Mein erster Blick war natürlich nach seiner Pfeife gewesen; denn jeder Kenner des Orientes weiß, daß man an derselben sehr deutlich die Verhältnisse ihres Besitzers zu erkennen vermag. Das lange, wohlriechende und mit starkvergoldetem Silberdraht umsponnene Rohr hatte gewiß seine tausend Piaster gekostet. Theuer aber noch war das Bernsteinmundstück, welches aus zwei Theilen bestand, zwischen denen ein mit Edelstein besetzter Ring hervorschimmerte. Der Mann schien wirklich »viele Beutel« zu besitzen, nur war dies kein Grund, mich befangen zu machen, da mancher Inhaber einer Pfeife im Werthe von zehntausend Piaster seinen Reichthum doch nur den geknechteten Unterthanen entwendet oder geraubt hat. Lieber also einen Blick in das Gesicht!
Wo habe ich doch nur diese Züge schon einmal gesehen, diese schönen, feinen und in ihrer Mißharmonie doch so diabolischen Züge? Forschend, scharf, stechend, nein, förmlich bohrend senkt sich der Blick des kleinen, unbewimperten Auges in den meinen und kehrt dann kalt und wie beruhigt wieder zurück. Glühende und entnervende Leidenschaften haben dem Gesichte ihre immer tiefer eindringenden Spuren aufgravirt; die Liebe, der Haß, die Rache, der Ehrgeiz sind einander behülflich gewesen, eine großangelegte Natur in den Schmutz des Lasters zu reißen und dem Aeußeren jenes undefinirbare Etwas aufzudrücken, welches der Reinheit ein sichers Wahrnungszeichen ist. Wo bin ich diesem Manne begegnet? Ich muß mich besinnen, aber das fühle ich, unter freundlichen Umständen ist es nicht gewesen.
»Salem aleïkum!« tönte es langsam zwischen dem vollen, prächtigen, aber schwarzfgefärbten Barte hervor. »Möge Allah Balsam wachsen lassen auf den Spuren Deiner Füße und Honig träufeln von den Spitzen Deiner Finger, damit mein Herz nicht mehr höre die Stimme seines Kummers!«
»Gott gebe Dir Frieden und lasse mich finden das Gift, welches an dem Leben Deines Glückes nagt,« erwiederte ich seinen Gruß, da nicht einmal der Arzt nach dem Weibe eines Muselmannes fragen kann, ohne den größesten Verstoß gegen die Höflichkeit und Sitte zu begehen.
»Du bist ein weiser Arzt und Deine Hand ist mit Erfolg begabt, als hätte sie der Prophet gesegnet. Du wirst die Krankheit finden und besiegen.«
»Der Herr ist allmächtig; er kann retten und verderben; nur ihm gebührt die Ehre. Doch wenn ich helfen soll, so sprich!«
Diese directe Aufforderung, ein, und wenn auch unbedeutendes Geheimniß seines Harems preiszugeben, schien ihn unangenehm zu berühren, trotzdem er darauf vorbereitet sein mußte; doch versuchte er sofort diese Schwäche zu verbergen und befolgte meine Aufforderung.
»Du bist aus dem Lande der Ungläubigen, wo es keine Schande ist, von Der zu sprechen, welche die Tochter einer Mutter ist?«
Ich nickte zustimmend, innerlich sehr amüsirt über die Art und Weise, mit welcher er es umgehen wollte, von seinem Weibe zu sprechen.
»Auch der Gläubige darf ohne Aergerniß von den Frauen in Frankhistan sprechen. Erlaube, daß ich es thue!«
Ein zweites Neigen des Kopfes war meine Antwort.
»Wenn das Weib eines Franken keine Speise zu sich nimmt «
Er sah mich bei diesen Worten an, als ob er eine Bemerkung von mir erwarte. Ich winkte ihm nur, fortzufahren.
» Den Glanz ihrer Augen und die Fülle ihrer Wangen verliert müde ist und doch den Gruß des Schlafes nicht mehr kennt nur lehnend steht und langsam geht vor Kälte schauert und vor Hitze brennt nichts wünscht, nichts haßt und unter dem Schlage ihres Herzens zittert nicht lacht, nicht weint, nicht spricht kein lautes Wort der Klage hören läßt und ihre Seufzer selbst nicht mehr vernimmt «
Wieder blickte er mich an und in seinen Augen war deutlich eine Angst zu erkennen, welche sich von jedem der aufgezählten Krankheitsmerkmale zu nähren und zu vergrößern schien. Er mußte die Kranke mit der letzten, trüben Gluth seines fast gänzlich ausgebrannten Herzens lieb haben und hatte mir, ohne es zu wollen und zu wissen, sein ganzes Verhältniß zu ihr offenbart. Ich mußte ihm die Strafe sofort zu kosten geben und antwortete schnell einfallend:
»So wird sie sterben!«
Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, so stand er hoch aufgerichtet vor mir. Der rothe Fez war ihm vom kahlgeschorenen Kopf geglitten, die Pfeife seiner Hand entfallen; in dem Gesichte zuckte es von den widerstreitendsten Gefühlen, und das Auge ruhte mit einem Ausdrucke des Entsetzens auf mir, der sich nach und nach in einen zornigen und zuletzt in einen drohenden verwandelte.
»Giaur!« donnerte er ich an. »Wagst Du, mir das zu sagen, Hund? Die Peitsche soll Dir lehren, wer ich bin und daß Du thust, nur was ich Dir befehle. Stirbt sie, so stirb Du auch; doch machst Du sie gesund, so darfst Du gehen und kannst verlangen, was Dein Herz begehrt!«
Langsam und in tiefster Seelenruhe erhob auch ich mich, stellte mich in meiner ganzen Länge gerade vor ihn hin und sprach, auf den am Boden liegenden Fez deutend:
»Abrahim-Arha, was sagt der Prophet dazu, daß Du die Scham Deines Scheidels vor einem Ungläubigen entblößest?«
Im nächsten Augenblicke hatte er sein Haupt bedeckt und, vor Grimm dunkelroth im Gesicht, den Dolch aus der Schärpe gerissen. Doch ruhig, wie zuvor fuhr ich fort:
»Ich habe den Bären gejagt und bin dem Nilpferd nachgeschwommen, der Elephant hat meinen Schuß gehört und meine Kugel hat den Löwen, den »Heerdenwürgenden« getroffen. Danke Allah, daß Du noch lebst und bitte Gott, daß er Dein Herz bezwinge. Du kannst es nicht, Du bist zu schwach dazu und wirst doch sterben, wenn es nicht sofort geschieht!«
Das war eine neue, eine schwerere Beleidigung, als die andere und mit einem zuckenden Sprunge wollte er mich fassen, fuhr aber sofort zurück, denn jetzt blitzte auch in meiner Hand die Waffe, die man in jenen Ländern niemals von sich legen darf. Wir standen einander allein gegenüber, denn er hatte sofort nach der Darreichung des Kaffees und der Pfeife die Dienerschaft hinausgewinkt, damit sie nichts von unserer zarten Unterhaltung vernehmen solle.
Mit meinem tapfern Omar-Arha hatte ich nicht den mindesten Grund, mich vor den Bewohnern des alten Hauses zu fürchten; nöthigenfalls hätten wir Beiden die wenigen hier wohnenden Männer zusammengeschossen, aber ich ahnte zu viel von dem Schicksal der Kranken, für die ich mich ungemein zu interessiren begann, und zog es deshalb vor, den Weg der Güte zu betreten.
»Lebe wohl; es sei der Herr mit Dir und Deinem Hause! Du willst es nicht, daß ich den Tod bezwinge; Dein Wunsch mag sich erfüllen, rabbena chaliek, der Herr erhalte Dich!«
Noch immer den Revolver in der Hand, machte ich Miene, dem Ausgange zuzuschreiten.
»Halt, halt, Effendi!« rief er, und jetzt klang aus seiner Stimme mehr Angst als Wuth. »Du hast die Seele eines Gläubigen beschimpft und darfst nicht gehen, ohne mir Genugthuung zu geben und meinem Willen Gehorsam zu erweisen!«
Ich trat zu ihm zurück, sah ihm lächelnd in das zuckende und blitzende Auge und antwortete so langsam, wie nur immer möglich:
»Merk auf, was ich Dir sage, mein Wort erklingt nie zweimal: Beim heiligen Leben Isa Ben Marryam, den wir Jesus, Sohn Marias nennen Du hast einen seiner Gläubigen Giaur geheißen und ihn mit der Peitsche bedroht bittest Du mich nicht um Verzeihung, und zwar sogleich, so gehe ich und Leïlet mag sterben!«
Mit Absicht sprach ich jetzt den Namen aus, welchen mir der Bote genannt hatte. Bei seinem Klange zuckte es über die erregten Züge des Egypters; es erwachte die Erkenntniß in ihm, daß er einen falschen Weg eingeschlagen habe und umkehren müsse, wenn er mich geneigt erhalten wolle. Aber sein Stolz empörte sich bei dem Gedanken, einem Christen Abbitte zu thun. Zwang, wie bei einem arabischen Quacksalber, war bei mir nicht möglich, und ich sah deutlich, daß der Gedanke, aus diesem Labyrinthe nicht herauszukommen, ihn in neue Wuth versetzte.
Da drehte ich mich um, schritt durch die Oeffnung des Geländers und befand schon der Thür nahe, als es angstvoll hinter mir erscholl:
»Bei dem Barmherzigen, bleib!«
Langsam drehte ich mich um und konnte nun die Züge des Erregten in ihrer häßlichsten Entstellung sehen. Die Spuren der Leidenschaften sprachen sich jetzt mit einer so widerwärtigen Deutlichkeit in ihnen aus, daß ich meinen Sieg fast bereute und ihm mit einer raschen Handbewegung alle weiteren Worte abschnitt.
»Laß Deine Rede schweigen! Der Christ vergiebt auch ohne laute Sühne; es ist so gut, als hättest Du gesprochen. Nun laß uns Deines Herzens Kummer heilen und zu der Kranken gehen, um sie zu sehen.«
Wie von einem Stoße getroffen, fuhr er zurück.
»Maschallah, bist Du toll? Der Geist der Wüste hat Dein Hirn verbrannt, daß Du nicht weißt, was Du forderst. Das Weib muß sterben, auf welchem das Auge eines fremden Manne ruhte!«
»Sie wird noch sicherer sterben, wenn mein Auge sie nicht sehen darf. Ich muß den Schlag ihres Pulses messen und Antwort von ihr hören über Vieles, was ihre Krankheit betrifft. Nur Allah ist allwissend und braucht Niemand zu fragen.«
Wieder erhob sich ein heftiger Kampf und es dauerte lange, ehe er unter allerdings sehr beschränkenden Bedingungen auf mein Verlangen einging.
Ich durfte sämmtliche Frauengemächer sehen, da ich sehr absichtlich die Behauptung ausgesprochen hatte, daß der Grund des Uebels in irgend einem ungesunden Zustande der Wohnung liegen könne. Natürlich schien ich an eine rein körperliche Erkrankung zu glauben, obgleich ich schon seit der ersten Aufzählung der Symptome wußte, daß eine Herzens- und Gemüthskrankheit vorliege, und ich war sehr geneigt, anzunehmen, daß die Ursache in einem Zwange zu suchen sei, der die Patientin in die Hände Abrahim-Arhas gebracht hatte.
Ferner durfte ich sie gehen sehen und die ersten drei Finger meiner rechten Hand um ihr Handgelenk legen, um den Puls zu fühlen. Sodann durfte ich ihr diejenigen Fragen vorlegen, welche ich für ganz und gar unumgänglich hielt; doch mußte sie mit jeder Antwort warten, bis sie von ihm die Erlaubnis dazu erhielt.
Ich war sehr zufrieden mit diesen Zugeständnissen; denn sie gewährten mir mehr, als jemals wohl einem Europäer zugestanden worden ist. Die Liebe des Egypters und infolge dessen auch seine Sorge mußte wohl eine sehr ungewöhnliche sein, da er sich zu solchen Opfern verstand. Freilich konnte ich die ingrimmigste Erbitterung gegen mich aus jeder seiner Mienen lesen, denn ihm war ich ein leider unabweisbarer Eindringling in die bisher unentweihten Mysterien seiner inneren Häuslichkeit, und ich hegte die Ueberzeugung, daß ich ihn auch selbst im Falle einer vollständigen Heilung als unversöhnlichen Feind zurücklassen würde.
Jetzt war er gegangen, um das Nöthige selbst anzuordnen, denn keiner seiner Diener durfte ahnen, daß er einem Fremden Eintritt in das Heiligthum verstatte.
Endlich kehrte er zurück. Es lag ein Ausdruck fester, trotziger Entschlossenheit um seinem zusammengekniffenen Mund, und mit einem Blicke voll versteckt sein sollendem und doch hervorbrechendem Hasse drohte er:
»Bei der Seligkeit aller Himmel, Effendi, sobald Du ein Wort sprichst, was ich nicht wünsche, oder nur das Geringste mehr thust, als Dir erlaubt ist, stoße ich sie nieder. Ich schwöre es bei jedem Worte des Korans und bei allen Kalifen, deren Andenken Allah segnen möge!«
Er hatte mich also doch kennen gelernt und wußte, daß ihm diese Versicherung mehr nützen würde, als die sanguinischesten Drohungen, wenn sie gegen mich selbst gerichtet waren. Uebrigens war es mir ja gar nicht in den Sinn gekommen, ihn in seinen Rechten zu kränken, nur konnte ich mich bei seinem Verhalten je länger desto weniger einer Ahnung entschlagen, daß sein Verhältniß mit der Kranken irgend einen dunklen Punkt habe.
Wir gingen. Er schritt voran und ich folgte.
Zunächst kamen wir durch einige fast in Trümmern liegende Räume, in denen allerlei nächtliches Gethier sein Wesen treiben mochte; dann betraten wir ein Gemach, welches als Vorzimmer zu dienen schien, und nun folgte der Raum, welcher allen Anzeichen nach als eigentlicher Frauendivan benutzt wurde. All die umherliegenden Kleinigkeiten waren solche, wie sie von Frauen gesucht und gern benutzt werden.
Eine größere Ausdehnung schien der Harem außer einem noch anstoßenden Raume nicht zu haben, und das unentbehrliche Bad lag jedenfalls unten zur ebenen Erde.
»Nun siehe, ob Du den Dämon der Krankheit hier findest!« forderte mich Abrahim mit einem halb spöttischen, halb gläubigen Lächeln auf. »Ich will sehen, ob die Sonne ihr Angesicht verhüllt hat vor dem Auge des Fremden. Wage nicht, mir nachzufolgen, bis ich wiederkomme!«
Ich war allein. Wo war sie? War sie da draußen? Ganz gewiß; seine Wort waren ja deutlich genug. Wer sie doch sehen könnte, Leïlet, die Nacht, die kranke, todesmatte! Welch süßer, lieblicher, sinnbethörender Duft strömte und fluthete doch hier um mich! Waren das die sterbenden Wohlgerüche der hier gepflegten und verwelkten Blumen, oder war es der würzige Hauch ihres reinen, jungfräulichen Mundes, der sich bisher gegen die Küsse des Verhaßten gewehrt hatte? Es war mir so wunderbar, so märchensüß zu Muthe, gerade so, als käme eine jener Feen, wie sie in den Märchen leben, hereingeschwebt, um meine Kühnheit zu erproben, die dann gefeit ist und Alles vollbringen kann, ohne selbst Schaden zu leiden.
Mit Anstrengung mußte ich mich aus dieser Stimmung herausreißen und ließ mein Auge durch den Raum schweifen. Ich hatte ja gewußt, daß der Heerd der Krankheit hier nicht zu suchen sei, und war nur von dem Wunsche hergeführt worden, einmal das Innere eines Harems zu sehen. Es war hier ganz dieselbe Einrichtung getroffen, wie im Zimmer des Hausherrn: das Geländer, der Divan, die Nische mit den Kühlge doch halt, halt, was ist das?
Auch hier, grad so wie dort, befindet sich grad über diesen Gefäßen ein Zuchloch in der Mauer, damit die Abkühlung des Wassers rasch vor sich gehe und auch den Nebengelassen mit zu Gute komme, und diese Oeffnung, sie führt
Mit einigen raschen Schritten bin ich an der Mauer, neige das Auge an die Oeffnung und ja, das ist sie, das ist Leïlet, die Nacht, die Nacht des Südens, wie sie dem Thore des Abendrothes entschweben müßte, wenn ihr der Schöpfer die Erlaubniß gäbe, in menschlicher Gestalt wieder auf die traumbedürftige Erde zu steigen! Das ist die Nacht, die himmlische, das ist Leïlet mit den dunklen, fast an der Erde schleifenden, sie wie ein Schleier umwallenden Locken.
Leïlet mit dem reinen, blassen, schwermuthsernsten und doch so milden, unvergleichlich schönen Angesichte, Leïlet mit Augen so offen und groß, so tief und klar, in deren Blicke sich die ganze unberührte Unschuld eines Kindes mit dem Herzensglühen des beglückenden Weibes vermählt, Leïlet mit der weichen, herrlichen Gestalt, wie sie kaum der Meißel des Künstlers dem Marmor zu entlocken vermag, Leïlet, die thauzerfließende, die weinende, an deren Wimpern die Diamanten des Schmerzes glänzen, Leïlet doch nein, das ist nicht eine gottgewollte Incarnation jener sterngeschmückten Göttin, deren Kommen und Scheiden der Himmel mit purpurnen Flammen und goldenen Reflexen feiert, sondern das ist ein vom tiefsten Grame zerrissenes Menschenkind, welches keinen Seufzer auf der Lippe trägt, weil sein ganzes Dasein eine einzige, ungestillte und ungehörte Klage ist.
Sie hat seinen Befehlen noch nicht Gehorsam geleistet, in der Tiefe ihres Schmerzes vielleicht noch gar nicht wieder an sie gedacht und steht nun da im leichten, sich innig an die Glieder schmiegenden Gewande, während er unter allen möglichen Drohungen sich bemüht, sie zu schnellerem Anlegen der entstellenden Hüllen zu bewegen.