Durch das Land der Skipetaren - Karl May 2 стр.


Seine Beisitzer verhielten sich schweigsam. Sie mochten eine Art Beklemmung fühlen. Die Kawassen erkannten, daß meine Aktien zu steigen begannen, und in der Voraussetzung, daß ich mich infolgedessen in guter Laune befinden und ihnen nicht mehr gefährlich sein würde, kamen sie einer nach dem andern wieder herbei.

»Bindet den Kerl!« befahl ich ihnen. »Fesselt ihm die Hände!«

Sie gehorchten augenblicklich, und keiner der anwesenden Justizbeamten erhob Einspruch gegen meine Eigenmächtigkeit.

Der Mübarek sah wohl ein, daß es für ihn geraten sei, sich zu fügen. Er ließ sich binden, ohne Widerstand zu leisten, und setzte sich dann auf seinen Platz, wo er in sich zusammensank. Die Beisitzer standen schnell von ihren Sitzen auf. Sie wollten nicht dieselbe Bank mit einem Verbrecher teilen.

»Und nun zurück zu deinem Richterspruch,« sagte ich zu dem Kodscha Bascha. »Kennst du die Gesetze deines Landes?«

»Natürlich muß ich sie kennen,« antwortete er. »Ich habe ja in der Zivilhochschule studiert.«

»Das glaube ich nicht.«

»Warum nicht?« fragte er beleidigt. »Ich kenne das ganze geistliche Recht, welches auf dem Kuran beruht, auf der Sunna und auf den Entscheidungen der vier ersten Kalifen.«

»Kennst du auch das Mülteka el buher, welches euer Zivil- und Kriminalgesetzbuch ist?«

»Ich kenne es; es ist vom Scheik Ibrahim Halebi verfaßt.«

»Wenn du diese Verordnungen wirklich kennst, warum handelst du denn nicht nach ihnen?«

»Ich habe mich stets und auch heute streng nach ihnen gerichtet.«

»Das ist nicht wahr. Es steht geschrieben, daß der Richter selbst dem schlimmsten Verbrecher, bevor er ihm das Urteil spricht, die Verteidigung gestatten muß. Ihr aber habt meinen Freund und Begleiter verurteilt, ohne ihn ein einziges Wort sagen zu lassen. Euer Urteil gilt also nichts. Auch müssen bei der Verhandlung alle Angeklagten und Zeugen vollzählig beisammen sein; das war aber keineswegs der Fall.«

»Es sind ja alle da!«

»Nein. Es fehlt Ibarek, der Herbergsvater. Wo befindet er sich?«

Der Richter wackelte verlegen mit dem Kopf, stand dann auf und antwortete:

»Ich werde ihn holen.«

Er wollte fortgehen; ich aber ahnte, was mit Ibarek geschehen war, und hielt den Bascha am Arm zurück, indem ich den Kawassen gebot:

»Holt Ibarek! Bringt ihn aber genau in demselben Zustand herbei, in welchem er sich jetzt befindet!«

Zwei von ihnen entfernten sich und führten nach kurzer Zeit den Wirt herbei. Die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden.

»Was ist das? Was hat der Mann begangen, daß man ihn bindet?« fragte ich. »Wer hat den Befehl dazu gegeben?«

Der Bascha warf den Kopf herüber und hinüber und antwortete:

»Der Mübarek wollte es so haben.«

»So hat also der Kodscha Bascha das zu tun, was der Basch Kiatib befiehlt? Und doch sagst du, du hättest die Gesetze studiert! Dann ist es freilich kein Wunder, wenn in deinem Bezirke die ärgsten Spitzbuben für Heilige gehalten werden.«

»Ich war in meinem Recht,« verteidigte er sich kleinlaut.

»Das kannst du mir nicht beweisen.«

»O doch! Euch habe ich nicht arretieren lassen, weil ihr fremd seid. Dieser Herbergsvater aber ist ein Bewohner unserer Gegend. Er steht unter meiner Gewalt.«

»Und du meinst, daß es dir erlaubt sei, diese Gewalt zu mißbrauchen? Da stehen einige Hundert deiner Untergebenen. Meinst du, daß du mit ihnen machen kannst, was dir beliebt? Vielleicht hast du es bisher getan; aber sie werden sich das heutige Vorkommnis merken und in Zukunft Gerechtigkeit verlangen. Ibarek ist bestohlen worden. Er kam zu dir, um dich um Hilfe zu bitten. Anstatt sie ihm zu gewähren, hast du ihn fesseln und einsperren lassen. Wie willst du diese Ungerechtigkeit verantworten? Ich verlange, daß du ihm augenblicklich die Fesseln lösest.«

»Die Kawassen haben es zu tun.«

»Nein, du selbst wirst es tun als Sühne für deine Ungerechtigkeit.«

Das war ihm denn doch zu viel. Er fuhr mich zornig an:

»Wer bist du denn eigentlich, daß du hier gebietest, als ob du unser Makredsch oder Bilad i Kamse Mollatari seist?«

»Siehe hier meine Papiere!«

Ich gab ihm die drei Pässe hin. Als er das Teskereh, das Buyuruldi und sogar den Ferman erblickte, kniff er erschrocken die kleinen Triefaugen zusammen, und sein Kopf pendelte wie das Metronom des berühmten Regensburger Johann Nepomuk Mälzl.

»Herr, du stehst ja im Schatten des Großherrn!« rief er aus.

»So sorge dafür, daß ich einen Teil dieses Schattens auf dich werfe!«

»Ich werde tun, was du begehrst.«

Er trat zu Ibarek und löste ihm den Strick.

»Bist du nun zufrieden?« fragte er.

»Einstweilen, ja. Es wird noch mehr von dir verlangt. Dein Kawaß Selim hat dir grundfalschen Bericht erstattet. Das Zusammentreffen war ganz anders, als er erzählte. Der Mübarek wird ihm eingegeben haben, wie er zu sagen habe, um uns so viel wie möglich zu schaden.«

»Das glaube ich nicht.«

»Ich aber glaube es, denn er hat den Fährmann auch verleitet, ein falsches Zeugnis gegen mich abzulegen.«

»Ist das wahr?«

Diese Frage war an den Fährmann gerichtet, welcher jetzt glaubte, daß der Mübarek ihm nun nicht mehr schaden könne, und infolgedessen furchtlos erzählte, wie er von ihm instruiert worden sei.

»Du siehst,« sagte ich zu dem Bascha, »daß ich diesem Mann keineswegs nach dem Leben getrachtet habe. Ich sah, daß er den Spion des Alten machte, und nahm ihn mit mir, um nach der Angelegenheit zu forschen. Das ist alles. Wenn du mich dafür bestrafen willst, so bin ich bereit, meine Verteidigung anzutreten.«

»Herr, von einer Bestrafung kann keine Rede sein; du hast keinen Fehler begangen.«

»So kann auch mein Begleiter nicht wegen des Kawassen bestraft werden, denn nicht er, sondern ein ganz Anderer trägt die Schuld an dem Vorkommnis.«

»Wer ist der Andere?«

»Du selbst bist es.«

»Ich? Wieso?«

»Als Ibarek bestohlen worden, kam er zu dir, um Anzeige zu machen. Was hast du getan, um deine Pflicht zu erfüllen?«

»Alles, was ich konnte.«

»So? Was war das?«

»Ich habe Selim den Auftrag gegeben, er solle nachsinnen, was zu tun sei.«

»Die andern Kawassen hast du nicht damit betraut?«

»Nein; denn das war überflüssig. Sie hätten ja doch nichts entdeckt.«

»So müssen deine Polizisten große Dummköpfe sein, weil du gleich von vornherein weißt, daß sie keinen Erfolg haben werden. Die Tat ist hier geschehen. Warum aber hast du denn diesen Selim, welcher sich erst seit ganz kurzem hier befindet, mit der Sache betraut?«

»Weil er der Klügste ist.«

»Ich denke, du hast einen ganz andern Grund.«

»Herr, welchen andern Grund sollte ich haben?«

»Ein guter Beamter setzt alle Hebel an, den Täter eines solchen Verbrechens zu entdecken. Du aber hast es verschwiegen und dem Einen, welchem du es mitteiltest, hast du fast eine ganze Woche Zeit gegeben, sich die Sache zu überlegen. Das hat den Anschein, als ob du wünschest, daß die Diebe entkommen mögen.«

»Effendi! Was denkst du von mir?«

»Meine Ansicht richtet sich ganz genau nach deinem Verhalten. Nichts lag näher, als daß du hier in Ostromdscha nach den Tätern suchen ließest.«

»Sie sind ja nach Doiran geritten!«

»Das zu glauben, muß man sehr befangen sein. Kein Dieb wird sagen, wohin er sich wenden will. Soviel mußt du als alter Jurist doch wissen. Wie nun, wenn ich entdecke, daß du ein Freund dieser Verbrecher bist?«

Er begann fürchterlich mit dem Kopf zu wackeln, jedenfalls vor Bestürzung.

»Herr, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll!« rief er aus.

»Sage lieber gar nichts, denn meine Meinung bleibt doch gänzlich unverändert. Wenn du dich der Sache in der Art angenommen hättest, wie es deine Pflicht war, so wären die Diebe längst entdeckt.«

»Sage lieber gar nichts, denn meine Meinung bleibt doch gänzlich unverändert. Wenn du dich der Sache in der Art angenommen hättest, wie es deine Pflicht war, so wären die Diebe längst entdeckt.«

»Glaubst du, daß sie freiwillig kommen, um sich mir zu melden?«

»Nein; aber ich glaube, daß sie sich hier in Ostromdscha befinden.«

»Unmöglich! Es sind in keinem Konak drei Reiter abgestiegen.«

»Das wird ihnen auch nicht einfallen. Sie werden sich nicht so nahe am Tatort öffentlich zeigen. Sie haben sich versteckt.«

»Soll ich wissen, bei wem?«

»Warum nicht? Ich bin ein Fremder und weiß es doch.«

»Was! Du weißt es?«

»Ja, ganz genau.«

»So mußt du allwissend sein.«

»Nein; ich habe aber gelernt, nachzudenken. Solche Halunken werden sich nur bei gleich schlechten Subjekten verstecken. Wer aber ist das schlechteste Subjekt in Ostromdscha?«

»Meinst du den Mübarek?«

»Du hasts erraten.«

»Bei ihm sollen sie sein?«

»Jedenfalls.«

»Da irrst du dich.«

»Ich irre mich so wenig, daß ich bereit bin, mit dir zu wetten. Wenn du die Diebe fangen willst, so mußt du hinauf zur Ruine gehen.«

Er blickte zu dem Mübarek hinüber, und dieser erwiderte den Blick. Es war mir ganz so, als ob diese beiden doch in einem Einvernehmen ständen.

»Der Weg würde vergeblich sein, Herr,« sagte er.

»Ich bin vom Gegenteil überzeugt und sage dir, daß wir nicht nur die Diebe, sondern auch die gestohlenen Gegenstände finden würden. Darum fordere ich dich auf, mir mit deinen Kawassen zu folgen.«

»Du scherzest doch?«

»Nein, es ist mein Ernst.«

»In dieser Dunkelheit?«

»Fürchtest du dich?«

»Nein; aber solche Menschen sind gefährlich. Sind sie wirklich oben, so werden sie sich verteidigen. Warte lieber, bis es morgen Tag geworden ist.«

»Bis dahin könnten sie entkommen sein. Es hat übrigens den Anschein, daß es hier Leute gibt, welche die Diebe warnen würden.«

»Das wird niemand tun. Ich selbst werde dafür sorgen, daß kein Mensch sich in dieser Nacht der Ruine nähern kann.«

»Sorge lieber dafür, daß wir schnell aufbrechen können, und gib Befehl, daß Laternen mitgenommen werden.«

»Herr, laß ab von diesem Beginnen!«

»Nein! Wenn du deine Pflicht nicht tun willst, so bleibe daheim. Ich werde Leute finden, welche des Amtes eines Kodscha Bascha würdiger sind.«

Das zog. Er wackelte zwar noch immer höchst bedenklich mit dem Kopf, sagte aber doch:

»Du darfst mich nicht verkennen. Ich bin nur auf dein eigenes Wohl bedacht und wünsche nicht, daß du dich in Gefahr begibst.«

»Kümmere dich nicht um mich! Mein Wohl wahre ich selbst.«

»Nehmen wir den Mübarek mit?«

»Ja. Er wird uns führen.«

»So erlaube, daß ich für Beleuchtung und auch für Waffen sorge.«

Er begab sich in das Haus.

Viele der anwesenden Leute eilten fort; ich vermutete, um Laternen, oder etwas Aehnliches zu holen und uns zu begleiten. Ibarek hatte dieser Verhandlung still zugehört. Jetzt fragte er mich:

»Effendi, glaubst du wirklich, daß wir die drei Spitzbuben fangen?«

»Ganz gewiß.«

»Und daß ich mein Eigentum zurückerhalte?«

»Ich bin überzeugt davon.«

»Herr, ich kann dich nicht begreifen! Es scheint, daß du alles weißt. Ich gehe natürlich mit Freuden hinauf zu der Ruine.«

»Was sagst du nun zu dem Einsiedler? Du hast ihn gepriesen, obgleich du ihn fürchtetest. Und als du von ihm sprachst, ahnte ich bereits, daß er ein großer Halunke sei. Die Diebe deines Eigentumes befinden sich bei ihm.«

Der Bascha kehrte bald zurück. Er brachte einige alte Laternen, mehrere Fackeln und eine Anzahl von Kienspänen. Andere Leute kamen mit ähnlichen Beleuchtungsgegenständen herbei, und dann setzte sich der Zug in Bewegung.

Ein nächtlicher Zug zu der Ruine hinauf, um Diebe einzufangen, das war noch niemals dagewesen; das war den Leuten eine Lust. Darum wanderte fast die ganze Bevölkerung des Ortes hinter uns her.

Da ich weder dem Kodscha Bascha noch seinen Kawassen recht traute, mußten Osko und Omar den Mübarek bewachen. Sie hatten ihn zwischen sich genommen.

Voran schritten einige Kawassen. Dann kam der Bascha mit den Herren seines Gerichtes, hinter diesen der Mübarek mit seinen beiden Wächtern, dann ich mit Halef und den beiden verschwägerten Wirten, und hinter uns drein tummelte sich das Alter und die Jugend von Ostromdscha.

Es war lustig, zu hören, welche Meinungen geäußert wurden, auch über unsere Personen. Der Eine meinte, ich sei ein großherrlicher Prinz, und der Andere hielt mich für einen persischen Fürstensohn. Ein Dritter schwur, ich sei ein indischer Zauberer, und ein vierter schrie überlaut, daß ich ein Kronprinz aus Moskau sei und gekommen wäre, um das Land für Rußland zu erobern.

Je näher wir der Ruine kamen, desto stiller wurden die Leute. Sie sahen doch ein, daß man vorsichtig sein müsse, wenn man Spitzbuben fangen wolle.

Da, wo der Wald begann, blieben viele zurück. Das waren die Furchtsamen. Sie versicherten aber doch hoch und teuer, daß sie sich nur darum hier postierten, damit die Diebe an dieser Stelle nicht durchkommen könnten, falls es ihnen gelingen sollte, oben zu entfliehen.

Als wir dann die Lichtung erreichten, herrschte die Ruhe des Grabes auf derselben. Die Helden fühlten sich beklommen. Die Spitzbuben konnten ja jeden Augenblick erscheinen, konnten hinter jedem Baum stecken. Man trat so leise wie möglich auf, um sie ja nicht zu verscheuchen und um ja nicht etwa derjenige oder diejenige zu sein, der oder die mit ihnen in Kampf kommen werde. Denn Frauen waren auch dabei.

Diese gespannte Stille erlitt freilich einmal eine kurze Unterbrechung. Ein schriller Schrei erscholl aus einer weiblichen Kehle. Als ich an die Stelle kam, fand ich, daß Nohuda, die »Erbse«, so unglücklich gewesen war, sich in die kalte Quelle zu betten, an welcher ich die Butterblume gefunden hatte. Sie saß im Wasser und hielt ihrem geliebten Gerichtsbeisitzer eine mehr als halblaute Rede, deren Inhalt dringend wünschen ließ, daß sie dieselbe in sehr leisem Ton gehalten hätte. Sie wollte sich nicht herausziehen lassen, denn sie werde sich erkälten, wenn sie durchnäßt in der kühlen Abendluft einhergehen müsse, und nur, als ich ihr erklärte, daß das Wasser noch kälter als die Luft sei, meinte sie:

»Effendi, deinem Rat werde ich folgen. Du weißt das alles besser als andere Leute oder gar als mein Mann, der mich geraden Wegs in dieses Loch hineingeführt hat.«

Ich zog sie heraus. Glücklicherweise stand das Wasser kaum einen Fuß hoch. Ob es in der Folge ihrer durch Eisenocker verjüngten Schönheit schädlich geworden ist, weiß ich leider nicht.

Der Mübarek stand mit Omar und Osko an der Türe seiner Hütte. Er verlangte, hineingelassen zu werden. Da er sich aber mit Chemie abgab und in allerlei vermeintlichen Zauberkünsten bewandert war, so traute ich ihm nicht. Er konnte ja irgend eine Vorrichtung angebracht haben, welche für den Fall einer plötzlichen Verhaftung berechnet war.

»Was willst du drin tun?« fragte ich.

Er antwortete mir nicht. Der gute Mann schien gar nichts mehr von mir wissen zu wollen.

»Wenn du nicht antwortest, so darfst du auch nicht erwarten, daß dein Wunsch erfüllt werde.«

Jetzt antwortete er:

»Ich habe Tiere drin, welche gefüttert werden müssen, wenn sie nicht verhungern sollen.«

»Ich selbst werde sie morgen früh füttern. Deine Heimat ist von jetzt an das Gefängnis. Doch bin ich bereit, dir den Wunsch zu erfüllen, falls du mir einige Fragen der Wahrheit gemäß beantwortest.«

»So frage!«

»Hast du Besuch?«

»Nein.«

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