Die Sklavenkarawane - Karl May 18 стр.


»Wann beginnen wir?«

»Nach einer Weile; dann werden alle Weißen eingeschlafen sein.«

»Aber der Kahn ist nicht da. Er wird des Abends in die Seribah geschafft.«

»So schwimmen wir.«

»Hat Tolo vergessen, daß sich viele Krokodile im Wasser befinden? Darum wird die Seribah ja Omm et Timsah genannt.«

»Tolo läßt sich lieber von den Krokodilen fressen, als daß er die Weißen nach Ombula führt.«

»Lobo auch. Der gute Schech im Himmel wird uns beschirmen, da wir soeben dem Wächter das Leben geschenkt haben.«

»So glaubst du jetzt an diesen großen Schech?«

»Lobo hat während des ganzen Abends über denselben nachgedacht. Wenn der Khassis kein Lügner war, so ist es wahr, was er gesagt hat, denn er ist klüger gewesen, als wir es sind. Und für den schwarzen Mann ist es sehr gut, einen solchen Schech im Himmel zu haben, denn alle weißen Schechs auf der Erde sind seine Feinde. Lobo glaubt also an ihn und wird ihn jetzt bitten, die Flucht, welche wir vorhaben, gelingen zu lassen.«

Der Neger faltete die Hände und blickte zum Himmel auf. Seine Lippen bewegten sich, aber die Bitte war nur für Gott hörbar.

Der Wächter hatte sich wieder niedergesetzt. Dann dauerte es längere Zeit, bis er abermals aufstand, um hin und her zu gehen. Da fragte Lobo:

»Warten wir noch länger?«

»Nein. Tolo hält schon die Stricke in der Hand. Wenn er uns wieder nahe ist und sich umdreht, so springen wir auf und du ergreifst ihn von hinten.«

So geschah es. Der Wächter kam auf sie zu und machte wieder Kehrt. Im Nu standen die Neger hinter ihm, und Lobo legte ihm die beiden Hände um den Hals, den er fest zusammendrückte. Der Mann stand, wohl nicht nur infolge dieses Druckes, sondern mehr noch aus Schreck, völlig bewegungslos; er gab keinen Laut von sich. Er wehrte sich auch nicht, als Tolo ihm die Stricke fest um die Arme, Beine und den Leib wickelte. Er blieb sogar stumm, als Lobo ihm die Hände von dem Halse nahm und ihm seinen Fes vom Kopfe zog, denselben zerriß und aus den Stücken einen Knebel machte, der ihm in den Mund geschoben wurde.

Der Mann war vollständig überwältigt und wurde in den Raum hinabgeschafft. Lobo nahm ihm das Messer und Tolo die Peitsche ab; dann kehrten sie auf das Deck zurück.

Sie ließen sich so leise wie möglich, um ja nicht etwa durch ein Geräusch die Krokodile herbeizulocken, in das Wasser und strebten dem Ufer zu, was gar nicht leicht war, da sie sich durch die dichte Omm Sufah zu arbeiten hatten. Doch gelangten sie wohlbehalten an das Land. Das Naßwerden schadete ihrer mehr als einfachen Kleidung nicht das mindeste.

»Der gnädige Schech im Himmel hat uns vor den Krokodilen beschützt; er wird uns auch weiter helfen,« sagte Lobo, indem er das Wasser von sich abschüttelte. »Denkst du nicht, daß es besser wäre, wenn wir Abd el Mot leben ließen und unsre Wanderung sogleich anträten?«

»Nein. Er muß sterben!«

»Seit du heute von dem himmlischen Schech und seinem Sohne gesprochen hast, kommt es Lobo nicht gut vor, den Araber zu töten.«

»Wenn wir ihm das Leben lassen, ereilt er uns unterwegs. Töten wir ihn aber, so wird, wenn man ihn findet, alle der Schreck so ergreifen, daß sie versäumen, uns zu verfolgen.«

»Lobo thut alles, was du willst. Wie aber kommen wir in die Seribah? Die Wächter machen Lärm.«

»Hast du denn nicht das Messer, mit dessen Hilfe wir uns ein Loch machen können?«

»Aber die Hunde werden uns verraten!«

»Nein; sie riechen, daß wir in die Seribah gehören, und ich kenne sie fast alle nach ihren Namen. Komm!«

Sie schlichen sich vorwärts bis zum obern Rande des Waldes. Dort galt es, vorsichtiger zu sein, denn die Nacht war so sternenhell, daß man einen Menschen auf zwanzig Schritte erkennen konnte. Sie legten sich auf die Erde und krochen derjenigen Stelle der Umzäunung zu, von welcher aus sie die kürzeste Strecke nach dem Tokul Abd el Mots hatten.

Glücklicher und auch sonderbarerweise erreichten sie diese Stelle, ohne von einem Hunde bemerkt worden zu sein. Dort begann Lobo, mit dem Messer ein Loch in den dichten, stachlichten Zaun zu schneiden. Das war nicht leicht und ging außerordentlich langsam. Obgleich er der Stärkere war, mußte Tolo ihn einigemal ablösen, bis die Öffnung so groß wurde daß ein schlanker Mensch durchschlüpfen konnte.

Im Innern der Seribah angelangt, mußten sie nun doppelt vorsichtig sein. Sie blieben eine kleine Weile lauschend liegen; sie vernahmen kein verdächtiges Geräusch. Ein Rind schnaubte draußen im Pferche, und aus der Ferne tönte das tiefe Ommu-ommu einer Hyäne herüber. In der Seribah aber herrschte absolute Stille.

»Wir können es wagen,« sagte Tolo. »Gib mir das Messer!«

»Warum dir?«

»Weil ich den Stoß führen will.«

»Nicht du, sondern Lobo wird es thun, denn er ist der Stärkere von uns beiden.«

»Aber es ist dir ja nicht lieb, daß er getötet werden soll!«

»Aber du hast gesagt, daß er dennoch sterben muß, und da ist es gleich, von wessen Hand es geschieht. Sollte der Schech im Himmel darüber zürnen, so wird er Lobo eher verzeihen als dir, denn Lobo glaubt erst seit heute an ihn, du aber schon seit längerer Zeit. Bleib also hier und warte, bis ich wiederkomme!«

»Du willst allein gehen?«

»Ja.«

»Das duldet Tolo nicht. Er wird dich bis zum Tokul begleiten, um bereit zu sein, wenn dir etwas Böses widerfährt.«

»So komm, denn du hast recht.«

Sie kannten den Weg genau. Die meisten Schläfer befanden sich in ihren Hütten; mehrere lagen vor denselben, doch so fest im Merissahrausche, daß sie nicht aufwachten. Selbst ein Nüchterner hätte die beiden nicht gehört.

Als sie an den Tokul Abd el Mots kamen, lagen wohl acht bis zehn Soldaten um denselben. Der Unteranführer traute den Negersoldaten nicht und pflegte seine Hütte des Nachts mit weißen Söldnern zu umgeben. Aber auch diese lagen in tiefem Schlafe.

»Bleib hier liegen!« flüsterte Lobo. »Es ist nicht schwer, zwischen ihnen hindurchzukommen. Der Araber befindet sich ganz allein in der Hütte. Auch er wird getrunken haben. Ein Stoß, und dann ist Lobo wieder bei dir.«

Die Zuversicht, mit welcher er dies sagte, klang etwas hastig. Die That wurde ihm wohl schwerer, als er es merken lassen wollte. Das Messer in der Hand, kroch er schlangengleich zwischen zwei Schläfern hindurch. Schon hatte er den Eingang erreicht und streckte die Hand aus, um das leichte Schilfgeflecht, welches des Nachts die Thür bildete, beiseite zu schieben; da ließ sich hinter demselben ein lautes Knurren hören. Er zog die Hand zurück; aber der unerwartete Feind brach, anstatt sich zu beruhigen, in ein wütendes Gebell aus und kam, das Geflecht umreißend, aus der Hütte gestürzt. Es war einer jener großen Schillukhunde, welche die Sklavenjäger gern kaufen, um sie gegen die Neger abzurichten. Er warf sich auf Lobo. Dieser war, obgleich dem Alter nach noch kaum ein Mann, doch ein sehr kräftiger Mensch. Er wich dem Hunde mit einer behenden Bewegung aus, faßte ihn mit der Linken beim Genick, riß ihn empor und stieß ihm mit der Rechten mit außerordentlicher Schnelligkeit das Messer einigemal in die Brust. Der Hund brach unter lautem Geheul zusammen.

Karl May

DIE SKLAVENKARAWANE

Ein Dschelabi

»Haï es sala« rief der fromme Schech el dschemali, der Anführer der Karawane »auf zum Gebete! El Asr ist da, die Zeit der Kniebeugung, drei Stunden nach Mittag!«

Die Männer kamen herbei, warfen sich auf den sonnendurchglühten Boden nieder, ließen den Sand durch die Hände gleiten und rieben sich denselben an Stelle des fehlenden, zur vorgeschriebenen Waschung nötigen Wassers sanft gegen die Wangen. Dabei sprachen sie laut die Worte der Fathha, der ersten Sure des Korans:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Lob und Preis dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrschet am Tage des Gerichts. Dir wollen wir dienen und zu dir wollen wir flehen, auf daß du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die sich deiner Gnade freuen, und nicht den Weg derer, über welche du zürnest, und nicht den der Irrenden!«

Dabei knieten die Betenden in der Kibbla, das heißt mit dem Gesichte nach der Gegend von Mekka gerichtet. Sie fuhren unter fortgesetzten Verbeugungen fort, sich mit dem Sande zu waschen, bis der Schech sich erhob und ihnen damit das Zeichen gab, daß die gottesdienstliche Handlung zu Ende sei. Das Gesetz gestattet dem Reisenden, in der wasserarmen Wüste, die bei den täglichen Gebeten stattzuhabende Reinigung mit Hilfe des Sandes bildlich vorzunehmen, und diese Milde verstößt keineswegs gegen die Anschauung des Wüstenbewohners. Er nennt die Wüste Bahr bala moïje lakin miljan nukat er raml, das Meer ohne Wasser, aber voller Sandtropfen, und vergleicht also den Sand der endlos scheinenden Einöde mit den Wassern des ebenso unendlich sich darstellenden Meeres.

Freilich war es nicht die große Sahara, auch nicht die mit ihren welligen Sandhügeln einer bewegten See gleichende Hammada, in welcher sich die kleine Karawane befand, aber ein Stück Wüste war es doch, welches rundum vor dem Auge lag, so weit dasselbe nur zu blicken vermochte. Sand, Sand und nichts als Sand! Kein Baum, kein Strauch, nicht einmal ein Grashalm war zu sehen. Dazu strahlte die Sonne wahrhaft glühend vom Himmel hernieder, und es gab nirgends Schatten als hinter der zerklüfteten, zackigen Felsengruppe, welche sich aus der Sandebene erhob und den Ruinen einer alten Zwingburg glich.

In diesem Schatten hatte die Karawane seit einer Stunde vor Mittag bis jetzt gelagert, um den Kamelen während der heißesten Tagesstunden Ruhe zu gönnen. Nun war die Zeit des Asr vorüber, und man wollte aufbrechen. Der Moslem und ganz besonders der Bewohner der Wüste tritt seine Reisen überhaupt fast stets zur Stunde des Asr an. Nur die Not kann ihn veranlassen, davon eine Ausnahme zu machen, und wenn dann die Wanderung nicht den gehofften günstigen Verlauf nimmt, so schiebt er sicher die Schuld auf den Umstand, daß er nicht zur glückverheißenden Stunde aufgebrochen sei.

Die Karawane war nicht groß. Sie bestand aus nur sechs Personen mit ebenso vielen Reit- und fünf Lastkamelen. Fünf von den Männern waren Homr-Araber, welche als sehr bigotte Muselmänner bekannt sind. Daß dieser Ruf ein wohlverdienter sei, zeigte sich jetzt nach dem Gebete; denn, als die fünf sich erhoben hatten und sich zu ihren Tieren begaben, murmelte der Schech den andern leise zu:

»Allah jenahrl el kelb, el nusrani Gott verderbe den Hund, den Christen!«

Dabei warf er einen verborgenen, bösen Blick auf den sechsten Mann, welcher hart am Felsen saß und damit beschäftigt war, einen kleinen Vogel auszubalgen.

Dieser Mann hatte nicht die scharfgeschnittenen Gesichtszüge und die Glutaugen der Araber, auch nicht ihre schmächtige Gestalt. Als er sah, daß sie aufbrechen wollten, und sich nun erhob, zeigte sich seine Figur so hoch, stark und breitschulterig wie diejenige eines preußischen Gardekürassiers. Sein Haar war blond, ebenso der dichte Vollbart, der sein Gesicht umschloß. Seine Augen waren von blauer Farbe und seine Gesichtszüge von einer bei den männlichen Semiten ganz ungewöhnlichen Weichheit.

Er war genau so wie seine arabischen Gesellschafter gekleidet; das heißt, er trug einen hellen Burnus mit über den Kopf gezogener Kapuze. Doch, als er sein Kamel jetzt bestieg und sich dabei der Burnus vorn öffnete, war zu sehen, daß er hohe Wasserstiefel anhatte, eine gewiß seltene Erscheinung hier in dieser Gegend. Aus seinem Gürtel blickten die Griffe zweier Revolver und eines Messers, und an dem Sattel hingen zwei Gewehre, ein leichteres zur Tötung von Vögeln und ein schwereres zur Erlegung größerer Tiere, beide aber Hinterlader. Vor den Augen trug er eine Schutzbrille.

»Reiten wir jetzt weiter?« fragte er den Schech el dschemali im Dialekte von Kahira (Kairo).

»Ja, wenn es dem Abu l arba ijun gefällig ist,« antwortete der Araber.

Seine Worte waren höflich: aber er bemühte sich vergeblich, seinem Gesichte dabei einen freundlichen Ausdruck zu geben. Abu l arba ijun bedeutet »Vater der vier Augen.« Der Araber liebt es, andern und zumal Fremden, deren Namen er nicht aussprechen und sich nicht gut merken kann, eine Bezeichnung zu geben, welche sich auf irgend einen ihm auffälligen Umstand oder auf eine in die Augen springende Eigenschaft beziehen, welche der Betreffende besitzt. Hier war es die Brille, welcher der Reisende den sonderbaren Namen verdankte.

Diese Namen beginnen gewöhnlich mit Abu oder Ben und Ibn, mit Omm oder Bent, das heißt mit Vater oder Sohn, Mutter oder Tochter. So gibt es Namen wie Vater des Säbels ein tapferer Mann, Sohn des Verstandes ein kluger Jüngling, Mutter des Kuskussu eine Frau, welche diese Speise gut zuzubereiten versteht, Tochter des Gespräches ein klatschhaftes Mädchen. Auch in andern, nicht orientalischen Ländern hat man eine ähnliche Gewohnheit, so zum Beispiele in den Vereinigten Staaten bezüglich des Wortes Old. Old Firehand, Old Shatterhand, Old Coon sind dort bekannte Namen berühmter Prairiejäger.

»Wann werden wir den Bahr el abiad erreichen?« erkundigte sich der Fremde.

»Morgen, noch vor dem Einbruch des Abends.«

»Und Faschodah?«

»Zu derselben Zeit, denn wenn Allah will, so werden wir gerade an der Stelle, auf welcher diese Stadt liegt, auf den Fluß stoßen.«

»Das ist gut! Ich kenne diese Gegend nicht genau. Hoffentlich wißt Ihr besser Bescheid als ich und werdet Euch nicht verirren!«

»Die Beni-Homr verirren sich nie. Sie kennen das ganze Land zwischen der Dschesirah, Sennar und dem Lande Wadai. Der Vater der vier Augen braucht keine Sorge zu haben.«

Er sprach diese Worte in einem sehr selbstbewußten Tone aus, und warf aber dabei einen heimlichen, höhnischen Blick auf seine Gefährten, welcher, wenn der Fremde ihn gesehen hätte, demselben wohl verdächtig vorgekommen wäre. Dieser Blick sagte mit größter Deutlichkeit, daß der Reisende weder den Nil noch Faschodah erreichen solle.

»Und wo übernachten wir heute?« fragte der Fremde weiter.

»Am Bir Aslan, den wir eine Stunde nach dem Mogreb erreichen werden.«

»Dieser Name hat keinen beruhigenden Klang. Wird der Brunnen durch Löwen unsicher gemacht?«

»Jetzt nicht mehr. Aber vor vielen Jahren hatte sich der Herr mit dem dicken Kopfe samt seiner Frau und seinen Kindern niedergelassen. Es fielen ihm viele Menschen und Tiere zum Opfer, und alle Krieger und Jäger, welche auszogen, um ihn zu töten, kamen mit zerrissenen Gliedern zurück oder wurden gar von ihm gefressen. Allah verdamme seine Seele und die Seelen aller seiner Vorfahren und Nachkommen! Da kam ein fremder Mann aus Frankhistan, der wickelte ein Gift in ein Stück Fleisch und brachte es in die Nähe des Brunnens. Am andern Tage lag der Fresser tot am Wasser. Sein Weib war darüber so erschrocken, daß sie mit ihren Kindern davonzog, wohin, das erfuhr man nicht, doch Allah weiß es. Möge sie mit ihren Söhnen und Töchtern im Elende erstickt sein! Seit jener Zeit hat es nie wieder einen Löwen an diesem Brunnen gegeben, aber den Namen hat er behalten.«

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