Der Zauberberg. Volume 1 - Томас Манн


Thomas Mann

Der Zauberberg. Volume 1

© T8RUGRAM, 2018

Einführung in den Zauberberg

Für Studenten der Universität Princeton

Als Vorwort

Gentlemen.


Es ist entschieden ein außerordentlicher Fall, daß bei Ihren lite-rarischen Studien der Autor zugegen ist und mit Ihnen sein Werk betrachtet. Zweifellos hätten Sie es vorgezogen, von Monsieur de Voltaire oder Seor Cervantes einige persönliche Bemerkungen über ihre berühmten Bücher zu hören. Aber das Gesetz der Zeit und der Zeitgenossenschaft bringt es nun ein-mal mit sich, daß Sie mit mir vorlieb nehmen müssen, mit dem Verfasser des "Zauberbergs", der nicht wenig verwirrt ist, sein Buch den großen Werken der Weltliteratur als Studienobjekt eingegliedert zu sehen. Die Generosität Ihres verehrten Lehrers hat es nun einmal für richtig gehalten, daß auch ein modernes Werk im Zyklus dieser Stunden gelesen und analysiert werden solle, und wenn ich mich natürlich auch herzlich darüber freue, daß seine Wahl auf eines meiner Bücher gefallen ist, so bilde ich mir nicht ein, daß das eine endgültige Klassizierung be-deutet. Es bleibt der Nachwelt vorbehalten, darüber zu entschei-den, ob man den "Zauberberg" als ein "Meisterwerk" im Sinn der übrigen klassischen Objekte Ihrer Studien betrachten darf. Immerhin, ein Dokument der europäischen Seelenverfassung und geistigen Problematik im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts wird diese Nachwelt wohl einmal darin sehen, und so mögen Ihnen ein paar Äußerungen des Verfassers über die Entstehung des Buches und über die Erfahrungen, die er da-mit machte, willkommen sein.

Daß ich diese Äußerungen auf Englisch zu machen habe, ist mir ausnahmsweise keine Erschwerung, sondern eine Erleichte-rung. Ich denke dabei gleich an den Helden meiner Erzählung, den jungen Ingenieur Hans Castorp, der am Ende des ersten Bandes der kirgisenäugigen Madame Chauchat eine seltsame Liebeserklärung macht, der er das Schleiergewand einer frem-den Sprache, der französischen, überwerfen kann. Das kommt seiner Schamhaftigkeit zustatten und ermutigt ihn, Dinge zu sa-gen, die er auf Deutsch kaum über die Lippen bringen würde.

"Parier français", sagt er, "c'est parier sans parier, en quelque ma-nìere." Kurzum, es hilft ihm, seine Hemmungen zu überwinden, und auch die Hemmungen, die der Autor empndet, der über sein eigenes Buch sprechen soll, werden gemildert durch das transponierte Sprechen in einer anderen Sprache.

Übrigens sind sie nicht die einzigen, die sich spürbar machen. Es gibt Autoren, deren Namen mit dem eines einzigen großen Werkes verbunden und fast identisch mit ihm sind, deren We-sen in diesem einen Werk vollkommen ausgesprochen ist. Dante das ist die Divina Commedia. Cervantes das ist der Don Quixote. Aber es gibt andere und zu ihnen muß ich mich rechnen bei denen das einzelne Werk keineswegs diese voll-endete Repräsentativität und Signikanz besitzt, sondern nur Fragment eines größeren Ganzen ist, des Lebenswerkes, ja des Lebens und der Person selbst, die zwar danach streben, das Ge-setz der Zeit und des Nacheinander aufzuheben, indem sie in jeder Hervorbringung ganz da zu sein versuchen, aber doch nur so, wie der Roman "Der Zauberberg" selbst und auf eigene Hand sich an der Aufhebung der Zeit versucht, nämlich durch das Leitmotiv, die vor und zurückdeutende magische Formel, die das Mittel ist, seiner inneren Gesamtheit in jedem Augen-blick Präsenz zu verleihen. So hat auch das Lebenswerk als Gan-zes seine Leitmotive, die dem Versuche dienen, Einheit zu schaffen, Einheit fühlbar zu machen und das Ganze im Einzel-werk gegenwärtig zu halten. Aber gerade darum wird man dem einzelnen nicht gerecht, wenn man es gesondert ins Auge faßt, ohne seinen Zusammenhang mit dem Gesamt-Lebenswerk zu beachten und dem Beziehungssystem Rechnung zu tragen, in dem es steht. Es ist zum Beispiel sehr schwer und fast untunlich, über den "Zauberberg" zu sprechen, ohne der Beziehungen zu gedenken, die er rückwärts zu meinem Jugendroman "Buddenbrooks", zur kritisch-polemischen Abhandlung "Betrachtungen eines Unpolitischen" und zum "Tod in Venedig" und vorwärts zu den Joseph-Romanen unterhält.

Was ich da sagte, Gentlemen, um die Hemmungen anzudeuten, die ich angesichts der Aufgabe empnde, mich über ein Buch von mir, den "Zauberberg", zu äußern, führt schon ziem-lich tief hinein in die Struktur dieses Buches und in die Struktur des ganzen künstlerischen Lebensversuches, wovon es ein Teil und Beispiel ist, tiefer, als ich heute eigentlich zu dringen versuchen darf. Ich tue besser, Ihnen rein historisch-anekdotisch et-was von Konzeption und Entstehung des Romans zu erzählen, wie sie sich aus meinem Leben ergaben.

Im Jahre 1912 es ist schon nahezu ein Menschenalter her, und wenn man heute Student ist, so war man damals noch gar nicht geboren war meine Frau an einer übrigens nicht schweren Lungenaffektion erkrankt, die sie immerhin nötigte, ein halbes Jahr im Hochgebirge, in einem Sanatorium des Schweizer Kurorts Davos, zu verbringen. Ich blieb unterdessen bei den Kindern in München und in unserem Landhause in Tölz an der Isar; aber im Mai und Juni des Jahres besuchte ich meine Frau dort oben für einige Wochen, und wenn Sie das Ka-pitel am Anfang des "Zauberbergs" lesen, das "Ankunft" über-schrieben ist, wo der Gast Hans Castorp mit seinem kranken Vetter Ziemßen im Restaurant des Sanatoriums zu Abend speist und nicht nur die ersten Kostproben der vorzüglichen Berghof-Küche, sondern auch von der Atmosphäre des Ortes und dem Leben "bei uns hier oben" empfängt, wenn Sie dieses Kapitel lesen, so haben Sie eine ziemlich genaue Beschreibung unseres Wiedersehens in dieser Sphäre und meiner eigenen wunderli-chen Eindrücke von damals.

Diese so sehr besonderen Eindrücke verstärkten und vertieften sich während der drei Wochen, die ich in dem Davoser Krankenmilieu als Gesellschafter meiner Frau verbrachte. Es sind die drei Wochen, die Hans Castorp ursprünglich dort zu verbringen gedenkt, und aus denen für ihn die sieben Märchen-jahre seiner Verzauberung werden. Ich konnte davon wohl erzählen, denn es fehlte nicht viel, so wäre es mir selbst so ergan-gen. Eines seiner Erlebnisse wenigstens und eigentlich das grundlegende ist eine genaue Übertragung einer eigenen Er-fahrung des Autors auf seinen Helden: nämlich die Untersu-chung des unbeteiligten Gastes aus dem Flachland, bei der sich ergibt, daß er selber ein Kranker ist.

Ich befand mich etwa zehn Tage dort oben, als ich mir bei feuchtem und kaltem Wetter auf dem Balkon einen lästigen Ka-tarrh der oberen Luftwege zuzog. Da zwei Spezialisten im Hau-se waren, der Chef und sein Assistent, lag nichts näher, als der Ordnung und Sicherheit halber meine Bronchien untersuchen zu lassen, und so schloß ich mich denn meiner Frau an, die gerade zur Untersuchung befohlen war. Der Chef, der, wie Siesich denken können, meinem Hofrat Behrens in Äußerlichkei-ten ein wenig ähnlich sah, beklopfte mich und stellte mit größ-ter Schnelligkeit eine sogenannte Dämpfung, einen kranken Punkt an meiner Lunge fest, die, wenn ich Hans Castorp gewe-sen wäre, vielleicht meinem ganzen Leben eine andere Wen-dung gegeben hätte. Der Arzt versicherte mir, ich würde sehr klug handeln, mich für ein halbes Jahr hier oben in die Kur zu begeben, und wenn ich seinem Rat gefolgt wäre, wer weiß, vielleicht läge ich noch immer dort oben. Ich habe es vorgezo-gen, den "Zauberberg" zu schreiben, worin ich die Eindrücke verwertete, die ich in kurzen drei Wochen dort oben empng, und die hinreichten, mir von den Gefahren dieses Milieus für junge Leute und die Tuberkulose ist eine Jugendkrankheit einen Begriff zu geben. Diese Krankenwelt dort oben ist von einer Geschlossenheit und einer einspinnenden Kraft, die Sie ein wenig gespürt haben werden, indem Sie meinen Roman la-sen. Es ist eine Art von Lebens-Ersatz, der den jungen Men-schen in relativ kurzer Zeit dem wirklichen, aktiven Leben voll-kommen entfremdet. Luxuriös ist oder war alles dort oben, auch der Begriff der Zeit. Bei dieser Art von Kuren handelt es sich stets um viele Monate, die sich oft zu Jahren summieren. Nach einem halben Jahr aber hat der junge Mensch nichts an-deres mehr im Kopf als die Temperatur unter seiner Zunge und den Flirt. Und nach einem zweiten halben Jahr wird er in vie-len Fällen nie wieder etwas anderes im Kopf haben können als dies. Er wird endgültig untauglich für das Leben im Flachland geworden sein. Es handelt oder handelte sich bei diesen Institu-ten um eine typische Erscheinung der Vorkriegszeit, nur denk-bar bei einer noch intakten kapitalistischen Wirtschaftsform. Nur unter jenen Verhältnissen war es möglich, daß die Patien-ten auf Kosten ihrer Familien Jahre lang oder auch ad innitum dies Leben führen konnten. Es ist heute zu Ende oder so gut wie zu Ende damit. Der "Zauberberg" ist zum Schwanengesang dieser Existenzform geworden, und vielleicht ist es etwas wie ein Gesetz, daß epische Schilderungen eine Lebensform ab-schließen, und daß sie nach ihnen verschwindet. Heute geht die Lungentherapie vorwiegend andere Wege, und die Mehrzahl der schweizerischen Hochgebirgssanatorien ist zu Sporthotels geworden.

Der Gedanke, aus meinen Davoser Eindrücken und Erfahrangen eine Erzählung zu machen, setzte sich sehr bald bei mir lest. Meine literarische Situation war damals die folgende. Nach dem Abschluß des Prinzenromanes "Königliche Hoheit" hatte ich mich auf das wunderliche Unternehmen eingelassen, die Memoiren eines Hochstaplers und Hoteldiebes zu schreiben, einen Roman, der in der Form des Kriminellen und Anti-Sozialm im Grunde auch eine Künstlergeschichte wie die des kleinen Prinzen in "Königliche Hoheit" war. Der Stil dieses kuriosen Haches, von dem nur ein größeres Fragment übrig geblieben ist, war eine Art von Parodie auf die große Memoiren-Literatur des achtzehnten Jahrhunderts und auch auf Goethes "Dichtung und Wahrheit", und sein Ton war auf lange Zeit schwer durchzuhal-ten. So drängte sich das Bedürfnis nach einem stilistischen Aus-ruhen in anderen Sphären der Sprache und des Gedankens auf, und ich unterbrach mich in diesem Roman, indem ich die long short story "Der Tod in Venedig" schrieb. Mit ihm war ich na-hezu fertig zu dem Zeitpunkt meines Besuches in Davos, und die Erzählung nun, die ich plante und die sofort den Titel "Der Zauberberg" erhielt , sollte nichts weiter sein als ein hu-moristisches Gegenstück zum "Tod in Venedig", ein Gegenstück auch dem Umfang nach, also eine nur etwas ausgedehnte short story. Sie war gedacht als ein Satyrspiel zu der tragischen Novelle, die ich eben beendete. Ihre Atmosphäre sollte die Mi-schung von Tod und Amüsement sein, die ich an dem sonder-baren Ort hier oben erprobt hatte. Die Faszination des Todes, der Triumph rauschhafter Unordnung über ein der höchsten Ordnung geweihtes Leben, die im "Tod in Venedig" geschildert ist, sollte auf eine humoristische Ebene übertragen werden. Ein simpler Held, der komische Konikt zwischen makabern Abenteuern und bürgerlicher Ehrbarkeit, soweit ging mein Vor-satz. Der Ausgang war ungewiß, würde sich aber nden; das Ganze schien leicht und unterhaltsam zu machen und würde nicht viel Raum einnehmen. Als ich nach Tölz und München zurückgekehrt war, begann ich das erste Kapitel zu schreiben.

Eine heimliche Ahnung von den Gefahren der Ausdehnung dieser Erzählung, von der Neigung des Stoffes zum Bedeutenden und zum gedanklich Uferlosen, beschlich mich schon bald. Ich konnte mir nicht verhehlen, daß er in einem gefährlichen Beziehungszentrum stand. Die Unterschätzung eines Unterneh-mens ist vielleicht nicht nur bei mir eine immer wiederkehrende Erfahrung. Bei der Konzeption erscheint eine Arbeit in harmlosem, einfachem und praktischem Licht. Sie scheint keine große Mühe und Ausführung zu erfordern. Mein erster Roman, "Buddenbrooks", war als ein Buch nach dem Muster skandina-vischer Kaufmanns und Familienerzählungen, als ein Buch von 250 Seiten gedacht und es wurden zwei starke Bände daraus. Der "Tod in Venedig" sollte eine short story für das Münchner Magazin "Simplicissimus" werden. Dasselbe war bei den Joseph-Romanen, die mir zunächst in Gestalt einer Novelle etwa vom Umfang des "Tod in Venedig" vorschwebten. Nicht an-ders verhielt es sich beim "Zauberberg", und es handelt sich da wohl um einen notwendigen produktiven Selbstbetrug. Machte man sich alle Möglichkeiten und Schwierigkeiten eines Werkes im voraus klar und kennte man seinen eigenen Willen, der sich von dem des Autors häug gar sehr unterscheidet, so ließe man wohl die Arme sinken und hätte gar nicht den Mut zu begin-nen. Ein Werk hat unter Umständen seinen eigenen Ehrgeiz, der den des Autors weit übertreffen mag, und das ist gut so. Denn der Ehrgeiz darf nicht ein Ehrgeiz der Person sein, er darf nicht vor dem Werk stehen, sondern dieses muß ihn aus sich hervorbringen und dazu zwingen. So, glaube ich, sind die gro-ßen Werke entstanden und nicht aus einem Ehrgeiz, der sich von vornherein vorsetzt, ein großes Werk zu schaffen.

Kurzum, ich merkte früh, daß die Davoser Geschichte es in sich hatte und über sich selbst ganz anders dachte als ich. Selbst äußerlich traf das zu, denn der englisch-humoristisch ausladen-de Stil, in dem ich mich dabei von der Strenge des "Tod in Venedig" erholte, verlangte Raum und die zugehörige Zeit. Dann kam der Krieg, dessen Ausbruch mir zwar sofort den Schluß des Romanes an die Hand gab und dessen innere Erfahrungen das Buch unberechenbar bereicherten, der mich aber in seiner Ausführung auf Jahre unterbrach.

Ich schrieb in jenen Jahren die "Betrachtungen eines Unpolitischen", ein mühseliges Werk der Selbsterforschung und des Durchlebens der europäischen Gegensätze und Streitfragen, ein Buch, das zur ungeheueren, Jahre verschlingenden Vorbereitung auf das Kunstwerk wurde, das eben zum Kunstwerk, zum Spiel, wenn auch zu einem sehr ernsten Spiel, nur werden konnte durch die materielle Entlastung, die es durch die vorangegange-ne analytisch-polemische Arbeit erfuhr. "Diese sehr ernsten Scherze", so spricht Goethe einmal von seinem Faust, und es ist dir Denition aller Kunst, auch des "Zauberbergs". Aber ich hätte nicht scherzen und spielen können, ohne vorher seine Problematik in blutiger Menschlichkeit durchlebt zu haben, über die ich mich dann als freier Künstler erhob. Das Motto der Betrachtungen lautet: "Que diable allait il faire dans cette ga-lere?" Die Antwort lautet: den "Zauberberg".

Die ersten künstlerischen Gehversuche nach dem geistigen Dienst mit der Waffe, dem ich mich im Kriege unterzogen hatte, waren zwei Idyllen, der "Gesang vom Kindchen" und die Tiergeschichte "Herr und Hund", dann endlich nahm ich den "Zauberberg" wieder auf, aber immer wieder wurde er unter-brochen durch kritische Essays, die ihn begleiteten, und von de-nen die drei wichtigsten nach ihrem Gehalt direkte geistige Schößlinge und Ableger des großen laufenden Romanes waren, nämlich "Goethe und Tolstoi", "Von Deutscher Republik", und "Okkulte Erlebnisse".

Endlich, im Herbst 1924, erschienen die beiden Bände, die aus der Konzeption der short story entstanden waren, und die mich alles in allem nicht sieben, sondern zwölf Jahre in ihrem Bann gehalten hatten, und seine Aufnahme hätte viel ungünstiger sein dürfen, um meine Erwartungen bis zur Verblüffung zu übertreffen. Ich bin gewohnt, eine vollendete Arbeit in achsel-zuckender Resignation, ohne die geringste Zuversicht in ihre Weltmöglichkeit aus der Hand zu geben. Die Reize, die einst von ihr auf mich, ihren Betreuer, ausgegangen, haben sich längst schon abgenutzt, das Fertigmachen war eine Sache produktions-ethischer Bravheit, des Eigensinns im Grund, und vom Eigen-sinn überhaupt scheint mir die jahrelange Verbissenheit darein viel zu sehr bestimmt, sie erscheint mir in viel zu hohem Grade als problematisches Privatvergnügen, als daß ich mit der Teil-nahme Vieler an der Spur meiner sonderbaren Vormittage im geringsten zu rechnen mich getraute. Ich "falle aus den Wol-ken", wenn, wie mehrmals in meinem Leben, diese Teilnahme sich dennoch in fast turbulentem Maße einstellt, und dieser freundliche Sturz war im Falle des "Zauberbergs" besonders tief und überraschend. War zu glauben gewesen, daß ein wirtschaft-lich bedrängtes und gehetztes Publikum aufgelegt sein werde, den träumerischen Verknüpfungen dieser in zwölfhundert Seiten ausgebreiteten Gedankenkomposition zu folgen? ("Seines Liedes Riesenteppich zweimalhunderttausend Verse": diese Wendung aus Heines "Firdusi" war mein Lieblingszitat während der Arbeit gewesen und dann jenes Goethesche "Daß du nicht enden kannst, das macht dich groß".) Würden unter den heuti-gen Umständen mehr als ein paar tausend Leute sich bereit n-den, für eine so wunderliche Unterhaltung, die mit Romanlek-türe in irgendeinem gewohnten Sinne fast nichts zu tun hätte, den Preis von sechzehn oder zwanzig Mark zu erlegen? Sicher war, daß die beiden Bände auch nur zehn Jahre früher weder hätten geschrieben werden noch Leser nden können. Es waren dazu Erlebnisse nötig gewesen, die der Autor mit seiner Nation gemeinsam hatte, und die er beizeiten in sich hatte kunstreif machen müssen, um mit seinem gewagten Produkt, wie einmal schon, im günstigen Augenblick hervorzutreten. Die Probleme des "Zauberbergs" waren von Natur nicht massengerecht, aber sie brannten der gebildeten Masse auf den Nägeln, und die all-gemeine Not hatte die Rezeptivität des breiten Publikums ge-nau jene alchimistische "Steigerung" erfahren lassen, die das ei-gentliche Abenteuer des kleinen Hans Castorp ausgemacht hatte. Ja, gewiß, der deutsche Leser erkannte sich wieder in dem schlichten aber "verschmitzten" Helden des Romans; er konnte und mochte ihm folgen.

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