»So liegt, die Qualen stolz verachtend,
Mit denen man ihn zwingen will,
Der Löwe, nach der Wüste schmachtend,
In seinem Käfig stumm und still.
Erstaunend ob der mächtgen Glieder,
Umstehet scheu die Menge ihn,
Und, tief gesenkt die Augenlider,
Träumt er von der Oase Grün.«
Hoch oben in den Bergen der Pyrenäen, da, wo westlich von Andorra der gewaltige Maladeta, »Der Verfluchte«, seine Spitzen in die Wolken reckt und seine finsteren Schluchten tief in die Erde gräbt, schlich ein Wanderer den wilden Pfad hinab.
Keine Quelle ließ ihre erfrischenden Wellen abwärts murmeln; kein Busch oder Strauch bot einigen Schatten. Heiß, glühend heiß brannte die südliche Sonne auf den nackten Felsen, auf die öden Gänge und die kahlen Bergstürze, und doch hätte der einsame Wandersmann gar sehr eines kühlen Trunks oder eines kühlen Ortes bedurft, wo er seine müden Glieder vor den verzehrenden Strahlen verbergen konnte.
Er schien alt, sehr alt zu sein. Sein Haar war ergraut und sein Gesicht eingefallen. Die Haut des letzteren und auch die seiner Hände war von Wind und Wetter lederhart gegerbt, die Kleidung hing ihm beinahe nur noch in Fetzen um den Leib, und die alten Sandalen, die er trug, waren so zerrissen, daß seine nackten Füße den glutgesättigten Boden berührten. Dabei schien er sehr krank zu sein, denn ein immerwährendes Hüsteln ließ seine eingefallene Brust erbeben.
So schlich er sich weiter und weiter, immer tiefer in die Schluchten hinein. Er konnte vor Erschöpfung kaum fort, aber immer wieder zwang er die brennenden Füße weiter, als werde er von einem mitleidlosen Verhängnis oder von einem grausamen Ruch über die Einöden getrieben.
Endlich, endlich machte er halt und warf den Blick forschend umher.
»Hier muß es sein«, murmelte er. »Hier ist es gewesen! Hier wurden die Knaben umgetauscht; von hier ging ich nach Mexiko, und von hier beginnt die Qual, die mir das Mark aus den Knochen und das Leben aus dem Herzen fraß. Hier werde ich ausruhen.«
Er ließ sich auf den glühendheißen Stein nieder und senkte den Kopf in die Hände. Es war kein Laut umher zu vernehmen. Nur das Keuchen und Husten seiner kranken Brust unterbrach die ringsum herrschende Stille.
»O santa mater dolorosa«, ließ er sich endlich wieder vernehmen. »Was habe ich gesündigt; wie wurde ich belohnt, und was hatte ich von dem Verbrechen! Jetzt habe ich mich über Länder und Meere gebettelt, um den Himmel zu versöhnen und meinen armen Kopf in das Grab zu legen. Herrgott im Himmel, vergib mir! Laß mich nicht umsonst suchen. Laß mich finden, damit ich nicht zur Hölle fahre!«
Wieder schwieg er, um eine geraume Weile hustend nachzugrübeln, und begann abermals:
»Aber, ob er noch lebt? Hätten sie ihn getötet, den schönen Knaben, der schlafend in meinem Schoß lag, wie das Heilandskind in den Armen der heiligen Madonna gloriosa? Es wäre schrecklich! Nein, ich halte diese Ungewißheit nicht aus! Ich muß auf und fort, da links hinüber, wo die Gegend ist, in der die Räuber ihr Versteck hatten. Aber keiner darf mich erkennen, keiner darf ahnen, wer ich bin und was ich hier bei ihnen will. Sie werden mich nicht von sich stoßen, sie werden mich, den Kranken, den Sterbenden, bei sich aufnehmen, und ich werde bald erforscht haben, ob er noch lebt, den ich suche. Vorwärts, ihr müden Füße! Noch einen Weg nur sollt ihr tun, und dann werdet ihr ausruhen für immerdar!«
Er erhob sich mühsam und setzte seine Wanderung weiter fort. Während er sich bisher möglichst gerade nach Süden gehalten hatte, wandte er sich jetzt einer mehr östlichen Richtung zu. Die Längstäler verloren sich; er hatte jetzt tiefe Steintäler und kurze, schroffe Felsenmauern zu überwinden; er hustete und keuchte, er ächzte und stöhnte, aber er gönnte sich keinen Augenblick Ruhe, bis er einen Streifen erfrischendes Grün vor sich erblickte. Nun hatte er die Grenzen der Öde hinter sich und gelangte zu Bergen, die zunächst von niederem Gestrüpp, bald aber auch von Büschen und endlich gar von einem dichten Baumwuchs bestanden waren.
Zwischen diesen Büschen und Bäumen kletterte er empor, bis er einen freien, rings von hohen Sträuchern eingefaßten Platz erreichte, auf dem er sich niederließ. Kaum aber hatte er dies getan, so vernahm er Schritte hinter sich, und noch ehe er Zeit gehabt hatte, sich umzudrehen, fühlte er eine feste Hand auf seiner Schulter, und eine barsche Stimme fragte:
»Was willst du hier, Alter?« »Sterben!«
Nur dieses eine Wort antwortete er, dann ließ er den Kopf, den er erhoben hatte, wieder niedersinken.
»Sterben? Warum?«
Der Frager war ein junger, kräftiger Mann, der wegen der Waffen, die er trug, nicht gut für den friedlichen Bewohner einer Stadt oder eines Dorfes gehalten werden konnte.
»Weil ich nicht weiterkann«, antwortete der Kranke. »Warum kommst du hierher? Was suchst du hier?« »Ich suche schon viele, viele Tage lang in den Bergen nach einer Wurzel, die mein Leiden heilen kann, aber ich habe sie noch nicht gefunden.« »Wo bist du daheim?« »Weit von hier, bei Orense, nicht weit von Portugal.« »So weit wagtest du dich fort mit deiner Krankheit? Hast du Brot bei dir?« »Nein.« »Nichts, gar nichts? Heilige Mutter Gottes, da wirst du ja verhungern, ehe du an der Auszehrung stirbst! Wart, ich werde fragen, ob ich dich bringen darf!«
Der junge Mann verschwand hinter den Büschen, kehrte aber bald wieder zurück.
»Wenn du dir die Augen verbinden lassen willst, so werde ich dich an einen Ort führen, wo du ausruhen und dich pflegen kannst, so lange du willst«, sagte er. »Die Augen verbinden? Warum?« »Es ist notwendig. Du darfst den Eingang zu uns nicht sehen.« »Ah, wer seid ihr?« »Wir sind Briganten, sonst aber ganz ehrliche Leute, Alter.« »Briganten? Also Räuber? Ach, ich bin müde, und ich bin arm; ich brauche mich vor euch nicht zu fürchten. Verbinde mir getrost die Augen und führe mich, wohin du willst!«
Der Räuber nahm darauf ein Tuch vom Hals, band es dem Alten um die Augen und ergriff ihn bei der Hand, um ihn zu leiten. Es ging eine Strecke lang durch Büsche hin, dann, dem Klang der Schritte nach, in einen Gang hinein, bis sie haltmachten und dem Alten das Tuch wieder abgenommen wurde. Er befand sich in dem Inneren eines oben offenen Felsenkessels. Rundherum saßen gegen zwanzig wilde, bewaffnete Gestalten, die entweder aßen, tranken, rauchten und spielten oder sich mit ihren Gewehren zu tun machten. Man führte ihn vor einen starken, vollbärtigen Mann, der etwas abseits auf einer wollenen Decke lag und damit beschäftigt war, Geld in einen großen, ledernen Beutel zu zählen.
»Wie heißt du?« fragte dieser den Neuangekommenen ziemlich barsch. »Mein Name ist Pedro, Señor.«
Der Frage, es war der Anführer dieser Leute, richtete einen scharfen Blick auf ihn und meinte, wie sich besinnend:
»Mir ist, als hätte ich dich schon einmal gesehen!« »Ich weiß nichts davon.« »Man sagt, daß du aus der Gegend von Orense bist?« »So ist es.« »Warum bleibst du nicht daheim, wenn du krank bist?« »Gerade meine Krankheit trieb mich fort, Señor. Ich suche auf den Bergen eine Wurzel, die alle Krankheiten heilt.« »Oho, die gibt es nicht!« »Die gibt es, Herr; eine kluge Gitana Zigeunerin hat es mir gesagt.« »Hast du keinen Sohn, der an deiner Stelle gehen konnte?« »Ich habe weder Sohn noch Tochter; ich habe keinen einzigen Freund auf Erden.« »So bleibe hier und ruhe dich aus. Du wirst es nicht mehr lange treiben, Mann. Brauchst du einen Pater zum Beichten, so sage es. Wir haben einen Pater Dominikaner unter uns. Hinaus aber darfst du ohne meine Erlaubnis nicht wieder. Und wenn du ein Verräter bist, so nimm dich wohl ich acht! Ich scherze mit solchen Leuten nicht.«
Es wurde dem Alten ein abgelegener Platz angewiesen, wo er Speise und Trank erhielt; und kein Mensch schien sich weiter um ihn zu bekümmern.
Nach einer geraumen Weile trat der Mann wieder ein, der draußen Wache hielt, und meldete dem Hauptmann, daß ihn ein Fremder zu sprechen begehre.
»Wer ist es?« lautete die Frage. »Er will es nicht sagen. Er trägt eine schwarze Larve, damit man ihn nicht erkennen soll.« »Ah, ich komme gleich!«
Der Hauptmann erhob sich, steckte noch ein Pistol zu sich und verließ das Felsenversteck. Draußen angekommen, erblickte er den Fremden, jedenfalls kannte er ihn, denn er eilte auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen und begrüßte ihn mit den Worten:
»Willkommen, Señor Gasparino, willkommen! Es sind ja Jahre vergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben!« »Pst!« warnte die lange, hagere Gestalt des Verhüllten. »Wer wird hier Namen nennen! Sind wir sicher und unbelauscht?« »Vollständig! Die Wache ist dort rechts auf ihrem Posten; sie kann uns nicht hören, und sonst ist kein Mensch zugegen.« »Wißt Ihr das genau?« »Sehr genau, Señor. Ich hoffe, Ihr bringt mir eine gute Arbeit.« »Möglich, wenn Ihr nicht zu viel verlangt.« »Laßt hören.« »Was kostet es, zwei Menschen verschwinden zu lassen?« »Das richtet sich ganz danach, wer sie sind.« »Es ist ein Graf und ein Arzt« »Welcher Graf?« »Der alte Emanuel de Rodriganda-Sevilla.« »Euer Herr? Beim heiligen Sebastian, Ihr seid ein treuer Diener! Leider aber kann ich Euren Wunsch nicht erfüllen! Der Graf steht unter dem Schutz eines meiner Freunde. Ich darf ihm kein Haar krummen.« »Pah, ich bezahle gut!« »Das ändert nichts. Wir Briganten sind ehrlich gegen unsere Freunde. Ihr könnt mir zehntausend Dublonen geben, so würde ich Euch abweisen müssen. Betrachtet das als abgemacht! Wer ist der zweite?« »Ein Arzt aus Deutschland!« »Das wird besser gehen.« »Und billiger?« »Allerdings. Wo wohnt er?« »Bei dem Grafen.« »Ah, so wird es nicht sehr billig sein. Wenn er bei einem Beschützten wohnt, wird man sich nicht leicht an ihm vergreifen dürfen.« »Dürfen, sagt Dir? Wer will Euch, dem Hauptmann, etwas verbieten?« »Ich selbst. Ich kann die Gesetze nicht selbst übertreten, die ich gegeben habe. Warum soll dieser Mann verschwinden?« »Er ist mir im Weg; das muß Euch genügen.« »Gut. Soll er sterben oder nur verschwinden?« »Das erstere ist sicherer.« »So zahlt Ihr gerade tausend Dublonen.« »Tausend Dublonen? Seid Dir des Teufels, Capitano?«
Der Hauptmann erhob sich und meinte sehr einfach:
»So könnt Ihr es lassen. Adios, Señor!« »Nun gut! Also tausend Dublonen. Wann zahlbar?« »Die Hälfte jetzt und das andere danach.« »Und wenn es nicht gelingt?« »Es muß gelingen! Wie ist ihm beizukommen?« »Das läßt sich jetzt noch nicht sagen. Es mögen sechs bis acht Männer nötig sein. Diese laßt Ihr nach Rodriganda gehen, wo ich sie im Park treffen und ihnen meine Instruktionen erteilen werde. Hier habt Ihr Eure fünfhundert Dublonen, Capitano.«
Er zählte dem Hauptmann das Geld vor und erkundigte sich:
»Habt Ihr den kleinen Burschen von damals noch?« »Ja. Er ist unter dieser Zeit ein großer Bursche geworden.« »Warum stirbt er nicht?« »Ihr bezahltet mich damals nur dafür, daß er verschwinden sollte. Aber sagt mir doch nun einmal, wer er denn eigentlich ist!« »Das erfahrt Ihr später. Wofür hält er sich denn?« »Für den Sohn eines verstorbenen Räubers.« »Fast bin ich begierig, ihn einmal zu sehen.« »Das laßt Euch vergehen, Señor! Ihr seid kein Mitglied. Ihr bezahlt mich für meine Arbeit und könnt gehen. Weiter als hierher kommt Ihr nicht.« »So muß ich mich zufriedengeben. Wann werden Eure Leute in Rodriganda sein?« »Morgen abend. Adios, Señor!« »Adios!«
Die Männer gaben einander die Hände und trennten sich. Es war hier über das Leben eines Menschen verhandelt worden, wie über einen ganz zufälligen und geringfügigen Gegenstand. Doch es fragt sich, wer von den beiden der Schlimmere, der Gefährlichere war, der Räuberhauptmann oder der schleichende Notar, der zu seinen Taten die Kunst der Verstellung und die Maske des Geheimnisses zu Hilfe nahm.
Nachdem der Hauptmann in seine Höhle zurückgekehrt war, verhandelte er, in eine abgelegene Ecke zurückgezogen, sehr eifrig mit dreien seiner Leute, die den Auftrag erhielten, sich nach Rodriganda zu begeben, um die von dem Notar in Auftrag gegebene Tat auszuführen.
Als der Abend hereinbrach, nahte sich einer der Briganten dem kranken Bettler, gebot demselben, ihm zu folgen und führte ihn in einen dunklen Gang, der sich tief in das Innere des Berges hineinzog. Zu beiden Seiten dieses Ganges waren kleine Zellen in den Felsen eingehauen, die von den Bewohnern der Höhle als Schlafraum benutzt wurden. Einige derselben waren mit schweren, eisenbeschlagenen Türen versehen, so daß es schien, als ob sie den Zweck hätten, als Gefängnisse zu dienen.
Der Räuber war ein junger Mann, der vielleicht zweiundzwanzig Jahre zählen mochte. Er trug die malerische Kleidung der Provinz Katalonien, und bei dem Schein der kleinen Lampe, die er in der Hand hielt, konnte man die edlen Züge seines Gesichts erkennen, die durchaus nicht einen Räuber in ihm vermuten ließen. Er war schlank, aber sehr kräftig gebaut, und seine Bewegungen zeigten eine Eleganz und Gewandtheit, die jeden Beschauer für den jungen Mann einnehmen mußten.
»Hier ist deine Kammer, mein guter Alter«, sagte er, auf eine der offenen Zellen zeigend. »Du findest da ein gutes Lager. Soll ich dir das Licht hierlassen?« »Ja«, antwortete der Bettler. »Wer weiß, ob ich diese Kammer jemals wieder verlasse!« »Warum nicht? Der Mensch soll sich nicht von Ahnungen beherrschen lassen. Du bist wohl sehr krank, aber Gott kann auch die böseste Krankheit heilen. Du kannst also hoffen!« »Ja, ich hoffe«, antwortete der Bettler unter einem qualvollen Hustenanfall, »aber nur auf den Tod. Er soll mir der Erlöser sein von allen meinen Leiden.« »Hast du große Schmerzen?« fragte der Räuber, indem er sich mitleidig bückte, um dem Greis das Lager aufzuschütteln. »Das Leben darf nicht schmerzlos fliehen; der Körper wehrt sich gegen den Tod. Aber was sind die Leiden des Körpers gegen die Qualen des Geistes! Diese sind fürchterlicher, mein Sohn. Hüte dich, sie jemals kennenzulernen.« »Du leidest an der Seele? Wende dich an unseren guten Dominikaner. Er wird deine Beichte hören und dir die heilige Absolution erteilen.« »Glaubst du wirklich, daß die Sünde vergeben werden kann? Durch einen Menschen? Durch einen Priester, der selbst sündhaft ist und sich unter Briganten und Mördern befindet? Das ist unmöglich, mein Sohn!« »Höre, Alter, der Pater Dominikaner ist nicht zu uns gekommen, um teilzunehmen an dem, was wir tun, sondern damit auch die Briganten die Gnade Gottes finden sollen, wenn sie sich danach sehnen. Er ist ein sehr guter und frommer Mann und mein Lehrer, dem ich alles, was ich weiß, zu verdanken habe.«
Der Bettler horchte auf.
»Dein Lehrer? Ein Räuber erhält Unterricht?« »Allerdings. Du mußt nämlich wissen, daß der Hauptmann mich nur zu solchen Unternehmungen verwendet, bei denen er eines Mannes bedarf, der es versteht, mit hochgestellten Señores zu verkehren. Darum habe ich alles lernen müssen, was ein Señor können und wissen muß.« »Wie heißt du?« »Mariano.« »Und weiter? Du mußt doch den Namen deiner Familie tragen, mein Sohn.« »Ich kenne sie nicht.« »Ah! Wie bist du denn unter die Briganten gekommen?« »Der Hauptmann hat mich in den Bergen gefunden. Ich bin ein Findling. Er hat mich zu sich genommen, aber all sein Forschen nach dem, der mich ausgesetzt hat, ist vergeblich gewesen.« »Wie alt bist du?« »Ich weiß es nicht.« »Wie lange bist du bei den Briganten?« »Es sind nun achtzehn Jahre gewesen.« »Achtzehn Jahre?« fragte der Alte nachdenklich. »Oh, das ist dieselbe Zeit. Hast du keine Erinnerungen aus deiner Jugend mehr? Kannst du dich auf nichts, auf gar nichts mehr besinnen, mein lieber Sohn?« »Nein. Ich weiß nichts mehr aus jener Zeit, obgleich ich oft von ihr geträumt habe.« »Vielleicht hältst du für Traum, was Wirklichkeit gewesen ist. Was hat dir denn geträumt?« »Ich träumte viel von einer kleinen Puppe. Sie lag in einem schönen, weißen Bettchen, an dessen Ecke eine goldene Krone zu sehen war, und sie war lebendig.« »Weißt du vielleicht noch, wie sie hieß?« »Ja«, antwortete er. »Ich weiß noch ganz genau, daß ich sie Rosita, Röschen, genannt habe. Auch hat mir von einem großen, hohen Mann geträumt, der mich Alfonzo nannte. Er nahm mich auf seinen Schoß und trug stets eine schöne, goldene Uniform. Bei uns war auch immer eine schöne, stolze Frau, die mich sehr lieb hatte und mich und die kleine Rosita herzte und küßte. Ich war klein, doch ich weiß, daß ich sie Papa und Mama nannte. Auch lag ich in einem Bett, das Kronen trug. Einmal kam ein fremder Mann, als ich schlief, da erwachte ich, und der Mund war mir verbunden. Aber ich hatte nicht auf unserem Schloß geschlafen, sondern in einer Stadt, wohin ich mit dem Papa und der Mama gefahren war. Ich wollte schreien, denn ich fürchtete mich vor dem Mann, aber er band das Tuch fester, und ich schlief vor Angst wieder ein. Als ich erwachte, lag ich im Wald. Das ist es, was mir geträumt hat.« »Weiter nichts, weiter gar nichts?« »Nein.« »Weißt du nicht, wie der Mann hieß, der die Uniform trug?« »Die Diener nannten ihn Graf oder auch wohl Exzellenz.« »Ah! Nannten sie nicht zuweilen einen Namen?« »Nein.« »Höre, mein Sohn, das hat dir nicht geträumt, sondern das ist Wirklichkeit!« »Ich habe es auch zuweilen gedacht; doch wenn ich es dem Capitano sagte, so wurde er sehr zornig und gebot mir zu schweigen. Von der Krone durfte ich gar nicht sprechen, obgleich ich mich ganz genau auf sie besinnen konnte. Er wollte mich schlagen, wenn ich sie beschrieb, und so habe ich immer darüber geschwiegen.« »Kannst du dich noch jetzt auf sie besinnen?« »Sehr genau. Sie hatte goldene Zacken mit Perlen, und darunter standen zwei silberne Zeichen.« »Welche Zeichen waren das?« »Ich wußte es erst nicht, aber als mich der Pater Dominikaner das Lesen lehrte, da lernte ich diese beiden Zeichen kennen. Es waren zwei Buchstaben, nämlich ein S und ein R.« »Mein Sohn, das war eine Grafenkrone. Vergiß diese Zeichen niemals!« »Ich werde dies alles nie vergessen, obgleich der gute Pater Dominikaner der einzige ist, mit dem ich darüber sprechen kann.« »Du meinst, daß dieser Pater ein guter Mann ist?« »Ja, er ist kein Brigant; er tut niemals etwas Böses, obgleich er treu zu den Briganten hält und sie nicht verrät. Man kann ihm alles Vertrauen schenken.« »Und du sagst, daß er auch zur Beichte sitzt und die Absolution erteilt?« »Ja.« »Würde er dies auch bei mir tun?« »Sicher.« »Willst du ihn mir rufen?« »Gern! Soll er gleich kommen?« »Ich wünsche, daß du auch zugegen bist.« »Ich? Oh, ich darf doch keine Beichte hören!« »Doch, mein Sohn! Was ich zu beichten habe, wird dich vielleicht mehr angehen, als du denkst. Es ist ein glücklicher Umstand, daß gerade du es bist, der mir diese Kammer anweist. Doch wünsche ich, daß kein Mensch erfahre, daß du bei meiner Beichte zugegen bist. Darum soll der Pater erst dann kommen, wenn man dich nicht vermissen wird.« »Das wird sein, wenn die anderen alle schlafen.« »Und noch eins, mein Sohn. Weißt du nicht, ob sich unter euch vielleicht noch einer befindet, der seine Abkunft nicht kennt?« »Kein einziger. Es sind lauter Flüchtlinge oder arme Teufel, die genau wissen, wer sie sind.« »Und es hat auch niemals außer dir hier unter den Briganten ein Findelkind gegeben?« »Niemals!« »So bist du es, den ich suche.«