»Ja! Das dachte ich!« antwortete er.
»Niemals! Man tötet nur Ungeziefer, nicht aber ehrliche Menschen!«
»Aber wenn er tot war, brauchte ich mein Wort nicht mehr zu halten! Ich hätte diese Stelle verlassen und zu Euch zurückkehren können!«
»Er hätte sich gewehrt. Wenigstens der Sahahr wäre verloren gewesen.«
»Aber bedenke: Du hattest neunzehn Jäger bei Dir! Riesenstarke Männer mit Spießen, Messern und Pfeilen!«
»Neunzehn Männer mit Spießen, Messern und Pfeilen!« fiel ich da lächelnd ein, indem ich den Henrystutzen in die Hand nahm. »Schau diese kleine, dünne Flinte! Sie ist mehr wert als alle Eure Lanzen, Pfeile und sonstigen Waffen. Hast Du den Quittenbaum gesehen, an dem wir unweit von hier vorübergekommen sind? Steh auf, und folge mir! Ich will Euch etwas zeigen.«
»Ich darf aufstehen?« fragte er.
»Ja,« nickte ich.
»Bin also nicht mehr gefangen?«
»Doch! Ich gebe Dich erst dann frei, wenn Du mein Freund geworden bist.«
»Gut! Du bringst mich wieder hierher, sobald Du willst.«
Ich schritt voran, und die beiden kamen hinterdrein. Wir gingen bis an die Stelle zurück, wo die Quitte stand. Das war ganz in der Nähe der Hauptrichtung, aus der wir links eingebogen waren. Grad als wir den Baum erreichten, der ganz voll von noch sehr kleinen, flaumigen, silbern schimmernden Früchten hing, kamen Halef und der Sahahr daher. Sie befanden sich in einer sehr lebhaften Unterhaltung und schienen sich unterwegs ganz leidlich einander angefreundet zu haben. Der gute Verlauf unsers bisherigen Abenteuers stand für mich fest. Ich deutete auf einen Außenzweig der Quitte und fragte den Scheik:
»Wieviel Quitten trägt dieser Zweig?«
»Zusammen zwölf,« antwortete er, nachdem er gezählt hatte.
»Ich will Dir zeigen, was aus Deinen Jägern geworden wäre, wenn sie es gewagt hätten, sich an mir oder meinem Hadschi zu vergreifen. Ich werde nur sechs von diesen Früchten herabschießen, dann aber auch den ganzen Zweig mit den sechs übrigen.«
Ich entfernte mich, um eine möglichst imponierende Distanz zu nehmen. Diese Pause benutzte Halef, der die Situation sofort begriff, um die Sache möglichst wichtig aufzubauschen. Er rief aus:
»Es kommt ein Meisterstück, ein ungeheures Meisterstück! Sechs Quitten, eine nach der anderen! Und dann der ganze Zweig! Und zwar ohne auch nur ein einzigesmal zu laden! Mit diesem Zaubergewehr kann man nämlich, wenn man es zu behandeln versteht, in alle Ewigkeit weiterschießen, ohne laden zu müssen! Ihr werdet Eure Wunder sehen; ich sage Euch, Eure Wunder!«
Als ich mich in der gewünschten Entfernung befand, drehte ich mich um und legte das Gewehr an.
»Jetzt, jetzt!« schrie Halef. »Es beginnt!«
Ich zielte sehr genau, denn wenn ich die beabsichtigte Wirkung erreichen wollte, durfte es keinen Fehlschuß geben. Es gelang. Sechs Schüsse schnell hintereinander für die Früchte, und dann noch zwei, um den Zweig herabzubrechen, denn mit nur einem der kleinen Projektile gab es keine Garantie. Als ich den Zweig fallen sah, setzte ich das Gewehr ab. Halef jubilierte in seiner lauten Art und Weise. Die drei Ussul standen ganz erstaunt. Sie fanden keine Worte. Aber es sollte noch weit besser kommen. Die Schüsse hatten einen Raubvogel aufgescheucht, der höchst wahrscheinlich beim Fraß gesessen hatte, und zwar so in der Nähe von uns, daß wir seine Stimme noch eher hörten, als wir ihn sahen. Er stieg, weit ausholend, in die Höhe, und zwar nicht etwa in schräger Richtung uns entfliehend, sondern in einer erst weiten und dann immer enger werdenden Schneckenlinie, beständig über uns bleibend.
»Ein Nisr el Afrit!« rief der Scheik, für den Augenblick meine Schüsse ganz vergessend.
»Ein Nisr el Afrit!« rief auch der Zauberpriester, und der Ton, in dem dies geschah, sagte deutlich, daß dieser Vogel hier zu den seltensten und wertvollsten Jagdbeuten gehört.
»Ein Nisr el Afrit!« rief ebenso die Scheikin, indem sie die Arme verlangend emporstreckte. »Wenn man die Steuerfedern hätte, die Steuerfedern nur!«
»Willst Du sie haben?« fragte ich, indem ich den Stutzen wegwarf und nach dem weit-und hochtragenden Bärentöter griff.
Sie sah mich verwundert an und antwortete nicht. Halef rief ihr zu:
»Sag ja, sag ja! Dann holt er ihn Dir herab!«
Ich hob das Gewehr empor und zielte. Der Schuß krachte. Der Vogel zuckte zusammen, als ob er über den lauten Knall erschrocken sei. Aber es war die Kugel, unter der er zusammenzuckte. Der Körper hing einen Augenblick vollständig unbeweglich in der Luft; dann begannen die Schwingen konvulsivisch zu schlagen. Der Körper drehte sich um sich selbst und fing an zu sinken, erst langsam, dann schnell und immer schneller. Den einen Flügel fest an den Leib gezogen, den andern weit ausgestreckt, kam das Tier, zu Tode getroffen, zur Erde nieder, und zwar gar nicht sehr weit von uns, auf dem von Bäumen freien, schmalen Strich, auf dem das Wettrennen zwischen dem Scheik und mir stattgefunden hatte. Halef rannte spornstreichs hin, um ihn zu holen, und der Zauberer vergaß seine priesterliche Würde so ganz und gar, daß er ihm nacheilte, um ihm tragen zu helfen. Als sie den Adler brachten, sah ich, daß es ein außerordentlich schönes und großes Weibchen war, hellbraungolden, mit reinem, fleckenlosen Flügelspiel, die Länge einen ganzen Meter, die Breite aber weit über zwei Meter betragend. Ich trug ihn zur Frau des Scheiks, legte ihn vor ihr hin, breitete die Schwingen und Steuerfedern aus, die bei den Ussul sehr hoch im Werte stehen, und sagte:
»Du hast diese Federn gewünscht. Ich bitte Dich, sie von mir anzunehmen!«
»Du willst sie mir schenken?« fragte sie.
»Ja, wenn Du es mir erlaubst.«
»Kennst Du ihren Wert?«
»Sie haben nur dann einen Wert für mich, wenn sie Dir Freude machen.«
»Sie werden hier in Ardistan als Zeichen hoher Würde getragen und sind bei uns von großer Seltenheit, weil unsere Kugeln und Pfeile nicht den Adler in den Lüften zu ereilen vermögen. So reiche Geschenke darf man nur von einem Freunde annehmen, nicht aber von einem Fremden, den man zum Knecht und Sklaven machen will. Ich bitte Dich, mir Deine Gewehre zu zeigen!«
Ich gab ihr erst die Doppelbüchse, deren Schwere sie zu überraschen schien, denn sie reichte sie dem Scheik mit den Worten hin:
»Diese Fremden sind stärker als man denkt. Es ist gewiß nicht leicht, mit solchen Gewehren zu schießen.«
»Ich habe diese Flinte schon in der Hand gehabt,« antwortete er. »Aber ich ahnte nicht, daß sie ihre Kugeln nach so außerordentlichen Höhen sendet.«
Dann griff sie nach dem Stutzen. Sie betrachtete ihn genau, wendete ihn hin und her, hielt ihn an das Ohr, schüttelte ihn, um vielleicht etwas zu hören, und sagte dann:
»Das ist allerdings ein richtiges und wirkliches Zaubergewehr, denn so sehr man sich auch Mühe gibt, kann man doch unmöglich entdecken, wie es möglich ist, mit ihm immerfort zu schießen, ohne zu laden. Zu einem solchen Gewehr gehört aber auch ein Schütze wie Du!«
So sagte sie zu mir. Zum Scheik aber sprach sie:
»Ich bin überzeugt, daß dieser Emir Kara Ben Nemsi Effendi imstande ist, Dich und Deine neunzehn Ussul in Zeit von zwei Minuten zu erschießen. Du nicht auch?«
»In Zeit von nicht zwei, sondern nur einer!« warf Halef ein.
Der Scheik kratzte sich den Untergrund seines Bartes und antwortete:
»Daran ist fast kein Zweifel. Hoffentlich aber tut er es nicht! Und da habe ich einen großen, schönen, köstlichen Gedanken. Darf ich ihn Dir sagen?«
»Sprich!« forderte sie ihn auf.
»Solche Gewehre und so einen Schützen müßte man auf der Jagd haben!«
Sie nickte.
»Und im Kampfe gegen die Tschoban!«
»Grad jetzt!« fiel da der Zauberer ein. »Wir wissen ja, daß sie sich rüsten, uns zu überfallen.«
»In Zeit von nicht zwei, sondern nur einer!« warf Halef ein.
Der Scheik kratzte sich den Untergrund seines Bartes und antwortete:
»Daran ist fast kein Zweifel. Hoffentlich aber tut er es nicht! Und da habe ich einen großen, schönen, köstlichen Gedanken. Darf ich ihn Dir sagen?«
»Sprich!« forderte sie ihn auf.
»Solche Gewehre und so einen Schützen müßte man auf der Jagd haben!«
Sie nickte.
»Und im Kampfe gegen die Tschoban!«
»Grad jetzt!« fiel da der Zauberer ein. »Wir wissen ja, daß sie sich rüsten, uns zu überfallen.«
Um mich zu unterrichten, fügte Taldscha in erklärendem Ton hinzu:
»Wir schicken alle unsere Leute auf die Jagd, um Mundvorrat für diesen Kampf zu sammeln, der lange währen kann und stets sehr blutig ist.«
»Wer sind diese Tschoban?« erkundigte ich mich.
»Ein wildes Reitervolk, welches draußen auf der Steppe und in der Wüste lebt. Die Tschoban züchten Pferde, Kamele, Rinder und Schafe. Sie haben keine bleibende Stätte. Sie sind Nomaden; sie beten einen Gott an, den sie Allah nennen, und sie haben die Blutrache. Immer, wenn ein böses, hungriges Jahr ihre Herden weggefressen hat, fallen sie bei uns ein, um uns die unserigen wegzunehmen. Wir erwarten für nächste Zeit einen derartigen Einbruch in unser Gebiet und nun machen wir Fleisch, um uns für die Belagerungen vorzubereiten, die wir auszuhalten haben werden.«
»Belagerungen?« fragte ich. »Kämpft Ihr nicht auf offenem Felde?«
»Nein. Dazu sind sie zu zahlreich, und wir haben vor allen Dingen unsere Tiere zu schützen. Wir ziehen uns mit ihnen hinter das Wasser zurück und lassen uns da von den Tschoban belagern. Wer es am längsten aushält, der hat gesiegt. Deine Gewehre tragen außerordentlich weit. Ob sie verzaubert sind, darüber frage ich Dich noch. Von höchstem Werte ist es, daß Du so genau zu treffen verstehst.«
Bei diesen Worten bückte sie sich, hob den herabgeschossenen Quittenzweig von der Erde auf, betrachtete ihn genau und fragte mich dann:
»Würdest Du uns gegen diese Feinde beistehen, Emir?«
»Beistand zu leisten, ist man nur Freunden schuldig,« antwortete ich.
»Du bist doch unser Freund!«
»Noch nicht!«
»O doch!«
»Beweise es!«
»Ich habe es beschlossen!«
Sie sagte das in sehr bestimmtem Tone und sah dabei den Scheik und den Zauberer an. Der Erstere beeilte sich, mir zu erklären:
»Ja, wenn sie es beschlossen hat, so kann es nicht anders sein. Ich stimme bei.«
Und der Letztere sagte zu mir:
»Wenn unsere Scheikin beschließt, ist keine Beratung nötig. Sie trifft stets das Richtige. Ich gebe ihr meine Zustimmung gern. Wenn es Dir recht ist, Emir, kannst Du schon morgen, wenn wir nach unserer Stadt zurückgekehrt sind, Ussul werden. Das ist eine heilige Zeremonie, die ich als Priester vorzunehmen habe, nachdem Du vorher bewiesen hast, daß Du es wert bist, ein Ussul zu sein.«
»Wie habe ich das zu beweisen?«
»Durch den Kampf mit einem unserer Leute. Besiegt er Dich, so kannst Du nicht aufgenommen werden.«
»Und besiege ich ihn, so trete ich wohl an seine Stelle und er wird ausgestoßen?«
Diese Frage verwirrte ihn. Es dauerte eine kleine Weile, bevor er die Antwort gab:
»Nein. Das kannst Du nicht verlangen. Es geschieht dem größten Helden, daß ein Zufall ihn besiegt. Das ist eben Zufall, keine Schande. Warum ihn also ausstoßen?«
»Wir kämpfen, Sihdi, wir kämpfen!« rief Halef begeistert aus. »Wer wird mein Gegner sein?«
»Du hast das Recht, ihn Dir zu wählen,« unterrichtete ihn der Zauberer.
»So wähle ich Dich,« sagte der kleine Hadschi, indem er ihm eine sehr tiefe, höfliche Verbeugung machte.
»Mich ? Warum grad mich ?«
Er dehnte diese Frage sehr lang und unlustig heraus. Es schien ihm gar keine große Freude zu machen, daß Halef seine Wahl auf ihn gelenkt hatte.
»Weil Du mir gefällst,« antwortete dieser. »Weil ich Dich liebgewonnen habe. Und auch darum, weil ich noch nie Gelegenheit hatte, mit einem Sahahr zu kämpfen. Es wird die Größe meines Ruhmes vermehren, wenn ich daheim erzählen kann. daß ich Dich im Kampfe überwunden und getötet habe.«
»Getötet? Du tötest auch in einem solchen Probekampfe?«
»Natürlich! Der Sieg ist doch nur dann vollständig errungen, wenn der Gegner tot am Boden liegt. Wer hat die Waffen zu bestimmen?«
»Der Fremde, der aufgenommen werden soll.«
»Also ich? Gut, so schießen wir uns!«
»Schießen?« fuhr der Zauberpriester auf. »Das wäre ja mein sicherer Tod, obgleich ich gegen Dich ein Riese bin!«
»Das ist es ja eben, was ich will!« lachte Halef. »Riesen totzuschießen, ist mir eine wahre Wonne! Nur um ihnen zu zeigen, daß es nicht auf den Körper ankommt. Was für Waffen wählst Du denn, Effendi?«
»Dieselben,« antwortete ich, auf seine heitere Absicht eingehend.
»Und mit wem wirst Du kämpfen?«
»Mit dem Scheik.«
Da rief dieser erschrocken aus:
»Mit mir? Warum grad mit mir?«
»Weil Du mir gefällst; weil ich Dich liebgewonnen habe. Du hörst, daß ich ganz genau dieselben Gründe habe wie mein Hadschi Halef. Er ist Scheik, und ich bin Emir. Wir können ganz unmöglich mit gewöhnlichen Kriegern kämpfen. Darum wählen wir Euch, und wir sind überzeugt, daß Ihr diese unsere Wahl als das betrachtet, was sie ist, nämlich als eine Ehre für Euch beide!«
Das sagte ich zum Scheik. Mich von ihm an seine Frau wendend, fügte ich hinzu:
»Also, wir sind bereit, Ussul zu werden. Dies kann, wie ich gehört habe, erst morgen geschehen. Was sind wir bis dahin? Freunde oder Feinde?«
»Freunde,« antwortete sie. »Du kannst den Scheik und den Sahahr getrost aus ihrer Gefangenschaft entlassen. Ihr seid frei.«
»Nur für jetzt oder für immer?«
»Für immer. Hier meine Hand darauf!«
Sie reichte mir ihre Hand, die ich freundschaftlich drückte. Auch die beiden Männer gaben mir ihre Hände, ebenso dem Hadschi. Taldscha aber tat das letztere nicht. Sie schaute über Halef hinweg, als ob er für sie nicht vorhanden wäre. Er hatte es verdient, obgleich er als Moslem keine Übung besaß, mit Frauen zu verkehren.
Nun der Scheik sich frei wußte, drängte er, nach dem Lager zurückzukehren. Er nahm den Adler auf, um ihn zu tragen. Seine Frau behielt den Quittenzweig, um ihn ihren Kriegern vorzuzeigen. Wir gingen zu unsern Pferden, die wir genau so fanden, wie ich sie verlassen hatte. Als sie aufsprangen, stieß Taldscha einen Ruf der Verwunderung aus. Sie besaß ein besseres Auge als der Scheik.
»Was für schöne, herrliche Tiere!« rief sie, die Hände vor Freude zusammenschlagend. »Viel kleiner als die unsern! Aber unendlich herzig, anmutig und wohlgestaltet! Man muß sie küssen!«
Sie umschlang den Hals Ben Rihs und küßte ihn auf die Stirn. Er ließ sich dies gefallen, ohne sich zu regen. Aber als sie es auch bei Syrr tat, öffnete dieser die Nüstern weit, sog den Duft ihrer Atmosphäre ein und ließ dann ein frohes Wiehern hören, so zart, gedämpft und eigenartig, wie ich es noch nie von ihm gehört hatte. Da trat sie rasch zwei oder drei Schritte von ihm zurück, sah mich seltsam prüfend an und fragte: