Winnetou 4 - Karl May 2 стр.


Young Surehand.

Young Apanatschka.«

Diese Zuschrift hatte Hände und Füße. Sie machte mir Freude, obgleich sie von den beiden »Jungens« nur zu dem Zweck, mir einen tüchtigen Rippenstoß zu versetzen, in dieser Weise verfaßt worden war. Wer meine beiden Reiseerzählungen »Winnetou« und »Old Surehand« gelesen hat, kann sich sehr leicht denken, wer diese beiden Boys sind. Wer sie noch nicht gelesen hat, den muß ich bitten, dies nachzuholen, um den vorliegenden Band, der zu gleicher Zeit auch der vierte Band von »Old Surehand« und »Satan und Ischariot« ist, verstehen zu können.

Wie man sich erinnern wird, hatte sich herausgestellt, daß Old Surehand und Apanatschka Brüder waren, die man ihrer Mutter, einer körperlich, seelisch und geistig hochbegabten Indianerin, unterschlagen hatte. Um diesen Raub aufzuklären, hatte sie, als Indianer verkleidet, unter dem Namen Kolma Putschi viele Jahre lang die Städte des Ostens, die Savannen und die Urwälder durchforscht, ohne dieses Ziel zu erreichen, bis es Winnetou und mir gelang, die von ihr gesuchten Spuren und infolgedessen dann auch die beiden Söhne zu entdecken, den einen als hochberühmten Westmann und den andern als nicht weniger berühmten Komantschenhäuptling, zwei außerordentlich wertvolle Menschen, deren Freundschaft mir treugeblieben ist, trotz aller Wandlungen, welche sowohl ihr als auch mein Leben seit damals durchzumachen hatte.

Beide heirateten später ein schönes, intelligentes Schwesternpaar aus dem besonderen Stamm Winnetous, also der Mescaleroapatschen, und jedem von ihnen war sodann die Freude beschert, einen Sohn zu besitzen, auf den alle Begabungen Kolma Putschis in noch vermehrtem Grad vererbt worden waren. Sie hatten die Mittel, diese Gaben ausbilden zu lassen. Young Surehand und Young Apanatschka wurden nach dem Osten gebracht, um Künstler zu werden, der erstere Architekt und Bildhauer und der letztere Maler und Bildhauer. Die auf sie gesetzten Hoffnungen erfüllten sich. Sie gingen später auf einige Jahre nach Paris, um dort die berühmtesten Ateliers zu studieren, dann nach Italien und endlich gar nach Ägypten, wo sie sich die Aufgabe stellten, sich dort mit den Gesetzen der einstigen Gigantenkunst vertraut zu machen. Auf dem Rückweg kamen sie über Deutschland, um mich aufzusuchen. Sie waren mir sehr sympathisch. Ich hatte meine Freude an ihnen, und zwar nicht allein deshalb, weil sie meinen unvergleichlichen Winnetou fast als einen Halbgott verehrten. Auch ihr künstlerisches Wollen und Können war hervorragend und schien noch wachsen zu können. Leider aber war es in echt amerikanischer Weise auf den Abweg des Busineß hinübergeleitet worden, und so geschah es, daß sie von mir anstatt eines Lobes eine sehr ernste Warnung zu hören bekamen, die sie mir, wie ich aus ihrem Brief ersah, bis heute noch nicht vergessen und vergeben hatten. Dies war wohl auch der Grund, daß ich weder von ihren Vätern noch von ihnen selbst über ihre Zukunftspläne und ihr jetziges künstlerisches Schaffen unterrichtet worden war. Ganz besonders schweigsam gegen mich aber verhielt man sich über die Gründe, welche die beiden jungen Leute veranlaßt hatten, grad die Kolossaldarstellungen der alten Ägypter zu studieren. Das hatte Geheimnis bleiben sollen. jetzt aber begann ich zu ahnen, daß die »Meisterwerke«, zu deren Begutachtung ich eingeladen war, hierzu in Beziehung standen.

Ich kann ganz und gar nicht behaupten, daß die Briefe, welche in so schneller Folge bei mir anlangten, mir Freude bereiteten. Warum sagte man mir nicht gleich offen und ehrlich, um was es sich eigentlich handelte? Wozu diese heimliche Campmeetingspielerei? Große und fruchtbare Gedanken werden in heiliger, unberührter Einsamkeit geboren, nicht aber in langen Reden, die doch nur auf kurze Erfolge berechnet sein können! Warum diese Trennung der alten Häuptlinge von den jungen? Wozu noch extra die roten Frauen? Wer waren die »außerdem berühmten roten Männer und roten Frauen«? Etwa die Herren dieses mir so sonderbar, ja sogar verdächtig vorkommenden Komitees? Sie wollten das Schlußmeeting leiten, also die Beschlüsse sämtlicher Versammlungen beeinflussen und korrigieren! Die Namen der beiden Professoren, geborener Indianer, kannte ich. Sie hatten einen guten Klang. Aber den Ton, in dem sie an mich schrieben, hätte sich kein Sam Hawkens, kein Dick Hammerdull und kein Pitt Holbers gefallen lassen. Der Schriftführer und der Kassierer waren mir vollständig fremd. Und Old Surehand als Direktor? Was sollte das heißen? Wozu hier einen besonderen »Direktor«? Etwa um die moralische Verantwortung oder gar die pekuniäre Garantie auf ihn zu werfen? Old Surehand war ein Westmann allerersten Ranges gewesen; aber ob er auch imstande war, es mit der geschäftlichen Smartneß eines geriebenen, amerikanischen Pfiffikus aufzunehmen, das wußte ich leider nicht. Die Sache kam mir um so bedenklicher vor, je länger und intensiver sie mich beschäftigte. Auch meiner Frau gefiel sie nicht. Und weil ich sie hierbei mit erwähne, so sei zugleich gesagt, daß auch sie ein Schreiben bekam, nämlich folgendes:

»Meine liebe, weiße Schwester!

Nun werden meine Augen Dich endlich, endlich sehen; meine Seele sah Dich schon längst. Der Gebieter Deines Hauses und Deiner Gedanken wird nach dem Mount Winnetou kommen, um mit uns über Großes und Schönes zu beraten. Ich weiß, er wird diese Reise nicht tun, ohne daß Du ihn begleitest. Ich bitte Dich, ihm zu sagen, daß ich das beste unserer Zelte für Dich und ihn bereithalten werde und daß ich Dein Kommen vorempfinde als einen lieben, warmen Strahl der Sonne, die meinem Leben unbekannt gewesen ist bis nun, da es zum Scheiden gehen will. So komm also, und bring mir Deine Menschenliebe, Deine Herzensgüte und Deinen Glauben an den großen, gerechten Manitou, den ich gern ebenso deutlich fühlen möchte, wie Du, meine Schwester, ihn fühlst.

Kolma Putschi.«

Ich muß erwähnen, daß das Herzle mit Kolma Putschi in Briefwechsel stand und heut noch steht, und daß diese Zuschrift nicht ohne Einfluß auf unsere Entschließungen war. Wenn ich wirklich ging, so verstand es sich nun ganz von selbst, daß ich diese Reise nicht allein unternahm. Es liefen noch mehrere Briefe ein. Ich wähle unter ihnen nur noch einen aus, weil er mir als der wichtigste von allen erscheint, die ich über diesen Gegenstand bekam. Er war von einer geradezu kalligraphisch geübten Hand auf sehr gutes Papier geschrieben und in das große Totem dessen, der ihn diktiert hatte, gehüllt. Dieses Totem bestand aus papierdünnem Antilopenleder, welches durch eine Behandlung, die nur die Indsmen kennen, die Weiße des Schnees und die Glätte des Porzellans erhalten hatte. Die einpunktierten Charaktere waren mit Zinnober und einer andern, mir unbekannten Farbe rot und blau gefärbt. Der Inhalt lautete:

»Mein weißer, älterer Bruder!

Ich fragte Gott nach Dir. Ich wollte wissen, ob Du noch unter Denen weilst, von denen man sagt, daß sie leben. Die Antwort kam durch die Benachrichtigung, daß man Dich eingeladen habe, an den Septemberberatungen hier in meinen Bergen, deren heilige Stille und Ruhe für immer vernichtet werden soll, teilzunehmen. Sei um aller Derer willen, die Du einst hier liebtest und vielleicht noch heute liebst, gebeten, diesem Ruf Folge zu leisten. Eile herbei, wo Du auch seist, und rette Deinen Winnetou! Man will ihn falsch verstehen, und man will auch mich nicht begreifen. Du hast weder mich, noch habe ich Dich jemals gesehen. Wie ich nie einen Laut Deiner Stimme vernahm, so hörtest auch Du niemals den Klang der meinigen. Heut aber schreit meine Angst weit über das Meer hinüber zu Dir, so laut, so laut, daß Du es hören wirst und unbedingt kommen mußt.

Niemand weiß, daß ich Dich rufe. Nur der dies schreibt, mußte es erfahren. Er ist meine Hand; er schweigt. Wende Dich, bevor Du hier erscheinst, nach dem Nugget-tsil. Die mittelste der fünf großen Blaufichten wird zu Dir sprechen und Dir sagen, was ich diesem Papier nicht anvertrauen kann. Ihre Stimme sei Dir wie die Stimme Manitous, des großen, ewigen und alliebenden Geistes! Ich bitte Dich noch einmal: Komm, o komm, und rette Deinen Winnetou. Man will ihn Dir erwürgen und erschlagen!

Niemand weiß, daß ich Dich rufe. Nur der dies schreibt, mußte es erfahren. Er ist meine Hand; er schweigt. Wende Dich, bevor Du hier erscheinst, nach dem Nugget-tsil. Die mittelste der fünf großen Blaufichten wird zu Dir sprechen und Dir sagen, was ich diesem Papier nicht anvertrauen kann. Ihre Stimme sei Dir wie die Stimme Manitous, des großen, ewigen und alliebenden Geistes! Ich bitte Dich noch einmal: Komm, o komm, und rette Deinen Winnetou. Man will ihn Dir erwürgen und erschlagen!

Tatellah-Satah,

der Bewahrer der großen Medizin.«

Was den in diesem Brief erwähnten Nugget-tsil betrifft, so versteht man unter Nuggets die mehr oder weniger großen, gediegenen Goldkörner, welche von den Goldsuchern entweder einzeln, zuweilen aber auch in ganzen, reichhaltigen Nestern gefunden werden. Tsil bedeutet in der Apatschensprache soviel wie Berg. Nugget-tsil heißt also soviel wie »Goldkörnerberg«. Auf diesem Berg sind bekanntlich der Vater und die Schwester meines Winnetou von einem gewissen Sander ermordet worden. Später, kurz vor dem Tod Winnetous, den er im Innern des Hancockberges fand, teilte er mir mit, daß er sein Testament für mich auf dem Nugget-tsil vergraben habe, und zwar zu Füßen seines dort bestatteten Vaters; ich werde da viel Gold zu sehen bekommen, sehr viel Gold. Als ich hierauf nach dem Nugget-tsil ritt, um das Testament zu holen, wurde ich dabei von diesem Sander überrascht und von einer Schar von Kiowa-Indianern, bei denen er sich befand, gefangengenommen. Der Anführer dieser Schar war der damals noch jugendliche Pida, der mich jetzt, nach über dreißig Jahren, in dem Brief seines Vaters, des ältesten Häuptlings Tangua, aus seiner »Seele« grüßte. Sander stahl das Testament und entfloh mit ihm, um das Gold zu holen, dessen Fundstelle in der letztwilligen Verfügung Winnetous beschrieben war. Ich machte mich von den Kiowas frei und eilte ihm nach. Ich kam an Ort und Stelle an, als er den Schatz soeben gefunden hatte. Das Versteck lag auf einem hohen Felsen am Ufer des einsamen Bergsees, den man »Das dunkle Wasser« zu nennen pflegt. Als er mich sah, schoß er auf mich. Was dann geschah, das ist im letzten Kapitel von »Winnetou«, Band III, zu lesen.

Und in Beziehung auf Tatellah-Satah, den »Bewahrer der großen Medizin«, mußte ich gestehen, daß es stets einer meiner Herzenswünsche gewesen war, diesen geheimnisvollsten aller roten Männer einmal zu sehen und zu sprechen; nie aber hatte eine Gelegenheit bereit gestanden, mir dieses wirklich herzliche Verlangen zu erfüllen. Tatellah-Satah ist ein Name, welcher der Taossprache angehört und wörtlich übersetzt »Tausend Sonnen« heißt, in seiner Anwendung aber »Tausend Jahre«, bedeutet. Der Träger desselben hatte also ein so ungewöhnliches, ja außerordentliches Alter, daß man die Höhe des letzteren unmöglich bestimmen konnte. Ganz ebensowenig wußte man, wo er geboren worden war. Er gehörte keinem einzelnen Stamm an. Er wurde von allen roten Völkern und Nationen gleich hoch verehrt. Was Hunderte und Aberhunderte von einzelnen Medizinmännern im Laufe der Zeit an Geistesgaben und Kenntnissen besessen hatten, das sprach man ihm, dem Höchstgestiegenen, in voller Summe zu. Um zu begreifen, was das heißt, muß man wissen, daß es grundfalsch ist, sich einen indianischen »Medizinmann« als einen Kurpfuscher, Regenmacher und Gaukler vorzustellen. Das Wort Medizin hat in dieser Zusammensetzung nicht das Allergeringste mit der Bedeutung zu tun, die es bei uns besitzt. Es ist für die Indianer ein fremder Ausdruck, dessen Sinn sich bei ihnen derart verändert hat, daß wir uns dabei grad das Gegenteil von dem zu denken haben, was wir uns bisher dabei dachten.

Als die Roten die Weißen kennenlernten, sahen, hörten und erfuhren sie gar manches, was ihnen gewaltig imponierte. Am meisten aber erstaunten sie über die Wirkung unserer Arzneimittel, unserer Medizinen. Die Sicherheit und Nachhaltigkeit dieser Wirkung war ihnen schier unbegreiflich. Sie erkannten die unendliche Größe der göttlichen Liebe, welche sich in diesem Geschenk des Himmels an das Geschlecht der Menschen offenbarte. Sie hörten das Wort Medizin zum erstenmal, und sie verbanden mit ihm den Begriff des Wunders, des Segens, der göttlichen Liebe und des für die Menschen unbegreiflichen Geheimwirkens in heiligster Verborgenheit. Kurz, der Ausdruck »Medizin« wurde für sie gleichbedeutend mit dem Wort Mysterium. Sie nahmen die Benennung »Medizin« in alle ihre Sprachen und Dialekte auf. Alles, was mit ihrer Religion, ihrem Glauben und ihrem Forschen nach ewigen Dingen in Beziehung stand, wurde als »Medizin« bezeichnet. Ebenso auch alle diejenigen Tatsachen europäischer Wissenschaft und europäischer Zivilisation, die sie nicht begreifen konnten, weil sie weder die Anfänge noch die Entwickelungen derselben kannten. Sie waren aufrichtig und ehrlich genug, unumwunden zuzugeben, daß die Vorzüge der Bleichgesichter zahlreicher und größer seien als diejenigen der roten Männer. Sie trachteten, den ersteren nachzueifern. Sie nahmen von ihnen vieles Gute, leider aber auch vieles Böse an. Sie waren so kindlich und so naiv, so manches, was bei den Weißen nur auf dem Fuß des Gewöhnlichen oder gar des Niedrigen stand, für ungewöhnlich, für hoch, für heilig zu halten und sich für immer anzueignen, ohne vorher zu prüfen und ohne zu fragen, welche Folgen das bringen werde. So nahmen sie auch das Wort »Medizin« bei sich auf und bezeichneten damit ihr Allerhöchstes und Allerheiligstes, ohne zu wissen, daß sie gerad dieses Höchste und Heiligste damit beleidigten und entwürdigten. Denn zu der Zeit, als sie dies taten, hatte der Ausdruck Medizin nicht etwa den guten, ehrenden Klang wie heut. Er besaß den starken Beigeschmack von Hokuspokus, Quacksalberei und Windbeutelei, und als die Indianer in ihrer Unbefangenheit die Träger ihrer allerdings noch bei den Anfängen stehenden Theologie und Wissenschaft als »Medizinmänner« bezeichneten, ahnten sie nicht, daß sie damit den bisherigen guten Ruf dieser Leute für immer vernichteten.

Wie hoch diese letzteren standen, ehe sie Gelegenheit hatten, die »Zivilisation« der Weißen kennenzulernen, ersehen wir heutigen Tages erst nach und nach, indem wir unsere Forschung tiefer und tiefer in die Vergangenheit der amerikanischen Rasse hinuntersteigen lassen. Diese Vergangenheit zeigt uns zahlreiche Punkte, auf denen die Völker Amerikas auf gleicher Stufe mit den Weißen standen. Alles, was bei jenen Völkern und in jenen Reichen Gutes, Großes und Edles geschah, entsprang jenen geistigen Quellen und den Köpfen jener Männer, welche von ihren Nachkommen später als »Medizinen« und »Medizinmänner« bezeichnet wurden. Hiermit sind Theologen, Politiker, Strategen, Astronomen, Tempelbaumeister, Maler, Bildhauer, Quipu-Entzifferer, Professoren, Aerzte, kurz, alle diejenigen Personen und Stände zusammengefaßt, durch welche die intellektuellen und ethischen Potenzen jener Zeiten sich betätigten. Es gab unter diesen später als »Medizinmänner« bezeichneten Koryphäen genau ebenso berühmte und hochberühmte Namen wie in der Entwicklungsgeschichte der asiatischen und europäischen Rassen, und sie sind nicht für immer, sondern nur für einstweilen verschollen, weil unsere Kenntnis und unser Verständnis noch nicht soweit vorgeschritten sind, jenes geschichtliche Dunkel zu erleuchten. Wenn die Medizinmänner der Gegenwart nicht mehr die Medizinmänner der Vergangenheit sind, so trägt der Indianer gewiß nicht allein die Schuld daran. Die geistige Elite der Inkas, der Tolteken und Azteken, also die »Medizinpflegerschaft« der Peruaner und Mexikaner, stand gewiß nicht auf einem sehr viel niedrigeren Niveau als die Abenteurer eines Cortez und Pizarro, und wenn diese damalige Höhe sich infolge der spanischen Invasion zur heutigen Tiefe neigte, so daß wir jetzt die Indianer einfach und kurzerhand als »Wilde« bezeichnen, so brauchen wir uns nicht darüber zu wundern, daß auch ihre Medizinmänner mit herabgekommen sind. Sie waren gezwungen, diesen Niedergang mitzumachen.

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