»Ich komme eigentlich mit einer Bitte«, sagte er. »Die ich erfüllen werde, wenn ich kann«, meinte Helmers. »Sie können es. Sie befinden sich hier in der Einsamkeit, wo Sie Ihre Bedürfnisse gar nicht befriedigen können, während ich von allem einen Vorrat habe, da ich die Meinigen mit dem, was sie brauchen, versorgen muß. Wollen Sie sich mit Wäsche und einer neuen Kleidung versehen, so hoffe ich, daß Sie mit meinen Preisen zufrieden sein werden.«
Helmers wußte gar wohl, wie es gemeint war, aber einesteils konnte er den guten Haziendero doch nicht beleidigen, und anderenteils befand sich sein alter Jagdanzug in einem sehr tragischen Zustand. Er überlegte sich die Sache also kurz und erwiderte:
»Gut, ich nehme Ihr Anerbieten an, Señor Arbellez, vorausgesetzt, daß Ihre Preise nicht gar zu hoch sind, denn ich bin, offen gestanden, das, was man einen armen Teufel nennt.« »Hm, eine Kleinigkeit wenigstens muß ich mir doch auch verdienen, obgleich die Zahlung nicht gerade heute notwendig ist. Kommen Sie, Señor; ich werde Ihnen meine Vorratskammer zeigen!«
Als eine Stunde später Helmers vor dem Spiegel stand, kam er sich selbst ganz fremd vor. Er trug eine unten aufgeschlitzte, goldverbrämte mexikanische Hose, leichte Halbstiefel mit ungeheuren Rädersporen, ein schneeweißes Hemd, darüber eine kurze, vorn offene Jacke, die mit Gold- und Silberstücken besetzt war, auf dem Kopf einen breitkrempigen Sombrero und um die Taille einen Schal von feinster, chinesischer Seidengaze. Das Haar war ihm verschnitten, der Bart ausrasiert und zugestutzt, und so erkannte er sich in dieser kleidsamen, reichen Tracht kaum selbst wieder.
Als er zum Frühstück in den Speisesaal trat, fand er Emma bereits anwesend. Sie errötete vor Entzücken, als sie die Veränderung bemerkte, die mit ihm vorgegangen war. So männlich und schön hatte sie sich ihn denn doch nicht gedacht. Auch Karja, die Indianerin, schien erst jetzt zu sehen, welch ein Mann der Deutsche war. Vielleicht stellte sie Vergleiche zwischen ihm und dem Grafen an. Die beiden Indianerhäuptlinge taten natürlich, als bemerkten sie diese Veränderung gar nicht. Einer aber ärgerte sich fürchterlich darüber.
Das war der Graf. Die Hoffnung, bald in den Besitz des Schatzes zu gelangen, mochte ihn nachgiebig stimmen; er erschien zum Frühstück, wäre aber fast wieder umgekehrt, als er Helmers erblickte. Kein Mensch sprach ein Wort mit ihm, und er mußte sehen, mit welcher Herzlichkeit Emma mit dem Verhaßten verkehrte. Er knirschte heimlich mit den Zähnen und nahm sich vor, diesen Fremden unschädlich zu machen.
Nach dem Frühstück bat Emma den Deutschen, noch zu bleiben. Er ahnte nicht im geringsten, was sie beabsichtigte, aber als die drei sich nun allein befanden, legte das schöne Mädchen den Arm um den Haziendero und sagte:
»Vater, wir haben gestern nachgesonnen, wie wir Señor Helmers danken wollen.« »Ja«, nickte er, »aber wir haben leider nichts gefunden.« »Oh«, sagte sie, »ich habe dann später wieder nachgesonnen und das Richtige getroffen. Soll ich dir es zeigen?« »Freilich!«
Da nahm sie den Deutschen beim Kopf und küßte ihn.
»So meine ich es, Vater, und ich denke, daß er es wert ist.«
Die Augen des Hazienderos leuchteten und wurden feucht.
»Mein Kind, ist dies dein Ernst?« »Von ganzem Herzen, Vater!« versicherte sie. »Und ist Señor Helmers damit zufrieden?« »Oh, der liebt mich über alles, und das macht mich ja so glücklich!« »Hat er es dir denn gesagt?« »Jawohl!« lachte sie unter Tränen. »Wann denn?« »Gestern abend.« »Und wo?« »Im Garten: Aber, Vater, mußt du das alles wissen? Ist es dir denn nicht genug, daß ich glücklich bin, recht sehr, sehr glücklich?« »Ja, ja, das ist mir genug, obgleich ich dir sagen muß, daß du auch mich ganz glücklich machst. Und Sie, Señor Helmers, wollen Sie denn wirklich der Sohn eines so alten, einfachen Mannes sein?«
Dem guten Deutschen liefen die Tränen über die Wangen.
»Oh, wie gern, wie so sehr gern!« antwortete er. »Aber ich bin arm, sehr arm, Señor!« »Nun, so bin ich desto reicher, und das hebt sich also auf. Kommt an mein Herz, ihr guten Kinder. Gott segne uns alle und lasse diesen Tag den Anfang eines recht frohen Lebens sein!«
Sie lagen sich in den Armen und hielten sich umschlungen lange, lange Zeit in tiefer Rührung und reinster Wonne, als sich die Tür öffnete und der Graf wieder eintrat.
Er blieb ganz erstaunt stehen, er verstand, was hier vorging, und wurde leichenblaß vor Grimm.
»Ich kam eines der Pferde wegen«, entschuldigte er sich, »aber ich sehe, daß ich störe!« »Gehen Sie nicht eher«, sagte der Haziendero, »als bis Sie erfahren, daß ich meine Tochter Señor Helmers verlobt habe!« »Gratuliere!«
Mit diesem wütend hervorgepreßten Wort verschwand er wieder. Pedro Arbellez aber hatte nichts Eiligeres zu tun, als sein Gesinde zusammenrufen zu lassen, um ihm zu erklären, daß heute Feiertag sei, da die Verlobung von Doña Emma gefeiert würde. Die Hazienda und ihre Umgebung hallten wider von dem Jubel der Vaqueros und Indianer, die im Dienst des Hazienderos standen. Sie alle hatten ihre Herrschaft lieb und gestern ja auch den Deutschen als einen Mann kennengelernt, dem man die schöne Tochter Arbellez wohl gönnen konnte.
Als Helmers einmal hinaus auf die Weide trat, kam ihm der Häuptling der Mixtekas entgegen.
»Du bist ein tapferer Mann«, sagte er. »Du besiegst den Feind und eroberst die schönste Squaw des Landes. Wahkonta gebe dir seinen Segen. Das wünscht dein Bruder.« »Ja, es ist ein großes Glück«, antwortete der Deutsche. »Ich war ein armer Jäger und werde nun ein reicher Haziendero sein.« »Du warst nicht arm, du warst reich!« »Ja«, lächelte Helmers, »ich schlief im Wald und deckte mich mit den Sternen zu.« »Nein«, entgegnete der Indianer ernst. »Du warst reich, denn du hattest die Karte zur Höhle des Königsschatzes.«
Der Deutsche trat erstaunt einen Schritt zurück.
»Woher weißt du das?« »Ich weiß es! Darf ich die Karte sehen?« »Ja.« »Sogleich?« »Komm!«
Helmers führte den Indianer in sein Zimmer und legte ihm das abgegriffene Papier vor. Tecalto warf einen Blick in die Ecke des Plans und sagte:
»Ja, du hast sie! Das ist das Zeichen von Toxertes, der der Vater meines Vaters war. Er mußte das Land verlassen und kehrte nie wieder zurück. Du bist nicht arm. Willst du die Höhle des Königsschatzes sehen?« »Kannst du sie mir zeigen?« »Ja.« »Wem gehört der Schatz?« »Mir und Karja, meiner Schwester. Wir sind die einzigen Abkömmlinge der Könige der Mixtekas. Soll ich dich führen?« »Ich gehe mit!« »So sei heute zwei Stunden nach Mitternacht bereit. Dieser Weg darf nur im Dunkel der Nacht angetreten werden.« »Wer darf davon wissen?« »Niemand. Aber dem Weib deines Herzens magst du es anvertrauen.« »Warum ihr?« »Weil sie weiß, daß du den Schatz suchtest.« »Ah, woher ist dir das bekannt?« »Ich habe jedes Wort gehört, daß ihr gestern im Garten geredet habt. Du hattest die Karte und wolltest dennoch nichts nehmen. Du wolltest erst forschen, ob der Erbe vorhanden ist. Du bist ein ehrlicher Mann, wie es unter den Bleichgesichtern wenige gibt. Darum sollst du den Schatz der Könige sehen.«
Eine Stunde später, zur Zeit des Mittagsmahls, als die anderen beim Nachtisch saßen, schlüpfte die Indianerin in das Zimmer des Grafen. Er empfing sie mit vollster Zärtlichkeit und zog sie auf das Sofa.
»Hast du das Papier geschrieben?« fragte sie. »Kannst du lesen?« »Ja«, antwortete sie stolz. »Hier ist es.«
Alfonzo gab Katja einen Bogen Papier, auf dem folgende Zeilen zu lesen waren:
Alfonzo gab Katja einen Bogen Papier, auf dem folgende Zeilen zu lesen waren:
»Ich erkläre hiermit, daß ich nach Empfang des Schatzes der Könige der Mixtekas mich als Verlobten von Karja, der Nachkömmlingin dieser Könige, betrachten und sie als meine Gemahlin heimführen werde.
Alfonzo,
Graf de Rodriganda y Sevilla.«
»Ist es so recht?« fragte er. »Die Worte sind gut, aber das Siegel fehlt.« »Das ist ja nicht notwendig!« »Du hast es mir versprochen.« »Gut, so magst du es haben«, sagte er, seinen Unwillen verbergend.
Er brannte den Wachsstock an und drückte sein Siegel unter die Worte.
»Hier, meine Karja! Und nun halte auch du dein Wort!« »Ich halte es. Kennst du den Berg El Reparo?« »Ja. Er liegt vier Stunden von hier gegen Westen.« »Er siehst fast aus wie ein langgezogener, hoher Damm.« »Das stimmt.« »Von ihm fließen drei Bäche in das Tal. Der mittelste ist der für dich wichtige. Sein Anfang bildet keinen offenen Quell, sondern er tritt gleich voll und breit aus der Erde heraus. Wenn du in das Wasser trittst und da, wo es aus dem Berg kommt, dich bückst und hineinkriechst, so hast du die Höhle vor dir.« »Ah, das wäre doch recht einfach.« »Sehr einfach.« »Braucht man Licht?« »Du wirst Fackeln rechts vom Eingang finden.« »Das ist alles, was du mir zu sagen hast?« »Alles.« »Und der Schatz befindet sich wirklich auch vollständig dort?« »Vollständig.« »So habe Dank, mein gutes Kind. Du bist jetzt meine Verlobte und wirst nun bald mein Weibchen sein. Jetzt aber geh. Man könnte uns hier überraschen.« Sehe ich dich heute abend?« »Ja. Wieder am Bach unter den Oliven.«
Karja ging. Sie hatte ein Opfer gebracht, aber dieses Opfer lag ihr mit Zentnerschwere auf der Seele, denn sie mußte teilnehmen an der heutigen Festlichkeit, und doch war es ihr bei der allgemeinen Freude, als ob sie bittere Tränen weinen möchte.
Der Graf blieb in seinen Gemächern und ließ sich gar nicht sehen. Am Nachmittag kam eine Estafette an ihn. Er erhielt einen Brief aus der Hauptstadt Mexiko, der ihm nur allein eingehändigt werden durfte. Als er ihn geöffnet und gelesen hatte, blickte er erst starr vor sich hin, dann aber sprang er auf und murmelte:
»Es mag ein Verbrechen sein, pah! Ich heiße es jedoch gut, denn es bringt mir eine Grafenkrone. Wie gut, daß ich bereits zur Abreise gerüstet bin. Ich bringe einen Reichtum mit, um den mich Könige und Kaiser beneiden werden.«
Der Brief lautete folgendermaßen:
»Lieber Neffe!
Dein Vater hat geschrieben. Du mußt nach Rodriganda. Zuvor jedoch stirbt der alte Ferdinando, ganz so wie es verabredet wurde. Komm! Der Kapitän Landola wartet bereits im Hafen.
Dein Oheim Pablo Cortejo.«
8. Kapitel
Wenn es einen gab, dessen Beifall die Verlobung Helmers mit der Mexikanerin nicht ganz hatte, so war dies Bärenherz, der Häuptling der Apachen. Er hatte den Deutschen sehr liebgewonnen, wenn er es sich bei seiner schweigsamen Natur auch nicht merken ließ, und geglaubt, noch lange Zeit mit ihm durch Wald und Prärie streifen zu können, und nun mußte er diese Hoffnung aufgeben. Darum fühlte er sich unmutig und vereinsamt. Er fing sich also eines der halbwilden Pferde, setzte sich darauf und jagte in die Welt hinaus.
Dort trieb er sich einige Stunden lang im tollen Jagen herum, bis er endlich doch daran dachte, daß man ihn vermissen und suchen werde, und kehrte zurück. Dabei suchte er sich aber nicht etwa den geradesten und bequemsten Weg aus, sondern folgte den Tälern, Schluchten und Gründen, wie sie ihm gerade in die Richtung kamen, bis er, in einer Vertiefung reitend, plötzlich Stimmen vernahm. Gleich darauf ertönte ein Schuß und ein Schrei.
Ein solches Vorkommnis war verdächtig, besonders aber einem vorsichtigen Indianer. Er stieg also ab, band sein Pferd an, griff zur Büchse und pirschte sich vorsichtig der Gegend zu, wo der Schuß gefallen war. Es war nicht weit. Er kroch eine Böschung empor, deren Höhe mit wilder Myrte besetzt war. Als er diese Büsche erreichte, erblickte er zwischen diesen hindurch ein kleines, aber tiefes Tälchen, in dem sich um ein abgebranntes Feuer herum achtzehn Männer und zwei Leichen befanden. Dabei lagen eine Menge Kisten. Säcke und Packsattel auf einem Haufen. Einer der Männer hatte ein Pistol in der Hand, das er lud.
»Es bleibt dabei«, sagte er, »wer widerspricht, der wird einfach erschossen!« »Werden uns die Schüsse nicht verraten?« fragte ein anderer schüchtern. »Schwachkopf, wer wird sich an uns wagen!«
Bärenherz verstand das Gemisch von Spanisch und Indianisch, das an der Grenze gesprochen wird, sehr gut, diese Leute hier aber redeten rein Spanisch, das er nicht verstand. Er hielt sie für eine Jagdtruppe, deren Mitglieder untereinander in Streit geraten waren und auf sich geschossen hatten. Das kommt in Mexiko häufig vor, ohne daß es groß beachtet wird. Er zog sich also leise wieder zurück, bestieg sein Pferd und ritt nach der Estanzia.
Dort hatte man ihn allerdings vermißt, und als er anlangte, mußte er sofort an der Tafel erscheinen, wo er keine Zeit fand, der Begegnung mit den Fremden zu gedenken.
Der Freudentag verlief ungestört, zumal sich der Graf ganz und gar nicht sehen ließ; doch ermüdet die Freude den Menschen ebenso wie der Schmerz, und man legte sich zeitig schlafen.
Nun erst verließ der Graf sein Zimmer und ging zu den Olivenbäumen, wo er die Indianerin bereits seiner wartend fand. Nicht die Sehnsucht der Liebe führte ihn zu ihr, aber er mußte ihr Vertrauen wenigstens so lange aufrechterhalten, bis er den Schatz gehoben hatte. Er heuchelte also Zuneigung und Zärtlichkeit, suchte aber so bald wie möglich von ihr fortzukommen.
»Warum willst du schon gehen?« fragte sie ihn. »Weil ich einen Ausflug nach der Höhle des Schatzes unternehme.« »Willst du ihn jetzt schon holen?« »Nein. Ich will nur sehen, ob er wirklich noch da ist.« »Er ist noch da. Mein Bruder hat ihn vor kurzem erst gesehen.« »Ich muß mich dennoch selbst überzeugen. Diese Sache ist ja zu wichtig für mich.« »Wann kommst du wieder?« »Noch vor Abend.« »So schlafe wohl!«
Karja umschlang den Grafen, küßte ihn zum Abschied und ging dann fort. Er folgte langsam. Als er sein Zimmer erreichte, waren bereits seine beiden Diener beschäftigt, diejenigen seiner Sachen einzupacken, die er mitzunehmen hatte. Es war nicht viel, und darum kamen sie bald zu Ende damit.
»Tragt es leise hinab und sattelt die Pferde. Draußen bei der großen Zeder treffen wir uns!« gebot er den Leuten, darauf ging er hinab, um langsam voranzuschreiten. Dabei bemerkte er ein helles Licht, das aus dem Fenster von Emmas Schlafzimmer drang. Ah, das war die Braut, die schöne, die ihn verschmäht hatte! War vielleicht der Bräutigam bei ihr? Er mußte das wissen; die Eifersucht packte ihn. Er wußte, daß an den Palisaden mehrere lange, starke Stangen lagen. Er holte eine derselben, lehnte sich an die Mauer und kletterte daran in die Höhe. Sie war so lang, daß er neben das offene Fenster kam und in das Zimmer sehen konnte.
Da erblickte er Emma, die ihm in diesem Augenblick so bezaubernd schön erschien, daß er nicht widerstehen konnte, sondern den Fuß auf die Fensterbrüstung setzte und sich in das Gemach hineinschwang. Sie hörte das Geräusch, drehte sich um und stieß einen Schrei des Schrecks aus.
»Was wollen Sie?« fragte sie entsetzt. »Liebe!« stammelte er, völlig berauscht von ihrem Anblick.
Ihr Auge blitzte auf. In ihrem Zimmer befand sich zwar keine Waffe, aber sie war mutig und entschlossen.
»Liebe?« fragte sie. »Nicht Liebe sollst du finden, aber Verachtung und Blut!«