Der König reichte Kurt abermals die Hand, die dieser demütig ergriff, aber im Herzen voll Glück an seine Lippen zog. Auch Bismarck trat heran und gab ihm die Rechte.
»Leutnant«, sagte er, »ich liebe Leute, die bei solcher Jugend bereits so umsichtig und tatkräftig sind, denn diese Jugend verspricht ein dankbares Alter. Wir sehen uns vielleicht nicht zum letzten Male. Für heute aber ersuche ich Sie um Ihre vollste Diskretion. Kein Mensch, merken Sie wohl, kein einziger Mensch außer uns dreien darf wissen, was Sie zu Seiner Majestät führte. Wir wissen jetzt genau, daß der Franzmann den Krieg will, und können uns darauf vorbereiten, dem Feind gerüstet gegenüberzustehen. Das ist viel wert, und das haben wir Ihnen zu danken. Verlassen Sie sich darauf, daß ich Sie nicht vergessen werde. Jetzt gehen Sie mit Gott!«
Kurt verließ das Zimmer und das Schloß. Er dachte nicht an seine Droschke, er wußte nicht, welche Richtung er verfolgte, er war beinahe trunken vor Glück. Er war von diesen beiden mächtigen Männern mit solcher Auszeichnung verabschiedet worden, was kümmerte er sich nun um alle seine Widersacher, vom General an bis zum letzten Leutnant herab. Er hatte ferner die Teilnahme des Königs für die Familie de Rodriganda erregt; es ließ sich hoffen, daß unter einer so hohen Protektion die Forschungen nach dem verschwundenen Sternau von besserem Erfolg als bisher begleitet sein würden.
So ging er, in Gedanken versunken, aufs Geratewohl die Straßen entlang, bis er endlich doch zur Einsicht kam, daß er eine falsche Richtung eingeschlagen habe. Er nahm also einen Fiaker und ließ sich nach Hause fahren.
Dort wurde er mit der größten Ungeduld erwartet. Sie saßen alle im Salon beisammen und empfingen ihn mit liebreichen Vorwürfen wegen seines langen Fortbleibens, das sie sich nicht erklären konnten.
»Wir erwarten dich aus der Restauration da drüben zurück«, sagte der Herzog, »und nun sehen wir, daß du mit einer Droschke angefahren kommst. Wo warst du eigentlich?« »Das erraten Sie nicht, Durchlaucht«, antwortete er lachend. Und einen Blick auf sich werfend, fuhr er fort: »Sehen Sie dieses Gewand, ein Dorfschulmeister kleidet sich besser, und in diesem Anzug bin ich gewesen «
Er hielt inne, und der Herzog fiel ein:
»Nun, bei wem?« »Beim König.« »Beim König? Unmöglich!« rief es von allen Seiten. »Allerdings! Beim König und bei Bismarck war ich!« »Du scherzt!« meinte Olsunna.
Aber Röschen warf einen forschenden Blick auf ihren Gespielen. Sie kannte ihn genau; sie sah seine vor Glück leuchtenden Augen, seine geröteten Wangen und hatte die Überzeugung, daß er nicht im Spaß gesprochen hatte.
»Es ist wahr, er ist beim König gewesen, ich sehe es ihm an!« sagte sie.
Dabei glänzten auch ihre schönen Augen vor aufrichtiger Freude. Sie war stolz darauf, daß Kurt mit so hohen Herren gesprochen hatte.
»Also doch?« fragte ihre Mutter den jungen Mann. »Ja«, nickte er. »Mein Gott, in diesem Anzug!« rief der Herzog. »Aber wie kommst du zu der Majestät und zu der Exzellenz?« »Das darf ich nicht sagen. Ich habe den beiden Herren die größte Verschwiegenheit versprechen müssen, und ich ersuche Sie deshalb, keinem Menschen von einer Audienz zu sprechen. Zu Ihrer Beruhigung jedoch will ich Ihnen sagen, daß ich ich muß geradezu sagen mit Auszeichnung entlassen worden bin. Es ist mir gelungen, den Herren einen nicht gewöhnlichen Dienst zu erweisen, und beide haben mir die Hände gedrückt und mir gesagt, daß sie mich nicht aus den Augen verlieren werden.« »Wie überraschend, wie schön, wie herrlich!« rief Röschen jubelnd.
Dieser Jubel riß Kurt so hin, daß er hinzufügte:
»Bismarck sagte mir sogar, daß er Leute liebe, die bei solcher Jugend so umsichtig und tatkräftig seien. Ich mußte viel erzählen, von Spanien, von Rodriganda, alles, alles, und nun will der König mit dem Großherzog sprechen. Jedenfalls werden Sie alle vorgestellt, und wir dürfen unter königlichem Schutz hoffen, daß unsere Nachforschungen endlich Erfolg haben werden.« »Das gebe Gott!« sagte Rosa de Rodriganda. »Aber du gingst, um mit dem Kapitän zu sprechen. Wo ist er? Wo hast du ihn gelassen?« »Er wird in diesem Augenblick gefangen sein«, antwortete Kurt.
7. Kapitel
Kurt hatte sich in seiner Annahme geirrt. Während er den Seinen über sein Gespräch mit Parkert und sein Verweilen im Magdeburger Hof so viel erzählte, als sich mit der angelobten Diskretion vereinigen ließ, hatte der Kapitän das Gasthaus wieder betreten. Die Unterredung mit dem Gesandten Rußlands war nur von kurzer Dauer gewesen. Er kehrte zurück und dachte, als er sein Zimmer betrat, sofort an das wichtige Dokument.
Er öffnete das Handköfferchen, um es noch einmal genauer durchzulesen, als es in Gegenwart des französischen Generals möglich war. Da fuhr er erschrocken zurück das Dokument war verschwunden. Er suchte im Köfferchen mit fliegender Hast nach es fand sich nicht mehr. Er suchte im Zimmer, obgleich er genau wußte, daß er die Schrift in das Köfferchen eingeschlossen hatte, da ihn ja auch der General gefragt, ob sie da sicher aufgehoben sei vergebens. Nun klingelte er. Die Kellnerin erschien. Sie hatte den Hauptschlüssel wieder an seinen Ort gebracht und auch das reiche Geldgeschenk gefunden.
»War während meiner Abwesenheit jemand hier?« fragte er sie. »Nein, es hat niemand nach Ihnen gefragt«, antwortete sie. »Ich meine, ob jemand hier in diesem Zimmer war?« »Nein.« »Und doch muß irgendwer hier gewesen sein!« »Wie wäre das möglich? Sie verschließen ja Ihr Zimmer.« »Es wird wohl einen Hauptschlüssel geben, an den ich früher nicht gedacht habe. Ich bin bestohlen worden, schändlich bestohlen!« »Bestohlen?« fragte sie, indem sie vor Schreck erbleichte.
Das mußte ein Versehen sein. Sie konnte Leutnant Helmers unmöglich für einen Dieb halten.
»Sie erschrecken, Sie erbleichen!« rief der Kapitän. »Sie sind es selbst gewesen! Sagen Sie, wo Sie das Dokument haben! Ich muß es wiederhaben, sogleich, sogleich!«
Bei dem Wort Dokument faßte sich das Mädchen sofort. Es handelte sich also nicht um einen gewöhnlichen Diebstahl. Es war eine Schrift abhanden gekommen. Hatte der Leutnant dieselbe an sich genommen, so war er jedenfalls berechtigt dazu gewesen; aber verraten wollte sie ihn nicht.
»Ich?« sagte sie. »Was fällt Ihnen ein! Auf diese Art und Weise kommen Sie mir nicht, Herr Kapitän! Wo haben Sie das Dokument gehabt?« »Hier in dem kleinen Koffer.« »War er denn nicht verschlossen?« »Ja doch.« »Und Sie bilden sich ein, daß ein ehrliches Mädchen Ihren Koffer aufsprengt?« »Aufgesprengt ist er nicht, sondern aufgeschlossen«, fiel er ein. »Woher soll man den Schlüssel haben, der gerade zu Ihrem Koffer paßt!« »Einen Dietrich « »Lassen Sie sich nicht auslachen! Ein Kellnermädchen wird einen Dietrich haben! Ich werde gleich zum Wirt gehen und ihm sagen, daß Sie mich, seine Verwandte, zur Diebin machen wollen!« »Ja, gehen Sie! Rufen Sie den Wirt. Das Dokument muß auf alle Fälle wieder herbeigeschafft werden.«
Sie ging, während er in höchster Erregung und Verlegenheit im Zimmer umherlief. Eben, als sie den Hausflur erreichte, traten mehrere Herren ein, und ein Blick, den sie zufällig durch das Tor warf, zeigte ihr, daß sich einige Polizisten vor dasselbe postiert hatten. Einer der Herren fragte sie:
»Sind Sie hier Kellnerin?« »Ja«, antwortete sie. »Wo ist der Wirt?« »In der Küche.« »Zeigen Sie mir ihn!«
Sie führte den Herrn in die Küche und sagte ihm, welcher der Anwesenden der Besitzer des Gasthofes sei. An ihn wandte sich nun der Herr:
»Bei Ihnen logiert ein Fremder, der sich als Kapitän Parkert eingetragen hat?« »Ja, mein Herr.« »Das stimmt. Sie haben Ihre Meldung richtig eingegeben; ich habe im Fremdenverzeichnis der Polizei nachgesehen. Hier ist eine Medaille, die mich als Beamten der Polizei legitimiert. Ist der Kapitän anwesend?«
Der Wirt nahm die vorgezeigte Medaille in Augenschein, nickte und antwortete:
»Er ist eben nach Hause gekommen. In Nummer zwölf, eine Treppe finden Sie ihn.« »Gut. Ich hole ihn ab. Aber befehlen Sie Ihrem Personal, nicht davon zu sprechen.«
Damit verließ der Beamte die Küche und stieg die Treppe hinauf. Seine beiden Begleiter postierten sich, der eine unten und der andere oben an der Treppe, während die Polizisten in den Flur traten. Die Nummer zwölf war leicht gefunden. Der Beamte klopfte und trat auf den von innen erfolgten Zuruf ein.
»Endlich!« rief der Kapitän ungeduldig. »Sind Sie der Wirt?« »Nein, Herr Kapitän.« »Ah! Wer sonst?« fragte Parkert erstaunt. »Ich habe das Vergnügen, Beamter der hiesigen Polizei zu sein.«
Der Kapitän erschrak, faßte sich aber schnell und sagte:
»Ah, das ist mir recht, mein Herr. Ich bin nämlich bestohlen worden « »Bestohlen? Hm!« machte der Beamte lächelnd. »Was ist Ihnen abhanden gekommen?« »Ein Dokument, ein sehr wichtiges Dokument.« »Dann irren Sie sich. Dieses Dokument ist Ihnen nicht gestohlen worden, sondern es wurde konfisziert.«
Parkert trat einen Schritt zurück. Es war ihm, als habe der Blitz vor ihm eingeschlagen.
»Konfisziert?« stammelte er. »Von wem?« »Das braucht nicht erörtert zu werden.« »Aber wer hat das Recht, während meiner Abwesenheit meine Behältnisse zu öffnen?« »Jeder brave Bürger, dem daran liegt, sein Vaterland vor Verrat zu behüten. Kapitän Parkert, oder wie Sie sonst heißen mögen, folgen Sie mir; Sie sind mein Gefangener!«
War Parkert vorhin erschrocken, so kehrte jetzt im Augenblick der offenen Gefahr seine Kaltblütigkeit zurück. Er sah ein, daß er verloren sei, falls man ihn gefangennähme; er mußte fliehen. Aber wie? Der Korridor war jedenfalls besetzt, die Straße vielleicht nicht; dorthin, also durch das Fenster, ging der einzige Rettungsweg. Der Beamte mußte übertölpelt werden. Es handelte sich darum, an ihn heranzukommen, ohne Verdacht zu erregen, denn Parkert konnte sich wohl denken, daß er irgendeine Waffe bei sich trage. Er machte darum ein sehr erstauntes Gesicht, ergriff seinen Koffer, öffnete ihn und sagte:
»Herr Kommissar, das muß ein Irrtum sein. Blicken Sie in diesen Koffer! Die darin befindlichen Empfehlungen und Legitimationen werden Ihnen beweisen «
Weiter sprach er nicht. Er hatte sich dem Beamten langsam genähert; er stand hart vor ihm, ihm den Koffer hinhaltend. Bei dem Wort beweisen aber ließ er den letzteren fallen und schlang seine Hände mit solcher Gewalt plötzlich um den Hals des Beamten, daß diesem, der einen solchen Überfall nicht erwartet hatte, der Atem verging. Sein Gesicht wurde blau; seine Hände griffen konvulsivisch in die Luft; seine Glieder zitterten; die Arme sanken herab, und dann ließ ihn Parkert zu Boden gleiten. Der Polizist war zwar nicht tot, aber beinahe erwürgt; er hatte die Besinnung verloren.
»Ah, bereits halb gerettet!« murmelte Parkert. »Was ist so eine Landratte gegen Kapitän Grandeprise, auch zuweilen Landola genannt! Aber meine Rolle ist hier ausgespielt. Ich muß General Douay warnen, den sie suchen werden. Er ist glücklicherweise so klug gewesen, sich ein Privatlogis zu nehmen. Wer aber hat das Dokument genommen? Hätte er die anderen Papiere mit erwischt, so wären alle meine Geheimnisse verraten gewesen.«
Er verschloß das Köfferchen und trat, dasselbe in der Hand, an das Fenster, das er öffnete. Das Trottoir war augenblicklich frei von Passanten und ein Polizist nicht zu sehen. Eine einzige Droschke hielt vor dem Nachbarhaus. Der Kutscher stand daneben. Parkert stieg auf das Fensterbrett. Der Sprung war hoch, aber für einen Seemann nicht gefährlich. Ein Schwung Parkert stand auf dem Trottoir, ohne daß jemand, nicht einmal der Droschkenkutscher, gesehen hatte, daß hier einer aus dem Fenster gesprungen sei.
Noch immer das Köfferchen in der Hand, trat Parkert ruhig an die Kutsche, stieg ein und befahl: »Friedrichstraße 24.«
Im nächsten Augenblick rollte die Droschke davon. Da es zunächst galt, die Spur zu verwischen, so ließ er die Droschke halten, noch ehe sie die genannte Straße erreicht hatte, bezahlte die Taxe und schritt zu Fuß weiter. Dann, nachdem er einige Gassen und Gäßchen durcheilt hatte, nahm er einen zweiten Fiaker und gab diesem die genaue Adresse an. Bei derselben ausgestiegen, ließ er den Kutscher warten, stieg eine Treppe empor, klopfte an die Tür und trat ein, als er von innen ein lautes, gebieterisches »Entrez!« vernahm. Er stand vor General Douay.
»Sie, Kapitän?« fragte dieser. »Was wollen Sie so bald?« »Sie warnen, Exzellenz«, lautete die Antwort. »Sie müssen augenblicklich fliehen.« »Weshalb?« »Wir sind verraten.« »Unmöglich!« »Wirklich! Ich bin der Polizei nur dadurch entkommen, daß ich den Kommissar niederschlug und dann durch das Fenster meines Zimmers auf die Straße sprang.« »Horrible! Wer hat uns verraten?« »Ich weiß es nicht.« »Und Ihre Papiere?« »Das Memorial ist konfisziert.«
Der General hatte sich nicht gefürchtet, jetzt aber erbleichte er doch.
»So sind wir verloren, wenn man uns ergreift«, sagte er. »Sie müssen eine fürchterliche Dummheit begangen haben. Sie sollen mir unterwegs erzählen.« »Sie wollen mit mir reisen?« »Es ist das beste. Ich komme nicht über die russische Grenze. Wir müssen nach Sachsen, doch nicht mit der Bahn, da würde man uns ergreifen.« »Ich habe eine Droschke unten.« »Gut. Wir fahren mit ihr ab, wechseln aber öfters, ehe wir aus der Stadt kommen; dann werden wir weitersehen. Haben Sie Ihr Geld gerettet?« »Ja.« »Ich muß den Koffer zurücklassen, denn meine Barschaft ist bedeutend genug, um mich das verschmerzen zu lassen. Vorwärts!«
Er steckte sein Portefeuille zu sich, ergriff Hut und Überrock und verließ die Wohnung, die er sich genommen hatte, um diplomatische Erfolge zu erzielen. Die Droschke trug die beiden Flüchtlinge davon.
8. Kapitel
Es war am Abend desselben Tages. Das Lokal des Offizierskasinos der Garde war hell erleuchtet und voll besetzt. Man ahnte, daß Leutnant Helmers erscheinen werde, und hatte sich deshalb in voller Zahl eingefunden, um ihm in pleno zu zeigen, daß man mit ihm nichts zu tun haben wolle.
Die älteren Offiziere hatten sich am hinteren, großen Tisch zusammengefunden, während die jüngeren die anderen Plätze besetzt hatten und sich lebhaft unterhielten.
Leutnant Ravenow, der Don Juan des Regiments, spielte mit Golzen und Platen eine Partie Karambolage. Er hatte soeben wieder einen sehr leichten Ball nicht gemacht und stieß das Queue unmutig zur Erde.
»Alle Teufel, geht mir dieser Ball hinten weg!« meinte er. »Verfluchtes Pech im Spiel!« »Desto größeres Glück in der Liebe«, lachte Platen. »So viel aber ist gewiß, daß du heute mit dem Kapitän Parkert nicht spielen darfst. Du bist zu zerstreut und er ist ein Meister. Schone deine Börse.« »Parkert?« fragte Golzen halblaut. »Pah, der kommt nicht« »Nicht? Warum?« »Oh, mit dem haben wir uns göttlich blamiert!« »Möchte wissen, inwiefern!« »Hm! Man soll nicht davon reden«, flüsterte Golzen wichtig. »Auch nicht gegen Kameraden?« »Nur gegen verschwiegene allenfalls.« »Zu denen wir jedenfalls gehören. Oder nicht? Erzähle!« »Nun, ihr wißt daß ich zuweilen bei Jankows bin « »Beim Polizeirat? Ja. Man sagt, daß du seiner Jüngsten den Hof machst.« »Oder sie mir. Kurz und gut, ich war auch heute dort, und da habe ich denn erfahren, daß dieser Kapitän Parkert sozusagen ein politischer Schwindler ist, und nicht bloß das, sondern sogar ein wirklicher, ausgefeimter, gefährlicher Verbrecher.«