Dieser frühzeitige Irrsinn, die alkoholischen Wahnsinnsformen und die allgemeinen progressiven Paralysen, sowie die anormalen Formen der Epilepsie werden dann die Insassen für unsere Irrenanstalten abgeben, dagegen wird die Zahl der Idioten, vor allem aber die der Kretins ganz außerordentlich abnehmen. Ebenso wird die vornehmlich bei uns in Italien herrschende, durch den Maisgenuß hervorgerufene Pellagra kein Opfer mehr fordern. Das Verschwinden dieser Formen wird nur eine Folge unserer zunehmenden Kultur und unseres nicht zu leugnenden, zunehmenden Wohlstandes sein.
Das Verbrechen
Im Gegensatz zum Wahnsinn wird das Verbrechen sowohl an Zahl wie an Größe und Intensität immer mehr abnehmen. Wer die Verbrecherstatistik von Mitteleuropa studiert, würde auf den ersten Blick allerdings diese rosige Voraussetzung nicht verstehen; denn die ganz schweren Verbrechen, d. h. Mord und Totschlag, haben zwar ein klein wenig abgenommen, aber Diebstahl, Betrug und Fälschungen haben im ganzen so außerordentlich zugenommen, daß sie in den letzten 25 Jahren auf beinahe das Doppelte stiegen. Der Zahl nach sind also die Verbrechen jetzt noch immer in der Zunahme begriffen. Wer aber genauer hinsieht, wird trotzdem zu dem von mir angegebenen günstigen Resultate der Zukunft gelangen, weil er die Verminderung der kapitalen Verbrechen in Australien mit in Rechnung ziehen wird und nicht nur der Kapitalverbrechen, sondern der Verbrechen überhaupt. Auch wird er nicht übersehen können, daß in Nordamerika der Verbrechenszuwachs eigentlich nur zu Lasten der nach Amerika eingewanderten, sowie der farbigen Bevölkerung fällt. Und ebensowenig wird er es unterlassen, seine günstigen Schlüsse aus der Abnahme des Verbrechens sowohl in London als in Genf zu ziehen, wo man mit allen Mitteln versucht hat, dem Verbrechen energisch zu Leibe zu gehen und ihm möglichst den Garaus zu machen, ein Versuch, der, trotzdem es sich um große Zentren des Verbrechens handelt, dennoch einen günstigen Erfolg zu haben scheint. Und wer nun das alles in Rechnung zieht, der wird ohne viel Mühe prophezeien können, daß im nächsten Jahrhundert die Zahl der Verbrechen ganz außerordentlich abgenommen haben muß, wobei allerdings nicht zu übersehen ist, daß sehr viele Verbrecher infolge unserer weit ausgedehnteren Kenntnisse des Wahnsinns und der psychischen Erkrankungen ihr ganzes Leben lang in Irrenhäusern oder in Irrenreservationen eingeschlossen sein werden. Diese Art, die Verbrecher unschädlich zu machen, wird der Menschheit aber zum größten Nutzen gereichen, da eine weitere Vererbung des Uebels dadurch unmöglich gemacht werden wird.
Die momentane Verschlechterung in bezug auf die Zahl der Verbrecher, die namentlich auffallend in der großen Zahl Rückfälliger4 und Minderjähriger, namentlich in Europa, zum Ausdruck kommt, findet ihre Erklärung in dem doppeltabnormen Zustande unserer Gesetzgebung und unseres Gefängniswesens, die sich beide, wenn auch erst ganz schüchtern und zaghaft, einerseits den Theorien jener so sehr angefeindeten Schule nicht mehr verschließen können, die das Verbrechen als ein Krankheitssymptom auffaßt, die aber andererseits noch in den alten, alteingewurzelten Ideen fußen, die auf der freien Willensäußerung basieren. So vereint unsere Zeit in blindem Unverstande alle Schäden der beiden Anschauungen, ohne daß die Allgemeinheit irgendwelche Vorteile aus deren Vorzügen zieht. Es ist dies ein Zustand, der etwa dem zu vergleichen wäre, wenn ein Irrenarzt, der mit den alten Ideen so sehr verwachsen ist, daß er die Wahnsinnigen gleich Verbrechern behandelt und sie in Ketten legt, schlägt und mißhandelt, nun plötzlich von den Ideen der modernen Erkenntnis angehaucht würde und plötzlich anfinge, seine Pfleglinge gleichzeitig sowohl als Verbrecher wie als Kranke zu behandeln.
Tatsächlich bricht sich, was das Verbrechen anbelangt, immer mehr unsere Anschauung Bahn, daß auch dieses als eine organische Erscheinung, nicht aber als eine menschliche Willensäußerung aufzufassen ist. Daß wir uns daher wohl vor ihm schützen müssen, nicht aber in Unmenschlichkeiten gegen den Verbrecher ausarten dürfen. Mit dieser Erkenntnis nun stehen unsere starren, eisernen Gesetze noch völlig im Widerspruche, und die mildere Auffassung derselben schadet weit mehr als sie nützt, denn sie geben der Menschheit den Verbrecher immer wieder, und geben ihm so die Gelegenheit, den Keim des Verbrechertums immer weiter und weiter zu verbreiten.
Im kommenden Jahrhundert aber werden alle Hindernisse, die sich heute noch einer vernunftgemäßen Behandlung von Verbrechen und Verbrechern entgegenstellen, längst beseitigt sein. Die Anfänge dazu sind ja schon da, und die Erfolge zeigen sich überall, wo man den Mut hatte, die Neuerungen einzuführen. In London sowohl wie in Nordamerika, wo man jetzt mit aller Energie daran geht, die Verbrecher im Sinne der modernen Wissenschaft für die Menschheit ungefährlicher zu machen. An die Stelle unserer Zuchthäuser werden große Verbrecherkrankenhäuser treten, in denen der rückfällige Verbrecher auf Lebenszeit interniert werden wird, ohne an der Behandlung körperlich, geistig oder seelisch zu leiden. Große humane Arbeitsanstalten werden errichtet werden; riesige Farmen werden dem Verbrechernachwuchs zum Aufenthalt dienen, aber auch denen, die Neigung zum Alkoholismus verraten, und sich darin als unverbesserlich erweisen; und an die Stelle unserer furchtbaren Zuchthaus- und Gefängnisstrafen werden Geldstrafen, Arbeitsstrafen, Duschen, Feldarbeiten und Hausarrest treten. Natürlich werden diese Strafen nur die Gelegenheitsverbrecher treffen und die jugendlichen Verbrecher, die ja die Mehrheit unserer Verbrecherwelt bilden und die erst durch unsere Gefängnisse in ihren Verbrecherinstinkten bestärkt werden. Keiner wird dann mehr die Strafe als solche empfinden, sondern nur einen Versuch darin sehen, den psychischen Krankheitskeim in ihm zu stören, ihn wieder gesund zu machen, und ihn als gesundes Mitglied der Menschheit wiederzugeben. Schulen, Bibliotheken, Vorträge und der Verkehr mit geistig hervorragenden und charakterfesten Menschen, die wahre Aerzte der Seele sein werden, werden das ihrige dazu beitragen, diesen Heilungsprozeß zu ermöglichen und zu beschleunigen.
Damit ist noch immer nicht gesagt, daß im kommenden Jahrhundert das Verbrechen vollständig verschwinden wird. Gerade weil das Verbrechen teils von unserem Organismus, teils von unserem sozialen Verhältnis abhängt, wird das Verbrechen zwar abnehmen und andere Formen annehmen, aber niemals vollständig verschwinden. In jedem Falle werden, wie man jetzt schon statistisch nachweisen kann, in den nächsten Jahrzehnten in den zivilisierten Ländern die durch Frauen begangenen Verbrechen aller Voraussicht nach ganz außerordentlich an Zahl zunehmen. Gegenwärtig ist das Verhältnis der Verbrecherin zum Verbrecher ein geradezu minimales; aber der große Zahlenunterschied verwischt sich immer mehr, und auch in bezug auf die Schwere der Verbrechen werden die Frauen ihren männlichen Kollegen bald ebenbürtig werden, wenn sie sie nicht überflügeln werden. Haben wir nicht jüngst erst eine Madame Humbert gesehen, die sich jahrelang die finanziellen Kombinationen und Geldoperationen in so außerordentlich raffinierter und schlauer Weise zunutze machte, wie es kein Mann imstande gewesen wäre. Wir haben die Gouransee gesehen, die sich den Annoncenteil der Blätter und die unglaublichsten Kenntnisse auf dem Gebiete der Toxikologie zunutze machte, um unter dem Vorwande einer reichen Heirat Personen anzulocken und sie zu vergiften und im eigenen Garten zu begraben. Und eine Grete Beier, die in Deutschland die juridischen Kenntnisse, die sie sich im Laufe der Zeit angeeignet hatte, dazu benutzte, um ein falsches Testament aufzusetzen, die Handschriften fälscht, die Gift braucht und überdies zur Feuerwaffe greift, um einen Verliebten zu töten und seine Erbin zu werden. Diese Kompliziertheit der Verbrechen wird man auch bei den Missetaten der Männer bald in verhältnismäßig zunehmender Zahl finden, wenn auch die Gesamtsumme der Verbrechen selber abnehmen wird. Denn keiner macht sich die technischen, ökonomischen und sozialen Errungenschaften so schnell und so sicher zunutze wie der Verbrecher. Wir haben schon in diesem Jahrhundert ganz neue Arten von Verbrechen auftauchen sehen, bei denen das Zweirad, das Motorrad und das Automobil eine große Rolle gespielt haben. Und in Amerika, wo alles, selbst das Verbrechen einen großartigen Zug hat, werden auch Eisenbahnzüge und Dampfmaschinen dazu benutzt. So brach der berüchtigte Trassy aus dem Zuchthaus von Oregon, sprang auf eine Schnellzugs-Lokomotive und raste mit ihr davon, so daß er nur dadurch festgenommen werden konnte, daß eine noch schnellere Maschine ihm nachraste und ganze Züge von Polizeisoldaten ihm entgegen fuhren. In unserer Zeit der Genossenschaften und Vereinigungen ist es selbstverständlich kein Wunder, daß wir auch auf große Verbrechergenossenschaften stoßen. In Nord-Amerika, in Rußland, in Deutschland und in England hat man geradezu Aktiengesellschaften von Dieben, Einbrechern und Falschspielern entdeckt. Aktiengesellschaften, die eigene luxuriös eingerichtete Bureaus hielten, über jedes Verbrechen Buch führten und es im Einnahmen- und Ausgabenkonto verzeichneten. In Moskau hob man eine, aus dreißig Aristokraten bestehende Verbrecherbande auf, die mit enormem Kapital arbeitete, das in die Millionen ging. Dieser Bande standen in den verschiedensten Städten prachtvolle Wohnungen, Paläste und glänzend ausgestattete Villen, sowie ein Heer von Dienern, Automobilen und Equipagen zur Verfügung, und sie hatten überall ihre Komplizen. In New York gibt es Hunderte von Assekuranzschwindlern, die sich zu einer Spezialität ausgebildet haben. Vor zwei Jahren wurden acht Versicherungsgesellschaften von einer Verbrecherbande von Fälschern um fünf Millionen Dollars, das ist über zwanzig Millionen Mark, beschwindelt; sie versicherten alte, sterbenskranke Menschen auf hohe Summen, statt der Kranken aber wurden bei der Untersuchung vollständig gesunde Personen für die zu versichernden ausgegeben; überdies wurden von ihnen Hunderte von Ausweispapieren und Totenscheinen gefälscht, und sie gingen in ihrer Frechheit so weit, selbst ein Begräbnis zu inszenieren und eine Wachspuppe in pomphaftem Leichenzuge zur letzten Ruhestätte geleiten zu lassen, während derjenige, den die Wachspuppe vorstellte, sich den Spaß machte, mit unter den Leidtragenden mitzugehen und seinem eigenen Begräbnisse zuzusehen!
Der berühmte Giftmischer Holmes könnte als der vollendetste Typus des Verbrechers der Zukunft gelten. Er versicherte das Leben seiner Opfer auf hohe Summen, brachte ihnen dann Gift bei und strich zuletzt das Geld ein. Als hypermoderner Mensch, der er war, spielte bei allen seinen Verbrechen der Anzeigenteil der Journale, der Telegraph, das Telephon und sogar die drahtlose Telegraphie eine ganz bedeutende Rolle. Er war der Virtuose des modernen Verbrechertums und führte jedes Verbrechen so künstlerisch, d. h. so kompliziert wie nur möglich aus, um nicht nur den Nutzen, sondern auch seine Freude daran zu haben.
Aber wenn sich die Verbrecher von einst auch all der Erfindungen ihrer Zeit noch ausgiebiger werden bedienen können, wie es die Gauner unserer Zeit jetzt schon in oft ganz verblüffender Weise tun, so werden doch damit auch gleichzeitig die großen Erfindungen Hand in Hand gehen, die den Verbrechern das Handwerk legen werden. Es wird immer schwerer und schwerer werden, ein Verbrechen auszuführen, ohne geradezu im selben Momente auch schon entdeckt zu werden. Und auch darin wird ein guter Teil des Grundes liegen, warum die Verbrechen werden abnehmen müssen. Allerdings werden gerade die Gefahren manchen verlocken, die Ueberlegenheit seines Geistes zu zeigen, die ihn befähigt, dennoch ein Verbrecher zu sein, aber das werden nur wenige Enthusiasten sein, die man immer noch findet und die es auch heute schon gibt.
Regierungsrat Rudolf Martin.
Der Krieg in 100 Jahren
Die Kriegführung in hundert Jahren wird sich von der Kriegführung der Gegenwart weit mehr unterscheiden, als diese von der Kriegführung vor der Erfindung des Schießpulvers. Und doch hat die Erfindung des Schießpulvers die gewaltigsten Veränderungen zustande gebracht. Das gesamte Kriegswesen wurde durch das Aufkommen des Schießpulvers um die Mitte des 14. Jahrhunderts in Europa umgestaltet. Das Rittertum verschwand. An die Stelle des Lehnsaufgebots trat das stehende Heer. Der Lehnsstaat hörte auf. Die Macht des unbeschränkten Königtums kam in den meisten Ländern zur Geltung.
Daneben zeigten sich Wirkungen des europäischen Schießpulvers, durch das mit dem Jahre 1492 einsetzende Zeitalter der Entdeckungen. In Amerika und in Ostindien unterlag die Kultur der Eingeborenen den Schießwaffen der europäischen Entdecker. Aber das Schießpulver war nur ein Teil der Ueberlegenheit der Europäer. Im übrigen verdankten sie ihre Erfolge ihrer Seetüchtigkeit. Das Aufkommen des Kompasses seit ungefähr dem Jahre 1310 hatte die Sicherheit der Schiffahrt vermehrt und die Entdeckungsfahrten ermöglicht. Die Fortschritte der Astronomie, der Geographie und die Zunahme der Bildung im Zeitalter der Reformation ermöglichten die Herstellung brauchbarer Seekarten. Selbst die Erfindung der Buchdruckerkunst um das Jahr 1462 hat an den Erfolgen und Siegen der Seefahrer und Entdecker einen großen Anteil.
Von größter Bedeutung aber war das Aufkommen reiner Segelschiffe, die nicht mehr auf Ruder eingerichtet waren. Der Transport des Proviants und des Trinkwassers für die vielen Ruderknechte hatte bis zum Jahre 1300 jede größere Entdeckungsfahrt unmöglich gemacht. Indem im Laufe der Jahrhunderte die Segelschiffe immer größer wurden, konnten weitere Reisen unternommen und eine größere Zahl von Soldaten transportiert werden. Wäre aber in der Zeit von 1300 bis 1500 die Kunst des Lavierens nicht aufgekommen, so würden die europäischen Seeschiffe an größeren Unternehmungen verhindert worden sein.
Diese umgestaltende Wirkung der Technik auf die Kriegsführung wird sich in verstärktem Maße in den kommenden hundert Jahren vollziehen. Die Technik der Motorluftschiffahrt, der Unterseeboote, der drahtlosen Telephonie und Telegraphie und wahrscheinlich auch der drahtlosen Uebertragung von Starkstrom wird neben der Fortbildung der Sprengmittel, der Artillerie und der Schutzvorkehrungen den Krieg vollkommen umgestalten und eine weitgehende Einwirkung auf die Politik ausüben.
Besonders aber wird die Motorluftschiffahrt die gesamte Kriegführung umgestalten. Die Motorluftschiffahrt verstärkt die Macht der industriellen, kapitalreichen Großmächte mit dichter, geistig hoch entwickelter Bevölkerung und mit großen Landheeren gegenüber den agrarischen, armen Großmächten mit dünner, geistig rückständiger Bevölkerung oder mit kleinen Landheeren.
Begünstigt kann die militärische Stärke einer Großmacht im Zeitalter der Motorluftschiffahrt auch durch die geographischen Verhältnisse werden. Deutschland, welches im Zentrum des Kontinents von Europa gelegen ist, kann vermittels seiner Motorluftschiffahrt Einfluß nach allen Seiten und auf alle anderen europäischen Großmächte ausüben.
Auch in hundert Jahren dürfte die Lage Deutschlands sich besser für die Motorluftschiffahrt eignen als die Lage Englands. Der Verkehr über den Atlantischen Ozean wird wesentlich schwächer sein, als der Verkehr auf dem Kontinent von Europa. Von jedem Punkt Europas oder Asiens oder Afrikas kann man aufsteigen, um irgend einen Punkt in Deutschland auf dem Motorluftfahrzeug zu erreichen. Man kann aber nicht von einem einzigen Punkte in dem Atlantischen Ozean aufsteigen, um auf dem Motorluftfahrzeuge England zu erreichen. Dabei soll nicht in Abrede gestellt werden, daß auch die Dampfer auf dem Meere in hundert Jahren einen Verkehr durch Drachenflieger mit dem Festlande unterhalten.
Für die Seeschiffahrt war England als Insel besonders günstig veranlagt. Für die Motorluftschiffahrt ist England als Insel besonders ungünstig veranlagt. Denn auf dieser Insel herrschen heftige Stürme, und lagert häufig ein dichter, gefährlicher Nebel. Ueberdies aber ist der Verkehr über den Ozean weit seltener als der Verkehr über Land. Deutschland aber erfreut sich nicht nur des größten Landverkehrs durch die Luft, sondern auch wahrscheinlich des größten Seeverkehrs durch die Luft. In jedem Falle ist Deutschland für den transatlantischen Verkehr durch die Luft ebenso geeignet wie Großbritannien. Da aber auf den britischen Inseln heute nur 42 Millionen Einwohner wohnen, gegenüber 62 Millionen Köpfen in Deutschland, so ist anzunehmen, daß die stärkere Bevölkerungsvermehrung, durch welche sich Deutschland schon heute auszeichnet, in hundert Jahren eine gewaltige Ueberlegenheit an Zahl der Bevölkerung geschaffen hat. Auf Grund einer weit stärkeren Bevölkerung, welche die englische um etwa 50 Millionen überragen dürfte, wird Deutschland auch einen viel größeren Verkehr an Personen und leichten Gütern durch die Luft mit Amerika unterhalten.
Da die Bevölkerung Frankreichs schon seit Jahrzehnten stagniert, während die Bevölkerung Deutschlands jährlich um 860000 Köpfe zunimmt, so wird Deutschland in hundert Jahren mehr als die doppelte Einwohnerschaft von Frankreich haben. Schon aus diesem Grunde ist die aeronautische Ueberlegenheit Deutschlands über Frankreich eine gewaltige. Verstärkt wird diese Ueberlegenheit durch die zentrale Lage Deutschlands im Herzen von Europa. Da Rußland an Industrie, Kapital und geistiger Bildung Deutschland in hundert Jahren noch längst nicht erreicht haben wird, so wird auch Rußland auf dem Gebiete der Motorluftschiffahrt weit hinter Deutschland zurückstehen. Die großen internationalen Luftlinien von Berlin bis Peking oder von Berlin über Südrußland nach Teheran und Indien werden nicht im Eigentume russischer sondern deutscher Firmen stehen.
Je mehr Motorluftfahrzeuge eine Großmacht im Kriege besitzt, um so stärker ist sie. Die Masse der Motorluftfahrzeuge kann eine Großmacht in hundert Jahren während des Krieges aber nur aus dem Verkehr entnehmen. Die Großmächte können nicht für die Heeresverwaltung und die Marineverwaltung für 10 oder gar 20 Milliarden Mark Motorluftfahrzeuge im Frieden für den Kriegsfall beschaffen. Dasselbe gilt von den Luftschiffhäfen. Wie das Deutsche Reich sich heute im Kriegsfalle der bestehenden und dem Verkehre dienenden Eisenbahnen bemächtigt, so wird es in hundert Jahren bei Ausbruch eines Krieges seine Hand nicht nur auf die Verkehrsluftlinien und Luftschiffhäfen, sondern auch auf die im Besitze der Sportsleute befindlichen Drachenflieger und Motorballons legen. Nur wenn man diese Veränderungen des Verkehrs und des Stärkeverhältnisses der Mächte im Auge behält, kann man sich ein Bild von der Art der Kriegführung in hundert Jahren machen. Der Charakter des künftigen Krieges wird schon durch die Tatsache ein verändertes Aussehen haben, daß die sich feindlich gegenüberstehenden Kriegsmächte andere geworden sind, als wir es aus der Geschichte der letzten tausend Jahre gewohnt sind. Zwischen Deutschland und Frankreich oder Deutschland und England oder Deutschland und Oesterreich-Ungarn ist ein Krieg in hundert Jahren vollkommen ausgeschlossen. Sämtliche europäischen Staaten, keinen ausgenommen, bilden in hundert Jahren eine Staatengemeinschaft, welche den gegenseitigen Krieg ebenso ausschließt, wie heute etwa ein Krieg zwischen dem Königreich Bayern und dem Königreich Preußen oder dem Deutschen Reiche unmöglich ist. Der zunehmende Luftverkehr hat eine solche Menge gemeinsamer Bedürfnisse und Interessen geschaffen, daß in hundert Jahren sämtliche europäischen Staaten als Staatengemeinschaft ein gemeinsames europäisches Parlament und eine gemeinsame europäische Gesetzgebung haben. Durch die gemeinsame Gesetzgebung und durch die Verfassung der europäischen Staatengemeinschaft ist aber ein Krieg zwischen europäischen Staaten nicht nur ausdrücklich untersagt, sondern auch tatsächlich zur Unmöglichkeit geworden.