Waldröschen II. Der Schatz der Mixtekas - Karl May 6 стр.


Helmers lächelte belustigt und fragte:

»Hat er einen Namen?« »Das versteht sich.« »Welchen?« »Wie er eigentlich heißt, das weiß ich nicht, aber die Roten nennen ihn Itintika, den Donnerpfeil. Es haben viele Jäger, die aus dem Norden kamen, von ihm erzählt.«

Helmers ließ es sich nicht merken, daß von ihm selbst die Rede sei, auch Bärenherz und Büffelstirn zuckten mit keiner Miene. Der erstere aber fragte:

»Wo ist das Pferd?« »Dort hinter jener Truppe liegt es.« »Gefesselt?« »Natürlich!« »Alle Teufel, das ist Unrecht.« »Pah. Señor Arbellez hält große Stücke auf seine Pferde, aber dieses Mal hat er doch geschworen, daß der Rappe gehorchen oder verhungern soll.« »So habt ihr ihm auch das Maul verbunden?« »Versteht sich.« »Zeigt mir ihn.« »So kommt, Señor.«

Eben, als sie sich vom Boden erhoben, sahen sie den alten Arbellez mit seiner Tochter und Karja herbeigeritten kommen. Es war der gewöhnliche Inspektionsritt, den er vor der Nacht zu unternehmen pflegte. Die Vaqueros ließen sich nicht stören und führten Helmers zu dem Hengst.

Das Tier lag, an allen vieren gefesselt und mit einem Korb vor dem Maul, am Boden. Die Augen waren ihm vor Wut und Aufregung mit Blut unterlaufen, jede einzelne Ader war zum Zerplatzen geschwollen, und aus dem Maulkorb troff der Schaum in großen Flockentrauben.

»Alle Wetter, das ist ja die reine Sünde!« rief Helmers. »Macht es anders, Señor«, meinte der Vaquero, kaltblütig die Schultern zuckend. »Das ist Tierquälerei. Das darf man nicht leiden. Auf diese Weise wird das edelste Pferd vollständig umgebracht.«

Helmers hatte sich ganz in Ekstase hineingeredet. Da kam Arbellez mit den Mädchen an.

»Was gibt es, Señor Helmers, daß Ihr Euch so ereifert?« fragte er. »Ihr bringt den Hengst um!« antwortete dieser. »Das will ich auch, wenn er nicht gehorchen lernt.« »Er wird gehorchen lernen, so aber nicht.« »Wir haben alles vergebens versucht.« »Gebt ihm einen tüchtigen Reiter auf den Rücken!« »Hilft nichts!« »Pah! Darf ich es versuchen, Señor?« »Nein.«

Helmers sah ihn erstaunt an.

»Warum nicht?« fragte er. »Weil mir Euer Leben zu lieb ist.« »Pah! Ich will lieber sterben, als dieses länger mit ansehen. Ein guter Pferdemann hält das nicht aus. Also, darf ich den Rappen reiten? Bitte, Señor!«

Da drängte Emma besorgt ihr Pferd heran und bat ängstlich:

»Vater, erlaube es ihm nicht! Der Rappe ist zu gefährlich!«

Der Deutsche blickte ihr mit einem glücklichen Lächeln in das Gesicht. Ihre Angst war ihm ja ein Beweis, daß er ihr nicht gleichgültig sei, dennoch aber fragte er sehr ernst:

»Señorita, hassen Sie mich?« »Hassen? Mein Gott, warum sollte ich das?« »Oder verachten Sie mich?« »Das noch viel weniger!« »Nun, warum beleidigen Sie mich in dieser Weise? Nur ein Knabe unternimmt, was er nicht auszuführen vermag. Ich sage Ihnen, daß ich den Schwarzen ganz und gar nicht fürchte.« »Sie kennen das Tier nicht, Señor«, mahnte Arbellez. »Es sind viele hier gewesen, die behaupten, daß nur Itintika, der Donnerpfeil, es bändigen könne.« »Kennen Sie diesen Itintika?« »Nein, aber er ist der beste Rastreador und Reiter, der zwischen den beiden Meeren lebt.« »Und dennoch bitte ich um den Hengst.« »Ich warne Sie.« »Ich bleibe bei meiner Bitte.« »Nun wohl, ich muß sie ihnen gewähren, denn Sie sind mein Gast, aber es tut mir leid um die Folgen. Zürnen Sie mir später nicht!«

Da stieg Emma schnell vom Pferd, trat auf Helmers zu und bat, seine Hand ergreifend:

»Señor Helmers, wollen Sie nicht doch um meinetwillen von dem Pferd ablassen? Mir ist so unendlich angst!«

Er erglühte vor Wonne, und sein Auge traf mit einem glühenden Strahl das ihrige.

»Señorita«, entgegnete er, »sprechen Sie aufrichtig: Ist es eine Ehre oder eine Schande für mich, wenn ich erst behaupte, daß ich mich nicht fürchte, und dann doch zurücktrete?«

Sie senkte den Kopf, sie sah ein, daß er recht hatte, daß er vor den anderen, die alle gute Reiter waren, nicht zurückkonnte. Darum fragte sie kleinlaut:

»Sie wollen es also wirklich wagen?« »Oh, Señorita Emma, für mich ist das kein Wagnis!«

Helmers blickte dem schönen Mädchen dabei mit einer so offenen, heiteren Zuversichtlichkeit in die Augen, daß es zurücktrat und an die Möglichkeit des Gelingens glaubte.

»Wohlan, nun gilts!«

Mit diesen Worten trat er an den Hengst heran und wies die Vaqueros zurück, die ihm helfen wollten, die Fesseln abzunehmen. Das Tier wälzte sich noch immer schnaubend und stöhnend am Boden. Helmers nahm ihm den Korb ab und zog das Messer. Nur das Ende eines Lassos war dem Pferd um das Maul gebunden. Der Deutsche nahm diesen Riemen in die Linke, schnitt mit dem Messer die Fesseln erst der Hinter-, dann auch der Vorderbeine durch und saß, als der Rappe emporschnellte, wie angegossen auf dessen Rücken.

Jetzt begann ein Kampf zwischen Reiter und Pferd, wie ihn noch keiner der sich vorsichtig zurückziehenden Zuschauer gesehen hatte. Der Hengst ging vorn und hinten in die Höhe, bockte zur Seite, schlug und biß, warf sich zu Boden, wälzte sich, sprang wieder empor immer blieb der Reiter über ihm. Es war zunächst ein Kampf der menschlichen Intelligenz gegen die Widerspenstigkeit eines wilden Tieres, dann aber wurde es ein Kampf allein der menschlichen Muskeln gegen die tierische Kraft. Das Pferd schwitzte förmlich Schaum, es schnaubte nicht, sondern es grunzte, stöhnte, es strengte den letzten Rest seines Willens an, aber der eisenfeste Reiter gab nicht nach, mit stählernem Schenkeldruck preßte er das Pferd zusammen, daß diesem der Atem auszugehen drohte, und nun erhob es sich zum letzten Mal mit allen vieren in die Luft, dann schoß es davon, über Stock und Stein, über Graben und Büsche, daß man es mit seinem Reiter in einer halben Minute nicht mehr erblickte.

»Donnerwetter, so etwas habe ich noch nicht gesehen!« gestand Arbellez. »Er wird den Hals brechen«, sagte einer der Vaqueros. »Nun nicht mehr«, meinte ein anderer. »Er hat gesiegt.« »Oh, war es mir angst!« gestand Emma. »Aber ich glaube nun wirklich, daß keine Gefahr mehr vorhanden ist. Nicht war, Vater?« »Sei ruhig. Wer so fest sitzt und solche Stärke zeigt, der stürzt nun nicht mehr herab. Das war ja gerade, als ob Teufel gegen Teufel kämpften. Ich glaube, dieser Itintika könnte es auch nicht besser machen.«

Da trat Büffelstirn heran und sagte:

»Nein, Señor, er kann es nicht besser machen, sondern nur ganz genauso.« »Wieso? Ich verstehe nicht.« »Dieser Señor Helmers ist ja Itintika, der Donnerpfeil.« »Was?« fuhr Arbellez auf. »Er? Der Donnerpfeil?« »Ja. Fragt hier den Häuptling der Apachen.«

Arbellez richtete einen fragenden Blick auf den Genannten.

»Ja, er ist es«, sagte dieser einfach. »Ja, wenn ich das wußte, so hätte ich keine solche Angst ausgestanden«, erklärte der Haziendero. »Es war mir wahrhaftig so, als ob ich selbst auf dem Tier säße.«

Emma blickte still vor sich hin, aber in ihrem Auge brannte ein glückliches, inniges Feuer. Helmers hatte recht gehabt, er konnte nicht zurück, es hatte sich um seine Ehre gehandelt, und nun wußte sie, daß er ein noch viel größerer Held sei, als sie bisher gedacht hatte.

Voller Erwartung blieben alle halten, und keiner ging von dem Platz fort. So verfloß eine Viertelstunde, da kehrte Helmers zurück. Der Rapphengst war zum Zusammenbrechen müde, aber der Reiter saß lächelnd und frisch auf seinem Rücken. Emma ritt ihm entgegen.

»Señor, ich danke Euch!« sagte sie.

Ein anderer hätte gefragt. »Wofür?« Er aber verstand sie und lächelte ihr glücklich zu.

»Señor, ich danke Euch!« sagte sie.

Ein anderer hätte gefragt. »Wofür?« Er aber verstand sie und lächelte ihr glücklich zu.

»Nun, Señor Arbellez«, fragte er, »braucht es denn gerade wirklich dieser Itintika zu sein?« »Natürlich!« »Na, ich denke, wir können ihn entbehren, denn ich kann es auch.« »Weil Ihr es seid, ja.« »Aha, so ist mein Geheimnis verraten!« lachte er. »Und das Inkognito des Fürsten der Savanne ist zu Ende«, fügte Emma hinzu.

Es wurde ihm von allen Seiten die lauteste Bewunderung zuteil, er aber wehrte alle Lobeserhebungen ab und sagte:

»Ich bin noch nicht fertig. Darf ich Sie auf Ihrem Ritt begleiten, Señor Arbellez?« »Ist das Pferd nicht zu müde?« »Es muß, ich will es so.« »Gut, so kommt!«

Sie ritten nun die weiten Plätze ab, auf denen Pferde, Rinder, Maultiere, Schafe und Ziegen weideten, und kehrten dann nach Hause zurück, wo der Rapphengst angepflockt wurde.

6. Kapitel

Als Karja, die Indianerin, sich nach ihrem Zimmer begab und an der Tür des Grafen vorüberging, öffnete sich diese, und Graf Alfonzo trat für einen Augenblick heraus.

»Karja«, fragte er, »kann ich dich heute sprechen?« »Wann?« fragte sie. »Zwei Stunden vor Mitternacht.« »Wo?« »Unter den Ölbäumen am Bach.« »Ich komme!«

Als der Abend hereingebrochen war, versammelte man sich im Speisesaal, wo ein großartiges Souper aufgetragen wurde. Auch die beiden Indianerhäuptlinge waren anwesend, der Graf jedoch ließ sich nicht sehen. Er hatte sich bereits nach den Ölbäumen geschlichen, in deren Nähe das Wasser so vertraulich rauschte. Um die angegebene Zeit kam die Indianerin. Er umschlang sie und zog sie zu sich nieder. Sie zeigte sich schweigsamer als bisher.

»Was hast du, Karja?« fragte er. »Liebst du mich nicht mehr?« »O doch, obgleich ich dich nicht mehr lieben sollte«, erwiderte sie. »Freust du dich etwa nicht, daß ich gerettet worden bin?« »Ah! Wie kommst du auf diesen Gedanken?« »Hättest du sonst meine Retter beleidigt?« »Sie gehören hinaus auf die Weide, nicht aber in die Estanzia.«

Die Indianerin schüttelte den schönen Kopf.

»Du bist nicht edel, Alfonzo.« »O doch, aber ich hasse alles Häßliche.« »Ist dieser Donnerpfeil etwa häßlich?« »Donnerpfeil? Der große Reiter und Rastreador? Den habe ich ja noch gar nicht gesehen.« »Du hast ihn allerdings gesehen. Es ist Helmers.« »Verdammt! Nun begreife ich auch die Forderung.« »Wirst du dich mit ihm schlagen?« »Fällt mir nicht ein. Er ist mir nicht ebenbürtig!«

Die Indianerin liebte Alfonzo, und sie hatte Angst um ihn, darum sagte sie:

»Daran tust du recht, du wärest sonst verloren.«

Es ist nicht angenehm für einen Mann, von der Geliebten zu hören, daß sie einen anderen für stärker und tapferer hält. Er antwortete daher

»Du täuschst dich. Sahst du mich einmal schießen oder fechten?« »Nein.« »Nun, so kannst du auch nicht über mich urteilen. Ein Ritter, ein Graf muß ja in solchen Dingen jedem Jäger überlegen sein. Du wirst mich erst kennenlernen, wenn ich dich zu meiner Gemahlin erhoben habe.« »Oh, das wird nie geschehen!« »Warum zweifelst du?« »O Alfonzo, ich möchte dir ja so gern glauben. Ich liebe dich, und wir würden glücklich sein.« »Ja, wir werden es, und ob früher oder später, das kommt ganz auf dich an, mein süßes Herz. Kennst du nicht die Bedingung, die ich dir gesagt habe?« »Sie ist hart, denn sie verlangt, daß ich meinen Schwur breche, daß ich zur Verräterin an meinem Volk werde.« »Der Schwur bindet dich nicht, da du ihn als Kind gabst und dein Volk kein Volk mehr ist. Wenn du mich liebst und die meinige werden willst, so ist nur mein Volk das deinige. Ich bin jetzt nach der Hacienda del Erina gekommen, um mir Gewißheit zu holen. Muß ich auch dieses Mal ohne dich abreisen, so gehe ich nach Spanien, und wir sind getrennt für immer.« »Du bist grausam.« »Nein, ich bin nur vorsichtig. Ein Herz, das kein Opfer zu bringen vermag, kann nicht wirklich lieben.« »Oh«, rief Karja, ihn umschlingend, »ich liebe dich ja unendlich! Glaube es mir doch!« »So beweise es mir!« »Muß es wirklich sein?« »Ja. Wir brauchen die Schätze der Königshöhle, um dem Vaterland einen neuen Herrscher zu geben. Und die erste Tat dieses Herrschers wird sein, dich in den Adelsstand zu erheben, damit du Gräfin Rodriganda werden kannst.« »Das wird wirklich geschehen?« »Ich schwöre es dir zum tausendsten Mal.« »Und du wirst meinem Bruder niemals verraten, daß ich es war, die dir das Geheimnis mitteilte?« »Niemals. Er wird gar nicht erfahren, wer die Schätze gehoben hat.«

Alfonzo fühlte die Indianerin nachgiebig werden, und seine Brust schwoll vor Entzücken. Er heuchelte ihr nur Liebe, um ihr das Geheimnis zu entlocken, und hätte ihr jetzt alles, alles versprochen, um sie nur zum Reden zu bringen.

»Nun gut, du sollst erfahren, wo sich der Königsschatz befindet. Aber nur unter der Bedingung, daß ich dir erst am Tag unserer Verlobung das Geheimnis offenbare.« »Das geht nicht«, sagte er enttäuscht. »Du erhältst den Adel nur nach der Entdeckung des Schatzes, und eher darf den Gesetzen des Landes gemäß unsere Verlobung nicht stattfinden.« »Ist dies wirklich wahr?« fragte sie.

Alfonzo umschlang sie, drückte sie an sich und küßte sie zärtlich auf die schwellenden Lippen. »Es ist so, glaube es mir doch, meine liebe, liebe Karja. Du weißt ja, daß ich ohne dich nicht leben kann! Du bist zwar ein Fürstenkind, aber das gilt nach spanischen Gesetzen nicht als Adel. Meinem Herzen bist du teuer und ebenbürtig, vor der Welt aber ist dies anders. Magst du mir denn nicht vertrauen, mein Leben?« »Ja, du sollst es erfahren«, erwiderte Karja, deren Widerstand unter seinen Zärtlichkeiten zusammenschmolz. »Aber dennoch wirst du mir eine ganz kleine Bedingung erlauben. Gib mir vorher eine Schrift, in der du bekennst, daß ich gegen Überantwortung des Schatzes deine Frau werden soll.«

Diese Bedingung war Alfonzo höchst fatal; aber sollte er jetzt, so nahe am Ziel, einer Albernheit wegen zaudern? Nein. Diese Indianerin war nicht die Person, mit einigen geschriebenen Worten irgendwelche Ansprüche rechtfertigen zu können; darum antwortete er bereitwillig:

»Gern, sehr gern, meine Karja! Ich tue ja damit nur das, was ich selbst von ganzem Herzen wünsche. Also sag, wo liegen die Schätze?« »Erst die Schrift, lieber Alfonzo!« »Schön. Ich werde sie bis morgen mittag anfertigen.« »Und dein Siegel darunter setzen?« »Jawohl!« »So werde ich dir am Abend den Ort beschreiben.« »Warum erst am Abend? Die Schrift ist ja bereits am Mittag fertig. Darf ich da zu dir kommen?« »Nein. Ich muß jeden Augenblick gewärtig sein, daß Emma oder eine der Dienerinnen mich aufsucht. Man könnte uns leicht überraschen.« »So kommst du zu mir?« »Ich zu dir?« fragte sie zögernd. »Fürchtest du dich?« »Nein. Ich werde kommen.« »Ich kann mich darauf verlassen?« »Ja, gewiß!«

Da zog er Karja abermals an sich und küßte sie, obgleich ihm diese Zärtlichkeit eine gewisse Überwindung kostete. Sein Herz war zwar weit, aber eine Indianerin war doch nicht nach seinem Geschmack. Er liebte wenigstens für jetzt eine andere, und diese andere war Emma Arbellez, deretwegen er so oft von Mexiko nach der Hazienda kam, Emma Arbellez, die ihn doch stets so kalt und schroff zurückwies und ihm noch heute ihre Verachtung in so deutlichen Ausdrücken zu verstehen gegeben hatte.

Während Alfonzo und die Indianerin unter den Oliven saßen, führte Helmers den Häuptling Tecalto nach seinem Lagerplatz im Gras der Weide. Er war seit langer Zeit die freie Gottesnacht gewöhnt und wollte, ehe er sich im Zimmer schlafen legte, noch eine Lunge voll frischer Luft sammeln. Darum ging er, als er sich von dem Häuptling verabschiedet hatte, noch nicht in die Hazienda zurück, sondern trat in den Blumengarten, wo er sich am Rand des künstlichen Bassins niederließ, in dem eine Fontäne ihren belebenden Wasserstrahl in die Höhe schoß.

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