Im Reiche des silbernen Löwen I - Karl May 15 стр.


Unser Ritt nahm einen raschen Verlauf. Die Fährte der Comantschen war stets deutlich und hielt uns also gar nicht auf. Die Indsmen waren wenigstens ebenso rasch geritten, wie wir ihnen folgten, und schienen, da sie nicht auf ihren Häuptling gewartet hatten, für die Sicherheit desselben gar keine Besorgnis zu hegen. Wir hatten noch zwei Stunden bis zum Abende, als ich den beiden Gefährten mitteilte, daß wir in der Nähe des »gelben Berges« angekommen seien. Da fragte mich Perkins:

»Werden wir direkt hinreiten?«

»Nein. Das hieße ja unser Spiel verloren geben!«

»Wieso?«

»Weil der Häuptling bei uns ist. Den dürfen die Roten nicht eher zu sehen bekommen, als bis sie ihre Gefangenen freigegeben haben, vielleicht auch dann noch nicht einmal, denn ich habe ihm die Freiheit nicht versprochen.«

»Sie müssen aber doch erfahren, daß er unser Gefangener ist!«

»Natürlich!«

»Wer soll es ihnen sagen?«

»Ihr, Mr. Perkins,« antwortete ich in ernstem Tone, obgleich ich es scherzhaft meinte.

»Ich?« rief er erschrocken aus. »Ich soll etwa das Totem hinschaffen?«

»Ja.«

»Warum ich? Kann das nicht Mr. Dschafar thun?«

»Nein, denn er kennt den Westen und die Indianer nicht, während Ihr nicht leugnen könnt, in dieser Beziehung Erfahrung zu besitzen.«

»Was das betrifft, so giebt es einen, der viel mehr Erfahrung hat als ich!«

»So?«

»Ja. Wißt Ihr, wen ich meine, Mr. Shatterhand?«

»Nun?«

»Euch selbst. Wenn es darauf ankommt, so seid Ihr der richtige Mann, die Comantschen aufzusuchen.«

»Nein, der bin ich nicht.«

»Möchte wissen, warum!«

»Weil ich bei dem Häuptling bleiben muß. Der ist mir so wichtig, daß ich ihn keinem andern anvertrauen darf.«

»Da muß ich Euch widersprechen. Ihn gut zu bewachen ist zehnmal leichter als seine Krieger aufzusuchen, um mit ihnen zu verhandeln. Ich fürchte sehr, daß ich da Dummheiten machen würde, durch die ich Euch in Gefahr brächte.«

»Hm, das befürchte ich freilich auch!«

»Nicht wahr? Ich halte es also für das Beste, daß Ihr es selbst übernehmt, die Roten zu benachrichtigen. Wir werden inzwischen irgendwo auf Eure Rückkehr warten.«

»Well! Wollte nur sehen, wieviel Mut Ihr habt.«

»O, Mut habe ich! Hierzu aber gehört außer dem Mute auch eine Klugheit, eine Verschlagenheit, welche welche welche «

»Welche Ihr nicht besitzt? So! Das ist einmal so ehrlich aufrichtig gesprochen, wie ich es gern habe. Aber wenn Ihr so wenig klug seid, wie kann ich Euch da den Häuptling anvertrauen? Ich muß gewärtig sein, daß er nicht mehr bei Euch ist, wenn ich zurückkehre.«

»Nein, das habt Ihr doch nicht zu befürchten, Sir! Wir werden doch nicht so dumm sein, ihn loszubinden und laufen zu lassen!«

»Das wäre freilich nicht nur unklug, sondern geradezu verrückt. Aber es kann noch anderes passieren. Ich denke zwar, daß die Roten, wenn sie einmal bei den Gräbern ihrer Häuptlinge angekommen sind, sich heut nicht mehr von dort entfernen werden; aber es können doch einige von ihnen aus irgend einem Grunde die Gegend durchschwärmen und Euch entdecken.«

»Die schießen wir nieder!«

»Und wenn sie Euch überraschen?«

»Wir lassen uns nicht überraschen. Wir passen auf! Wir werden uns doch wohl eine Stelle aussuchen, wo es unmöglich ist, uns zu beschleichen.«

»Well! Aber wenn so viele kommen, daß sie Euch überlegen sind?«

»So brauchen wir uns dennoch nicht zu fürchten, denn wir thun das, was wir von Euch gelernt haben.«

»Was?«

»Wir drohen ihnen, den Häuptling sofort zu erschießen, wenn sie uns angreifen.«

»Das würde allerdings das Richtige sein. Ich weiß freilich recht gut, daß ich keinen von Euch beiden zu den Comantschen schicken kann; ich muß selbst zu ihnen und will hoffen, daß ich mich unterdes auf Euch verlassen kann.«

»Das könnt Ihr, Sir!« beteuerte er erleichtert. »Wir werden Euch den Häuptling bei Eurer Rückkehr genau so übergeben, wie Ihr ihn bei uns gelassen habt.«

»Ja, das werden wir,« bestätigte Dschafar. »Ich bin kein Feigling und auch nicht das, was man hier einen Dummkopf nennt. Sollten da einige Rote kommen, so stehe ich dafür, daß sie uns ihren Häuptling weder durch List noch durch Gewalt entreißen.«

Ja, er war wohl weder dumm noch feig; zu ihm hatte ich mehr Vertrauen als zu Perkins. Und was hätte ich auch machen wollen? Einer von uns mußte zu den Indianern, und das war keine Kleinigkeit, sondern ein Wagnis, zu dem ein ganzer Mann gehörte. Dazu paßte weder der Perser, dem es vollständig an Kenntnis der Verhältnisse mangelte, noch Perkins, welcher keinen Mut besaß. Ich war also gezwungen, ihnen den Häuptling anzuvertrauen.

Ich kannte die Stelle, an welcher sich die Häuptlingsgräber befanden. Der Makik-Natun hat an seiner Südseite eine Einbuchtung, deren Wände ziemlich steil ansteigen. Die Gräber, vier an der Zahl, lagen nebeneinander an der Westseite der Bucht, in welcher es keine Bäume, sondern nur Büsche gab. Im Hintergrunde der Bucht rieselte ein Quell aus dem gelben Gestein; dort hatten sich die Indsmen wahrscheinlich gelagert. Der Platz war in der Nähe der Gräber frei; die einst dortstehenden Sträucher waren infolge der öfters da stattfindenden Totenfeierlichkeiten verschwunden. Dagegen lief das Gebüsch noch außerhalb der Bucht nach rechts und links, also nach Osten und nach Westen am Fuße des Berges weiter, ein Umstand, welcher, wie man sehen wird, mir großen Vorteil bot. Diese Eintiefung oder Einbuchtung des Makik-Natun also war es, wo das Schicksal der Gefangenen heut entschieden werden sollte. Natürlich hing dabei mein Leben auch nur an einem einzigen Haare, denn selbst wenn der Indianer an jedem anderen Orte zum Frieden geneigt wäre, an den Gräbern seiner im Kampfe gefallenen Anführer regiert ihn nur der Haß, erfüllt ihn nur das Gefühl der Rache, und darum war dieser Ort eigentlich für unser Vorhaben schlecht gewählt. Freilich gab es keine andere Wahl, denn wir konnten nicht bis später warten, weil vorauszusehen war, daß die Gefangenen morgen hingerichtet würden.

Wir folgten der Fährte der Comantschen soweit, bis wir den »gelben Berg« genau nördlich vor uns liegen und vielleicht noch eine halbe Stunde zu reiten hatten, um ihn zu erreichen. Da wichen wir von ihr westlich ab, ritten zunächst parallel mit dem Berge und lenkten dann auf ihn zu, hielten aber an, ehe wir ihn erreichten.

»Sollen wir etwa hier schon absteigen?« fragte Perkins.

»Ja,« antwortete ich.

»Und hier auf Euch warten?«

»Ja.«

»Aber, Sir, nehmt es mir nicht übel, das ist ja der größte Fehler, den wir machen können!«

»Warum?«

»Wir sind in der Nähe der Feinde, und da so auf offenem Felde kampieren, ist doch wohl eine Unvorsichtigkeit?«

»Es ist im Gegenteile eine Klugheit, welche mir als sehr geboten erscheint. Wenn wir bis hinüber zum Berge reiten, wo es Büsche und Bäume giebt, könnt Ihr während meiner Abwesenheit beschlichen und ganz unversehens überfallen werden. Es genügt da ein einziger Roter, um Euch beide aus dem Hinterhalte zu erschießen und den Häuptling zu befreien.«

»Hm, das ist vielleicht richtig!«

»Nicht nur vielleicht! Wir haben uns ja schon vorgenommen, jeden Ort zu vermeiden, an dem Ihr überrumpelt werden könnt. Hier ist die Gegend frei, und Ihr könnt jeden Menschen, der sich Euch nähert, schon von weitem sehen; von einem plötzlichen Ueberfalle kann also keine Rede sein. Und sollten mehrere Rote kommen, was gar nicht zu erwarten steht, so könnt ihr Eure Gewehre nach allen Seiten richten und sie in Schach halten. Selbst den schlimmsten Fall gesetzt, daß Ihr Euch ihrer großen Ueberzahl wegen ihrer nicht erwehren könntet, so genügt die Drohung, ihren Häuptling zu töten, sie von Euch abzuhalten. Ihr selbst habt das vorhin zugegeben.«

»Well! Ich sehe ein, daß Ihr recht habt, Sir. Bleiben wir also hier an diesem Orte! Wann sucht Ihr die Roten auf?«

»Sobald ich den Häuptling sicher weiß.«

»Werdet Ihr gehen oder reiten?«

»Reiten.«

»Euch also nicht anschleichen?«

»Nein. Es ist am hellen Tage, und die Oertlichkeit eignet sich nicht dazu. Uebrigens komme ich als Parlamentär, als Abgesandter ihres Häuptlings und mit dem Totem desselben zu ihnen; das kann Old Shatterhand nur zu Pferde thun.«

»Und Eure Gewehre nehmt Ihr mit?«

»Ja.«

»Das ist viel gewagt. Es ist möglich, daß sie sie Euch abnehmen.«

»Pshaw! Ohne die Gewehre würde ich wahrscheinlich nichts, gar nichts ausrichten; jedenfalls sind sie in meinen Händen sicherer als anderswo. Jetzt herunter von den Pferden!«

Wir stiegen ab und nahmen To-kei-chun aus dem Sattel. Dann fesselte ich selbst ihn so, daß ich mich unbesorgt um ihn entfernen konnte. Als Dschafar und Perkins ihre Pferde angepflockt und sich zu dem Comantschen gesetzt hatten, ermahnte ich sie, eigentlich wohl ganz überflüssigerweise:

»Also haltet gut Wache! Hört auf keine Reden, Bitten und Versprechungen des Gefangenen, und laßt keinen Menschen zu Euch heran.«

»Macht Euch keine unnützen Gedanken, Sir!« antwortete Perkins. »Ich wollte, wir brauchten um Euch so wenig Sorge zu haben, wie Ihr um uns!«

»Umgekehrt, Mr. Perkins! Mir sollen die Roten nichts anhaben. Also Ihr wißt, wie Ihr Euch in jedem Falle zu verhalten habt?«

»In einem noch nicht.«

»Welchen meint Ihr?«

»Den, daß sie Euch festnehmen und Ihr nicht wiederkommt.«

»Dieser Fall tritt nicht ein, denn ich werde sagen, daß der Häuptling getötet wird, wenn ich nicht in einer bestimmten Zeit zurück bin. Ich wiederhole noch einmal: Laßt keinen Menschen zu Euch heran, ganz gleich, ob er es mit Gewalt oder mit List versucht! Der Häuptling darf nur durch mich selbst losgebunden und freigegeben werden!«

»Schon gut! Wir wissen nun alles. Wir wünschen Euch für Euer Vorhaben genau so großes Glück, wie groß hier unsere Wachsamkeit sein wird.«

Solche Reden hätten mich zwar beruhigen sollen, aber als ich mich nun wieder auf das Pferd setzte und weiterritt, geschah es doch nicht ohne alle Sorge.

Die Frist bis zum Anbruche der Dunkelheit betrug nun nur noch anderthalbe Stunde. In dieser Zeit mußte ich die Weißen frei haben; da ich aber wußte, wie langsam und bedächtig die Indianer bei solchen Verhandlungen zu sein pflegen, mußte ich mich jetzt sputen. Ich hielt also im Trabe auf die Häuptlingsgräber zu und untersuchte dabei vorsichtigerweise meine Gewehre und Revolver; ich mußte mich auf sie verlassen können, falls es zu Feindseligkeiten kommen sollte, was ich aber keineswegs erwartete.

Ich erwähnte vorhin, daß sich das Gebüsch auch westwärts an dem Berge hinzog. Um so spät wie möglich bemerkt zu werden, hielt ich mich zwischen den Ausläufern desselben, wo jeder einzelne Strauch mir Deckung bieten mußte. So kam ich an die Einbuchtung und bog um die Ecke derselben. Den Platz rasch überblickend, sah ich die Roten im Hintergrunde am Wasser lagern, also so, wie ich es vermutet hatte. Nur einige von ihnen befanden sich links bei den vier Gräbern; sie waren beschäftigt, diese für die morgende Feier dadurch zu schmücken, daß sie an da eingesteckten Lanzen ihre Medizinen aufhingen. Ihre Pferde weideten im Vordergrunde.

Natürlich wurde ich gesehen, sobald ich um die Ecke gebogen war. Ein Weißer hier an dieser ihnen so heiligen Stelle! Jetzt, wo sie das Kriegsbeil ausgegraben hatten! Das war geradezu unerhört, so unerhört, daß zunächst ein tiefe, tiefe Stille eintrat; dann aber brach die Rotte in ein um so wilderes, wahrhaft markerschütterndes Gebrüll aus. Die Kerle sprangen auf, ergriffen ihre Waffen und kamen auf mich zugesprungen. Sie zückten ihre Messer, schwangen ihre Flinten und Lanzen und umringten mich in allen möglichen drohenden Stellungen.

»Still, seid still!« überschrie ich ihr Geheul. »Hört, was ich euch zu sagen habe!«

Dabei wirbelte ich den schweren Bärentöter nach rechts und links, nach hinten und vorn, um einige Bursche, welche sich zu nahe an mich machten, von mir abzuhalten. Dadurch kam der eine und der andere mit dem Kolben in unangenehme Berührung; sie verstärkten ihr Geschrei und machten Miene, im Ernst auf mich einzudringen; da überbrüllte ein alter Kerl alle die andern:

»Uff, uff, uff! Schweigt, ihr Krieger der Comantschen! Der gute Manitou hat uns einen großen Fang gesandt. Dieser Mann ist das berühmteste unter allen Bleichgesichtern; er wird morgen mit denen, die dort hinten liegen, am Marterpfahle sterben.«

Ich sah über die Roten hinweg nach dem Hintergrunde; dort lagen die sechs weißen Gefangenen.

Als die Roten dem Alten gehorchten und schwiegen, fuhr er in triumphierendem Tone fort:

»Ich habe diesen weißen Mann nicht sogleich erkannt, weil er nicht den Anzug eines Jägers trägt. Hört seinen Namen, ihr Krieger der Comantschen! Es ist Old Shatterhand!«

»Old Shatterhand Old Shatterhand!« ertönte es rundum in erstauntem, aber auch drohendem Tone, aber die mir zunächst standen, wichen unwillkürlich zurück.

»Ja, ich bin Old Shatterhand, der Freund und Bruder aller roten Männer, welche das Gute lieben und das Böse hassen,« ließ ich mich nun wieder hören. »Hier bei euch am Marterpfahle sterben, das werde ich nicht, denn To-kei-chun, euer Häuptling, hat mich zu euch gesandt. Ich komme als sein Bote, und wer es wagen sollte, sich an mir zu vergreifen, den brauche ich nicht zu töten, denn To-kei-chun wird ihn bestrafen.«

Das klang so wahr und so zuversichtlich, daß es den beabsichtigten Eindruck nicht verfehlte. Sie wichen noch weiter zurück und flüsterten sich leise Bemerkungen zu. Die Augen waren zwar feindselig auf mich gerichtet, aber wie auf einen Feind, den man nicht anzugreifen wagt. Nur der Alte trat einen Schritt näher und rief mir zu:

»To-kei-chun hat dich gesendet? Das ist eine Lüge!«

»Wer kann sagen, daß Old Shatterhand jemals gelogen habe?« fragte ich.

»Ich!« antwortete er.

»Wann und wo?«

»Damals als du unser Gefangener warst und uns doch entkamst.«

»Das lügest du selbst! Sprich, welche Lüge soll ich damals gesagt haben?«

»Nicht mit Worten, sondern durch die That hast du damals gelogen. Du gebärdetest dich als unser Freund und handeltest doch als unser Feind!«

»Dein Mund ist voller Unwahrheit. Hatte ich nicht den Sohn To-kei-chuns in meiner Gewalt? Sollte er nicht sterben? Habe ich ihm nicht das Leben geschenkt und ihn sicher zu euch geführt? Aber welchen Lohn bekam ich dafür? Ihr behandeltet mich als Gefangenen! Wessen Thun war da verwerflich? Das meinige oder das eurige?«

»Du durftest fort und befreitest auch die andern Gefangenen!« antwortete er, schon weniger zuversichtlich.

»Sie waren meine Gefährten, und die Versammlung eurer weisen Männer gab sie frei.«

»Weil du sie durch deine Faust und mit deinen Gewehren dazu zwangst. Du bist nicht unser Freund und Bruder, und To-kei-chun hat dich nicht zu uns gesandt!«

»Es ist genau so, wie ich sage: er schickt mich her!«

»Kannst du es beweisen?«

»Ja.«

»Uff! Wie will die Klapperschlange beweisen, daß sie nicht giftig ist! Oeffne deinen Mund, und erfahre dann, ob wir dir Glauben schenken!«

»Ihr werdet mir glauben, denn ich habe euch ein Totem zu übergeben.«

»Ein Totem? Von To-kei-chun? Er ist zurückgeblieben. Warum sendet er einen Boten? Warum kommt er nicht selbst?«

»Weil er nicht kann.«

»Warum kann er nicht? Gieb das Totem her!«

»Wer ist in seiner Abwesenheit der Anführer? Der soll es erhalten.«

»Ich bin es.«

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