Die Schiffer hatten in menschenfreundlicher Absicht Lebensmittel herbeigebracht, um vermeintlich Notleidenden beizustehen, doch sie waren selbst in den Schoß des Ueberflusses geraten, und statt mit mittelmäßigem Schiffsproviant Hungrigen beizuspringen, wurden sie nun mit dem delikatesten Abendessen bewirtet. Von den mehr oder weniger zahmen Schweinen, welche die ländliche Scene belebten, ward von den freundlichen Wirten sogleich eines der fettesten geschossen; man lichtete den wohl versorgten Taubenschlag, und als Zuspeise gab es mehlige Kartoffeln, erfrischende Wassermelonen, welche der kleine Garten liefern mußte, Holundersuppe, frische Feigen und Maulbeeren, Pfannkuchen, Schildkröteneier und verschieden zubereitete Fische. Den Beschluß machte ein aromatischer Thee, welcher aus den Blättern des hier wild wachsenden Sassafras (Laurus Sassafras) bereitet worden war. Die beiden Einsiedler hatten sich sehr an ihn gewöhnt, und auch von den Gästen wurde er als ganz köstlich befunden.
Die Sorgfalt der Gastgeber ging sogar so weit, daß sie, weil ihr Tischgerät nicht für alle ausreichte, schnell einige Löffel improvisierten; es waren dies Muschelhälften, welche man an Stielen von Fächerpalmen befestigte. So schön weiß ein Robinsonleben den Erfindungsgeist zu wecken. Auch die innere Einrichtung der Hütte machte einen wohlthuenden Eindruck und zeugte von dem Ordnungssinn und den nicht ganz ungünstigen Verhältnissen ihrer Bewohner. Das Hausgerät, welches hauptsächlich aus Schiffskisten und den beiden Hängematten bestand, nahm sich ganz artig aus; auch bemerkte man einige vom Schiffe gerettete Bücher, die namentlich in langen Winterabenden die Abgeschiedenheit versüßt hatten. Auch für die zur Abendlektüre so notwendige Beleuchtung war gesorgt, denn es fehlte nicht an Walrat, womit das verunglückte Schiff hauptsächlich beladen gewesen war.
Den größten Teil der nächsten Nacht brachte die heitere Gesellschaft unter den herrlichen Bäumen vor der Klause zu, der köstlichen Scene sich erfreuend und Genüsse durch alle Sinne in sich aufnehmend; denn bald gesellte sich zur Lieblichkeit des Ortes und des Klimas bei völlig heiterem Himmel der Vollmondsglanz in seiner ganzen stillen Pracht. Solche Stunden sind unvergeßlich und werfen einen Lichtschein durch das ganze Leben.
Man benützte diese magische Beleuchtung, um nach dem sandigen Ufer zu wandern, wo man eierlegende Schildkröten in Menge fand, denn es war grad die günstige Gelegenheit, die Jahreszeit, in welcher diese Tiere von einem wunderbaren Instinkte angetrieben werden, die sandigen Ufer der abgelegensten Inseln zum Eierlegen aufzusuchen. Sie verweilen dann an diesen Stellen den ganzen Sommer durch in Menge, um das Ausschlüpfen der jungen abzuwarten und mit diesen dann im Herbste das offene Meer zu suchen.
Die Geräumigkeit der Löcher, welche diese Tiere in den Sand graben, ist staunenswert. Ein solches unterirdisches Nest nimmt eine ganz beträchtliche Menge von Eiern auf, die rasch nacheinander hineingelegt und dann sorgfältig wieder mit Sand bedeckt werden, bis der ebene Boden vollständig wieder hergestellt ist. Hierdurch werden die Eier vollkommen gegen die Angriffe der dort so häufigen und sehr lüsternen Raben geschützt, nicht aber gegen die aufwühlenden Schweine, welche nicht minder auf solch ein leckeres Mahl erpicht sind. Vor ihren Rüsseln ist kein Nest sicher, und obgleich sie erst mit dem »Williams« auf das Eiland gekommen waren, drohte doch ihre Vermehrung der ganzen Schildkrötenkolonie den Untergang.
Es ist unberechenbar, welche Störungen und Umwälzung die Einführung eines neuen Tieres in der ursprünglichen Tierwelt eines Ortes hervorbringen kann. So hat z.B. in Neu-Seeland der flügellose Kiwi der Uebersiedelung des europäischen Hundes nicht widerstehen können, und ebenso droht die dort eingeführte Katze dem Kakapo, einem dortigen Kuckuck, der auf niederen Zweigen zu nisten pflegt, mit dem vollständigen Untergange. Nicht allein die wilden Völkerstämme sind es, die bei der Ankunft des weißen Mannes ihr Todesurteil empfangen, auch die Haustiere, welche ihn begleiten, bringen den freien tierischen Bewohnern der Wildnis Verderben und Vernichtung.
Merkwürdig ist die Wehrlosigkeit jener großen Schildkröten, deren durchschnittliche Körperlänge wenig unter fünf Fuß beträgt, und die bei der Langsamkeit ihrer Bewegungen am Lande ihren Verfolgern sehr leicht zur Beute werden, obgleich sie im Wasser außerordentlich behend sind und schwimmend ihren Verfolgern leicht zu entgehen vermögen. Zwei Menschen müssen gewöhnlich ihre Kräfte vereinigen, um ein so schweres, im Sande fortkriechendes Tier umzuwälzen; einmal auf dem Rücken liegend, kann es sich nicht wieder umwenden, und nichts ist dann leichter, als es durch einen starken Hieb in die Kehle zu töten. Seine ganze Verteidigung besteht dann in einem kraftlosen, unbeholfenen Umherschlagen mit den flossenartigen Ruderfüßen; die scharfen Kinnladen, sein natürliches Gebiß, versteht es nicht zu gebrauchen.
Die beiden Ansiedler hatten den Platz Port Lloyd genannt, und da Lütke hier alles vereinigt fand, was er brauchte, so beschloß er, einige Zeit zur Ausbesserung seines Schiffes hier zu verweilen. Währenddessen hatte er volle Zeit, sich mit der belebten Welt der romantischen Insel bekannt zu machen.
Außer den mannigfaltigen Vögeln, vom Falken des Gebirges bis zum Pelekan des Strandfelsens, beschäftigte ihn besonders die Tierwelt der unterseeischen Gefilde. Reizend waren namentlich die Uferstellen, von welchen man auf die seichten Korallenbänke hinabschauen konnte, deren weißgelber Sand durch den flüssigen Krystall des Seewassers emporschimmerte. Zwischen den einzelnen mit lebenden Polypen versehenen Korallenstämmen sah man im bunten Gemisch Seesterne, Holothurien und Seeigel von wunderbarer Größe und Schönheit sich am Boden bewegen, während das beinahe zwanzig Fuß tiefe Küstenwasser, vollkommen durchsichtig wie Glas, in allen seinen Schichten von den prachtvollsten Fischen und Doriden, deren schönes Scharlachkleid mit einem glänzend weißen Mantelsaum verbrämt war, durchkreuzt wurde.
Das fortwährende Kommen und Gehen, die ewig wechselnde Scenerie dieser submarinen, in allen Prismafarben glänzenden, metallisch schimmernden Lebensformen, das unermüdliche Auf und Abfluten dieser sich stets neu gestaltenden Wasserwelt gab ein Schauspiel, wie es nur der Küstenbewohner der Tropen zu sehen bekommt. Die meisten der Fische wurden als höchst schmackhaft befunden und ebenso die Krebse und Krabben der mannigfaltigsten Arten, welche nicht allein in den unterseeischen Klüften der Felsenufer sich versteckten oder auf Korallenbänken auf Raub ausgingen, sondern auch alle durch die Waldthäler rieselnden Bäche belebten.
Die Formen der Eidechsen und Schlangen fehlten dagegen gänzlich, und auch die Säugetiere waren nur widerwärtig oder unheimlich durch die Ratte und einen ziemlich großen Flatterer vertreten, welcher wegen der Aehnlichkeit der Gestalt der fliegende Bär (Pteropus ursinus) genannt wurde. Das Klima war ganz vortrefflich, und die beiden Einsiedler erzählten, daß sie selbst im Winter nie das Bedürfnis nach einer Fußbekleidung empfunden hätten, und die Hitze des Sommers wurde durch die frische Seeluft gemildert.
Die Natur hätte hier also alles vereinigt, um diesen Ort zu einem höchst wünschenswerten Aufenthalt für den Menschen zu machen, wenn sie ihn nicht bisweilen durch Erdbeben und furchtbare Stürme erschreckte. Die Orkane entfalten bekanntlich in den chinesischen und japanischen Meeren eine furchtbare Wut und rasen in ihrer ganzen entsetzlichen Stärke auch über die nahe liegenden Bonin-Inseln. Sogar im Innern der Bai geraten dann die Gewässer in einen so furchtbaren Aufruhr, daß sie den Anblick einer einzigen Masse weißen Schaumes darbieten. Und findet eines der hier nicht seltenen Erdbeben statt, so wird das Land bis in seine tiefsten Grundfesten erschüttert, und die Sturmflut steigt dabei zu einer solchen Höhe, daß sie alle Flächen und Thäler weithin unter Wasser setzt.
Wittrin und Petersen verließen mit der russischen Expedition ihre Einsiedelei, und Bonin blieb auf kurze Zeit den verwilderten Schweinen und fliegenden Bären überlassen.
Dann gründeten zwei unternehmende Männer, Richard Millichamp aus Devonshire in England und Mateo Mozaro aus Ragusa, mit einem Dänen, zwei Amerikanern und einer Anzahl Sandwich-Insulanern (fünf Männern und zehn Frauen) hier eine Kolonie, welche sich bald durch Matrosen, die von ihren Schiffen ausrissen, weiter vermehrte. Die Leute bauten süße Kartoffeln, Mais, Kürbisse, Tarowurzeln, Bananen, Ananas und eine Menge anderer Früchte so reichlich an, daß sie die hier nun oft anlegenden Schiffe vollauf damit zu versehen vermochten. Auch der Tabak war von außerordentlicher Güte und erreichte oft eine Höhe von über fünf Fuß. Später gab die einstweilen sich selbst regierende Kolonie sich eine Konstitution. Die Regierung liegt in den Händen eines Chefs und zweier Ratsherren, welche auf zwei Jahre gewählt werden.
Also diese Inselgruppe wollten wir ansegeln, hatten sie aber noch nicht erreicht, als der Kapitän plötzlich einige Striche mehr nach Südwest abfallen ließ, eine Maßregel, welche sofort meine Verwunderung erregte.
»Wollt Ihr vielleicht an den Bonin-Islands vorbei, Kaptn?« fragte ich ihn.
Er sog die Luft mit der Bedachtsamkeit eines nach Champignons suchenden Wachtelhundes ein und machte ein sehr bedenkliches Gesicht.
»Vorbeigehen? Hin, fällt mir gar nicht ein! Aber Ihr gebt doch zu, daß es gut sein wird, uns für jetzt ein wenig seewärts vom Lande zu halten.«
»Warum?«
»Riecht Euch doch einmal diese Luft an! Merkt Ihr etwas?«
Ich konnte trotz aller Aufmerksamkeit weder einen Veilchen-, noch einen andern Duft als den gewöhnlichen Seegeruch wahrnehmen, und antwortete darum:
»Ich merke nichts.«
»Und seht auch nichts?« ich musterte den ganzen Gesichtskreis. Im Nordosten war es, als sei der Himmel da, wo er den Horizont berührte, mit glänzenden und maschenartig gekreuzten Nachsommerfäden überzogen, an deren oberem Rande sich eine kleine, helle und kaum einen Fuß im scheinbaren Durchmesser haltende Oeffnung befand. Das alles war so seidenartig, so zart und weich gezeichnet, als hätte der Mundhauch einer Fee den sonst so freundlichen und lichten Horizont berührt, und ich konnte mir nicht denken, daß diese kaum bemerkbaren Linien in einem Zusammenhange mit der plötzlichen Veränderung unseres Kurses stehen könnten.
»Ich sehe nur jene unverfänglichen Striche dort zwischen Ost und Mitternacht.«
»Unverfänglich? Ja, so kann bloß einer sagen, der kein Seemann ist, oder vielmehr, ich glaube sogar, daß dies auch ein sonst wohlbefahrener Wasserbär meinen könnte, falls er zum erstenmale in diese Meere kommt. Aber traut nur diesem Himmel nicht; er macht ein Sirenengesicht, und was darauf folgt, werden wir bald merken.«
»Sturm?«
»Sturm? Pah! Wollt Ihr einen Bären mit einer Spitzmaus vergleichen? Beide Tiere gehören, wie ich mir einmal habe sagen lassen, zu derselben Klasse von Raubtieren, aber ich glaube doch nicht, daß Ihr Meister Petz in einer Mausefalle fangen werdet. So ist es auch hier. Der Sturm und das, was wir zu erwarten haben, beides gehört ganz zu derselben Sorte von aeronautischen Belästigungen, aber zwischen einem regelrechten Sturme und dem Teifun ist ganz derselbe Unterschied, wie zwischen der Maus und dem Bären.«
»Einen Teifun erwartet Ihr?« fragte ich, halb erschrocken und halb befriedigt, daß es mir vergönnt sein sollte, diese fürchterlichste Lufterscheinung kennen zu lernen.
»Ja, einen Teifun. In zehn Minuten haben wir ihn. Es wird der elfte oder zwölfte sein, den ich in diesen Gewässern erlebe, und ich kenne also diese Sorte von Mailüftchen recht gut. Es giebt verschiedene Anzeichen, keines von ihnen aber ist so gefährlich, wie dieses verteufelte Netz da hinten. Ich sage Euch, Charley, in fünf Minuten werden die Fäden den ganzen Himmel umsponnen und sich zu einer pechschwarzen Wolkenmasse ausgebildet haben. Die weiße Oeffnung dort wird bleiben, denn der Teifun muß doch eine Thür haben, durch welche er herunterblasen kann. Es ist ein Sturmloch. Macht, daß Ihr in Eure Kajüte kommt, und guckt nicht eher wieder heraus, als bis ich Euch entweder rufe oder unser guter »Wind« unten auf dem Meeresgrunde für immer vor Anker geht!«
»Paßt mir schlecht, Kaptn! Darf ich nicht an Deck bleiben?«
»Es ist meine Pflicht, jeden Passagier hinabzuschaffen, und doch würde ich bei Euch eine Ausnahme machen, aber ich gebe Euch mein Wort, daß Euch schon die erste oder zweite See über Bord nehmen wird.«
»Möchte es nicht glauben! Ich bin nicht zum erstenmale in See, und wenn Ihr wirklich Sorge habt, so nehmt ein Tau und sorrt mich fest an den Mast oder sonst irgendwo!«
»Unter dieser Bedingung mag es gehen; aber wenn der Mast über Bord geht, so seid auch Ihr verloren!«
»Wahrscheinlich! Aber dann wird ja überhaupt von dem Schiffe nicht viel übrig bleiben.«
»Well! Wenn Ihr es einmal auf den Mast abgesehen habt, so kommt her; ich selbst werde Euch mit ihm zusammensplissen.«
Er nahm ein starkes Tau zur Hand und band mich fest.
Unterdessen herrschte eine fieberhafte Geschäftigkeit am Deck. Die Gallantmasten und Raaen wurden heruntergenommen und alles Bewegliche so viel wie möglich befestigt oder durch die Luke in den Raum geschafft. Jedes Stück Leinwand wurde gerefft, und nur oben am Spenker blieb ein Sturmtopsegel, um dem Steuer so viel wie möglich zu Hilfe zu kommen. Auch an die Radspeichen des Steuers wurden Taue befestigt, für den Fall, daß bloße Armeskraft nicht zulänglich sei, das von den Wogen ergriffene Ruder zu regieren. Schließlich wurde jede in den Raum führende Luke oder Oeffnung so fest als möglich luftdicht verschlossen, daß das Wasser keinen Zutritt finden konnte.
Und nun, als das alles mit der angestrengtesten Thätigkeit beendet war, brach, genau nach zehn Minuten, wie der Kapitän vorhergesagt hatte, das Wetter los. Der ganze Himmel hatte sich mit einer schwarzen Decke umzogen, und die Wogen besaßen jetzt eine tief dunkle, fast möchte ich sagen infernalisch drohende Farbe. Sie hatten keine schleunigere Bewegung als bisher, aber jede einzelne der Wellen glich einem schwarzen Panther oder dem zottigen Bison, welcher ruhig hält, um seine Kraft zu einem plötzlichen Sprung oder Stoß zu sammeln.
Das Sturmloch hatte sich erweitert; es besaß das Aussehen eines runden Fensters, durch welches ein feiner, rötlichgelber Rauch hereingetrieben wird. Da strich ein leises Säuseln über die Wasser, und es ließ sich aus weiter Ferne her ein Ton vernehmen, ähnlich dem einer überblasenen Baßposaune.
»Aufgepaßt, Boys, er kommt!« ließ sich die laute Stimme des Kapitäns vernehmen. »Steht nicht frei, sondern nehmt das stehende Tau in die Hand!«
Der Posaunenton ertönte stärker und näher, und da kam es heran, eine schwarze, hohe, beinahe senkrecht aufsteigende Wägenmauer, und hinter ihr der Orkan, der sie emporgerissen hatte und vor sich hertrieb. Im nächsten Augenblick wäre selbst der Schuß eines Kruppschen Belagerungsgeschützes nicht zu hören gewesen; die Mauer hatte uns erreicht, stürzte über uns her und begrub uns vollständig unter ihrer bergesschweren Flut.
»Halte aus, mein guter »Wind«, halte aus!« waren meine Gedanken, und das brave Schiff gehorchte augenblicklich diesem Wunsche. Er erhob den vorn tief niedergestoßenen Bug und stieg aus der schwarzen, brüllenden Tiefe empor. Aber dieser eine Moment hatte der See ein vollständig verändertes Aussehen gegeben. Die Wogen wälzten sich scheinbar bergeshoch und von allen Seiten auf uns ein und schlugen haushoch über das Deck; noch rollte der Schwanz der einen über mich hinweg, so hatte mich bereits der Rachen der andern erreicht, und kaum blieb mir Zeit, den nötigen Atem zu erlangen. Das brüllte und heulte, das rauschte und sprudelte, das gurgelte und schäumte, das gellte und pfiff, das ächzte und stöhnte, das knarrte und prasselte rund um mich her, über mir, unter mir und in mir, denn es war mir ganz so, als habe der fürchterliche Teifun auch mich selbst, meine Knochen und Muskeln, meine Sehnen und Flechsen und jede Faser und Fiber meines Innern gepackt.