Hier versetzte Sagloba Wolodyjowski einen Stoß; dieser blickte auf, drehte seinen Schnurrbart und riß die Augen auf. Aber sogleich ergriff ihn die Scham; er senkte den Kopf und sagte nach kurzem Schweigen:
»Memento mori!«
Und wieder umarmte ihn Sagloba.
»Per amicitiam nostram, so wahr du mich liebst, so wahr du mich schätzest: heirate! Es gibt so viel brave Mädchen heirate!«
Bruder Georg sah seinen Freund mit Staunen an. Sagloba konnte unmöglich betrunken sein, denn oft genug hatte er dreimal so viel ohne sichtliche Folgen getrunken, er sprach also wohl nur aus Rührung so. Aber jeglicher Gedanke dieser Art lag Michael jetzt so fern, daß im ersten Augenblick das Erstaunen die Oberhand gewann über die Entrüstung.
Dann aber blickte er Sagloba streng in die Augen und sagte:
»Ihr seid wohl angeheitert?«
»Ich sage dir aus vollem Herzen: heirate!«
Wolodyjowski sah ihn noch strenger an:
»Memento mori!«
Aber Sagloba ließ sich nicht so leicht abschrecken.
»Michael, wenn du mich lieb hast, tu's für mich! Das ist für den Hund, dein ewiges Memento, ich wiederhole, du wirst handeln, wie du willst; aber ich denke so: diene ein jeder unserem Herrgott mit dem, wozu er ihn geschaffen hat. Dich hat er für den Degen geschaffen, denn er hat seinen Willen darin geoffenbart, daß er dich in dieser Kunst zu solcher Vollkommenheit hat gelangen lassen. Und hätte er einen Geistlichen aus dir machen wollen, so hätte er dich mit gar anderem Witz ausgestattet und hätte dein Herz mehr den Büchern und zum Latein geneigt gemacht. Bedenke auch, daß die heiligen Rittersmänner nicht geringere Achtung im Himmel genießen als die heiligen Mönche, und daß sie gegen die höllische Heerschar zu Felde ziehen und Belohnungen aus Gottes Händen empfangen, wenn sie mit den erbeuteten Fahnen zurückkehren daß alles das wahr ist, wirst du doch nicht leugnen?«
»Ich leugne es nicht und weiß auch, daß es schwer ist, gegen Euren Verstand den Kampf aufzunehmen; aber auch Ihr werdet nicht bestreiten, daß es für die Trauer besser ist, im Kloster zu leben als in der Welt.«
»Bah, wenn es besser ist, so muß die Trauer um so mehr die Klöster meiden. Ein Narr, wer die Trauer nährt, anstatt sie verhungern zu lassen, damit sie desto schneller verrecke!«
Wolodyjowski fand im Augenblick keine Worte; er verstummte also und sagte erst nach einer Weile mit sehnsüchtiger Stimme:
»Erinnert mich nicht an das Heiraten, denn eine solche Erinnerung weckt nur von neuem den Schmerz. Auch ist die alte Lust dahin, sie ist mir mit den Tränen dahingegangen, und auch mein Alter ist nicht danach: beginnt mir doch die Glatze schon zu leuchten! Zweiundvierzig Jahre und fünfundzwanzig voll von Kriegsmühsalen, das ist kein Scherz, kein Scherz.«
»Gott strafe ihn nicht für diese Lästerung! Zweiundvierzig Jahre! Pfui! Zweimal soviel habe ich auf dem Buckel, und der Mensch muß sich bisweilen noch im Zaume halten, um die Glut aus den Adern zu schütteln, wie den Staub aus den Kleidern! Ehre das Andenken jener süßen Verstorbenen, Michael; warst du für sie gut und solltest für die anderen zu billig, zu alt sein?«
»O laßt das, laßt das!« sagte Wolodyjowski in schmerzlichem Tone, und die Tränen flossen ihm in den Bart.
»Ich will kein Wort mehr sagen,« sprach Sagloba, »aber gebt mir Euer Ritterwort, daß Ihr, was auch mit Ketling sei, einen Monat bei uns bleibet. Ihr müßt durchaus auch Skrzetuski sehen. Wollt Ihr dann wieder zum Habit zurückkehren, so soll es Euch niemand verwehren.«
»Ich gebe mein Wort,« sagte Michael. Und gleich begannen sie von etwas anderem zu sprechen. Sagloba erzählte vom Wahlreichstag, wie er die Prüfung gegen den Fürsten Boguslaw angeregt, und von Ketlings Abenteuer. Von Zeit zu Zeit indessen unterbrach er die Erzählung und versank in Gedanken; aber es müssen heitere Gedanken gewesen sein, denn er schlug sich immer wieder mit den Händen auf die Knie und wiederholte: »Hoc, hoc!«
Je näher sie aber Mokotow kamen, desto größer wurde die Unruhe, die sich in Saglobas Benehmen zeigte. Plötzlich wandte er sich zu Wolodyjowski um und sagte:
»Denkst du daran, du hast das Wort gegeben, was auch immer mit Ketling sei, einen Monat bei uns zu bleiben?«
»Ich habe es gegeben und ich bleibe,« unterbrach Wolodyjowski.
»Da ist auch schon Ketlings Haus,« rief Sagloba, »er wohnt stattlich.«
Dann rief er dem Kutscher zu:
»Knallt tüchtig los, heute gibt's ein Fest in diesem Hause.«
Und es erscholl lauter Peitschenknall vorm Hause.
Noch war der Korbwagen nicht durch das Tor gefahren, als einige Genossen aus dem Flur stürzten, Michaels Bekannte: es waren unter ihnen alte Kriegskameraden aus den Zeiten Chmielnizkis, und jüngere aus den letzten Kriegszeiten, unter ihnen Herr Wasilewski und Herr Nowowiejski, Jünglinge noch, aber feurige Ritter, die in den Knabenjahren der Schule entflohen waren und seit einigen Jahren das Kriegshandwerk unter Herrn Wolodyjowski übten. Der kleine Ritter liebte sie ungeheuer.
Von älteren war Herr Urlik da, vom Wappen Nowina, mit einer goldenen Gehirnschale, denn eine schwedische Granate hatte ihm ein Stück fortgerissen; auch Herr Ruschtschyz, der halbwilde Steppenritter, der unvergleichliche Scharmützler, der nur Wolodyjowski im Ruhme nachstand, und einige andere. Da sie die beiden Männer im Wagen sahen, begannen sie alle zu rufen:
»Er ist's, er ist's! Vicit Wolodyjowski! Er ist's!«
Und sie stürzten sich auf den Wagen und nahmen den kleinen Ritter auf ihre Arme und trugen ihn in den Flur und wiederholten:
»Willkommen, es lebe unser teurer Kamerad. Nun haben wir dich und lassen dich nicht wieder! Vivat Wolodyjowski, die Zierde unseres ganzen Heeres! In die Steppe mit uns, Bruder, in die wilden Felder, dort wird der Wind die Trauer fortwehen!«
Im Flur erst setzten sie ihn wieder zu Boden. Er begrüßte alle, denn er war durch diesen Empfang sehr gerührt und begann an alle Fragen zu richten.
»Wie geht es Ketling, lebt er noch?«
»Er lebt, er lebt!« antworteten sie im Chor, und die Schnauzbärte der alten Soldaten verzogen sich in seltsamem Lachen.
»Kommt zu ihm, denn er hält es nicht mehr aus, mit solcher Ungeduld erwartet er Euch.«
»Ich sehe, der Tod ist ihm nicht so nah, wie Herr Sagloba gesagt hat,« sprach der kleine Ritter.
Inzwischen waren sie in den Flur getreten und von da in die große Stube. In der Mitte stand ein gedeckter Tisch, in einem Winkel eine Pritsche, mit weißem Pferdefell bedeckt, auf welchem Ketling lag.
»Freund!« sagte Wolodyjowski und eilte ihm entgegen.
»Michael!« rief Ketling und sprang mit beiden Füßen auf, als wäre er im Vollbesitz seiner Kräfte, und faßte den kleinen Ritter in seine Arme.
Und sie drückten sich so herzlich, daß Ketling den Wolodyjowski und Wolodyjowski den Ketling in die Höhe hob.
»Man hat mir befohlen, mich krank zu stellen,« sagte der Schotte, »den Sterbenden zu spielen; aber bei deinem Anblick konnte ich es nicht aushalten. Ich bin gesund wie der Fisch im Wasser, und mir ist nichts zugestoßen. Es handelte sich darum, dich aus dem Kloster zu bringen Verzeih', Michael, diese Kriegslist kam von Herzen!«
»In die wilden Felder mit uns!« riefen die Ritter wieder und schlugen mit den rauhen Händen an die Säbel, daß ein dröhnender Lärm im Zimmer entstand.
Aber Herr Michael war sehr erstaunt. Eine Zeitlang schwieg er, dann ließ er seine Blicke über alle schweifen, faßte besonders Sagloba ins Auge und sagte endlich:
»O, ihr Verräter! Ich habe geglaubt, Ketling sei tödlich verwundet.«
»Wie, Michael!« rief Sagloba, »ärgert's dich, daß Ketling gesund ist? Gönnst du ihm die Gesundheit nicht oder wünschest du ihm den Tod? Ist dein Herz so verhärtet worden, daß du lieber alle auf der Bahre sähest, Ketling und Herrn Urlik und Herrn Ruschtschyz und diese Jungen hier, ja, auch Skrzetuski und mich, auch mich, der ich dich wie einen Sohn liebe?!«
Aber Herr Michael war sehr erstaunt. Eine Zeitlang schwieg er, dann ließ er seine Blicke über alle schweifen, faßte besonders Sagloba ins Auge und sagte endlich:
»O, ihr Verräter! Ich habe geglaubt, Ketling sei tödlich verwundet.«
»Wie, Michael!« rief Sagloba, »ärgert's dich, daß Ketling gesund ist? Gönnst du ihm die Gesundheit nicht oder wünschest du ihm den Tod? Ist dein Herz so verhärtet worden, daß du lieber alle auf der Bahre sähest, Ketling und Herrn Urlik und Herrn Ruschtschyz und diese Jungen hier, ja, auch Skrzetuski und mich, auch mich, der ich dich wie einen Sohn liebe?!«
Hier schloß Sagloba sein Auge und rief noch kläglicher:
»Was soll uns das Leben, werte Herren, wenn es keine Dankbarkeit in der Welt gibt, und solche Verhärtung des Herzens.«
»Bei Gott,« antwortete Wolodyjowski, »ich wünsche Euch nichts Übles, aber meinen Schmerz habt Ihr nicht zu ehren verstanden.«
»Er gönnt uns das Leben nicht,« wiederholte Sagloba.
»Lasset das.«
»Er sagt, daß wir seinen Schmerz nicht ehren, und was für Tränenströme haben wir vergossen über sein unglückliches Geschick, werte Herren. Nicht wahr, Gott rufe ich zum Zeugen an, daß wir am liebsten deinen Schmerz auf Schwertern umhergetragen hätten, denn so sollten Freunde immer handeln. Da du aber das Wort gegeben hast, einen Monat bei uns zu bleiben, so liebe uns wenigstens noch diesen Monat, Michael!«
»Ich werde euch bis in den Tod lieben,« erwiderte Wolodyjowski.
Da wurde das Gespräch durch die Ankunft eines neuen Gastes unterbrochen; die Ritter, mit Wolodyjowski beschäftigt, hatten nicht gehört, wie dieser Gast vorgefahren war, und bemerkten ihn erst jetzt an der Tür. Es war ein Mann von ungewöhnlicher Größe, von prächtiger Gestalt und schönem Körperbau, mit dem Gesicht eines römischen Cäsaren, voll Macht, zudem voll königlicher Güte und Freundlichkeit. Er sah durchaus anders aus als all diese Soldaten, bedeutend größer stand er neben ihnen, wie der König der Vögel, der Adler, neben dem Habicht, dem Blaufuß und dem Falken.
»Der Herr Großhetman!« rief Ketling aus und sprang als Wirt ihm entgegen, um ihn zu begrüßen.
»Herr Sobieski!« wiederholten die anderen. Alle Häupter neigten sich in ehrfurchtsvollem Gruße.
Außer Wolodyjowski wußten alle, daß der Hetman kommen würde, denn er hatte es Ketling versprochen; und doch machte seine Ankunft einen so mächtigen Eindruck, daß eine Zeit hindurch niemand den Mund zu öffnen wagte. Es war auch eine besondere Gnade, aber Sobieski liebte die Soldaten über alles und besonders diejenigen, welche schon zu wiederholten Malen mit ihm den tatarischen Horden den Nacken gepeitscht hatten; er betrachtete sie wie seine Familie, und darum beschloß er, Wolodyjowski zu begrüßen, ihn zu trösten und endlich durch die Bezeigung der außergewöhnlichen Gunst in seinen Reihen zu erhalten.
Er streckte daher, nachdem er Ketling begrüßt hatte, gleich die Hände dem kleinen Ritter entgegen, und als dieser sich näherte und seine Knie umfaßte, drückte er ihm mit seinen Händen das Haupt.
»Nun, alter Kriegsmann,« sagte er, »nun, Gottes Hand hat dich zu Boden gedrückt, aber sie wird dich wieder erheben und trösten Gott sei mit dir! Du bleibst wohl bei uns?«
Ein Schluchzen erschütterte Michaels Brust.
»Ich bleibe!« sagte er unter Tränen.
»Das ist gut; wir können solcher wie du nicht genug haben! Und jetzt, alter Kriegskamerad, laß uns der Zeiten gedenken, da wir in den russischen Steppen im Zelt beim Mahle saßen. Hier unter euch ist gut weilen. Frisch, Wirt, frisch!«
»Vivat, Joannes dux!« riefen alle Stimmen.
Die Mahlzeit begann und dauerte lange. Am folgenden Tage schickte der Hetman für Wolodyjowski einen spanischen Apfelschimmel von großem Werte.
3. Kapitel
Ketling und Wolodyjowski versprachen einander, sobald es dazu kommen sollte, wieder Steigbügel an Steigbügel zu reiten, an einem Feuer zu lagern, und auf einer Reiterdecke zu schlafen. Und doch trennte sie der Zufall schon eine Woche nach dem ersten Wiedersehen. Aus Kurland kam ein Bote mit der Meldung, daß jener Haßling, der den jungen Schotten adoptiert und ihn mit Vermögen beschenkt hatte, plötzlich erkrankt sei und den angenommenen Sohn baldigst zu sehen begehre. Der junge Ritter besann sich nicht lange; er stieg zu Pferde und ritt davon.
Vor der Abreise bat er Sagloba und Wolodyjowski, sie möchten sein Haus als das ihrige betrachten und so lange darin wohnen, als es ihnen angenehm wäre.
»Vielleicht kommen die Skrzetuskis,« sagte er. »Wenn die Wahl beginnt, so kommt er wenigstens mit Sicherheit; aber wenn sie auch mit Kind und Kegel kämen, es fände sich für die ganze Familie Raum. Ich habe keinen Verwandten, und wenn ich auch Geschwister hätte, sie ständen mir nicht näher als ihr.«
Sagloba besonders war erfreut über diese Einladung, denn er fühlte sich in Ketlings Hause sehr behaglich; aber auch Michael kam sie zurecht.
Die Skrzetuskis kamen zwar nicht, statt dessen aber kündigte eine Schwester Wolodyjowskis ihre Ankunft an, die Gattin des Herrn Truchseß Makowiezki. Ihr Abgesandter war an den Hof des Hetman gekommen, um Nachfrage zu halten, ob jemand von den Hofleuten etwas von dem kleinen Ritter wisse; natürlich wies man ihn sogleich an das Ketlingsche Haus.
Wolodyjowski freute sich sehr, denn es waren lange Jahre darüber hingegangen, daß er die Frau Truchseß nicht gesehen, und da er erfuhr, daß sie bei dem Mangel einer besseren Herberge in einem elenden Häuschen auf der Fischerei abgestiegen war, eilte er bald hin, um sie in das Haus Ketlings zu laden.
Es war schon Dämmerung, als er bei ihr eintrat, aber er kannte sie sogleich, obgleich zwei andere Frauen sich mit ihr im Zimmer befanden, denn die Frau Truchseß war von kleinem Wuchse und rund wie ein Knäuel Wolle. Sie erkannte ihn ebenfalls. Sie sanken sich in die Arme und konnten lange keine Worte finden; er fühlte ihre warmen Tränen auf seinem Antlitz und sie die seinigen. Während der ganzen Zeit standen die anderen beiden Frauen kerzengerade da und sahen der Begrüßung zu.
Zuerst gewann Frau Makowiezka3 die Sprache wieder und begann mit dünner, ein wenig piepsender Stimme:
»Wie viele Jahre, wie viele Jahre! Gott helfe dir, mein teurer Bruder! Sobald die Nachricht von deinem Unglück kam, machte ich mich sofort auf den Weg zu dir, und mein Mann hielt mich nicht zurück, denn von Budschiak4 droht ein Gewitter Man spricht auch von den Tataren von Bialogrod. Und sicher werden die Wege wieder von Heerscharen wimmeln, denn man sieht ungeheure Herden von Vögeln in der Luft, und das pflegt vor jedem Einfall zu sein. Gott tröste dich, geliebter, teurer, goldener Bruder! Mein Mann soll zur Wahl hierher kommen, er hat mir gesagt: »Nimm die Mädchen und fahre voraus. Michael,« sagt er, »wirst du in seiner Trauer trösten; vor den Tataren,« sagt er, »müßten wir auch so die Häupter irgendwo schützen, denn das ganze Land wird in Flammen stehen, und so fügt sich eins zum anderen. Eile nach Warschau,« sagt er, »nimm eine gute Herberge, solange es noch Zeit ist, damit wir ein vernünftiges Unterkommen haben. Er ist mit den Leuten aus dem Kreise auf Kundschaft ausgezogen. Mannschaften sind nicht im Lande, bei uns ist das immer so.« Mein geliebter Michael, komm ans Fenster, damit ich dir ins Gesicht sehen kann. Die Wangen sind eingefallen; aber im Leid kann es nicht anders sein. Mein Mann hatte leicht sagen: Suche dir eine Herberge. Hier gibt es nirgend etwas, wir sind ganz allein hier in dieser Hütte, ich habe kaum drei Bund Stroh zum Schlafen bekommen.«
»Ich bitte dich, Schwester « sagte der kleine Ritter.
Aber die Schwester ließ ihn nicht zu Worte kommen und sprach weiter wie ein klapperndes Mühlrad.