eure Hände fällt. Selbst wenn das wahr wäre, was du denkst, und wir es dir geständen, würdest du dein Wort nicht halten und uns hinrichten lassen.«
»So wollt ihr also nicht reden?«
»Nein.«
Der Häuptling hatte bis jetzt in ruhigem Tone gesprochen; er war der Meinung gewesen, daß er Jim zum Reden bringen werde. Nun sah er sich getäuscht und fuhr zornig auf:
»Was sagt der andere Snuffle dazu? Will auch er nichts gestehen?«
»No,« antwortete Tim in seiner kurzen, wortkargen Weise.
»So will ich euch sagen, daß ihr allerdings richtig gedacht habt: Ich hätte euch nicht freigegeben; ihr hättet dennoch sterben müssen; aber wir hätten euch eine Kugel gegeben, so daß euer Tod ein schneller gewesen wäre. Doch da eure Mäuler das Sprechen verlernt haben, werden wir sie euch zum Heulen und jammern, zum Klagen und Stöhnen öffnen. Ihr werdet alle Qualen erleiden, welche wir uns aussinnen können!«
»Pshaw, das werden wir nicht!«
»Ihr werdet es! Ich sage es euch, und in solchen Dingen halte ich Wort!«
»Ja, wenn du kannst; diesmal aber kannst du nicht!«
»Wer will mir verwehren, zu thun, was ich will?«
Jim sah ihm mit einem schlau forschenden Blicke in das Gesicht und antwortete dann:
»Nicht wahr, das möchtest du gern wissen? Das glaube ich! Die beiden Snuffles so am Marterpfahl schinden, das wäre für euch so das höchste der Gefühle; aber so wohl wird es euch nicht werden; dafür ist schon gesorgt!«
»Das sagst du nur aus Furcht vor uns!«
»Ich mich fürchten? Jim Snuffle und Furcht? Hahahaha! Ich sage dir, wenn ihr uns nur ein Haar krümmt, so seid ihr alle verloren!«
»Uff, uff! Kann so ein stinkender Hund, wie du bist, uns drohen?«
»Das kann ich, obgleich ich kein Hund bin. Es ist einer hinter euch her, der unsern Tod blutig rächen würde.«
»Wer?«
»Der, den du vorhin genannt hast.«
»Wen meinest du? Wen habe ich genannt?«
»Du erwähntest seinen Namen und daß er allein fähig sei, den verschwundenen Gefangenen befreit zu haben.«
»Meinst du etwa Old Shatterhand?«
»Ja.«
»Der soll hier sein?«
»Ganz in der Nähe!«
»Uff, uff! Glaubst du wirklich, mich betrügen zu können?«
»Ich will dich nicht täuschen, sondern was ich sage, das ist wahr.«
»To-kei-chun blickt in dein Herz und errät deine Gedanken. Was du sagst, hast du dir soeben erst ausgesonnen. Ich erwähnte vorhin Old Shatterhand; nur dadurch bist du auf den Gedanken gekommen, zu sagen, daß er sich in der Nähe befinde.«
»Nein, er ist wirklich da!«
»Wer hat es dir erzählt?«
»Niemand brauchte es mir zu sagen. Ich habe ihn gesehen.«
»Pshaw!« antwortete der Häuptling in verächtlichem Tone.
»Und mit ihm gesprochen!«
»Pshaw!«
»Ist es nicht wahr, alter Tim?«
»Yes,« nickte der Gefragte.
»Ihr lügt beide!«
»Nein!« beharrte Jim auf seiner Aussage. »Wir haben ihn nicht nur gesehen und mit ihm gesprochen, sondern wir sind sogar mit ihm geritten.«
»Früher, aber nicht jetzt!«
»Jetzt! Er war auch gestern abend bei uns und stieg mit mir zu euch hinab, um euch zu belauschen. Da stürzte mein Bruder von oben herunter und ich sprang vor, um ihn zu befreien. Das war eine große Dummheit von mir. Old Shatterhand war klüger; er blieb im Dunkeln. Da sah er eure Verwirrung und war so kühn, dieselbe zur Befreiung des Gefangenen zu benutzen.«
Dies war wahr und klang so wahr, daß der Häuptling doch stutzte. Ich stutzte nicht nur auch, sondern ich wußte gar nicht, was ich von diesem Jim Snuffle denken sollte. Er konnte alles, alles verderben. Wenn ihm der Häuptling Glauben schenkte und schnell seine Maßregeln darnach einrichtete, war nicht nur die Ausführung meines Vorhabens unmöglich, sondern es konnte sogar um mich geschehen sein. Es konnte für Jim nur einen Grund geben, meine Anwesenheit zu verraten, nämlich den Roten Furcht vor mir einzuflößen und sie dadurch abzuhalten, die Gefangenen zu töten.
To-kei-chun sah ihm eine ganze Weile still und forschend in das Gesicht; dann machte er eine wegwerfende Handbewegung und fragte:
»Old Shatterhand ist also wirklich bei euch gewesen?«
»Ja.«
»Und mit dir von der Höhe zu uns herabgestiegen?«
»Ja.«
»Kröte, die du bist! Glaubst du denn wirklich, To-kei-chun den ältesten und erfahrensten Häuptling der Comantschen, betrügen zu können? Wäre das wahr, was du sagest, so hätte Old Shatterhand nicht diesen Mann, der ihm fremd war, sondern dich oder deinen Bruder oder euch beide herausgeholt!«
»Das war nicht möglich!«
»Das andere war ebenso unmöglich! Und weißt du nicht, daß zwanzig meiner Krieger nach Spuren gesucht haben, als der Tag anbrach?«
»Sie waren blind!«
»Sie waren sehr sehend, denn sie haben eure Maultiere gefunden, aber keine Spur von Old Shatterhand und dem Gefangenen.«
»Grad das sollte dir beweisen, daß Old Shatterhand dagewesen ist. Die Spur eines jeden andern Mannes hättet ihr entdeckt; er aber versteht es, wie kein zweiter, die seinige zu verwischen.«
»Des Nachts? Soll ich über dich lachen? Wer eine Spur auswischt, muß dieselbe sehen können; aber selbst diesem weißen Hund ist es in der Finsternis nicht möglich, seine eigene Fährte zu erkennen. Aus dir spricht die Angst vor dem Martertode. Um dich zu retten, willst du uns auch in Angst versetzen. Old Shatterhand ist weit, sehr weit von hier. Ja, wie würde ich mich freuen, wenn das wahr wäre, was du dir ausgesonnen hast! Ich würde dieses Stinktier ergreifen und ihm das Fell bei lebendigem Leibe vom Körper ziehen. Leider aber ist es Lüge und Erfindung, durch die du dich retten willst.«
»Es ist die Wahrheit; ich kann es beschwören.«
»Schweig, Feigling! Ich bin mit dir fertig. Der Gefangene ist fort, wir können sein Verschwinden nicht begreifen; mag es sein! Wir haben an seiner Stelle euch beide erwischt und also nichts eingebüßt. Heute abend kommen wir nach dem Makik-Natun, und morgen früh werdet ihr dort an den Marterpfahl gebunden.«
»Wenn dies wirklich geschähe, würdet ihr alle es mit dem Leben bezahlen!«
»Pshaw! Diese Drohung ist das Angstgeschrei eines Vogels, der sich in den Krallen des Adlers befindet. Ich lache darüber und mag nichts mehr hören.«
Er stand auf, um sich stolz zu entfernen, befahl aber, bevor er dies that, mit lauter Stimme:
»Meine roten Brüder können aufbrechen, denn ihre Pferde haben getrunken. Ich werde bald nachfolgen.«
Als Jim Snuffle mich erwähnte, hatte ich mein Messer gezogen. Hätte der Häuptling ihm geglaubt und in Beziehung auf mich irgend eine Vorkehrung getroffen, so wäre ich aus meinem Verstecke hervorgesprungen, hätte ihn gepackt und ihm das Messer an die Gurgel gelegt. Seine Leute hätten aus Rücksicht auf ihn und sein Leben es sehr wahrscheinlich nicht gewagt, sich an mir zu vergreifen, und dann wäre ich daran gewesen, meine Bedingungen zu stellen. Verwegen wäre dies allerdings gewesen, und so fühlte ich mich sehr erleichtert, als ich hörte, daß der Rote dem Snuffle keinen Glauben schenkte. Diese Erleichterung verwandelte sich sogar in Freude, als der Häuptling den Befehl zum Aufbruche gab. Er wollte nachkommen, blieb also noch hier, und ich hatte allen Grund, anzunehmen, daß mein Unternehmen einen guten Ausgang nehmen werde.
Die Gefangenen wurden wieder auf die Pferde gebunden; die Comantschen stiegen auf und ritten fort.
Der Häuptling war nicht zu sehen; sein Pferd stand hinter meinem Verstecke und fraß das Laub von den Zweigen. Falls er aus der Richtung zurückkehrte, in welcher er sich entfernt hatte, und zu ihm hinwollte, mußte er bei mir vorüber.
Ich wartete in großer Spannung fünf Minuten, zehn Minuten, fast eine Viertelstunde; da kam er, ganz so, wie ich es wünschte, von da her, wohin er gegangen war. Er hatte sein Gewehr in der rechten Hand und hielt mit der linken die Decke vorn zusammen, die er um die Schultern geworfen hatte. Ich ließ ihn vorbei; er griff nach seinem Pferde; diesem schmeckte das saftige Laub; es verweigerte den Gehorsam; das Geräusch der stampfenden Hufe übertönte dasjenige, welches dadurch entstand, daß ich unter dem Epheu hervorkroch. Einige Schritte brachten mich hinter ihn. Er riß das Pferd am Zügel an sich und hob den linken Fuß, um in den Bügel zu steigen, da legte ich ihm die linke Hand, während ich ihm mit der rechten den Revolver entgegenstreckte, auf die Schulter und sagte:
»To-kei-chun mag noch warten; ich habe mit ihm zu sprechen.«
Er fuhr herum. Wegen meines sonderbaren Anzuges erkannte er mich im ersten Augenblicke nicht, dann aber flog der Ausdruck des Schreckes über sein Gesicht und er rief: