Der Zauberberg. Volume 1 - Томас Манн 7 стр.


Er liebte die Dose es war eine längliche, mit Gold eingelegte Schildpattdose, die er handhabte, und benutzte aus die-sem Grunde rote Taschentücher, deren Zipfel ihm aus der hinte-ren Tasche seines Gehrocks zu hängen pegten. War das eine heitere Schwäche in seiner Erscheinung, so wirkte sie doch durchaus als Alterslizenz, als eine Nachlässigkeit, wie die Betagtheit sie sich entweder bewußt und jovialerweise gestattet oder in ehrwürdiger Unbewußtheit mit sich bringt; und jeden-falls blieb sie die einzige, die Hans Castorps kindlicher Scharf-blick je an des Großvaters Äußerem gewahrte. Für den Sieben-jährigen aber sowohl wie später in der Erinnerung des Herange-wachsenen war die alltägliche Erscheinung des Alten nicht seine eigentliche und wirkliche. In eigentlicher Wirklichkeit sah er noch anders, weit schöner und richtiger aus, als gewöhnlich, nämlich so, wie er auf einem Gemälde, einem lebensgroßen Bildnis erschien, das früher im elterlichen Wohnzimmer gehan-gen hatte und dann zusammen mit dem kleinen Hans Castorp an die Esplanade übergesiedelt war, wo es seinen Platz über dem großen rotseidenen Sofa im Empfangszimmer erhalten hatte.

Es zeigte Hans Lorenz Castorp in seiner Amtstracht als Rats-herrn der Stadt dieser ernsten, ja frommen Bürgertracht eines verschollenen Jahrhunderts, die ein zugleich gravitätisches und verwegenes Gemeinwesen durch die Zeiten mitgeführt und in pomphaftem Gebrauch erhalten hatte, um zeremoniellerweise die Vergangenheit zur Gegenwart, die Gegenwart zur Vergan-genheit zu machen und den steten Zusammenhang der Dinge, die ehrwürdige Sicherheit ihrer Handlungsunterschrift zu be-kunden. Senator Castorp stand da in ganzer Figur, auf rötlich gepastertem Boden, in einer Pfeiler und Spitzbogen-Perspektive. Er stand, das Kinn gesenkt, den Mund nach unten gezogen, die blauen, sinnig blickenden Augen mit den Tränensäcken dar-unter ins Weite gerichtet, in dem schwarzen und mehr als knielangen, talarartigen Überrock, der, vorne offen, am Rande und Saume eine breite Pelzverbrämung zeigte. Aus weiten, hochgepufften und bordierten Oberärmeln kamen engere Unterärmel von schlichtem Tuch hervor, und Spitzenmanschetten bedeckten die Hände bis zu den Knöcheln. Die schlanken Greisenbeine staken in schwarzseidenen Strümpfen, die Füße in Schuhen mit silbernen Schnallen. Um den Hals aber lag ihm die breite, ge-stärkte und vielfach gefaltete Tellerkrause, vorn niedergedrückt und an den Seiten aufwärts geschwungen, unter welcher hervor tum Überuß noch ein gefaltetes Batistjabot auf die Weste hing. Unter dem Arme trug er den altertümlichen Hut mit brei-irr Krempe, dessen Kopf sich nach oben verjüngte.

Es war ein vortrefiches Bild, von nahmhafter Künstlerhand geschaffen, mit gutem Geschmack in dem altmeisterlichen Stile gehalten, den der Gegenstand nahelegte, und in dem Beschauer allerlei spanisch-niederländisch-spätmittelal-terliche Vorstellun-gen weckend. Der kleine Hans Castorp hatte es oft betrachtet, nicht mit Kunstverstand natürlich, aber doch mit einem gewis-sen allgemeineren und sogar eindringlichen Verstande; und ob-gleich er den Großvater so, wie die Leinwand ihn darstellte, in Person nur ein einziges Mal, bei einer feierlichen Auffahrt am Rathaus, und auch da nur üchtig gesehen hatte, konnte er, wie wir sagten, nicht umhin, diese seine bildhafte Erscheinung als seine eigentliche und wirkliche zu empnden und in dem Großvater des Alltags sozusagen einen Interims-Großvater, ei-nen behelfsweise und nur unvollkommen angepaßten zu erblik-ken. Denn das Abweichende und Wunderliche in dieser seiner Alltagserscheinung beruhte offenbar auf solcher unvollkomme-nen, vielleicht etwas ungeschickten Anpassung, es waren nicht ganz zu tilgende Reste und Andeutungen seiner reinen und wahren Gestalt. So waren die Vatermörder, die hohe weiße Binde altmodisch; aber unmöglich war diese Bezeichnung an-wendbar auf das bewunderungswürdige Kleidungsstück, wovon jene nur die Interimsandeutung bildeten, nämlich auf die spani-sche Krause. Und ebenso verhielt es sich mit dem unüblich ge-schweiften Zylinder, den der Großvater auf der Straße trug, und dem in höherer Wirklichkeit der breitkrempige Filzhut des Ge-mäldes entsprach; mit dem langen und faltigen Gehrock, als dessen Urbild und Eigentlichkeit dem kleinen Hans Castorp der bordierte, pelzverbrämte Talar erschien.

So war er denn auch im Herzen einverstanden, daß der Großvater in seiner Richtigkeit und Vollkommenheit prangte, als es eines Tages hieß, Abschied von ihm zu nehmen. Das war im Saale, demselben Saal, wo sie so oft am Eßtisch einander ge-genübergesessen; in seiner Mitte lag Hans Lorenz Castorp nun auf der von Kränzen umstellten und umlagerten Bahre im sil-berbeschlagenen Sarge. Er hatte die Lungenentzündung durch-gekämpft, hatte zäh und lange gekämpft, obgleich er doch, wie es schien, im gegenwärtigen Leben nur anpassungsweise zu Hause gewesen war, und lag nun, man wußte nicht recht ob siegreich oder überwunden, auf jeden Fall mit streng befriede-tem Ausdruck und stark verändert und spitznäsig vom Kampfe auf seinem Paradebett, den Unterkörper von einer Decke ver-hüllt, auf welcher ein Palmzweig lag, den Kopf vom seidenen Kissen hochgestützt, so daß das Kinn aufs schönste in der vor-deren Einbuchtung der Ehrenkrause ruhte; und zwischen die halb von den Spitzenmanschetten bedeckten Hände, deren Finger bei künstlich-natürlicher Anordnung Kälte und Unbelebt-heit nicht verhehlten, hatte man ihm ein Elfenbeinkreuz ge-steckt, auf das er mit gesenkten Lidern unverwandt niederzu-bücken schien.

Hans Castorp hatte den Großvater zu Anfang von dessen letzter Krankheit wohl mehrmals, gegen das Ende hin aber nicht mehr gesehen. Mit dem Anblick des Kampfes, der auch zu seinem Hauptteile nächtlicherweile vor sich gegangen war, hatte man ihn gänzlich verschont, nur mittelbar, durch die beklom-mene Atmosphäre des Hauses, die roten Augen des alten Fiete, das An und Wegfahren der Doktoren, war er davon berührt worden; das Ergebnis aber, vor das er sich im Saale gestellt fand, ließ sich dahin zusammenfassen, daß der Großvater der Interimsanpassung nun feierlich überhoben und in seine eigentliche und angemessene Gestalt endgültig eingekehrt war, ein billigenswertes Ergebnis, wenn auch der alte Fiete weinte und ununterbrochen den Kopf schüttelte, und wenn auch Hans Castorp selber weinte, wie er beim Anblick seiner unvermittelt ge-storbenen Mutter und seines bald darauf ebenfalls still und fremd daliegenden Vaters geweint hatte.

Denn es war ja nun schon das drittemal binnen so kurzer Zeit und bei so jungen Jahren, daß der Tod auf den Geist und die Sinne namentlich auch auf die Sinne des kleinen Hans Castorp wirkte; neu war ihm der Anblick und Eindruck nicht mehr, sondern bereits recht wohl vertraut, und wie er schon die beiden ersten Male sich durchaus gesetzt und verläßlich, keines-wegs nervenschwach, wenn auch mit natürlicher Betrübnis da-gegen verhalten hatte, so auch jetzt, und in noch höherem Grade. Unkundig der praktischen Bedeutung der Ereignisse für sein Leben oder auch kindlich gleichgültig dagegen, in dem Vertrau-en, daß die Welt schon so oder so für ihn sorgen werde, hatte er an den Särgen eine gewisse ebenfalls kindliche Kühle und sach-liche Aufmerksamkeit an den Tag gelegt, welche beim dritten-mal durch das Gefühl und den Ausdruck erfahrener Kenner-schaft noch eine besondere, altkluge Abschattung erhielt, häu-ger Tränen der Erschütterung und der Ansteckung durch ande-re als einer selbstverständlichen Rückwirkung nicht weiter zu gedenken. In den drei oder vier Monaten, seit sein Vater gestorben war, hatte er den Tod vergessen, nun erinnerte er sich, und alle Eindrücke von damals stellten sich genau, gleichzeitig und durchdringend in ihrer unvergleichbaren Eigentümlichkeit wie-der her.

Aufgelöst und in Worte gefaßt, hätten sie sich ungefähr fol-gendermaßen ausgenommen. Es hatte mit dem Tode eine from-me, sinnige und traurig schöne, das heißt geistliche Bewandtnis und zugleich eine ganz andere, geradezu gegenteilige, sehr kör-perliche, sehr materielle, die man weder als schön, noch als sin-nig, noch als fromm, noch auch nur als traurig eigentlich an-sprechen konnte. Die feierlich-geistliche Bewandtnis drückte sich aus in der pomphaften Aufbahrung der Leiche, der Blu-menpracht und den Palmenwedeln, die bekanntlich den himm-lischen Frieden bedeuteten; ferner und noch deutlicher in dem Kreuz zwischen den gestorbenen Fingern des ehemaligen Groß-vaters, dem segnenden Heiland von Thorwaldsen, der zu Häup-ten des Sarges stand, und in den zu beiden Seiten aufragenden Kandelabern, die bei dieser Gelegenheit ebenfalls einen kirchli-chen Charakter angenommen hatten. Alle diese Anstalten hatten ihren genaueren und guten Sinn offenbar in dem Gedanken, daß der Großvater nun auf immer zu seiner eigentlichen und wahren Gestalt eingegangen war. Außerdem aber hatten sie, wie der kleine Hans Castorp wohl bemerkte, wenn auch nicht mit Worten sich eingestand, allesamt, im besonderen aber die Men-ge der Blumen und unter diesen wieder besonders die vielfach vertretenen Tuberosen, noch einen weiteren Sinn und nüchter-nen Zweck, nämlich den, die andere, weder schöne, noch eigentlich traurige, sondern eher fast unanständige, niedrig kör-perliche Bewandtnis, die es mit dem Tode hatte, zu beschöni-gen, in Vergessenheit zu bringen oder nicht zum Bewußtsein kommen zu lassen.

Aufgelöst und in Worte gefaßt, hätten sie sich ungefähr fol-gendermaßen ausgenommen. Es hatte mit dem Tode eine from-me, sinnige und traurig schöne, das heißt geistliche Bewandtnis und zugleich eine ganz andere, geradezu gegenteilige, sehr kör-perliche, sehr materielle, die man weder als schön, noch als sin-nig, noch als fromm, noch auch nur als traurig eigentlich an-sprechen konnte. Die feierlich-geistliche Bewandtnis drückte sich aus in der pomphaften Aufbahrung der Leiche, der Blu-menpracht und den Palmenwedeln, die bekanntlich den himm-lischen Frieden bedeuteten; ferner und noch deutlicher in dem Kreuz zwischen den gestorbenen Fingern des ehemaligen Groß-vaters, dem segnenden Heiland von Thorwaldsen, der zu Häup-ten des Sarges stand, und in den zu beiden Seiten aufragenden Kandelabern, die bei dieser Gelegenheit ebenfalls einen kirchli-chen Charakter angenommen hatten. Alle diese Anstalten hatten ihren genaueren und guten Sinn offenbar in dem Gedanken, daß der Großvater nun auf immer zu seiner eigentlichen und wahren Gestalt eingegangen war. Außerdem aber hatten sie, wie der kleine Hans Castorp wohl bemerkte, wenn auch nicht mit Worten sich eingestand, allesamt, im besonderen aber die Men-ge der Blumen und unter diesen wieder besonders die vielfach vertretenen Tuberosen, noch einen weiteren Sinn und nüchter-nen Zweck, nämlich den, die andere, weder schöne, noch eigentlich traurige, sondern eher fast unanständige, niedrig kör-perliche Bewandtnis, die es mit dem Tode hatte, zu beschöni-gen, in Vergessenheit zu bringen oder nicht zum Bewußtsein kommen zu lassen.

Mit dieser Bewandtnis hing es zusammen, daß der tote Großvater so fremd, ja eigentlich nicht als der Großvater, sondern als eine lebensgroße, wächserne Puppe erschien, die der Tod statt seiner Person eingeschoben hatte, und mit der nun all dieser fromme und ehrenvolle Aufwand getrieben wurde. Der da lag, oder richtiger: was da lag, war also nicht der Großvater selbst, sondern eine Hülle, die, wie Hans Castorp wußte, nicht aus Wachs bestand, sondern aus ihrem eigenen Stoff; nur aus Stoff: das eben war das Unanständige und kaum auch Traurige, traurig so wenig, wie Dinge traurig sind, die mit dem Körper zu tun haben und nur mit diesem. Der kleine Hans Castorp be-trachtete den wachsgelben, glatten und käsig-festen Stoff, aus dem die lebensgroße Todesgur bestand, das Gesicht und die Hände des ehemaligen Großvaters. Eben ließ eine Fliege sich auf die unbewegliche Stirne nieder und begann, ihren Rüssel auf und ab zu bewegen. Der alte Fiete verscheuchte sie vorsich-tig, indem er sich hütete, die Stirn dabei zu berühren, und mit einer ehrbaren Vernsterung seiner Miene, so, als dürfe und wolle er von dem, was er da tat, nichts wissen, einem Aus-druck von Sittsamkeit, der sich offenbar auf die Tatsache bezog, daß der Großvater nur noch Körper und nichts weiter mehr war; allein nach schweifendem Aufuge nahm die Fliege auf den Fingern des Großvaters, in der Nähe des Elfenbeinkreuzes, kurz aufsitzend wieder Platz. Während aber dies geschah, glaub-te Hans Castorp deutlicher als bisher jene von früher her ver-haute leise, aber so ganz eigentümlich zähe Ausdünstung zu verspüren, die ihn beschämenderweise an einen mit einem lästi-gen Übel behafteten und darum allerseits gemiedenen Schulka-meraden erinnerte, und die zu übertäuben der Duft der Tuberosen unter der Hand bestimmt war, ohne es bei aller schönen Üppigkeit und Strenge imstande zu sein.

Er stand wiederholt an der Leiche: einmal allein mit dem allen Fiete, das zweitemal zusammen mit seinem Großonkel Tienappel, dem Weinhändler, und den beiden Onkeln James und Peter, und dann noch ein drittes Mal, als eine Gruppe von sonntäglich gekleideten Hafenarbeitern einige Augenblicke am offenen Sarge stand, um sich von dem ehemaligen Chef des Hauses Castorp und Sohn zu verabschieden. Dann kam das Be-gräbnis, bei dem der Saal voller Leute war und Pastor Bugenha-gen von der Michaeliskirche, derselbe, der Hans Castorp getauft hatte, angetan mit der spanischen Halskrause, die Gedächtnis-rede hielt und sich nachher in der Droschke, der ersten gleich hinter dem Leichenwagen, der dann eine lange, lange Reihe folgte, sehr freundlich mit dem kleinen Hans Castorp unter-hielt, und dann war auch dieser Lebensabschnitt zu Ende, und Hans Castorp wechselte gleich darauf Haus und Umgebung, zum zweitenmal tat er das ja bereits in seinem jungen Leben.

Bei Tienappels und Von Hans Castorps sittlichem Befinden

Zu seinem Schaden geschah es nicht, denn er kam zu Konsul Tienappel ins Haus, seinem bestellten Vormund, und hatte da nichts zu vermissen: in Hinsicht auf seine Person gewiß nicht, und ebensowenig, was die Betreuung seiner weiteren Interessen betraf, von denen er noch nichts wußte. Denn Konsul Tienappel, ein Onkel von Hansens seliger Mutter, verwaltete die Ca-storpsche Hinterlassenschaft, er brachte die Immobilien zum Verkauf, nahm auch die Liquidation der Firma Castorp und Sohn, Import und Export, in die Hand, und was er herausschlug, waren noch ungefähr vierhunderttausend Mark, Hans Castorps Erbe, das Konsul Tienappel in mündelsicheren Papieren anlegte, indem er, seiner verwandtschaftlichen Gefühle unbeschadet, an jedem Quartalsbeginn zwei Prozent Provision von den fälligen Zinsen für sich in Abzug brachte.

Das Tienappelsche Haus lag im Hintergrunde eines Gartens am Harvestehuder Weg und blickte auf eine Rasenäche, in der auch nicht das kleinste Unkraut geduldet wurde, auf öffentliche Rosenanlagen und dann auf den Fluß. Der Konsul ging jeden Morgen, obgleich er ein schönes Fuhrwerk besaß, zu Fuß in sein Geschäft in der Altstadt, um doch ein bißchen Bewegung zu ha-ben, denn manchmal litt er an Blutstauungen im Kopfe, und kehrte um fünf Uhr abends auch so zurück, worauf bei Tienappels mit aller Kultur zu Mittag gegessen wurde. Er war ein ge-wichtiger Mann, in beste englische Stoffe gekleidet, mit wasser-blau vorquellenden Augen hinter der goldenen Brille, einer blühenden Nase, grauem Schifferbart und einem feurigen Bril-lanten an dem gedrungenen kleinen Finger seiner Linken. Seine Frau war längst tot. Er hatte zwei Söhne, Peter und James, von denen der eine bei der Marine und wenig zu Hause, der andere im väterlichen Weinhandel tätig und designierter Erbe der Firma war. Den Hausstand führte seit vielen Jahren Schalleen, eine Goldschmiedstochter aus Altona mit weißen Stärkrüschen um ihre walzenförmigen Handgelenke. Sie stand dafür ein, daß der Frühstücks und Abendtisch reichlich mit kalter Küche, mit Krabben und Lachs, Aal, Gänsebrust und Tomato Catsup zum Roastbeef bestellt war; sie hatte ein wachsames Auge auf die Lohndiener, wenn Herrendiner bei Konsul Tienappel war, und sie war es auch, die bei dem kleinen Hans Castorp, so gut sie konnte, Mutterstelle vertrat.

Hans Castorp wuchs auf bei miserablem Wetter, in Wind und Wasserdunst, wuchs auf im gelben Gummimantel, wenn man so sagen darf, und fühlte sich im ganzen recht munter da-bei. Ein bißchen blutarm war er ja wohl von Anfang an, das sagte auch Dr. Heidekind und ließ ihm täglich zum dritten Frühstück, nach der Schule, ein gutes Glas Porter geben, ein gehaltvolles Getränk, wie man weiß, dem Dr. Heidekind blut-bildende Wirkung zuschrieb und das jedenfalls Hans Castorps Lebensgeister auf eine ihm schätzenswerte Weise besänftigte, seiner Neigung, zu "dösen", wie sein Onkel Tienappel sich aus-drückte, nämlich mit schlaffem Munde und ohne einen festen Gedanken ins Leere zu träumen, wohltuend Vorschub leistete. Sonst aber war er gesund und richtig, ein brauchbarer Tennis-spieler und Ruderer, wenn er auch lieber, statt selber die Rie-men zu handhaben, an Sommerabenden bei Musik und einem guten Getränk auf der Terrasse des Uhlenhorster Fährhauses saß und die beleuchteten Boote betrachtete, zwischen denen Schwä-ne auf dem bunt spiegelnden Wasser dahinzogen; und wenn man ihn sprechen hörte: gelassen, verständig, ein bißchen hohl und eintönig, mit einem Anug von Platt, ja, wenn man ihn auch nur ansah in seiner blonden Korrektheit, mit seinem gut geschnittenen, irgendwie altertümlich geprägten Kopf, in dem ein ererbter und unbewußter Dünkel sich in Gestalt einer ge-wissen trockenen Schläfrigkeit äußerte, so konnte kein Mensch bezweifeln, daß dieser Hans Castorp ein unverfälschtes und rechtschaffenes Erzeugnis hiesigen Bodens und glänzend an seinem Platze war, er selbst hätte es, wenn er sich daraufhin auch nur geprüft hätte, nicht einen Augenblick lang bezweifelt.

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