Winnetou 1 - Karl May 2 стр.


»Bildet Euch doch nichts ein, Sir! Ich habe mit vollem Bedacht gesprochen; Ihr seid ein Greenhorn, und was für eins! Den Inhalt Eurer Bücher habt Ihr gut im Kopfe, das ist wahr. Es ist ganz erstaunlich, was ihr Leute da drüben lernen müßt! Dieser junge Mensch weiß genau, wie weit die Sterne von hier entfernt sind, was der König Nebukadnezar auf Ziegelsteine geschrieben hat und wie schwer die Luft wiegt, die er doch nicht sehen kann! Und weil er dies weiß, bildet er sich ein, ein gescheiter Kerl zu sein! Aber steckt die Nase ins Leben, versteht Ihr mich, so ungefähr fünfzig Jahre ins Leben hinein; dann werdet Ihr, aber auch nur vielleicht, erfahren, worin die richtige Klugheit besteht! Was Ihr bis jetzt wißt, ist nichts ist gar nichts. Und was Ihr bis jetzt könnt, ist noch viel weniger. Ihr könnt ja nicht einmal schießen!«

Er sagte dies in einem außerordentlich verächtlichen Tone und mit einer solchen Bestimmtheit, als ob er seiner Sache förmlich sicher sei.

»Nicht schießen? Hm!« antwortete ich lächelnd. »Ist dies vielleicht die Frage, welche Ihr mir vorlegen wolltet?«

»Ja, die ist es. Nun antwortet doch einmal!«

»Gebt mir ein gutes Gewehr in die Hand, so will ich antworten, eher nicht.«

Da legte er den Büchsenlauf, an welchem er schraubte, weg, stand auf, trat nahe an mich heran, fixierte mich mit verwunderten Augen und rief aus:

»Ein Gewehr in die Hand, Sir? Wird mir nicht einfallen, ganz und gar nicht! Meine Gewehre kommen nur in solche Hände, in denen ich mit ihnen Ehre einlegen kann!«

»Solche hab ich,« nickte ich ihm zu.

Er sah mich noch einmal, und zwar von der Seite an, setzte sich wieder nieder, begann wieder an dem Laufe zu arbeiten und brummte vor sich hin:

»So ein Greenhorn! Könnte mich wirklich wild machen mit seiner Dreistigkeit!«

Ich ließ ihn gewähren, denn ich kannte ihn, zog eine Zigarre hervor und brannte sie an. Dann blieb es wohl eine Viertelstunde lang still zwischen uns. Länger aber konnte er es nicht aushalten; er hielt den Lauf gegen das Licht, sah hindurch und bemerkte dabei:

»Schießen ist nämlich schwerer als nach den Sternen gucken oder alte Ziegelsteine von Nebukadnezar lesen. Verstanden? Habt Ihr denn jemals ein Gewehr in der Hand gehabt?«

»Ich denke.«

»Wann?«

»Schon längst und oft.«

»Auch angelegt und abgedrückt?«

»Ja.«

»Und getroffen?«

»Natürlich!«

Da ließ er den Lauf, den er geprüft hatte, rasch sinken, sah mich wieder an und meinte:

»Ja, getroffen, natürlich, aber was?«

»Das Ziel, ganz selbstverständlich.«

»Was? Wollt Ihr mir das im Ernste aufbinden?«

»Behaupten, aber nicht aufbinden; es ist wahr.«

»Hol Euch der Teufel, Sir! Aus Euch wird man nicht klug. Ich bin überzeugt, daß Ihr an einer Mauer vorbeischießen würdet, und wenn sie zwanzig Ellen hoch und fünfzig Ellen lang wäre, und doch macht Ihr bei Eurer Behauptung ein so ernstes und zuversichtliches Gesicht, daß einem darüber die Galle überlaufen könnte. Ich bin kein Knabe, dem Ihr Stunde gebt, verstanden! So ein Greenhorn und Bücherwurm, wie Ihr seid, will schießen können! Hat sogar in türkischen, arabischen und andern dummen Scharteken herumgestöbert und will dabei Zeit zum Schießen gefunden haben! Nehmt doch einmal das alte Gun da hinten vom Nagel, und legt es an, als ob Ihr zielen wolltet! Es ist ein Bärentöter, der beste, den ich jemals in den Händen gehabt habe.«

Ich ging hin, langte die Büchse herab und legte sie an.

»Halloo!« rief er aus, indem er aufsprang. »Was ist denn das? Ihr geht ja mit diesem Gun wie mit einem leichten Spazierstocke um, und doch ist es das schwerste Gewehr, welches ich kenne! Besitzt Ihr denn eine solche Körperkraft?«

Anstatt der Antwort nahm ich ihn unten bei der zugeknöpften Jacke und bei dem Hosenbund und hob ihn mit dem rechten Arm empor.

»Thunder-storm!« schrie er auf. »Laßt mich los! Ihr seid ja noch weit kräftiger als mein Bill.«

»Euer Bill? Wer ist das?«

»Er war mein Sohn, der lassen wir das! Er ist tot, wie die Andern auch. Er versprach, ein tüchtiger Kerl zu werden, wurde aber während meiner Abwesenheit mit ihnen ausgelöscht. Ihr seid ihm ähnlich von Gestalt, habt beinahe dieselben Augen und auch denselben Zug um den Mund; darum bin ich Euch na, das geht Euch ja doch nichts an!«

Der Ausdruck tiefer Trauer hatte sich über sein Gesicht gebreitet; er fuhr mit der Hand über dasselbe und fuhr dann in munterem Tone fort:

»Aber, Sir, bei Eurer Muskelkraft ist es wirklich jammerschade, daß Ihr Euch so auf die Bücher geworfen habt. Hättet Euch körperlich üben sollen!«

»Habe ich auch.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Boxen?«

»Wird drüben bei uns nicht getrieben. Aber im Turnen und Ringen mache ich mit.«

»Reiten?«

»Ja.«

»Fechten?«

»Habe ich Unterricht erteilt.«

»Mann, schneidet nicht auf!«

»Wollt Ihr es versuchen?«

»Danke; habe genug von vorhin! Muß überhaupt arbeiten. Setzt Euch wieder nieder!«

Er kehrte zu seiner Schraubenbank zurück, und ich tat dasselbe. Die nun folgende Unterhaltung war eine höchst einsilbige; Henry schien sich in Gedanken mit irgend etwas Wichtigem zu beschäftigen. Plötzlich sah er von der Arbeit auf und fragte:

»Habt Ihr Mathematik getrieben?«

»War eine meiner Lieblingswissenschaften.«

»Arithmetik, Geometrie?«

»Natürlich.«

»Feldmesserei?«

»Sogar außerordentlich gern. Bin sehr oft, ohne daß ich es notwendig hatte, mit dem Theodolit draußen herumgelaufen.«

»Und könnt messen, wirklich messen?«

»Ja. Ich habe mich sowohl an Horizontal-, als auch an Höhenmessungen oft beteiligt, obgleich ich nicht behaupten will, daß ich mich als ausgelernten Geodäten betrachte.«

»Well sehr gut, sehr gut!«

»Warum fragt Ihr danach, Mr. Henry?«

»Weil ich eine Ursache dazu habe. Verstanden! Braucht es jetzt nicht zu wissen; werdet es schon noch erfahren. Muß vorher wissen hm, ja, muß vorher wissen, ob Ihr schießen könnt.«

»So stellt mich auf die Probe!«

»Werde es auch tun; ja, werde es tun; darauf könnt Ihr Euch verlassen. Wann beginnt Ihr morgen früh den Unterricht?«

»Um acht Uhr.«

»So kommt um sechs zu mir. Wollen hinauf auf den Schießstand gehen, wo ich meine Gewehre einschieße.«

»Warum so früh?«

»Weil ich nicht länger warten will. Bin ganz begierig darauf, Euch zu zeigen, daß Ihr ein Greenhorn seid. Jetzt genug davon, habe Anderes zu tun, was weit, weit wichtiger ist.«

Er schien mit dem Gewehrlaufe fertig zu sein und nahm aus einem Kasten ein polygones Eisenstück, dessen Ecken er abzufeilen begann. Ich sah, daß jede Fläche desselben ein Loch hatte.

Er war mit solcher Aufmerksamkeit bei dieser Arbeit, daß er meine Gegenwart ganz vergessen zu haben schien. Seine Augen funkelten, und wenn er sein Werk von Zeit zu Zeit betrachtete, so sah ich, daß es, ich möchte beinahe sagen, mit einem Ausdrucke von Liebe geschah. Dieses Eisenstück mußte einen großen Wert für ihn haben. Ich war neugierig, zu erfahren, warum; darum fragte ich ihn:

»Soll das auch ein Gewehrteil werden, Mr. Henry?«

»Ja,« antwortete er, als ob er sich besinne, daß ich noch da sei.

»Aber ich kenne kein Gewehrsystem, das einen derartigen Teil besitzt.«

»Glaube es. Soll erst noch werden. Wird wohl System Henry werden.«

»Ah, eine neue Erfindung?«

»Yes.«

»Dann bitte ich um Entschuldigung, daß ich gefragt habe! Es ist natürlich Geheimnis.«

Er guckte eine längere Zeit in alle die Löcher hinein, drehte das Eisen nach verschiedenen Richtungen, hielt es einige Male an das hintere Ende des Laufes, den er vorhin fortgelegt hatte, und sagte endlich:

»Ja, es ist ein Geheimnis; aber ich traue Euch, denn ich weiß, daß Ihr Verschwiegenheit besitzt, obgleich Ihr ein ausgemachtes, richtiges Greenhorn seid; darum will ich Euch sagen, was es werden soll. Es wird ein Stutzen, ein Repetierstutzen mit fünfundzwanzig Schüssen.«

»Unmöglich!«

»Haltet Euren Schnabel! Ich bin nicht so dumm, mir etwas Unmögliches vorzunehmen.«

»Aber da müßtet Ihr doch Kammern zur Aufnahme der Munition für fünfundzwanzig Schüsse haben!«

»Habe ich auch!«

»Die würden aber so groß und unhandlich sein, daß sie genierten.«

»Nur eine Kammer; ist ganz handlich und geniert gar nicht. Dieses Eisen ist die Kammer.«

»Hm! Ich verstehe mich auf Euer Fach ja gar nicht; aber wie steht es mit der Hitze? Wird der Lauf zu heiß?«

»Fällt ihm nicht ein. Material und Behandlung des Laufes sind mein Geheimnis. Übrigens, ist es denn immer nötig, die fünfundzwanzig Schüsse alle gleich hintereinander abzugeben?«

»Schwerlich.«

»Also! Dieses Eisen wird eine Kugel, welche sich exzentrisch bewegt; fünfundzwanzig Löcher darin enthalten ebensoviele Patronen. Bei jedem Schusse rückt die Kugel weiter, die nächste Patrone an den Lauf. Habe mich lange Jahre mit dieser Idee getragen; wollte nicht gelingen; jetzt aber scheint es zu klappen. Habe schon jetzt als Gunsmith einen guten Namen, werde dann aber berühmt, sehr berühmt werden und viel, sehr viel Geld verdienen.«

»Und ein böses Gewissen dazu!«

Er sah mir eine Weile ganz erstaunt in das Gesicht und fragte dann:

»Ein böses Gewissen? Wie so?«

»Meint Ihr, daß ein Mörder kein böses Gewissen zu haben braucht?«

»Zounds! Wollt Ihr etwa sagen, daß ich ein Mörder bin?«

»Jetzt noch nicht.«

»Oder ein Mörder werde?«

»Ja, denn die Beihilfe zum Morde ist grad so schlimm wie der Mord selbst.«

»Hole Euch der Teufel! Ich werde mich hüten, Beihilfe zu einem Morde zu leisten.«

»Zu einem einzelnen freilich nicht, aber sogar zum Massenmorde.«

»Wie so? Ich verstehe Euch nicht.«

»Wenn Ihr ein Gewehr fertigt, welches fünfundzwanzigmal schießt, und es in die Hände jedes beliebigen Strolches gebt, so wird drüben auf den Prairien, in den Urwäldern und den Schluchten des Gebirges sich bald ein grausiges Morden erheben; man wird die armen Indianer niederschießen wie Cojoten, und in einigen Jahren wird es keinen Indsman mehr geben. Wollt Ihr das auf Euer Gewissen laden?«

Er starrte mich an und antwortete nicht.

»Und,« fuhr ich fort, »wenn jedermann dieses gefährliche Gewehr für Geld bekommen kann, so werdet Ihr allerdings in kurzer Zeit tausende absetzen, aber die Mustangs und die Büffel werden ausgerottet werden und mit ihnen jede Art von Wild, dessen Fleisch die Roten zum Leben brauchen. Es werden hundert und tausend Aasjäger sich mit Eurem Stutzen bewaffnen und nach dem Westen gehen. Das Blut von Menschen und Tieren wird in Strömen fließen, und sehr bald werden die Gegenden diesseits und jenseits der Felsenberge von jedem lebenden Wesen entvölkert sein.«

»sdeath!« rief er jetzt aus. »Seid Ihr wirklich erst vor kurzem aus Germany herübergekommen?«

»Ja.«

»Und vorher noch nie hier gewesen?«

»Nein.«

»Und im wilden Westen erst recht noch nicht?«

»Nein.«

»Also ein vollständiges Greenhorn. Und doch nimmt dieses Greenhorn den Mund so voll, als ob es der Urgroßvater aller Indianer wäre und schon seit tausend Jahren hier gelebt hätte und heute noch lebte! Männchen, bildet Euch ja nicht ein, mir warm zu machen! Und selbst wenn alles so wäre, wie Ihr sagt, so wird es mir niemals in den Sinn kommen, eine Gewehrfabrik anzulegen. Ich bin ein einsamer Mann und will einsam bleiben; ich habe keine Lust, mich mit hundert oder gar noch mehr Arbeitern herumzuärgern.«

»Aber Ihr könntet doch, um Geld zu verdienen, Patent auf Eure Erfindung nehmen und dies verkaufen?«

»Das wartet ruhig ab, Sir! Bis jetzt habe ich stets gehabt, was ich brauche, und ich denke, daß ich auch fernerhin und ohne Patent keine Not leiden werde. Und nun schert Euch für heut nach Hause! Ich habe keine Lust, einen Vogel piepen zu hören, der erst flügge werden muß, ehe er pfeifen oder singen kann.«

Es fiel mir gar nicht ein, ihm diese derben Ausdrücke übel zu nehmen; er war nun einmal so, und ich wußte recht gut, wie er es meinte. Er hatte mich liebgewonnen und war ganz gewiß gewillt, mir in jeder Beziehung, so weit er es vermochte, förderlich und dienlich zu sein. Ich gab ihm die Hand und ging, nachdem er mir dieselbe kräftig gedrückt und geschüttelt hatte.

Ich ahnte nicht, wie wichtig dieser Abend für mich werden sollte, und ebensowenig kam es mir in den Sinn, daß dieser schwere Bärentöter, den Henry ein altes Gun nannte, und der noch unfertige Henrystutzen in meinem späteren Leben eine so große Rolle spielen würden. Aber auf den nächsten Morgen freute ich mich, denn ich hatte wirklich schon viel und gut geschossen und war vollständig überzeugt, daß ich vor den Augen meines alten, sonderbaren Freundes gut bestehen würde.

Ich fand mich pünktlich morgens sechs Uhr bei ihm ein. Er wartete schon auf mich, gab mir die Hand und sagte, indem ein ironisches Lächeln über seine alten, guten, derben Züge glitt:

»Welcome, Sir! Ihr macht doch ein recht siegesgewisses Gesicht? Meint Ihr, daß Ihr die Mauer, von der ich gestern abend sprach, treffen würdet?«

»Ich hoffe es.«

»Well, so wollen wir gleich sehen. Ich nehme ein leichteres Gewehr mit, und Ihr tragt den Bärentöter; ich mag mich mit so einer Last nicht schleppen.«

Er hing sich eine leichte, doppelläufige Rifle um, und ich nahm das »alte Gun«, welches er nicht tragen wollte. Auf seinem Schießstande angekommen, lud er beide Gewehre und tat zunächst aus der Rifle selbst zwei Schüsse. Dann kam ich an die Reihe mit dem Bärentöter. Ich kannte dieses Gewehr noch nicht und traf infolgedessen beim ersten Schusse nur grad den Rand des Schwarzen in der Scheibe; der zweite Schuß saß besser; der dritte nahm die genaue Mitte des Schwarzen, und die nächsten Kugeln gingen alle durch das Loch, welches die dritte durchgeschlagen hatte. Das Erstaunen Henrys wuchs von Schuß zu Schuß; ich mußte auch die Rifle probieren, und als dies ganz denselben Erfolg hatte, rief er schließlich aus:

»Entweder Ihr habt den Teufel, Sir, oder Ihr seid zum Westmann rein geboren. So habe ich noch kein Greenhorn schießen sehen!«

»Den Teufel habe ich nicht, Mr. Henry,« lachte ich. »Von einem solchen Bündnisse möchte ich nichts wissen.«

»So ist es Eure Aufgabe und sogar Eure Pflicht, Westmann zu werden. Habt Ihr keine Lust dazu?«

»Warum nicht!«

»Well, werden sehen, was sich aus dem Greenhorn machen läßt. Also reiten könnt Ihr auch?«

»Zur Not.«

»Zur Not? Hm! Also doch nicht so gut, wie Ihr schießt?«

»Pshaw! Was ist das Reiten weiter! Das Aufsteigen ist das Schwierigste. Wenn ich dann erst oben sitze, bringt mich wohl kein Pferd herunter.«

Er sah mich forschend an, ob ich im Ernste oder im Scherze gesprochen hatte; ich machte ein höchst unbefangenes Gesicht, und so meinte er:

»Denkt Ihr wirklich? Wollt Euch wohl an der Mähne anhalten? Da seid Ihr im Irrtum. Ihr habt ganz richtig gesagt: Das Hinaufkommen ist das Schwierigste, denn das muß man selber machen; das Herabkommen ist viel leichter: das besorgt der Gaul, und darum geht es viel, viel schneller.«

»Bei mir besorgt es der Gaul aber nicht!«

»So? Wollen sehen! Habt Ihr Lust, eine Probe zu zeigen?«

»Gern.«

»So kommt! Es ist erst sieben Uhr, und Ihr habt noch eine Stunde Zeit. Wir gehen zu Jim Korner, dem Pferdehändler; der hat einen Rotschimmel, der es Euch schon besorgen wird.«

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