Er hatte sich jedenfalls jahrelang und zwar mit großem Fleiße mit dieser Sprache beschäftigt, und daß er das gethan und die darauf verwendete Mühe nicht für weggeworfen gehalten hatte, das war es, was mir an ihm vollständig fremd vorkam und mich mit Verwunderung erfüllte. Hierzu kam ein Umstand, welcher mich bewog, mich über diese seine mir so überraschende Sprachfertigkeit herzlich zu freuen: Wenn er mit uns nach Persien ritt, wo man sich ebensosehr der arabischen wie der Landessprache bedient, war es für uns, und besonders für mich, eine große Erleichterung, nicht jemanden bei uns zu haben, der aus Mangel an Sprachkenntnis keinen Eingeborenen verstehen konnte und dem ich also, wie das mit Lindsay früher ja der Fall gewesen war, jedes Gespräch zu übersetzen und alle nur einigermaßen wichtigen Vorkommnisse extra zu erklären hatte. Denn daß er mit uns reiten würde, das unterlag gar keinem Zweifel. Die Absichten, welche ihn hierher geführt hatten, und die von ihm getroffenen Dispositionen mochten sein, welche sie wollten, sobald er uns sah, ließ er alles andere liegen, um sich uns anzuschließen, davon war ich überzeugt. Er liebte das Ungewöhnliche, sogar die Gefahr und hing mit einer so herzlichen, aufrichtigen Zuneigung an mir, daß er ganz gewiß alle seine jetzigen Reiselaunen fallen ließ, um bei uns sein zu können.
Wenn ich aufrichtig sein will, muß ich sagen, daß von seiner Begleitung voraussichtlich gar manche Schwierigkeit für mich zu erwarten war, aber er besaß andererseits auch wieder sehr günstige Eigenschaften, durch welche diese Fatalitäten will ich es nennen, mehr als ausgeglichen wurden. Er war ein sehr mutiger und außerordentlich kaltblütiger Mann und besaß Verbindungen, welche uns nur Vorteil bringen konnten. Dazu kam sein außerordentlicher Reichtum. Ich gehöre nicht, aber auch mit keinem einzigen Aederchen, zu jener Art von Menschen, welche gern jede Gelegenheit benützen, aus der Wohlhabenheit anderer Leute Vorteile zu ziehen, aber es ist doch auf alle Fälle angenehmer, einen Begleiter zu haben, dem jeder materielle Vorteil zur Verfügung steht, als einen, welcher den Pfennig dreimal umwenden muß, wenn er ihn auszugeben hat und ihn vielleicht auch dann noch wieder in die Tasche steckt. In dieser Beziehung hatten wir an Lindsay einen höchst schätzbaren Kameraden gehabt, dessen Noblesse für einen andern an meiner Stelle sehr wahrscheinlich eine gute Einnahmequelle gewesen wäre. Und schließlich war, um auch das nicht zu vergessen, seine Originalität für uns eine nie versiegende Quelle stiller Heiterkeit gewesen, und es durfte angenommen werden, daß wir nun wieder aus ihr schöpfen dürften.
Wir sahen, daß er, obgleich der Wirt ihn schon zweimal zum Gehen aufgefordert hatte, in aller Behaglichkeit seinen Sitz behielt. Er schien über etwas nachzudenken, wahrscheinlich darüber, was er noch verlangen und aber auch verzehren könne, denn ihm, dem personifizierten Gentleman, war es fatal, in einem öffentlichen Lokale zu sitzen, ohne eine anständige Zeche machen zu können. Endlich war ihm ein Einfall gekommen:
»Frank Kahwe!« verlangte er.
Unter Frank Kahwe oder Frank Kahwesi, fränkischem Kaffee, versteht man Schokolade.
»Habe ich nicht,« antwortete der Wirt.
»Kakao!«
»Ich weiß nicht, was das ist.«
»Sherry!«
»Das verstehe ich nicht.«
Da öffnete Lindsay den Mund zu einem sperrangelweiten Gähnen. Er fühlte sich dadurch, daß er nicht bekam, was er verlangte, gelangweilt, und seine Nase blickte tief in das jetzt unter ihr gähnende, mit kräftigen Zähnen umsäumte Loch, ob nicht doch vielleicht daraus ein Wunsch erscheinen werde, der zu erfüllen sei. Und da kam er auch:
»Scherbet!« erklang das erlösende Wort.
Der Somali beeilte sich, das verlangte Zuckerwasser mit Fruchtsaft zu bringen, und bekam dafür ein so reichliches Bakschisch zugeworfen, daß sein Gesicht vor Freude glänzte und er sich durch eine dreimalige tiefe Verneigung bedankte.
Lindsay hob das Getränk zum Munde und versuchte es; es schien ihm zu schmecken, denn er that dann noch einen tiefen Zug. Indem er das Gefäß wieder absetzte, fiel sein Blick hinein. Da wurden seine Augen noch einmal so groß; sein Gesicht nahm den Ausdruck des Entsetzens an, und seine Nase sträubte sich vor Schreck empor.
»All devils!« rief er aus, den Scherbet weit von sich streckend. »Da ist ja ein ein ein wie heißt snail auf arabisch?«
»Ich weiß wieder nicht, was du meinst,« antwortete der Wirt. »Ist etwas in dem Scherbet? Zeig her! Ich will sehen, was es ist.«
Durch die Freigebigkeit Lindsays dienstwillig gemacht, sprang er auf, nahm ihm das Getränk aus der Hand und sah nun dasselbe, was der Englishman gesehen hatte. Ohne aber ebenso zu erschrecken, sagte er vielmehr im ruhigsten Tone:
»Eine Bazzaka, eine ganz kleine Bazzaka[10], gar nicht viel länger als mein Mittelfinger nur! Allah hat sie ebenso geschaffen, wie er uns geschaffen hat; wer könnte sich da grauen! Es wäre schade, jammerschade um die Süßigkeit. Ich werde dir einen andern Scherbet bringen lassen.«
Er nahm die Schnecke heraus, warf sie fort, trank die Limonade bis auf den letzten Tropfen aus und setzte sich dann wieder auf seinen Platz. Als dann der Somali Ersatz brachte, deutete ihm Lindsay durch eine sehr entschiedene Handbewegung an, daß er das Zeug gar nicht sehen, am allerwenigsten aber trinken möge, worauf der braune Jüngling es für weltgeschichtlich notwendig hielt, das verschmähte Getränk sich in das eigene Gemüt zu dirigieren. Als er dies vollbracht hatte, trat er mit seinem nackten Fuße die Schnecke breit und zog sich dann triumphierend zu seinem Kaffeefeuer zurück. Lindsay aber machte ein Gesicht, als ob die Qualen aller an unheilbarem Weltschmerz leidenden Menschenkinder in sein Inneres eingezogen seien, und seine Nase, die bekanntlich mit ihren Regungen sich zu den Gefühlen ihres Herrn in steter Kongruenz befand, hing trauernd ihre aus Abscheu vor der Bazzaka ganz weiß gewordene Spitze nieder. Diese doppelte Betrübnis machte einen so tiefen Eindruck auf den Wirt, daß er den in seinem Innern vollständig aus dem Gleichgewichte gebrachten Gentleman fragte:
»Ist dir übel geworden? Dann rate ich dir, einen Araki zu trinken.«
»Araki?« fuhr Lindsay auf. »Ja, einen Arak will ich haben, aber klein darf er nicht sein!«
»Er wird so groß sein, daß auch ich mit trinken kann.«
»Ich danke! Wenn du auch trinken willst, so laß einen für dich besonders kommen!«
»Auch so groß wie der deinige?«
»Ja.«
Da ertönte die Stimme des somalischen Mundschenken:
»Für mich auch einen?«
»Meinetwegen!«
»Auch grad so groß?«
»Ja!«
Da holte der Garçon die Branntweinkulle herein, goß drei ziemlich große irdene Näpfe voll und verteilte diese nach der ihm sehr geläufig scheinenden Regel, »mir einen, dir einen und ihm auch einen«. Lindsay war diesesmal so vorsichtig, dem Napfe bis auf den Grund zu sehen. Als er nichts Bazzakaähnliches entdeckte, nahm er einen Schluck, eine zweiten und sogar noch einen dritten. Seine Wangen glätteten sich; das Herzeleid verschwand aus seinen vorher so tiefbetrübten Zügen, und seine Stimme hatte einen neubelebten Klang, als er lobend sagte:
»Der Araki ist gut, sehr gut!«
Das war das Zeichen für die Nase, sich auch wieder aufzurichten und ihre Spitze in holder Farbe frisch erröten zu lassen. Als der Wirt dies sah, trank er seinen Napf verständnisinnig aus und befahl seinem Untergebenen, ihn wieder voll zu machen. Dieser kam dem Befehle augenblicklich und über Erwarten nach, indem er nach seinem Herrn auch sich zum zweitenmal bedachte. Lindsay bemerkte das mit zufriedenem Lächeln, obgleich er wohl wußte, daß er der Bezahlende sein werde. Er forderte die beiden auf, soviel zu trinken, wie in ihrem Belieben stehe. Vielleicht hegte er die rachsüchtige Absicht, sie für die Schnecke in einen ganz unmuselmännischen Rausch zu versetzen. Der Wirt, welcher die Wirkungen des Raki eingehend studiert zu haben schien, fühlte sich durch die Güte seines Gastes zu der vertraulichen Mitteilung veranlaßt:
»Du bist ein Inglis und kennst also die Gesetze des Islam nicht. Vielleicht weißt du aber, daß uns der Genuß des Weines verboten ist. Doch Raki ist kein Wein. Raki ist ein Mah es Ssahha[11], und daher pflegt man ihn zum steten Wohle des Gebers auszutrinken. Erlaube also, daß ich sage: »Sirreh mahabbehtak auf deine Gesundheit!«
»Sirreh mahabbehtak!« beeilte sich der Somali auch zu sagen und dabei seinen Napf ebenso zu leeren, wie der Kaffeewirt den seinigen. Dann wurden beide wieder gefüllt.
Diese zwei Moslemin hatten Gurgeln wie irländische Vollmatrosen! Ich mag den Branntwein nicht leiden, und diese hastige Art des Trinkens erst recht nicht, doch wurde, wie sich später herausstellte, dieser Raki nicht nur zu Lindsays, sondern auch zu unserm wirklichen Wohle getrunken. Dabei unterhielt sich der Englishman, welcher jetzt nur zuweilen nippte, ganz ausgezeichnet mit den beiden Trinkern. Er blieb auch im Arabischen, wie er es in seiner Muttersprache gewohnt war, bei seiner eigenartigen, kurz abgerissenen Sprachweise; sie aber wurden je länger, desto redseliger und erzählten ihm eine Menge Dinge, die ihn gar nicht interessieren konnten; er hörte ihnen aber, wohl des Sprachstudiums wegen, ganz bereitwillig zu. Im Laufe des Gespräches wurden auch die in der Nähe stehenden Zollgebäude und die in ihnen beschäftigten Beamten erwähnt; dies führte die Rede auf die Steuern, den Zoll und schließlich auch auf den Schmuggel. Die Pascherei ist wohl für jedermann ein interessanter Gesprächsgegenstand; darum wurde Lindsay jetzt noch aufmerksamer, als er vorher gewesen war. Der Wirt bemerkte das und erzählte ihm, durch den Raki unvorsichtig gemacht, verschiedene Heimlichkeiten, aus denen hervorging, daß er über dieses verbotene Gewerbe mehr wußte, als er eigentlich sagen durfte. Auf den Somali hatte der Branntwein einschläfernd gewirkt; der Wirt aber war lebhaft geworden; er rühmte sich, sehr viel sagen und offenbaren zu können, wenn er nur wolle, und fügte sogar, die Hand ausstreckend, hinzu:
»Sieh diesen Ring an meinem Finger! Er ist stumm; aber wenn er einen Mund hätte, könnte er dir Geheimnisse mitteilen, von denen du gar keine Ahnung hast.«
Es versteht sich von selbst, daß ich bei der Erwähnung des Ringes Ohr war. Sollte es ein Ring der Sillan sein? Ich hatte nicht auf die Hände dieses Mannes geachtet. Auch Halef hörte mit großer Spannung zu. Er schob sich, damit ihm ja kein Wort entgehen möge, so nahe an die Flechtwand, daß sie sich laut knisternd bewegte. Lindsay bemerkte das und fragte den Wirt:
»Ist jemand da draußen? Ich höre ein Geräusch.«
»Allah l Allah!« antwortete der Kawehdschi. »Es sind zwei fremde Männer draußen, welche Kaffee trinken; das hatte ich ganz vergessen. Ihre Pferde stehen im Hofe, so kostbare Pferde, wie ich noch keine gesehen habe.«
»Aber doch nicht Radschi Pack[12]?«
»Echtes Radschi Pack! Willst du sie vielleicht sehen?«
»Sehr gern.«
»So will ich sie dir zeigen. Komm!«
Sie standen auf und gingen hinaus. Ein solcher Pferdeliebhaber, wie David Lindsay war, ließ sich den Anblick echter Araber sicher nicht entgehen!
»Sihdi, was sagst du zu diesem großen Wunder?« fragte jetzt Halef. »Unser Inglis ist da! Was für Augen wird der machen, wenn er uns erblickt!«
Noch ehe ich antworten konnte, ertönte von der Thür her Lindsays erregte Stimme:
»Ich muß die Männer sehen, unbedingt sehen! Den einen Sattel kenne ich, kenne ich ganz genau. In dem Pferde kann ich mich irren; aber es gleicht dem herrlichen Rih[13], einem Hengste, denn ich «
Er stockte mitten im Satze. Er war während dieser seiner Worte mit langen, eiligen Schritten, den Wirt hinter sich, durch den vorderen Raum gekommen und sah nun, an der Thüröffnung stehend, uns nebeneinander sitzen. Es ist mir unmöglich, sein Gesicht zu beschreiben, vollständig unmöglich! Er stand vor Ueberraschung starr vor uns, ohne Bewegung, wie eine Bildsäule. Sein Mund stand geöffnet; seine Augen waren weit aufgerissen, doch keine Lippe, keine Wimper zuckte.
»Sir David,« begrüßte ich ihn, indem ich aufstand; »welkome wieder hier in der alten, lieben Dschesireh[14]! Wer hätte das geahnt!«
»Ja, willkommen, Mister Englishman!« ließ sich auch Halef hören, der diese beiden Ausdrücke glücklich aus seinem Gedächtnisse zusammenbrachte. Und noch einige hinzufindend, fügte er hinzu: »We are vor Freude, als wir dich kommen sahen, fast ebenso starr gewesen, wie du jetzt vor uns stehst. Kommst du direkt aus deinem native country? Oder hat Allah dich aus einem andern Lande zu uns geführt?«
Man sah es dem kleinen Hadschi an, daß er unendlich stolz auf diese früher aufgeschnappten paar englischen Worte war. Jetzt begann Lindsay sich zu bewegen. Er trat Schritt um Schritt auf mich zu, hob die Arme empor, breitete sie auseinander und schlang sie dann um mich, ohne dabei aber ein einziges Wort zu sagen. Ich war von diesem Beweise stummer, weil größter Freude tief, sehr tief gerührt und drückte den lieben Menschen fest an mein Herz. Da löste sich der Bann; er konnte wieder sprechen. Er sagte mit dem weichsten Tone seiner Stimme:
»Mr. Kara, Ihr seid hier, Ihr?! Ich sage Euch, dieses Wiedersehen ist mir in alle Glieder geschlagen. Ich möchte am liebsten weinen und bin doch froh, so froh! Das ist wirklich ein Schulknabenstreich, den mir mein altes Herz macht!«
»Laßt ihm seinen Willen! Das meinige hat auch nicht übel Lust zu solchen Streichen. Ich glaube, es möchte am liebsten Rad schlagen.«
»Das steht ihm aber auch besser an, denn es ist viel jünger als meins, dem ich eine solche Rührseligkeit gar nicht zugetraut habe. Und da ist auch Halef, der gewaltige Scheik und Tyrann der Haddedihn! Aber mit dem muß ich arabisch reden!«
Jetzt war es eine Lust, das Gesicht des Engländers zu beobachten. Vorhin hatte seine Nase über dem weit geöffneten Munde vor Erstaunen starr emporgestanden; nun war auch in sie wieder Leben gekommen. Wie seine Augen leuchteten, seine Wangen sich belebten und das Spiel seiner Mienen in reichem Wechsel arbeitete, so bekam auch sie wieder Farbe, und so zeigte auch sie jetzt eine Munterkeit der Bewegung, welche jeden, der so etwas noch nicht gesehen hatte, in lachendes Erstaunen setzen mußte. Sprach er mit Halef, so neigte auch sie sich der Seite zu, auf welcher der Hadschi stand; wendete er sich zu mir, so schwenkte sie auch nach mir herüber. Lachte er, so geriet sie in heitere Zuckungen, und gab er seiner Freude einen sinnig ernsten Ausdruck, so stand sie andächtig lauschend still. Der Wirt, welcher dieser Scene beiwohnte, hatte keinen Blick für uns, sondern seine Augen nur für diese wunderbare Nase, welche mit den Gedanken und Gefühlen ihres Besitzers stets vollständig übereinstimmte und nicht, wie andere Nasen, sich erlaubte, zuweilen eigenmächtige Stimmungen oder gar katarrhalische Besonderheiten zu haben. Nur damals, als sie an der Aleppobeule laborierte, hatte sie sich gegen seinen Willen eine Extravaganz erlaubt, die ihr aber auch nicht gut bekommen war und zur Strafe ein für das ganze Leben bleibendes Andenken zurückgelassen hatte.
Während der ersten Aufregung des Wiedersehens waren die Eigenheiten des Lords nicht hervorgetreten, doch sobald er sein inneres Gleichgewicht nur einigermaßen wiedergefunden hatte, machte sich zunächst seine abrupte Ausdrucksweise geltend. Wir hatten uns noch nicht wieder niedergesetzt, als er in derselben zu mir sagte:
»Ist eigentlich ein Festtag, ein großer Festtag heut. Möchte einen Vorschlag machen.«
»Welchen?« fragte ich, nun auch kurz.
»Müssen ihn feiern, unbedingt feiern.«
»Wodurch?«
»Durch einen Willkommentrunk.«