Nun ist die Ausrüstung beendet und der Dschelabi, der Händler fertig. Er könnte beginnen; aber sich allein in die weite, schlimme Welt zu wagen, das fällt ihm gar nicht ein. Er sucht nach gleichgestimmten Herzen und gleichgesinnten Seelen, die er auch unschwer findet. Bald sind sechs, acht, zehn solcher zukünftigen Kommerzienräte beisammen. Jeder hat einen Esel, aber was für einen! Viel haben die Tiere nicht kosten sollen, und darum sind sie alle mehr oder weniger lädiert und ramponiert. Dem einen fehlt ein Ohr, dem andern der Schwanz, den dritten haben die Ratten angefressen, und der vierte wurde blind geboren. Diese äußerlichen Mängel werden aber durch innerliche, durch Seelen- und Charaktereigenschaften reichlich aufgewogen, welche den Besitzer zur Verzweiflung bringen können. Trotzdem ist er stolz auf sein Reittier und belegt es mit den schmeichelhaftesten Namen und Stockhieben.
Um die Reise antreten zu können, werden die berühmtesten Fuqara aufgesucht und um wunderthätige Amulette angegangen. Die Welt ist schlecht, und es hausen böse Geister überall in Menge; da muß man an Brust und Armen mit Amuletten behangen sein, um allen Gefahren ruhig entgegensehen und im geeigneten Augenblicke mutig den Rücken kehren zu können.
Nun werden die beiden Gurab dem Esel aufgeladen. Der Dschelabi nimmt einen tüchtigen Knüppel in die Hand, um mit demselben dem Langohr zuweilen einen beherzigenswerten Wink geben zu können, und steigt auch mit auf. Das Schwert wird mittelst eines Kamelstrickes umgeschnallt oder die Pistolenhaubitze beigesteckt, und dann setzt sich der imposante Zug in Bewegung, von sämmtlichen Freunden und Anverwandten bis vor den Ort hinaus begleitet.
Thränen fließen, Herzen zerrinnen. »Be ism lillahi in Allahs Namen!« erklingen die schluchzenden Segenswünsche. Der Zug kommt zehn und hundertmal ins Stocken, denn hier bockt ein Esel und wirft Ladung und Reiter ab; ein andrer wälzt sich im tiefen Kote, um sich von der Last zu befreien, und ein dritter stemmt sich mit allen Vieren ein, schreit wie am Spieße und ist weder durch Liebkosungen noch durch Schläge von der Stelle zu bringen, bis sich zehn Anverwandte vorn anspannen, um ihn am Maule zu ziehen, und zehn Freunde hinten am Schwanze schiebend und schwitzend nachhelfen. So gelangt die Dschelaba endlich glücklich ins Freie und bockt, stolpert, rennt, schreit, heult und flucht ihrem Glücke entgegen.
Sie trennt sich von Zeit zu Zeit, um sich an gewissen Orten wieder zusammenzufinden. Glänzende Geschäfte werden gemacht, großartige Abenteuer erlebt; manche gehen auch zu Grunde, während andre ihr kleines Anlagekapital durch Schlauheit und Ausdauer schnell vervielfältigen und wirklich zu reichen Männern werden.
Mancher Dschelabi wagt sich in den tiefsten Sudan hinein und kommt erst nach Jahren als ein gemachter Mann zurück. Mancher andre ist früher vielleicht ein angesehener Beamter gewesen und hat zum Esel greifen müssen, um im Sumpflande am Fieber oder anderswo am Hunger zu Grunde zu gehen. Niemand erfährt, wo seine Gebeine und diejenigen seines Esels bleichen. Vielleicht hat er den letztern vorher noch aufgezehrt.
Eine solche Dschelaba war es, welche der Karawane jetzt begegnete. Sie kam den Arabern höchst ungelegen, und der Schech murmelte einen Fluch zwischen die Lippen. Dem Fremden aber waren diese Leute sehr willkommen. Er ritt auf sie zu, rief ihnen einen freundlichen Gruß entgegen und fragte:
»Wohin geht euer Weg? Die Sonne ist gesunken. Wollt ihr nicht bald Lager machen?«
Die Leute waren nur sehr notdürftig gekleidet. Die meisten trugen nichts als nur die Lendenschürze; aber alle waren guten Mutes. Sie schienen gute Geschäfte gemacht zu haben. Sie gehörten nicht einer und derselben Rasse an. Es gab mehrere Schwarze unter ihnen. Voran ritt ein kleiner, dünner und, so viel man bei dem scheidenden Tageslichte sehen konnte, blatternarbiger Bursche, dessen Schnurrbart aus nur einigen Haaren bestand. Er hatte Hosen an, war sonst unbekleidet und trug ein riesiges Schießgewehr am Riemen auf dem Rücken. Eine Kopfbedeckung schien für ihn überflüssig zu sein; sein Haar hing ihm dick und voll vom Haupte bis auf den Rücken herab, fast ganz in der Weise, wie die in Deutschland als Blechwarenhändler und Drahtbinder umherziehenden Slowaken das ihrige zu tragen pflegen. Er war es, der die Antwort übernahm:
»Wir kommen vom Dar Takala herab und wollen nach Faschodah.«
»Aber nicht heute?«
»Nein, sondern erst morgen. Heute bleiben wir am Bir Aslan.«
»Das wollen wir auch. So können wir uns also Gesellschaft leisten.«
»Herr, wie könnten wir armen Dschelabi es wagen, den Hauch deines Atems zu trinken? Wir machen uns ein Lager fern von Euch. Erlaube uns nur ein wenig Wasser für uns und unsre Tiere?«
»Alle Menschen sind vor Allah gleich. Ihr sollt bei uns schlafen. Ich wünsche es.«
Das sagte er in bestimmtem Tone. Dennoch fragte der Dschelabi:
»Du scherzest, Herr, nicht wahr?«
»Nein. Es ist mein Ernst. Ihr seid mir willkommen.«
»Und deinen Leuten auch?«
»Warum diesen nicht?«
»Ihr seid Beni Arab. Darf ich erfahren, von welchem Stamme?«
»Von dem der Homr.«
»Allah kerihm Gott ist gnädig, aber die Homr sind es nicht. Erlaube, daß wir fern von Euch bleiben.«
»Warum ?«
»Weil wir euch nicht trauen dürfen.«
Er hielt den Fremden auch für einen Homr, ja für den Anführer derselben. Um so mutiger war es von ihm, daß er so aufrichtig sprach. Der Europäer antwortete:
»Hältst du uns für Diebe?«
»Die Homr sind Feinde der Schilluk, in deren Gebiete wir uns hier befinden,« meinte der Dschelabi ausweichend. »Wie leicht kann es zu einem Kampfe kommen, und da ziehen wir es vor, fern zu bleiben.«
»Dein Herz scheint keinen großen Mut zu besitzen. Wie ist dein Name?«
Der Kleine richtete sich im Sattel höher auf und antwortete:
»Ob ich furchtsam bin, das geht dich gar nichts an. Wenn du meinen Namen wissen willst, so steige ab und hole dir ihn!« Er sprang von seinem Esel, warf das Gewehr weg und zog das Messer. Die Homr waren weiter geritten. Die Dschelaba hielt noch am Platze. Hinter dem bisherigen Sprecher befand sich ein ebenso kleiner Bursche, welcher befürchten mochte, daß die Scene sich zum Schlimmen wenden könne. Er wollte dem vorbeugen, indem er sagte:
»Verzeihe, Herr, dieser Mann hat stets einen großen Mund und ist doch nur ein kleiner Mensch, der nichts versteht. Er wird von uns Ibn el dschidri oder wohl auch Abu el hadaschtscharin genannt.«
»Warum dieser letztere Name?« erkundigte sich der Fremde.
»Weil sein Schnurrbart nur aus elf Haaren besteht, rechts sechs und links fünf. Und doch ist er außerordentlich stolz auf ihn, so daß er ihn gerade so sorgfältig pflegt wie eine Nuer-Negerin ihr Durrhafeld.«
Er bemühte sich, dem drohenden Konflikte eine heitere Bahn zu brechen, kam aber bei seinem Kollegen schlecht an, denn dieser rief ihm zornig zu:
»Schweig, du Vater des Unverstandes! Mein Schnurrbart ist hundertmal mehr wert als dein ganzer Kopf. Du selbst hast den großen Mund. Du rühmst dich deines Stammbaumes, aber niemand glaubt an ihn!«
Das war eine Beleidigung, welche den andern nun auch in Harnisch brachte. Er antwortete:
»Was weißt du von meinem Stammbaum! Wie lautet mein Name, und wie klingt der deine!«
Und sich zu dem Fremden wendend, fuhr er fort:
»Herr, erlaube mir, dir zu sagen, wer ich bin! Ich heiße nämlich Hadschi Ali ben Hadschi Ishak al Faresi Ibn Hadschi Otaiba Abu l Ascher ben Hadschi Marwan Omar el Gandesi Hafid Jacub Abd Allah el Sandschaki.«
Je länger der Name eines Arabers, desto mehr ehrt ihn derselbe. Von berühmten Vätern abzustammen, geht ihm über alles. Darum reiht er ihre Namen bis ins dritte und vierte Glied aufwärts aneinander und bringt so eine Riesenschlange fertig, über welche der Europäer heimlich lächelt.
Das war eine Beleidigung, welche den andern nun auch in Harnisch brachte. Er antwortete:
»Was weißt du von meinem Stammbaum! Wie lautet mein Name, und wie klingt der deine!«
Und sich zu dem Fremden wendend, fuhr er fort:
»Herr, erlaube mir, dir zu sagen, wer ich bin! Ich heiße nämlich Hadschi Ali ben Hadschi Ishak al Faresi Ibn Hadschi Otaiba Abu l Ascher ben Hadschi Marwan Omar el Gandesi Hafid Jacub Abd Allah el Sandschaki.«
Je länger der Name eines Arabers, desto mehr ehrt ihn derselbe. Von berühmten Vätern abzustammen, geht ihm über alles. Darum reiht er ihre Namen bis ins dritte und vierte Glied aufwärts aneinander und bringt so eine Riesenschlange fertig, über welche der Europäer heimlich lächelt.
Dieser Hadschi Ali blickte den Fremden erwartungsvoll an, was er zu dem berühmten Namen sagen werde.
»Also Hadschi Ali heißt du?« fragte der Vater der vier Augen. »Dein Vater war Hadschi Ishak al Faresi?«
»Ja. Hast du von ihm gehört?«
»Nein. Dein Großvater hieß also Hadschi Otaiba Abu l Oscher?«
»So ist es. Ist dieser dir bekannt?«
»Auch nicht. Und dein Urgroßvater war Hadschi Marwan Omar el Gandesi?«
»So ist es. Von ihm hast du doch jedenfalls vernommen?«
»Leider nicht! Und endlich war dieser letztere der Urenkel und Nachkomme von Jacub Abd Allah el Sandschaki, also des Fahnenträgers?«
»Ja, er trug den Sandschak des Propheten in den Kampf.«
»Diesen Namen habe ich allerdings gelesen. Jacub Abd Allah soll ein mutiger Streiter gewesen sein.«
»Ein Held war er, von dem noch heute die Lieder erzählen!« stimmte Ali stolz bei.
»Aber dein Ahne ist er nicht!« fiel der erste Dschelabi ein. »Du hast ihn dir unrechtmäßigerweise angeeignet!«
»Bringe mir nicht immer diesen Vorwurf! Ich muß doch besser als du wissen, von wem ich stamme!«
»Und mit eben solchem Unrechte nennst du dich Hadschi Ali. Wer da sagt, daß er ein Hadschi sei, der muß doch Mekka zur Zeit der Pilgerfahrt besucht haben. Du aber warst nie dort!«
»Etwa du?«
»Nein. Ich rühme mich dessen nicht, denn ich mache keine Lügen.«
»Du könntest dich auch gar nicht rühmen, denn du bist ein Christ, und Christen ist der Zutritt in Mekka bei Todesstrafe verboten!«
»Wie? Du bist ein Christ?« fragte der Fremde den ersten Dschelabi.
»Ja, Herr,« antwortete dieser. »Ich mache kein Hehl daraus, denn es ist eine Sünde, seinen Glauben zu verleugnen. Ich bin allerdings Christ und werde es bleiben bis an mein Ende.«
Bis jetzt hatte der »Vater der vier Augen« dem Konflikte der beiden mit stillem Behagen zugehört. Sie schienen sich in den Haaren zu liegen und doch die besten Freunde zu sein. Jetzt aber wurde er plötzlich ernst, und es lag eine tiefe Betonung auf seinen Worten, als er sagte:
»Daran thust du ganz recht. Kein Christ soll seinen Glauben aus irgend einem Grunde verleugnen. Das wäre eine Sünde wider den heiligen Geist, von welcher das Kitab el mukkadas sagt, daß sie nicht vergeben werden könne.«
»Sünde wider den heiligen Geist?« fragte der Dschelabi erstaunt. »Davon hast du gehört?«
»Jawohl.«
»Und die heilige Schrift kennst du also auch?«
»Ein wenig.«
»Und als Moslem rätst du mir, fest an meinem Glauben zu halten!«
»Ich bin kein Moslem, sondern auch ein Christ.«
»Auch ein Christ! Wohl ein koptischer?«
»Nein.«
»Aber was sonst für einer? Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß ein Beni Homr ein Christ sein könne.«
»Ich bin kein Homr, auch kein Araber, überhaupt kein Orientale, sondern ein Europäer.«
»Mein Gott, ists möglich! Ich auch, ich auch!«
»Aus welchem Lande?«
»Aus Ungarn. Ich bin Magyar. Und «
»Davon später. Meine Begleiter sind mir weit voran und ich habe alle Veranlassung, ihnen nicht zu trauen. Ich muß ihnen schnell nach. Nun du gehört hast, daß ich auch ein Europäer bin, wirst du wohl bereit sein, bei mir zu lagern?«
»Von ganzem Herzen gern! Welch eine Freude, welch eine Wonne für mich, dich hier getroffen zu haben! Nun können wir von der Heimat sprechen. Laßt uns schnell reiten, damit wir die Homr einholen und den Brunnen schnell erreichen!«
Es ging vorwärts, so schnell die Esel laufen konnten, und sie liefen sehr gut. Diese Tiere sind in südlichen Gegenden ganz andre Geschöpfe als bei uns. Ein ägyptischer Esel trägt den stärksten Mann und galoppiert mit ihm so lange Zeit, als ob er gar keine Last zu tragen habe. Nach einer Viertelstunde waren die Araber erreicht. Sie sagten zu den Dschelabi kein Wort, nicht einmal eine Silbe der Begrüßung. Da diese acht Männer jetzt zugegen waren, war es unmöglich, den Fremden niederzuschießen, wie man vorher gewillt gewesen war.
Still ging es weiter. Der kleine Ungar machte keinen Versuch, sich mit dem »Vater der vier Augen« zu unterhalten. Es wäre das nicht gut gegangen, da der eine auf dem hohen Hedschin und der andre auf dem kleinen Esel saß.
Die Sterne des Äquators waren aufgegangen, und ihr intensives Licht leuchtete fast so hell wie der Mond, welcher jetzt nicht zu sehen war, da er in der Phase der Verdunkelung stand.
Nach einiger Zeit sah man eine Bodenerhebung liegen, welche schroff aus der Erde stieg. Der Sternenschimmer verlieh ihr ein gespenstiges Aussehen.
»Dort ist der Bir Aslan,« sagte der Ungar. »In fünf Minuten werden wir dort sein.«
»Schweig, Dschelabi!« fuhr der Schech ihn an. »Wann du dort sein willst, das kommt allein auf uns an. Noch haben wir dich nicht eingeladen, uns zu begleiten!«
»Dessen bedarf es gar nicht. Wir gehen ohne Einladung hin.«
»Wenn wir es euch erlauben!«
»Ihr habt gar nichts zu erlauben. Der Brunnen ist für alle da, und übrigens befindet ihr euch in Feindes Land.«
»Allah iharkilik Gott verbrenne dich!« murmelte der Homr, sagte aber weiter nichts.
Der Dschelabi schien von Haus aus kein furchtsames Kerlchen zu sein, und seit er wußte, daß der erst für einen mohammedanischen Schech gehaltene Fremde ein europäischet Christ sei, fühlte er sich noch weniger geneigt, sich von den Arabern bevormunden zu lassen.
Sie langten bei dem Felsen an, an dessen Fuß sich der Bir befand. Dieser war kein laufendes Wasser; er bestand in einem kleinen, von dichtem Mimosengebüsch umgebenen Weiher, welchen eine nicht sichtbare Wasserader speiste. Man stieg ab. Während einige die von ihren Lasten befreiten Tiere tränkten, sammelten die andern dürres Geäst, um ein Feuer zu machen. Als es brannte, setzten sich die Homr so um dasselbe, daß für die Dschelabi kein Platz blieb. Der Ungar verlor kein Wort darüber. Er trug Holz nach der andern Seite des Wassers, brannte dort ein Feuer an und rief dem »Vater der vier Augen« zu:
»Nun magst du dich entscheiden, bei wem du sitzen willst, bei ihnen oder bei uns.«
»Bei euch,« antwortete er. »Nehmt dort die Satteltasche, welche meinen Proviant enthält! Ihr seid meine Gäste. Wir können alles aufessen, da wir morgen nach Faschodah kommen.«
»Da irrt er sich,« flüsterte der Schech den Seinen zu. »Er verachtet uns und zieht diese Erdferkel vor. Wir wollen so thun, als ob wir es nicht beachteten. Aber beim Anbruche des Tages wird er in der Dschehenna heulen. Mag er jetzt noch einmal, zum letztenmal im Leben, essen!«
Er suchte auch seine Vorräte vor, dürres Fleisch und trockenen Durrhakuchen, wozu das Wasser des Bir mit den Händen geschöpft wurde.
Indessen rekognoszierte der Fremde die Umgebung des Brunnens. Der kleine Berg stand vollständig isoliert in der Ebene. Er war mit Gras bewachsen, eine Folge der Verdunstung des Brunnenwassers. Auf seiner nördlichen und westlichen Seite gab es kein Strauchwerk; aber am östlichen und südlichen Fuße, wo der Brunnen lag, kletterten die Mimosen ein Stück am ausgewitterten Felsen empor und liefen auch eine ganze Strecke in die Ebene hinein. Menschliche Wesen waren nicht zu sehen; die Gegend schien vollständig sicher zu sein, auch in Beziehung auf wilde Tiere, falls nicht der Geist des hier vergifteten »Herrn mit dem dicken Kopfe« hier in nächtlicher Stunde sein Wesen trieb.