Winnetou 2 - Karl May 6 стр.


Er führte mich in ein kleines Lokal, in weichem Flaschenbier zu einem übrigens sehr hohen Preise ausgeschenkt wurde. Wir waren die einzigen Gäste. Ich bot ihm eine Zigarre an; er lehnte sie aber ab. Dafür zog er eine Tafel Kautabak aus der Tasche und schnitt sich von derselben ein Primchen ab, welches für fünf Vollmatrosen ausgereicht hätte. Dieses schob er in den Mund, brachte es liebevoll in der einen Backe unter und sagte dann:

»So, jetzt stehe ich Euch zu Diensten. Ich bin begierig, zu hören, welcher Wind Euch so schnell hinter mir hergetrieben hat. War es ein günstiger?«

»Im Gegenteile, ein sehr widriger.«

»So wolltet Ihr wohl gar nicht hierher?«

»Nein, sondern nach Quintana. Da es aber dorthin keine schnelle Gelegenheit gab, so bin ich hierher gekommen, weil man mir sagte, daß ich hier leicht ein Schiff finden werde, welches nach dem genannten Ort bestimmt sei. Leider muß ich zwei volle Tage warten.«

»Tragt das in Geduld, Master, und tröstet Euch mit der süßen Überzeugung, daß Ihr eben ein Pechvogel seid!«

»Schöner Trost! Meint Ihr, daß ich Euch für denselben eine Dankesadresse überreichen lassen soll?«

»Bitte,« lachte Old Death. »Gebe meinen Rat stets unentgeltlich. Übrigens geht es mir grad so wie Euch; sitze auch so nutzlos hier, weil ich zu langsam gewesen bin. Wollte hinauf nach Austin und dann weiter, ein wenig über den Rio grande del Norte hinüber. Die Jahreszeit ist günstig. Es hat geregnet, und so besitzt der Colorado genug Wasser, um flache Dampfboote nach Austin zu tragen. Der Fluß ist nämlich den größten Teil des Jahres über sehr wasserarm.«

»Ich habe gehört, daß eine Barre die Schiffahrt hindere.«

»Das ist keine eigentliche Barre, sondern eine Raft, eine gewaltige Anschwemmung von Treibholz, welche ungefähr acht englische Meilen oberhalb von hier den Fluß zwingt, sich in mehrere Arme zu spalten. Hinter dieser Raft gibt es dann ein stetig freies Wasser, bis Austin und darüber hinaus. Da durch die Raft die Fahrt unterbrochen wird, so tut man klug, von hier aus bis hinauf zu ihr zu gehen, und erst dann an Bord zu steigen. Das wollte ich auch; aber Euer deutsches Lagerbier hatte es mir angetan. Ich trank und trank, verweilte mich in Matagorda zu lange, und als ich bei der Raft ankam, pfiff das Dampfboot eben ab. Habe also meinen Sattel wieder zurücktragen müssen und muß nun warten bis morgen früh, wo das nächste Boot abgeht.«

»So sind wir Leidensgefährten, und Ihr könnt Euch mit demselben Troste beruhigen, welchen Ihr vorhin mir zugesprochen habt. Ihr seid eben auch ein Pechvogel.«

»Der bin ich nicht. Ich verfolge niemanden, und bei mir ist es sehr gleichgültig, ob ich heute oder in einer Woche in Austin eintreffe. Aber ärgerlich ist es doch, ganz besonders weil jener dumme Greenfrog mich auslachte. Er war schneller gewesen als ich und pfiff mich vom Verdeck herüber an, als ich mit meinem Sattel am Ufer zurückbleiben mußte. Treffe ich diesen Kerl irgendwo, so erhält er noch eine ganz andere Ohrfeige, als diejenige war, welche er am Bord unseres Dampfers einstecken mußte.«

»Ihr habt eine Prügelei gehabt, Sir?«

»Prügelei? Was meint Ihr damit, Sir? Old Death prügelt sich nie. Aber es war auf dem »Delphin«, mit welchem ich hierher kam, ein Kerl vorhanden, welcher sich über meine Gestalt mokierte und lachte, so oft er mich sah. Da fragte ich ihn denn, was ihn so lustig mache, und als er mir antwortete, daß mein Gerippe ihn so heiter stimme, da erhielt er einen Slap in the face, daß er sich niedersetzte. Nun wollte er mit dem Revolver auf mich los, doch der Captn kam dazu und befahl ihm, sich von dannen zu trollen; es sei ihm recht geschehen, da er mich beleidigt habe. Darum lachte mich der Schelm aus, als ich zu spät an die Raft gekommen war. Schade um den Gefährten, mit welchem er reiste! Schien ein veritabler Gentleman zu sein, nur immer traurig und düster; starrte stets wie ein geistig Gestörter vor sich hin.«

Diese letzteren Worte erregten meine Aufmerksamkeit im höchsten Grade.

»Ein geistig Gestörter?« fragte ich. »Habt Ihr vielleicht seinen Namen gehört?«

»Er wurde vom Captn Master Ohlert genannt.«

Es war mir, als hätte ich einen Schlag ins Gesicht erhalten. Hastig fragte ich weiter:

»Ah! Und sein Begleiter?«

»Hieß Clinton, wenn ich mich recht entsinne.«

»Ists möglich, ists möglich?« rief ich, von meinem Stuhle aufspringend. »Diese beiden sind an Bord mit Euch gewesen?«

Er sah mich staunend an und fragte:

»Habt Ihr einen Raptus, Sir? Ihr fahrt ja auf wie eine Rakete! Gehen Euch diese zwei Männer etwas an?«

»Viel, sehr viel! Sie sind es ja, die ich finden will!«

Wieder ging jenes freundliche Grinsen, welches ich wiederholt bei ihm gesehen hatte, über sein Gesicht.

»Schön, schön!« nickte er. »Ihr gebt also endlich zu, daß Ihr zwei Männer sucht? Und grad diese zwei? Hm! Ihr seid wirklich ein Greenhorn, Sir! Habt Euch selber um den schönen Fang gebracht.«

»Wieso?«

»Dadurch, daß Ihr in New Orleans nicht aufrichtig mit mir waret.«

»Ich durfte ja nicht,« antwortete ich.

»Der Mensch darf alles, was ihn zum guten Ziele führt. Hättet Ihr mir Eure Angelegenheit offenbart, so befänden sich die Beiden jetzt in Euren Händen. Ich hätte sie erkannt, sobald sie an Bord des Dampfers kamen, und Euch sofort geholt oder holen lassen. Seht Ihr das nicht ein?«

»Wer konnte denn wissen, daß Ihr dort mit ihnen zusammentreffen würdet! Übrigens haben sie nicht nach Matagorda, sondern nach Quintana gewollt.«

»Das haben sie nur so gesagt. Sie sind dort gar nicht ans Land gekommen. Wollt Ihr klug sein, so erzählt mir Eure Geschichte. Vielleicht ist es mir möglich, Euch behilflich zu sein, die Kerls zu erwischen.«

Der Mann meinte es aufrichtig gut mit mir. Es fiel ihm gar nicht ein, mich kränken zu wollen, und doch fühlte ich mich beschämt. Gestern hatte ich ihm die Auskunft verweigert, und heute wurde ich von den Verhältnissen gezwungen, sie ihm zu geben. Mein Selbstgefühl flüsterte mir zu, ihm nichts zu sagen; aber der Verstand behielt doch die Oberhand. Ich zog die beiden Photographien hervor, gab sie ihm und sagte:

»Bevor ich Euch eine Mitteilung mache, betrachtet Euch einmal diese Bilder. Sind das die Personen, welche Ihr meint?«

»Ja, ja, sie sind es,« nickte er, als er einen Blick auf die Photographien geworfen hatte. »Es ist gar keine Täuschung möglich.«

Ich erzählte ihm nun aufrichtig den Sachverhalt. Er hörte mir aufmerksam zu, schüttelte, als ich geendet hatte, den Kopf und sagte nachdenklich:

»Was ich da von Euch gehört habe, ist alles glatt und klar.

Nur eins leuchtet mir nicht ein. Ist dieser William Ohlert denn vollständig wahnsinnig?«

»Nein. Ich verstehe mich zwar nicht auf Geisteskrankheiten, möchte hier aber doch nur von einer Monomanie reden, weil er, abgesehen von einem Punkte, vollständig Herr seiner geistigen Tätigkeiten ist.«

»Um so unbegreiflicher ist es mir, daß er diesem Gibson einen so unbeschränkten Einfluß auf sich einräumt. Er scheint diesem Menschen in allem zu folgen und zu gehorchen. jedenfalls geht dieser schlau auf die Monomanie des Kranken ein und bedient sich derselben zu seinen Zwecken. Nun, hoffentlich kommen wir hinter all seine Schliche.«

»Ihr seid also überzeugt, daß sie auf dem Wege nach Austin sind? Oder haben sie die Absicht, unterwegs auszusteigen?«

»Nein, Ohlert hat dem Captn des Dampfers gesagt, daß er nach Austin wolle.«

»Sollte mich wundern. Er wird doch nicht sagen, wohin zu gehen er beabsichtigt.«

»Warum nicht? Ohlert weiß vielleicht gar nicht, daß er verfolgt wird, daß er sich auf Irrwegen befindet. Er ist wohl in dem guten Glauben, ganz recht zu handeln, lebt nur für seine Idee, und das andere ist Gibsons Sache. Der Irre hat es nicht für unklug gehalten, Austin als Ziel seiner Reise anzugeben. Der Captn sagte mir es wieder. Was gedenkt Ihr zu tun?«

»Warum nicht? Ohlert weiß vielleicht gar nicht, daß er verfolgt wird, daß er sich auf Irrwegen befindet. Er ist wohl in dem guten Glauben, ganz recht zu handeln, lebt nur für seine Idee, und das andere ist Gibsons Sache. Der Irre hat es nicht für unklug gehalten, Austin als Ziel seiner Reise anzugeben. Der Captn sagte mir es wieder. Was gedenkt Ihr zu tun?«

»Natürlich muß ich ihnen nach und zwar schleunigst.«

»Bis morgen früh müßt Ihr trotz aller Ungeduld doch warten; es geht kein Schiff eher ab.«

»Und wann kommen wir an?«

»Unter den gegenwärtigen Wasserverhältnissen erst übermorgen.«

»Welch eine lange, lange Zeit!«

»Ihr müßt bedenken, daß die beiden wegen der Wasserarmut des Flusses eben auch spät ankommen. Es ist gar nicht zu vermeiden, daß das Schiff zuweilen auf den Grund fährt, und da dauert es stets eine geraume Weile, bevor es wieder loskommt.«

»Wenn man nur wüßte, was Gibson eigentlich beabsichtigt, und wohin er Ohlert schleppen will?«

»Ja, das ist freilich ein Rätsel. Irgend eine bestimmte Absicht hat er ja. Die Gelder, welche bisher erhoben worden sind, würden ausreichen, ihn zum wohlhabenden Manne zu machen. Er braucht sie nur an sich zu nehmen und Ohlert einfach sitzen zu lassen. Daß er das nicht tut, ist ein sicheres Zeichen, daß er ihn noch weiter ausbeuten will. Ich interessire mich außerordentlich für diese Angelegenheit, und da wir, wenigstens einstweilen, den gleichen Weg haben, so stelle ich mich Euch zur Verfügung, Wenn Ihr mich braucht, so könnt Ihr mich haben.«

»Euer Anerbieten wird mit großem Danke akzeptiert, Sir. Ihr flößt mir ein aufrichtiges Vertrauen ein; Euer Wohlwollen ist mir angenehm, und ich denke, daß Eure Hilfe mir von Vorteil sein wird.«

Wir schüttelten uns die Hände und leerten unsere Gläser. Hätte ich mich diesem Manne doch bereits gestern anvertraut!

Wir bekamen eben die Gläser neu gefüllt, als sich draußen ein wüster Lärm hören ließ. Johlende, menschliche Stimmen und heulendes Hundegebell kamen näher. Die Türe wurde ungestüm aufgerissen, und sechs Männer traten ein, die alle schon ein beträchtliches Quantum getrunken haben mochten; keiner von ihnen war mehr nüchtern zu nennen. Rohe Gestalten und Gesichter, südlich leichte Kleidung und prächtige Waffen fielen an ihnen sofort auf. Jeder von ihnen war mit Gewehr, Messer, Revolver oder Pistole versehen, außerdem hatten alle eine wuchtige Niggerpeitsche an der Seite hängen, und jeder führte an starker Leine einen Hund bei sich. Alle diese Hunde von ungeheurer Größe waren von jener sorgfältig gezüchteten Rasse, welche man in den Südstaaten zum Einfangen flüchtig gewordener Neger verwendete und Bluthunde oder Menschenfänger nannte.

Die Strolche starrten uns, ohne zu grüßen, mit unverschämten Blicken an, warfen sich auf die Stühle, daß diese krachten, legten die Füße auf den Tisch und trommelten mit den Absätzen auf ihm herum, womit sie an den Wirt das höfliche Ersuchen richteten, sich zu ihnen zu bemühen.

»Mensch, hast du Bier?« schrie ihn einer an. »Deutsches Bier?« Der geängstigte Wirt bejahte.

»Das wollen wir trinken. Aber bist du auch selbst ein Deutscher?«

»Nein.«

»Das ist dein Glück. Das Bier der Deutschen wollen wir trinken; sie selbst aber sollen in der Hölle braten, diese Abolitionisten, weiche dem Norden geholfen haben und schuld sind, daß wir unsere Stellen verloren!«

Der Wirt zog sich schleunigst zurück, um seine noblen Gäste so rasch wie möglich zu bedienen. Ich hatte mich unwillkürlich umgedreht, um den Sprecher anzusehen. Er bemerkte es. Ich bin überzeugt, daß in meinem Blicke gar nichts für ihn Beleidigendes lag; aber er hatte einmal keine Lust, sich ansehen zu lassen, vielleicht große Sehnsucht, mit jemand anzubinden, und schrie mir zu:

»Was starrst du mich an! Habe ich etwa nicht wahr gesprochen?«

Ich wendete mich ab und antwortete nicht.

»Nehmt Euch in acht!« flüsterte Old Death mir zu. »Das sind Rowdies der schlimmsten Sorte. Jedenfalls entlassene Sklavenaufseher, deren Herren durch die Abschaffung der Sklaverei bankerott geworden sind. Die haben sich nun zusammengetan, um allerlei Unfug zu treiben. Es ist besser, wir beachten sie gar nicht. Trinken wir rasch aus, um dann zu gehen.«

Aber grad dieses Flüstern gefiel dem Manne nicht. Er schrie zu uns herüber:

»Was hast du Heimliches zu reden, altes Gerippe? Wenn du von uns sprichst, so tu es laut, sonst werden wir dir den Mund öffnen!«

Old Death setzte sein Glas an den Mund und trank, sagte aber nichts. Die Leute bekamen Bier und kosteten. Das Gebräu war wirklich gut; die Gäste befanden sich aber in echter Rowdylaune und gossen es in die Stube. Derjenige, welcher vorhin gesprochen hatte, hielt sein volles Glas noch in der Hand und rief:

»Nicht auf den Boden! Dort sitzen zwei, denen dieses Zeug sehr gut zu bekommen scheint. Sie sollen es haben.«

Er holte aus und goß sein Bier über den Tisch herüber auf uns beide aus. Old Death fuhr sich ruhig mit dem Ärmel über das naßgewordene Gesicht; ich aber brachte es nicht fertig, so ruhig wie er die schändlichsten Beleidigungen einzustecken. Mein Hut, mein Kragen, mein Rock, alles tropfte an mir, da mich der Hauptstrahl getroffen hatte. Ich drehte mich um und sagte:

»Sir, ich bitte Euch sehr, das nicht zum zweitenmal zu tun! Treibt Euern Spaß mit Euern Kameraden; wir haben nichts dagegen; uns aber laßt gefälligst in Ruhe.«

»So! Was würdet Ihr denn tun, wenn ich Lust empfände, Euch nochmals zu begießen?«

»Das wird sich finden.«

»Sich finden? Nun, da müssen wir doch gleich einmal sehen, was sich finden wird. Wirt, neue Gläser!«

Die Andern lachten und johlten ihrem Matador Beifall zu. Es war augenscheinlich, daß er seine Unverschämtheit wiederholen werde.

»Um Gottes willen, Sir, bindet nicht mit den Kerlen an!« warnte mich Old Death.

»Fürchtet Ihr Euch?« fragte ich ihn.

»Fällt mir nicht ein! Aber sie sind mit den Waffen schnell bei der Hand, und gegen eine tückische Kugel vermag auch der Mutigste nichts. Bedenkt, daß sie Hunde haben!«

Die Strolche hatten ihre Hunde an die Tischbeine gebunden. Um nicht wieder von hinten getroffen zu werden, verließ ich meinen bisherigen Platz und setzte mich so, daß ich den Rowdies die rechte Seite zukehrte.

»Ah! Er setzt sich in Positur!« lachte der Wortführer. »Er will sich wehren, aber sobald er nur eine Bewegung macht, laß ich Pluto auf ihn los. Der ist auf Menschen dressiert.«

Er band den Hund los und hielt ihn an der Schnur bei sich. Noch hatte der Wirt das Bier nicht gebracht; noch war es Zeit für uns, ein Geldstück auf den Tisch zu legen und zu gehen, doch glaubte ich nicht, daß uns die Bande erlauben werde, uns zu entfernen, und sodann widerstrebte es mir, vor diesen verachtenwerten Menschen die Flucht zu ergreifen. Denn solche Prahlhänse sind im Grund ihrer Seele Feiglinge.

Ich griff in die Tasche und spannte meinen Revolver. Im Ringen stellte ich meinen Mann; das wußte ich, doch war mir zweifelhaft, ob es mir gelingen werde, die Hunde zu bewältigen. Aber ich hatte Tiere, welche auf den Mann dressiert gewesen waren, unter den Händen gehabt, und brauchte mich wenigstens vor einem einzelnen Packer nicht zu fürchten.

Jetzt kam der Wirt. Er stellte die Gläser auf den Tisch und sagte in bittendem Tone zu seinen streitsüchtigen Gästen:

»Gentlemen, euer Besuch ist mir sehr angenehm; aber ich bitte euch, die beiden Männer dort in Ruhe zu lassen. Sie sind ebenfalls meine Gäste.«

»Schurke!« brüllte ihn einer an. »Willst du uns gute Lehren geben? Warte, wir werden deinen Eifer gleich abkühlen.« Und der Inhalt von zwei oder drei Gläsern ergoß sich über ihn, der es für das Klügste hielt, die Stube schnell zu verlassen.

Назад Дальше