Burgund. So bedaure ich denn, daß ihr einen Vater so verlohren habet, daß ihr auch einen Gemahl verlieren müßt.
Cordelia. Friede sey mit Burgund! weil Absichten auf Vermögen seine Liebe sind, so werde ich nicht sein Weib werden.
Frankreich. Schönste Cordelia; desto reicher, weil du arm bist, desto wählenswürdiger, weil du vergessen, und desto geliebter, weil du verschmähet wirst. Hier bemächtige ich mich deiner und deiner Tugenden, wenn es anders erlaubt ist zu nehmen, was andre verworffen haben. Ihr Götter! wie seltsam, daß die kälteste Gleichgültigkeit meine Liebe zu flammender Ehrfurcht anfachen soll! Deine enterbte Tochter, König, von dir verworffen, und meiner Willkuhr überlassen, ist Königin von Mir, von Frankreich, und von allem was mein ist. Alle Herzoge des wasserreichen Burgunds können dieses ungeschäzte theure Mädchen nicht von mir erkauffen. Gieb ihnen das lezte Lebewohl, Cordelia, so ungütig sie sind; du verlierst hier, anderswo etwas bessers zu finden.
Lear. Du hast sie, Frankreich! Laß sie dein seyn, denn wir haben keine solche Tochter, noch werden wir dieses ihr Gesicht jemals wieder sehen. Gehet also, ohne unsre Gnade, unsre Liebe, und unsern Segen. Komm, edler Burgund!
(Lear und Burgund gehen ab.)
Frankreich.
Beurlaubet euch von euern Schwestern.
Cordelia. Ihr Kleinode euers Vaters, mit gebadeten Augen verläßt euch Cordelia; ich weiß wer ihr seyd, und bin als eine Schwester gar nicht geneigt, eure Fehler mit ihrem eignen Namen zu nennen. Liebet unsern Vater in der That. Euerm Liebe-athmenden Busen empfehle ich ihn! Und doch, stünde ich in seiner Gnade, ich wollte ihm einen bessern Plaz anweisen. So lebet wol!
Regan.
Ihr habt nicht nöthig, uns unsre Pflicht vorzuschreiben.
Gonerill.
Laßt ihr eure Sorge seyn, euerm Gemahl zu gefallen, der euch vom Allmosen des Glüks aufgenommen; ihr habt durch Mangel an Gehorsam den Mangel wol verdienet, auf den ihr noch stolz zu seyn scheint.
Cordelia. Die Zeit wird enthüllen, was die gefaltete List verbirgt. Wol mög' es gehen!
Frankreich.
Komm, meine schöne Cordelia.
(Frankreich und Cordelia gehen ab.)
{ed. In Wielands Übersetzung blieben dritter und vierter Auftritt ohne Überschrift.}Fünfter Auftritt
Gonerill. Schwester, es ist nicht wenig, was ich über Dinge, die uns beyde angehen, zu sagen habe. Ich denke, unser Vater wird diese Nacht von hier abgehen.
Regan.
Das ist gewiß, und mit Euch; den künftigen Monath zu Uns.
Gonerill. Ihr sehet, wie veränderlich ihn sein Alter macht; die Gelegenheit die wir hatten, diese Beobachtung zu machen, war nicht gering. Er liebte unsre Schwester immer vorzüglich, und aus was für einem armseligen Grund er sie izt weggeworffen, ist nur allzu offenbar.
Regan. Es ist die Schwachheit seines Alters; und doch hat er sich selbst allezeit nur obenhin gekannt.
Gonerill. Das Beste und Gesundeste was er in seiner Zeit that, war übereilt; was können wir also anders erwarten, als nicht nur alle Fehler einer lang eingewurzelten Gewohnheit; sondern überall diese unlenksame Wunderlichkeit, die ein schwaches und cholerisches Alter mit sich bringt.
Regan. Wir werden noch manche solche unverständige Grillen von ihm erfahren, wie Kents Verbannung war.
Gonerill.
Der Abschied zwischen ihm und Frankreich ist noch ein solches Beyspiel. Ich bitte euch, laßt uns gemeinschaftlich zu Werke gehen.
Wenn unser Vater das königliche Ansehen mit einer solchen Gemüths-
Beschaffenheit beybehält, so ist seine lezte Abdankung vielmehr etwas beleidigendes.
Regan.
Wir wollen weiter über diese Sache denken.
Gonerill.
Wir müssen irgend etwas thun, und das in der ersten Hize.
(Sie gehen ab.)
Sechster Auftritt
(Die Scene verändert sich in ein Schloß des Grafen von Gloster.)
Edmund (mit einem Briefe.) Du, Natur, bist meine Göttin! Deinem Gesez allein will ich dienstbar seyn. Warum sollte ich mich selbst in den Cirkel der Gewohnheit bannen, warum die ungerechte Gewohnheit der Völker, mich des Rechts das du mir giebst, entsezen lassen? Bloß darum, weil ich zwölf oder vierzehn Mondscheine vor einem Bruder kam? Warum Bastard? Warum unedel? Wenn ich eben so wol gemacht, von Geist so edel, von Gestalt so ächt bin als die Geburt der ehrlichen Madam. Warum brandmahlen sie uns so mit Namen von böser Ahnung? Unächt, ehrlos, Bastard? Wie? Ich unächt? Ich,2 der in der verstohlnen Lust der üppigen Natur mehr Stoff und Feuer erhielt, als jener der in einem abgeschmakten, schaalen, langweiligen Ehebette, bestimmt eine ganze Zucht von Dumköpfen auszuheken, zwischen Schlaf und Wachen gezeugt ward? Wohl dann, mein ächter Edgar! Mir fehlt nichts als deine Güter. Unsers Vaters Liebe ist zu dem Bastard Edmund was zu dem ächten Sohn ein feines Wort ächt! Nun wohl, mein ächter Herr, laß nur diesen Brief und meinen Anschlag glüken, so wird Bastard Edmund der ächte seyn. Ich wachse, ich gedeyhe! Wohlan, ihr Götter, haltet fest auf der Parthey der Bastarde! Ihr habt es wol Ursache.3
Siebender Auftritt
(Gloster. Edmund.)
Gloster. Kent verbannt! und Frankreich im Zorn entlassen! und der König bey Nacht abgereist! Seine Gewalt abgetreten! Sein Unterhalt sogar fremder Willkuhr überlassen! Alles geht unter über sich Edmund? Wie steht's? Was Neues?
Edmund.
Mit Euer Gnaden Erlaubniß, nichts.
Gloster.
Warum eilt ihr so eifrig, diesen Brief einzusteken?
Edmund.
Ich weiß nichts neues, Mylord.
Gloster.
Was für ein Papier laset ihr da?
Edmund.
Nichts, Mylord.
Gloster. Wozu war es denn vonnöthen, mit einer so entsezlichen Eilfertigkeit in eure Tasche damit zu fahren? Laßt es sehen! Kommt, wenn es nichts ist, so werde ich keine Brille dazu brauchen.
Edmund. Ich bitte Euer Gnaden um Vergebung, es ist ein Brief von meinem Bruder, den ich noch nicht ganz überlesen habe; und so viel als ich davon gelesen, finde ich ihn nicht so beschaffen, daß Ihr ihn sehen dürftet.
Gloster.
Gebt mir den Brief, Sir.
Edmund. Ich vergehe mich, wenn ich ihn zurük behalte, und wenn ich ihn gebe; der Inhalt, so viel ich zum theil davon verstehe, ist zu tadeln.
Gloster.
Laß sehen, laß sehen.
Edmund. Ich hoffe zu meines Bruders Rechtfertigung, er schreibe ihn nur, meine Tugend auf die Probe zu stellen.
Gloster (ließt.) "Diese durch die Geseze eingeführte Ehrfurcht vor dem Alter macht die Welt für unsre besten Jahre unbrauchbar, und enthält uns unser Vermögen vor, bis wir es nimmer geniessen können. Ich fange an, eine alberne und allzu gutherzige Sclaverey in der Unterwerffung unter bejahrte Tyranney zu finden, welche nicht herrschet, weil sie Gewalt hat, sondern weil sie geduldet wird. Wenn unser Vater so lange schliefe bis ich ihn wekte, so solltet ihr auf immer die Helfte seiner Einkünfte geniessen, und der Liebling euers Bruders Edgar seyn." Hum! Verrätherey! schlieffe, bis ich ihn wekte solltet ihr die Helfte seiner Einkünfte geniessen Mein Sohn Edgar! Hat er eine Hand diß zu schreiben? Ein Herz und ein Gehirn, diß auszubrüten? Wenn kam euch diß zu? Wer bracht es euch?
Edmund. Es wurde mir nicht gebracht, Mylord; das ist die List davon. Ich fand es durch ein Fenster in mein Cabinet geworffen.
Gloster.
Kennet ihr die Hand, daß sie euers Bruders ist?
Edmund. Wenn der Inhalt gut wäre, Mylord, so wollte ich schwören, es wäre die seinige; aber so wie er ist, möchte ich gerne denken, es wäre nicht so.
Gloster.
Es ist seine Hand.
Edmund. Seine Hand ist es, Mylord, aber ich hoffe sein Herz ist nicht in dem Inhalt.
Gloster.
Hat er euch vorher niemals über diesen Punct ausgeforschet?
Edmund. Niemals, Mylord. Doch hab ich ihn oft behaupten gehört, es wäre am schiklichsten, wenn Söhne bey reiffen Jahren, und Väter auf der Neige seyen, daß der Vater unter der Vormundschaft des Sohnes stehen, und dieser das Vermögen verwalten sollte.
Gloster.
O! Bösewicht! Bösewicht! Eben das ist die Meynung seines Briefes.
Abscheulicher Bösewicht! Unnatürlicher, entsezlicher, viehischer Bösewicht! Geh', suche ihn, ich will ihn fest machen lassen.
Schändlicher Bube! wo ist er?
Edmund. Ich weiß es nicht eigentlich, Mylord. Wenn es Euer Gnaden belieben möchte, Euern Unwillen über meinen Bruder noch zurük zu halten, bis Ihr ein gewisseres Zeugniß von seinen Absichten aus ihm heraus gebracht hättet, so würdet Ihr desto sicherer gehen; da hingegen, wenn Ihr gewaltthätig mit ihm verfahret, und sich's fände, daß Ihr über seine Absicht geirret hättet, so würde das Eurer eignen Ehre eine grosse Wunde beybringen, und das Herz seines Gehorsams in Stüken zerschlagen. Ich wollte mein Leben für ihn verpfänden, daß er das nur schrieb, meine Liebe zu Euer Gnaden zu versuchen, und daß er nichts böses damit meynte.
Gloster.
Denket ihr das?
Edmund. Wenn Euer Gnaden es gut finden, will ich Euch an einen Ort stellen, wo Ihr uns beyde über diese Sache reden hören, und durch das Zeugniß Eurer eignen Ohren befriediget werden könnt; und das ohne längern Aufschub, diesen Abend noch.
Gloster.
Nein! er kan nicht ein solches Ungeheuer seyn!
Edmund.
Auch ist er es gewiß nicht!
Gloster.
Gegen einen Vater, der ihn so zärtlich liebt Himmel und Erde!
Edmund, such ihn auf; mache daß ich ihn ungesehen hören kan, veranstalte die Sache nach deiner eignen Klugheit. Ich will den Vater ablegen, um nur nach den Gesezen der Gerechtigkeit zu handeln.
Edmund. Ich will ihn sogleich aufsuchen; ich will die Sache so einleiten, wie es die Umstände erfodern, und euch von allem Nachricht geben.
Gloster. Diese neuerlichen Verfinsterungen der Sonne und des Monds bedeuten uns nichts Gutes. Wenn schon die Ordnung der allezeit weisen Natur nicht dadurch aufgehoben wird, so leidet sie doch unter den Folgen. Die Liebe erkaltet, die Freundschaft fällt ab, Brüder trennen sich. In Städten Aufruhr; in Provinzen Zwietracht; in Pallästen Verrätherey; und das Band zwischen Sohn und Vater aufgelöst. Dieser mein Bösewicht fällt unter die Weissagung Hier ist ein Sohn wider den Vater; der König tritt aus dem Gleise der Natur Hier ist ein Vater wider sein Kind. Wir haben das Beste von unsrer Zeit schon gesehen. Untreue, Ränke, Verrath und alle verderbliche Unordnungen verfolgen uns bis in unser Grab. Suche diesen Buben auf, Edmund; es soll dir keinen Schaden bringen Thu es mit Sorgfalt und der edle treuherzige Kent verbannt! Sein Verbrechen, Redlichkeit! das ist wunderlich!
(Geht ab.)
Achter Auftritt
Edmund (kommt zurük.) Es ist doch eine vortreffliche Narrheit der Welt, daß wenn wir meistens durch eigne Schuld unglüklich sind, wir auf Sonne, Mond und Sterne die Schuld unsrer Unfälle werfen, und uns bereden möchten, wir seyen Bösewichter durch fatale Nothwendigkeit, Thoren durch himmlischen Antrieb, feige Memmen, Diebe und Spizbuben durch die Obermacht der Sphären; Säuffer, Lügner und Ehebrecher durch einen unwiderstehlichen Einfluß der Planeten; und alles, worinn wir schlimm sind, durch göttliches Verhängniß. Eine unvergleichliche Ausflucht für den H** Jäger, den Menschen, seine bökische Neigungen auf Rechnung der Gestirne zu schreiben. Mein Vater hielt mit meiner Mutter unter dem Drachenschwanz zu, und unter dem Einfluß des grossen Bären wurde ich gebohren; folglich kan ich nicht anders als rauh und schelmisch seyn. Wahrhaftig, ich würde gewesen seyn wer ich bin, wenn gleich der allerjungfräulichste Stern am ganzen Firmament über meine Bastardisation gefunkelt hätte.
Neunte Scene.
(Edgar kömmt zu ihm.)
Edmund.
Husch! Er kömmt gleich der Entwiklung in der alten Comödie.4 Meine Rolle ist, spizbübische Melancholie mit einem Seufzer, wie Tom von Bedlam O! diese Finsternisse bedeuten solche Mißhelligkeiten! fa, sol, la, mi,
Edgar.
Wie stehts, Bruder Edmund, in was für einer tiefsinnigen Betrachtung seyd ihr begriffen?
Edmund. Ich denke, Bruder, an eine Weissagung, die ich dieser Tagen las, was auf diese Verfinsterungen folgen würde.
Edgar.
Bekümmert ihr euch um solche Dinge?
Edmund. Ich versichre euch, diese Weissagungen treffen zum Unglük nur gar zu wol ein. Wenn sahet ihr meinen Vater das lezte mal?
Edgar.
Verwichne Nacht.
Edmund.
Sprachet ihr mit ihm?
Edgar.
Ja, zwey Stunden an einander.
Edmund. Schiedet ihr vergnügt von einander? Fandet ihr kein Mißvergnügen bey ihm, weder in Worten noch Gebehrden?
Edgar.
Nicht das geringste.
Edmund. Besinnet euch, worinn ihr ihn etwann beleidigt haben möchtet, und lasset euch erbitten, seine Gegenwart zu meiden, bis die erste Hize seines Unwillens sich verlohren haben wird, welche izt so sehr in ihm tobet, daß es ohne Unglük für eure Person schwerlich ablauffen könnte.
Edgar.
Irgend ein schändlicher Bube muß mich bey ihm verläumdet haben.
Edmund. Das fürcht' ich eben; ich bitte euch, weichet ihm sorgfältig aus, bis sich seine Wuth in etwas gelegt hat; und wie ich sage, kommt mit mir in mein Zimmer, wo ich machen will, daß ihr ohne bemerkt zu werden, Mylord reden hören könnet. Ich bitte euch, geht; hier ist mein Schlüssel; wenn ihr heraus geht, so gehet bewaffnet.
Edgar.
Bewaffnet, Bruder!
Edmund. Bruder, ich rathe euch das beste; ich will kein ehrlicher Mann seyn, wenn man etwas gutes gegen euch im Sinn hat. Ich habe euch gesagt, was ich gesehen und gehört habe; doch auf die gelindeste Art; es kan nichts entsezlichers seyn. Ich bitte euch, gehet.
Edgar.
Werde ich bald wieder von euch hören?
(Geht ab.)
Zehnter Auftritt
Edmund. Ich diene euch in diesem Geschäfte. Ein leichtgläubiger Vater, und ein edler Bruder, dessen Gemüthsart so entfernt ist jemand ein Leid zu thun, daß er auch keines argwöhnen kan, und dessen alberne Ehrlichkeit die Helfte meiner Ränke unnöthig macht. Ich sehe diesem Geschäft unter die Augen. Wenn mir die Geburt keine Ländereyen gab, so soll mein Wiz sie mir verschaffen. Mir ist alles recht, was sich machen läßt.
(Geht ab.)
Eilfter Auftritt
(Des Herzogs von Albanien Palast. Gonerill und Haushofmeister treten auf.)
Gonerill.
Wie? mein Vater schlägt meinen Hof-Junker, weil dieser seinen Narren ausgescholten hat?
Hofmeister.
So ist es, Gnädige Frau.
Gonerill. Tag und Nacht beleidigt er mich; es vergeht keine Stunde, da er nicht in diese oder jene grobe Übelthat aufsprudelt, die uns alle an einander hezt; ich will es nicht länger leiden: Seine Ritter fangen an ganz ausgelassen zu werden, und er selbst macht uns um einer jeden Kleinigkeit willen Vorwürffe. Wenn er von der Jagd zurük kömmt, will ich nicht mit ihm reden; sagt, ich befinde mich nicht wol. Wenn ihr von euerm vorigen Dienst-Eifer gegen ihn nachlasset, werdet ihr wohl thun; ich nehme die Verantwortung auf mich.
Hofmeister.
Er kömmt würklich, Gnädige Frau; ich hör' ihn.
Gonerill. Ermüdet seine Geduld durch so viel Nachlässigkeiten, als euch nur beliebt, ihr und eure Cameraden; ich möchte gern, daß es zur Untersuchung käme. Wenn es ihm nicht ansteht, so mag er zu meiner Schwester gehen, deren Sinn mit dem meinigen darinn übereinkömmt, sich nicht beherrschen lassen zu wollen; der thörichte alte Mann, der alle diese Gewalt immer ausüben will, die er doch weggegeben hat. Nun, bey meinem Leben! Alte Leute werden wiederum Kinder, und müssen, wie Kinder, ausgescholten und nicht geliebkoset werden, wenn man sieht daß sie nur unartiger davon werden.