Da hörte ich einen lauten Ruf aus Sams Munde:
»All devils, da ist Fred Morgan! Hallo, du Satan, nieder mit dir!«
Ich blickte hinüber und sah gegen den Schein des noch am Horizont lohenden Brandes, daß er zu einem gewaltigen Hiebe ausholte, der aber nicht traf, denn der Gegner duckte sich augenblicklich nieder und verschwand dann im Schwarme der Fliehenden.
Sam spornte seine Stute zu einem unglaublichen Satze, der sie und ihn in ihre Mitte brachte; weiter konnte ich das Intermezzo nicht verfolgen, da sich mir einige Rothäute entgegengestellt hatten, die mir wacker zu tun gaben, ehe sie sich wieder wandten.
Ich folgte ihnen nicht; es war Blut genug geflossen, und ich konnte sicher sein, daß es den Indianern nach dieser Lektion nicht in den Sinn kommen werde, wieder umzukehren. Um Sam ein Zeichen zu geben, von der Verfolgung abzulassen, die ihm nichts als Gefahr bringen konnte, ahmte ich so laut wie möglich das Geheul des Coyoten nach und ritt dann zu dem Zug zurück.
Das Personal war ausgestiegen und suchte, während der Maschinist den Dampf ausströmen ließ, nach den Toten und Verwundeten. Der Conductor stand fluchend dabei. Als er mich erblickte, fuhr er wütend auf mich zu:
»Was fällt Euch ein, Euch an der Maschine zu vergreifen und uns die Roten zu vertreiben, die wir so fest hatten, daß wir sie bis auf den letzten Mann vertilgen konnten!«
»Sachte, sachte, Mann! Seid froh, daß sie fort sind, denn es hätte leicht kommen können, daß sie euch hatten, statt ihr sie. Gut genug hattet ihr es bereits eingefädelt!«
»Wer hat die Prairie angezündet?«
»Ich.«
»Seid Ihr verrückt! Und auch an mir habt Ihr Euch vergriffen! Wißt Ihr, daß ich Euch arretieren und der Court of justice überliefern kann?«
»Nein, das weiß ich nicht, aber ich gebe Euch recht gern die Erlaubnis dazu, Old Shatterhand vom Pferde herunterzuholen, in einen Waggon zu sperren und dem Gerichte zu übergeben; ich wäre doch neugierig, zu erfahren, wie Ihr das anfangt.«
Er schien einigermaßen in Verlegenheit zu geraten.
»So ists nicht gemeint, Sir! Ihr habt allerdings einen dummen Streich begangen, aber den will ich Euch vergeben.«
»Danke, Sir! Es berührt das Herz ungemein wohltuend, wenn die Mächtigen der Erde eine schöne Neigung zu Gnade und Barmherzigkeit verspüren lassen. Was werdet Ihr jetzt tun?«
»Was kann ich sonst tun, als die Schienen herstellen lassen und die Fahrt dann fortsetzen! Oder werden wir einen zweiten Angriff zu gewärtigen haben?«
»Denke es nicht, Sir. Eure Attacke war so ausgezeichnet ersonnen und ausgeführt, daß ihnen sicher die Lust vergehen wird, wiederzukommen.«
»Ihr wollt doch nicht etwa meiner spotten, Sir? Das möchte ich mir sehr streng verbitten. Ich konnte doch nicht dafür, daß es ihrer so viele waren und daß sie sich auf unsern Angriff in solcher Weise vorbereitet hatten!«
»Ich hatte es Euch gesagt. Die Ogellallahs wissen ihre Waffen vortrefflich zu gebrauchen. Seht hin; von Euren sechzehn Bahnarbeitern und zwanzig Milizmen sind nicht weniger als neun gefallen; ich habe das nicht zu verantworten. Und wenn Ihr bedenkt, daß ich und mein Kamerad nur zu zweien die ganze Rotte in die Flucht getrieben haben, so könnt Ihr ungefähr vermuten, wie es gegangen wäre, wenn Ihr mir statt Euch selbst gefolgt wäret.«
Er schien große Lust zu haben, mir zu widersprechen; es waren aber Andere hinzugetreten, welche mir Recht gaben, und so meinte er ziemlich kleinlaut:
»Bleibt Ihr noch hier, bis wir fort sind?«
»Das versteht sich! Ein rechter Westmann tut niemals halbe Arbeit. Macht euch ans Werk; zündet einige Feuer an, die euch dazu leuchten Buschwerk ist ja genug dazu hier und stellt einige Wachen aus für den unwahrscheinlichen Fall, daß die Redmen sich ja noch einmal zurückwenden sollten.«
»Wollt Ihr das nicht übernehmen, Sir?«
»Was?«
»Die Wache.«
»Denke nicht. Ich habe genug für Euch getan und noch genug Anstrengungen zu erwarten, während ihr dahin geht, wo Ihr Euch pflegen könnt. Eure Strategie wird Euch schon sagen, wie Ihr den Postendienst am besten einzurichten habt.«
»Aber wir haben keine so scharfen und geübten Augen und Ohren wie Ihr!«
»Strengt sie an, Sir, strengt sie ein wenig an; dann seht und hört Ihr ebenso scharf wie ich! Den Beweis will ich Euch sogleich geben. Seid still, ihr Leute, und horcht einmal nach links da hinaus! Hört ihr etwas?«
»Ja. Es kommt ein Pferd. Das ist sicher ein Wilder!«
»Pshaw! Glaubt ihr wirklich, daß ein Indsman so laut herbeigeritten kommt, um euch zu überfallen? Es ist mein Maate, und ich rate euch sehr, ihn höflich zu empfangen. Es ist Sans-ear, der keinen Spaß versteht!«
Allerdings war es Sam, der herbeigeritten kam und mit einer Miene von seiner Tony stieg, als ob er die ganze Welt erwürgen wolle.
»Habt Ihr mein Zeichen gehört?« fragte ich ihn.
Er nickte bloß und wandte sich an den Conductor:
»Seid Ihr der Mann, der so schöne Feldzugspläne aussinnen kann?«
»Ja,« antwortete der Gefragte so naiv, so daß ich Mühe hatte, das Lachen zu unterdrücken.
»Well, Sir, dann mache ich Euch mein Kompliment, denn da hier meine alte Stute, die Tony, hat mehr Grütze im Kopfe, als Ihr jemals gesehen habt. Aus Euch kann noch etwas werden. Nehmt Euch nur in acht, daß sie Euch nicht einmal gar zum Präsidenten wählen! Bleib, Tony; ich komme gleich wieder!«
Der brave Bahnbeamte stand ganz verblüfft da und wußte sichtlich gar nicht, was er sagen sollte. Selbst wenn er Worte gefunden hätte, so wäre es unmöglich gewesen, sie an den Mann zu bringen, denn Sans-ear war im Dunkel der Nacht verschwunden. Ich fragte mich natürlich, was meinen guten Sam in so ganz außerordentlich schlechte Laune versetzt haben könne, und konnte nichts anderes denken, als daß der Grund in jenem Fred Morgan liegen müsse. Jedenfalls war dies kein Anderer als der weiße Bushheader, den ich von der Lokomotive gestoßen hatte. Wohin Sam jetzt gegangen war, konnte ich mir wohl denken; ich hätte baldigst ganz dasselbe getan, hatte aber bisher noch keine Zeit dazu gehabt. Nach einigen Minuten kehrte er zurück. Ich hatte mich niedergesetzt und sah den Vorbereitungen zu, welche man beim Scheine der aufflammenden Feuer zur Reparatur des Bahngeleises traf. Er nahm neben mir Platz; seine Miene war nicht freundlicher, sondern womöglich noch grimmbartiger geworden.
»Nun?« fragte ich ihn.
»Was nun?« herrschte er mich an.
»Sind sie tot?«
»Tot? Lächerlich! Wie können ein paar Indianerhäuptlinge tot sein, wenn Ihr ihnen auf den Kopf krabbelt, wie einer Fliege, die gejuckt sein will! Wißt Ihr, was ich vorhin dem Conductor sagte?«
»Was?«
»Daß die Tony mehr Grütze im Kopf hat, als er.«
»Weiter!«
»Denkt es Euch selbst! Die Tony hätte Ka-wo-mien und Ma-ti-ru zum Beispiel ganz tot geschlagen, statt nur halb. Sie sind fort!«
»Ist mir lieb!«
»Lieb? Das ist ja ganz pitiful, ganz und gar jammervoll, zwei solche Kerls laufen zu lassen, wenn man ihre Skalpe bereits in den Händen hat!«
»Ich habe Euch meine Gründe gesagt, Sam; drum laßt das Räsonnieren! Sagt lieber, was Euch die Laune so verdorben hat!«
»Well, ist auch danach. Wißt Ihr, wen ich getroffen habe?«
»Fred Morgan.«
»Egad! Wer hat es Euch gesagt?«
»Ihr habt den Namen ja laut genug gerufen, als Ihr den Mann erkanntet.«
»So! Weiß nichts davon. Ratet, wer der Kerl ist!«
Bei dieser Frage und dem wut-erhitzten Benehmen des alten Jägers kam mir ein Gedanke.
»Doch nicht etwa gar der Mörder Eures Weibes und Kindes!«
»Natürlich! Wer sonst?«
Ich fuhr empor.
»Das ist stark! Das ist viel! Habt Ihr ihn erwischt?«
Bei dieser Frage und dem wut-erhitzten Benehmen des alten Jägers kam mir ein Gedanke.
»Doch nicht etwa gar der Mörder Eures Weibes und Kindes!«
»Natürlich! Wer sonst?«
Ich fuhr empor.
»Das ist stark! Das ist viel! Habt Ihr ihn erwischt?«
»Entkommen ist mir der Halunke; fort ist der Schuft, weg über alle Berge! O, ich könnte mir die Ohren herausreißen vor Grimm, wenn ich noch welche hätte!«
»Ich sah doch, wie Ihr ihm zu Pferde nachschnelltet, mitten unter die Indianer hinein!«
»Hat nichts geholfen, gar nichts. Ich habe ihn gar nicht wiedergesehen. Vielleicht hat er sich zur Erde geworfen, so daß ich an ihm vorübergeritten bin. Aber mein wird er, finden muß ich ihn! Die Pferde sind fort, und so können wir uns an die Fußspuren halten.«
»Wird eine schwierige Aufgabe sein! Zwar sind die Spuren eines Weißen recht gut von der Fährte eines Roten zu unterscheiden, aber wer sagt Euch denn, daß er nicht klug genug ist, auch einwärts zu gehen, wie die Indianer? Und wird es auch immer ein Terrain geben, auf welchem die Fährte zu erkennen ist?«
»Ihr habt recht, Charley; aber was soll ich sonst tun?«
Ich griff in die Tasche und zog die zwei Beutel und die Papiere hervor, welche ich bei dem Pferde des Weißen gefunden hatte.
»Vielleicht finden wir hier einen Anhalt über das, was wir vorzunehmen haben.«
Ich öffnete die Beutel. Ganz in unserer Nähe brannte eines der Feuer; sein Schein fiel auf den Inhalt, den ich ganz deutlich zu erkennen vermochte. Ich stieß einen Ruf der Überraschung aus.
»Steine, echte Steine, Diamanten! Sam, ich halte einen außerordentlichen Reichtum in den Händen!«
Wo hatte sie dieser Bushheader her, und wie kamen sie mit ihm in die wilde Savanne? Auf eine rechtmäßige Weise konnte er sie nicht besitzen, das war sicher, und ich hatte unbedingt die Verpflichtung, den wahren Eigentümer ausfindig zu machen.
»Diamanten? s death, ists wahr? Zeigt her! Ich habe in meinem ganzen Leben zum Beispiel noch niemals das Glück gehabt, so ein teures Stückchen Erdreich zwischen meinen Fingern zu halten.«
Ich gab sie ihm hin.
»Es sind Brasilianer. Hier, schaut sie an!«
»Hm, was die Menschen doch für sonderbare Geschöpfe sind! Es ist doch nur Stein, nicht einmal ein rechtes, gutes Metall, nicht wahr, Charley?«
»Kohlenstoff, Sam, nichts als Kohlenstoff!«
»Kohlenstoff oder Koks meinetwegen; ich gebe für den ganzen Kram hier mein altes Schießeisen nicht hin! Was werdet Ihr mit den Schlacken tun?«
»Sie dem rechtmäßigen Eigentümer wiedergeben.«
»Und wer ist das?«
»Weiß es nicht, werde es aber wohl erfahren, denn ein so horribler Verlust wird nicht still ertragen, sondern in allen Zeitungen ausgeschrieben.«
»Hihihihi, so müssen wir gleich morgen abonnieren; nicht, Charley?«
»Ist vielleicht gar nicht nötig, am Ende finden wir in diesen Papieren irgend einen Aufschluß.«
»Da seht doch zum Beispiel gleich einmal nach!«
Ich tat es und fand zwei sehr gute Karten der Vereinigten Staaten und einen Brief, welchem das Kuvert fehlte. Er lautete:
»Galveston den .....
Lieber Vater!
Ich brauche Dich; komme so schnell wie möglich, ganz gleich, ob Dir Dein Streich mit den Steinen gelungen ist oder nicht. Reich werden wir auf alle Fälle. Mitte August triffst Du mich in der Sierra Rianca, da, wo der Rio Pecos zwischen dem Skettel- und Head-Pik heraustritt. Das Weitere nur mündlich.
Dein Patrik.«
Das Datum war bei Galveston abgerissen; ich konnte also nicht bestimmen, wann der Brief geschrieben worden war. Ich las ihn Sam vor.
»Behold,« meinte dieser, als ich fertig war; »das stimmt, denn sein Bube heißt zum Beispiel gar nicht anders als Patrik, und grad diese beiden fehlen mir noch zu meinen zehn, die ich haben muß. Aber sagt, wie heißen denn die beiden Berge?«
»Der Skettel- und der Head-Pik.«
»Kennt Ihr sie?«
»Ein wenig. Ich war von Santa Fe aus in den Organosbergen, und da es in der Sierra Rianca und Sierra Guadelupe Bären geben sollte, so machte ich einen Abstecher dahin.«
»Und kennt Ihr auch den Rio Pecos?«
»Sehr gut.«
»Dann seid Ihr der Mann, den ich brauche. Wir wollten nach Texas und Mexiko und können uns nebenbei einige Schritte weiter nach rechts halten. Übrigens wollte ich nur dorthin, weil ich zum Beispiel dachte, meine Leute dort zu finden; da sie uns aber so schön sagen, wo sie zu finden sind, so wäre ich ja ein Narr, wenn ich sie nicht einmal den alten Sans-ear mit seiner Tony sehen ließe. Geht Ihr mit, wenn wir morgen früh keine Spur von diesem Fred Morgan finden?«
»Natürlich! Ich muß ihn haben, denn bei ihm werde ich am sichersten erfahren, wem die Steine gehören.«
»Dann steckt diese Sachen wieder ein und laßt uns sehen, was die Railroader machen!«
Der Conductor hatte meinem Rate gemäß Wachen ausgestellt. Das Zugpersonal war nebst den Bahnarbeitern beschäftigt, den zerstörten Schienenweg wieder herzustellen, und die Passagiere standen teils dabei, um zuzuschauen, teils beschäftigten sie sich mit den Leichen der Gefallenen oder betrachteten uns Beide, deren Unterhaltung sie nicht zu stören gewagt hatten. Jetzt, da wir uns erhoben, traten einige zu uns heran, um uns ihren Dank für unsere Teilnahme abzustatten. Sie waren verständiger als der Zugführer und fragten uns, in welcher Weise sie uns ihre Erkenntlichkeit in Form eines Geschenkes erweisen könnten. Ich bat, mir Pulver, Blei, Tabak, Brot und Zündhölzer kaufen zu dürfen, wenn etwas von diesen Artikeln vorhanden sein sollte, und sofort griff jeder in seinen Vorrat, so daß wir mehr als reichlich mit dem Gewünschten versehen wurden. Eine Bezahlung, welche rundweg abgeschlagen wurde, konnte ich natürlich nicht aufdrängen.
So verging die kurze Zeit, welche zur Reparatur vonnöten war; die Werkzeuge wurden wieder aufbewahrt, und der Conductor trat zu uns, indem er fragte:
»Wollt Ihr mit einsteigen, Meschschurs? ich nehme Euch gerne eine Strecke mit, so weit es Euch gefällt.«
»Danke, Sir! Wir bleiben hier,« antwortete ich.
»Ganz wie Ihr wollt. Ich habe natürlich über das heutige Ergebnis einen Bericht abzustatten und werde nicht verfehlen, Eurer ehrenvoll zu erwähnen; eine Belohnung wird dann jedenfalls nicht ausbleiben.«
»Danke; wird uns nichts nützen, da wir nicht im Lande bleiben!«
»Wem gehören die Trophäen, welche hier erbeutet werden?«
»Nach dem Gesetze der Savanne gehört alles Eigentum des Besiegten dem Sieger.«
»Wir haben gesiegt, folglich können wir den Indsmen abnehmen, was sie bei sich tragen. Greift zu, ihr Leute! Wir müssen doch jeder ein Andenken an den heutigen Kampf aufzuweisen haben!«
Da trat Sam nahe zu ihm heran und sagte:
»Wollt Ihr uns wohl den Indianer zeigen, den Ihr besiegt und getötet habt, Sir?«
Der Mann sah ihn einigermaßen verblüfft an.
»Wie meint Ihr das?«
»Wenn Ihr einen getötet habt, so könnt Ihr seine Habseligkeiten zum Beispiel an Euch nehmen, sonst aber nicht.«
»Sam, laßt Ihnen das Vergnügen,« wandte ich mich zu dem Gefährten, »wir brauchen ja nichts von alledem!«
»Wenn Ihr meint, so mag es sein; aber die Skalpe rührt Ihr uns nicht an!«
»Und den ermordeten Wärter nehmt Ihr mit, der da drüben liegt,« fügte ich hinzu; »das ist ja Eure Schuldigkeit!«
Dieser Wunsch mußte mir natürlich erfüllt werden. Die toten Indianer wurden aufgesucht und ihrer Waffen und sonstigen Habseligkeiten beraubt; dann lud man die toten Weißen in einen Wagen ein kurzer Abschied, und der Zug dampfte davon. Einige Zeit lang noch vernahmen wir das immer schwächer werdende Rollen; dann waren wir wieder allein in der weiten, stillen Savanne.