Winnetou 1 - Karl May 4 стр.


Er hing den Hut zur Flinte und stülpte sich die Perücke wieder auf den Kopf. Dann zog er den Rock aus und legte ihn über einen Stuhl. Dieser Rock war viele, viele Male geflickt und ausgebessert worden, immer ein Lederfetzen wieder auf den andern genäht, und dadurch hatte dieses Kleidungsstück eine Steifheit und Dicke erlangt, daß wohl kaum ein Indianerpfeil hindurchkommen konnte.

Nun sahen wir seine dünnen, krummen Beine ganz. Der Oberkörper stak in einer ledernen Jagdweste. Im Gürtel hatte er ein Messer und zwei Pistolen stecken. Als er seinen Stuhl an der Tafel wieder erreichte, warf er erst auf mich und dann auf die Dame des Hauses einen listigen Blick und fragte:

»Mag Mylady nicht, bevor wir an das Essen gehen, diesem Greenhorn sagen, um was es sich handelt, wenn ich mich nicht irre?«

Der Ausdruck »wenn ich mich nicht irre« war bei ihm zur stehenden Redensart geworden. Die Lady nickte, drehte sich mir zu, deutete auf den jüngeren Gast und sagte:

»Ihr werdet vielleicht noch nicht wissen, daß Mr. Black hier Euer Nachfolger ist, Sir.«

»Mein Nachfolger?« stieß ich ganz betroffen hervor.

»Jawohl. Da wir heut Euern Abschied von uns feiern, waren wir gezwungen, uns nach einem neuen Lehrer umzusehen.«

»Meinen Abschied ?«

Heute preise ich das Schicksal, daß ich in jenem Augenblick nicht photographiert worden bin, denn ich habe jedenfalls wie die personifizierte Verblüfftheit ausgesehen.

»Ja, Euern Abschied, Sir,« nickte sie mit einem wohlwollenden Lächeln, welches ich aber nicht für am Platze fand, denn mir selbst war keineswegs zum Lächeln. Sie fügte hinzu: »Es hätte eigentlich gekündigt werden sollen, doch wollen wir Euch, den wir so lieb gewonnen haben, nicht hinderlich sein, Euer Glück so bald wie möglich zu ergreifen. Es tut uns innig leid, Euch von uns gehen zu sehen, doch geben wir Euch unsere besten Wünsche mit. Reist in Gottes Namen morgen ab!«

»Abreisen? Morgen? Wohin denn?« brachte ich mühsam hervor.

Da schlug mir Sam Hawkens, der neben mir stand, mit der Hand auf die Achsel und antwortete lachend:

»Wohin? Nach dem wilden Westen mit mir. Ihr habt ja Euer Examen glänzend bestanden, hihihihi! Die andern Surveyors reiten morgen fort und können nicht auf Euch warten; Ihr müßt unweigerlich mit. Ich und Dick Stone und Will Parker, wir sind als Führer engagiert, immer den Kanadian hinauf und ins New Mexiko hinein. Denke doch nicht, daß Ihr hier und ein Greenhorn bleiben wollt!«

Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das alles war abgekartete Sache gewesen! Surveyor, Feldmesser, vielleicht gar für eine der großen Bahnen, welche geplant wurden. Welch ein froher Gedanke! Ich brauchte gar nicht zu fragen; ich erhielt die Auskunft unaufgefordert, denn mein alter, guter Henry trat zu mir, faßte mich bei der Hand und sagte:

»Habs Euch ja schon gesagt, weshalb ich Euch gern habe. Ihr seid hier bei braven Menschen, aber ein Hauslehrerposten ist nichts für Euch, Sir, gar nichts. Ihr müßt nach dem Westen. Habe mich darum an die Atlantik und Pazifik Company gewendet und Euch examinieren lassen, ohne daß Ihr es wußtet. Habt gut bestanden. Hier ist die Installation.«

Er gab mir das Dokument. Als ich einen Blick in dasselbe warf und da mein wahrscheinliches Einkommen verzeichnet fand, gingen mir die Augen über. Er aber fuhr fort:

»Es wird geritten; Ihr braucht also ein gutes Pferd. Habe den Rotschimmel gekauft, den Ihr selbst zugeritten habt; sollt ihn bekommen. Und Waffen müßt Ihr auch haben; werde Euch den Bärentöter mitgeben, das alte, schwere Gun, welches ich nicht brauchen kann, mit dem aber Ihr bei jedem Schusse in das Schwarze trefft. Was sagt Ihr dazu, Sir, he?«

Ich sagte zunächst gar nichts; dann, als ich die Sprache wiederfand, wollte ich die Gaben von mir weisen, hatte aber keinen Erfolg. Diese guten Menschen hatten beschlossen, mich glücklich zu machen, und es hätte sie tief gekränkt, wenn ich bei meiner Ablehnung geblieben wäre. Um, wenigstens für einstweilen, alle Weiterungen abzuschneiden, nahm die Lady an der Tafel Platz, und wir Andern waren gezwungen, ihrem Beispiele zu folgen; es wurde gegessen, und das Thema durfte nicht gleich wieder aufgenommen werden.

Erst nach Tische erfuhr ich, was ich wissen mußte. Die Bahn sollte von St. Louis aus durch das Indian-Territory, New Mexiko, Arizona und Kalifornien nach der Pazifikküste gehen, und man hatte den Plan gefaßt, diese weite Strecke in einzelnen Sektionen erforschen und ausmessen zu lassen. Diejenige Sektion, welche mir und noch drei andern Surveyors unter einem Oberingenieur zugefallen war, lag zwischen dem Quellgebiete des Rio Pecos und des südlichen Kanadian. Die drei bewährten Führer Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker sollten uns dorthin bringen, wo wir eine ganze Schar von wackeren Westmännern vorfinden würden, die für unsere Sicherheit zu sorgen hatten. Natürlich waren wir außerdem auch des Schutzes aller Fortsbesatzungen sicher. Um mich so recht zu überraschen, war mir dies alles erst heut gesagt worden, freilich etwas sehr spät. Doch beruhigte mich die Mitteilung, daß für meine vollständige Ausrüstung bis auf das Kleinste gesorgt worden sei. Es blieb mir nichts weiter zu tun, als mich meinen Kollegen vorzustellen, welche in der Wohnung des Oberingenieurs auf mich warteten. Ich ging in Begleitung von Henry und Sam Hawkens hin und wurde auf das freundlichste begrüßt. Sie wußten, daß ich hatte überrascht werden sollen, und konnten mir also die Verspätung nicht übelnehmen.

Als ich am andern Morgen zunächst von der deutschen Familie Abschied genommen hatte, ging ich zu Henry. Er schnitt meine Dankesworte dadurch ab, daß er, mir die Hände herzlich schüttelnd, in seiner derben Weise mich unterbrach:

»Haltet den Schnabel, Sir! Ich habe Euch doch nur deshalb hinausgeschickt, damit mein altes Gun wieder einmal mitreden kann. Kehrt Ihr zurück, so sucht mich auf und erzählt, was Ihr erlebt und erfahren habt. Dann wird es sich zeigen, ob Ihr das noch seid, was Ihr heute seid und doch nicht glauben wollt, nämlich ein Greenhorn, wie es im Buche steht!«

Damit schob er mich zur Tür hinaus, doch ehe er sie schloß, sah ich, daß ihm das Wasser in den Augen stand.

Klekih-petra

Wir befanden uns beinahe am Ende des herrlichen nordamerikanischen Herbstes und waren schon über drei Monate in Tätigkeit, hatten unsere Aufgabe aber noch nicht gelöst, während die andern Sektionen meist schon nach Hause zurückgekehrt waren. Hierfür gab es zwei Gründe.

Der erste Grund lag in dem Umstande, daß wir eine sehr schwierige Gegend zu bearbeiten hatten. Die Bahn sollte durch die Prärieen dem Laufe des südlichen Kanadian folgen; die Richtung war also bis zum Quellgebiete desselben vorgezeichnet, während sie von New Mexiko an durch die Lage der Täler und Pässe ebenso vorgeschrieben wurde. Unsere Sektion aber lag zwischen dem Kanadian und New Mexiko, und wir hatten die geeignete Richtung also erst zu entdecken. Dazu waren zeitraubende Ritte, anstrengende Wanderungen und viele vergleichende Messungen nötig, ehe wir an die eigentliche Arbeit gehen konnten. Erschwert wurde dies alles noch dazu dadurch, daß wir uns in einer gefährlichen Gegend befanden, denn es trieben sich da die Kiowa-, Komanche- und Apache-Indianer herum, welche von einer Bahn durch das Terrain, welches sie als ihr Eigentum bezeichneten, nichts wissen wollten. Wir mußten uns ungemein in acht nehmen und stets auf unserer Hut sein, wodurch unsere Tätigkeit selbstverständlich außerordentlich erschwert und verlangsamt wurde.

In Rücksicht auf diese Indianer mußten wir darauf verzichten, uns durch die Erträgnisse der Jagd zu ernähren, denn wir hätten die Roten dadurch auf unsere Spur gelenkt. Wir bezogen vielmehr alles, was wir brauchten, durch Ochsenwagen aus Santa Fé. Leider war aber dieser Transport auch ein sehr unsicherer, und wir konnten wiederholt mit unseren Messungen nicht vorwärts schreiten, weil wir auf die Ankunft der Wagen warten mußten.

In Rücksicht auf diese Indianer mußten wir darauf verzichten, uns durch die Erträgnisse der Jagd zu ernähren, denn wir hätten die Roten dadurch auf unsere Spur gelenkt. Wir bezogen vielmehr alles, was wir brauchten, durch Ochsenwagen aus Santa Fé. Leider war aber dieser Transport auch ein sehr unsicherer, und wir konnten wiederholt mit unseren Messungen nicht vorwärts schreiten, weil wir auf die Ankunft der Wagen warten mußten.

Die zweite Ursache lag in der Zusammensetzung unserer Gesellschaft. Ich habe erwähnt, daß ich in St. Louis von dem Oberingenieur und den drei Surveyors sehr freundlich begrüßt worden sei. Diese Aufnahme, welche ich bei ihnen fand, ließ mich ein gutes und erfolgreiches Zusammenwirken erwarten; darin sollte ich mich aber leider getäuscht haben.

Meine Kollegen waren echte Yankees, welche in mir das Greenhorn, den unerfahrenen Dutchman sahen, dieses letztere Wort als Schimpfwort genommen. Sie wollten Geld verdienen, ohne viel danach zu fragen, ob sie ihre Aufgabe auch wirklich gewissenhaft erfüllten. Ich war als ehrlicher Deutscher ihnen dabei ein Hemmschuh, dem sie die erst gezeigte Gunst sehr bald entzogen. Ich ließ mich dies nicht anfechten und tat meine Pflicht. Es war noch nicht viel Zeit vergangen, so machte ich die Bemerkung, daß es mit ihren Kenntnissen eigentlich nicht sehr weit her war; sie warfen mir die schwierigsten Arbeiten zu und machten sich das Leben so leicht wie möglich. Dagegen hatte ich nichts einzuwenden, denn ich bin stets der Ansicht gewesen, daß man um so stärker wird, je mehr man leisten muß.

Mr. Bancroft, der Oberingenieur, war der unterrichtetste von ihnen; leider aber stellte es sich heraus, daß er den Branntwein liebte. Es waren einige Fäßchen dieses verderblichen Getränkes aus Santa Fé gebracht worden, und seitdem beschäftigte er sich weit mehr mit dem Brandy als mit den Meßinstrumenten. Es kam vor, daß er halbe Tage lang total betrunken an der Erde lag. Riggs, Marcy und Wheeler, die drei Surveyors, hatten, ebenso wie auch ich, den Schnaps mit bezahlen müssen, und sie tranken, um ja nicht zu kurz zu kommen, mit ihm um die Wette. Es läßt sich denken, daß auch diese Gentlemen sich oft nicht in der besten Verfassung befanden. Da ich keinen Tropfen trank, so war ich natürlich der Arbeitsmann, während sie sich in steter Abwechslung zwischen dem Trinken und dem Ausschlafen ihres Rausches hielten. Wheeler war mir noch der liebste von ihnen, denn er hatte so viel Verstand, einzusehen, daß ich mich für sie plagte, ohne im mindesten dazu verpflichtet zu sein. Daß unsere Arbeit unter diesen Verhältnissen litt, versteht sich ganz von selbst.

Die übrige Gesellschaft ließ nicht weniger zu wünschen übrig. Wir hatten bei unserer Ankunft auf der Sektion zwölf auf uns wartende »Westmänner« angetroffen. Ich als Neuling hegte in der ersten Zeit ganz bedeutenden Respekt vor ihnen, erkannte aber nur zu bald, daß ich es mit Leuten von sehr niederem moralischem Range zu tun hatte.

Sie sollten uns beschützen und bei unsern Arbeiten Hilfe leisten. Glücklicherweise kam volle drei Monate lang nichts vor, was mir Veranlassung gegeben hätte, mich in diesen sehr zweifelhaften Schutz zu begeben, und was ihre Hilfeleistungen betraf, so konnte ich mit vollem Rechte behaupten, daß hier die zwölf größten Faulenzer der Vereinigten Staaten sich ein Stelldichein gegeben hatten.

Wie traurig mußte es unter solchen Umständen mit der Disziplin beschaffen sein!

Bancroft war dem Namen und dem Auftrage nach der Kommandierende, und er gebärdete sich auch ganz so, es zu sein, doch kein Mensch gehorchte ihm. Wenn er einen Befehl erteilte, so lachte man ihn aus; dann fluchte er, wie ich selten einen Menschen habe fluchen hören, und ging zum Brandyfasse, um sich für diese Anstrengung zu belohnen. Riggs, Marcy und Wheeler handelten nicht viel anders. Da hätte nun wohl ich allen Grund gehabt, mich der Zügel zu bemächtigen, und ich tat dies auch, doch so, daß man es nicht bemerkte. So ein junger und unerfahrener Mensch konnte von solchen Leuten unmöglich für voll angesehen werden. Wäre ich so unklug gewesen, einmal im gebieterischen Tone zu sprechen, so hätte der Erfolg ganz gewiß in einem schallenden Gelächter bestanden. Nein, ich mußte leise und vorsichtig verfahren, ungefähr so wie eine kluge Frau, welche ihren widerhaarigen Mann zu lenken und zu leiten weiß, ohne daß er eine Ahnung davon hat. Ich wurde von diesen halbwilden, schwer zu zügelnden Westmännern täglich wohl zehnmal ein Greenhorn genannt, und doch richteten sie sich unbewußt nach mir, indem ich sie bei der Meinung ließ, daß sie ihrem eigenen Willen folgten.

Hierbei hatte ich einen vorzüglichen Beistand an Sam Hawkens und seinen beiden Gefährten Dick Stone und Will Parker. Diese drei Männer waren durch und durch ehrlich und dabei, was ich dem kleinen Sam bei unserm ersten Zusammentreffen in St. Louis nicht hatte ansehen können, erfahrene, kluge und kühne Westläufer, deren Namen weithin einen guten Klang besaßen. Sie hielten sich meist zu mir und zogen sich von den Andern zurück, doch so, daß diese sich nicht etwa beleidigt fühlen konnten. Besonders verstand es Sam Hawkens trotz seiner komischen Eigentümlichkeiten, dem, was er wollte, bei der widerspenstigen Gesellschaft Achtung zu verschaffen, und so oft er in seiner halb strengen und halb drolligen Tonart etwas durchsetzte, so geschah dies stets, um mir zur Erringung dessen, was ich wollte, behilflich zu sein.

Es hatte sich zwischen ihm und mir im Stillen ein Verhältnis herausgebildet, welches ich am besten mit dem Worte Suzeränität, Oberlehnsherrlichkeit, bezeichnen möchte. Er hatte mich unter seinen Schutz genommen, und zwar wie einen Menschen, den man gar nicht danach zu fragen braucht, ob er damit einverstanden ist. Ich war das Greenhorn und er der erfahrene Westmann, dessen Worte und Taten für mich unfehlbar zu sein hatten. Er gab mir, so oft sich Zeit und Gelegenheit bot, theoretischen und praktischen Unterricht in allem, was man im wilden Westen wissen und auch können muß, und wenn ich heut der Wahrheit nach sagen muß, daß ich später an Winnetous Seite die hohe Schule durchmachte, so muß ich billig eingestehen, daß Sam Hawkens mein Elementarlehrer gewesen ist. Er fertigte mir sogar höchst eigenhändig einen Lasso an und erlaubte mir, mich im Werfen dieser gefährlichen Waffe an seiner eignen kleinen Person und seinem Pferde zu üben. Als ich es dann so weit gebracht hatte, daß die Schlinge bei jedem Wurfe ihr Ziel unfehlbar faßte, freute er sich herzlich und rief aus:

»Schön so, mein junger Sir; so ists recht! Doch bildet Euch auf dieses Lob ja nicht etwas ein! Ein Schulmeister muß selbst den dümmsten Jungen zuweilen loben, wenn dieser nicht ganz und gar sitzen bleiben soll. Ich bin der Lehrer schon manches jungen Westmannes gewesen, und sie alle haben viel, viel leichter gelernt und mich viel rascher begriffen als Ihr, doch wenn Ihr Euch so weiter übt, so ist es vielleicht möglich, daß man Euch nach sechs oder acht Jahren nicht mehr ein Greenhorn zu nennen braucht. Bis dahin mögt Ihr Euch mit der alten Erfahrung trösten, daß ein Dummer es zuweilen ebenso weit oder wohl gar noch weiter bringt als ein Gescheiter, wenn ich mich nicht irre!«

Er brachte dies scheinbar im größten Ernste vor, und ich nahm es mit demselben Ernste hin, wußte aber recht wohl, wie ganz anders er es meinte.

Von diesen Unterweisungen waren mir besonders die praktischen willkommen, denn die Berufsarbeit nahm mich so in Anspruch, daß ich, wenn Sam Hawkens nicht gewesen wäre, mir wohl nicht die Zeit genommen hätte, mich in den Fertigkeiten zu üben, welche ein Prairiejäger besitzen muß. Übrigens hielten wir diese Übungen geheim; sie wurden stets in solcher Entfernung vom Lager vorgenommen, daß man uns nicht beobachten konnte. Sam wollte es so, und als ich ihn einmal nach dem Grunde fragte, antwortete er:

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