Im Westen nichts Neues / На Западном фронте без перемен. Книга для чтения на немецком языке - Эрих Мария Ремарк 17 стр.


Vorläufig lässt Mittelstaedt etwas Schwärmen üben. Kantorek wird dabei wohlwollend von ihm zum Gruppenführer bestimmt.

Damit hat es seine besondere Bewandtnis. Der Gruppenführer muss beim Schwärmen nämlich stets zwanzig Schritt vor seiner Gruppe sein; kommandiert man nun: Kehrt marsch!, so macht die Schwarmlinie nur die Wendung, der Gruppenführer jedoch, der dadurch plötzlich zwanzig Schritt hinter der Linie ist, muss im Galopp vorstürzen, um wieder seine zwanzig Schritt vor die Gruppe zu kommen. Das sind zusammen vierzig Schritt: Marsch, marsch. Kaum ist er aber angelangt, so wird einfach wieder Kehrt marsch! befohlen, und er muss eiligst wieder vierzig Schritt nach der anderen Seite rasen. Auf diese Weise macht die Gruppe nur gemütlich immer eine Wendung und ein paar Schritte, während der Gruppenführer hin und her saust wie ein Furz* auf der Gardinenstange. Das Ganze ist eines der vielen probaten Rezepte von Himmelstoß.

Kantorek kann von Mittelstaedt nichts anderes verlangen, denn er hat ihm einmal eine Versetzung vermurkst, und Mittelstaedt wäre schön dumm, diese gute Gelegenheit nicht auszunutzen, bevor er wieder ins Feld kommt. Man stirbt doch vielleicht etwas leichter, wenn der Kommiss einem auch einmal solch eine Chance geboten hat.

Einstweilen spritzt Kantorek hin und her wie ein aufgescheuchtes Wildschwein. Nach einiger Zeit lässt Mittelstaedt aufhören, und nun beginnt die so wichtige Übung des Kriechens. Auf Knien und Ellenbogen, die Knarre* vorschriftsmäßig gefasst, schiebt Kantorek seine Prachtfigur durch den Sand, dicht an uns vorbei. Er schnauft kräftig, und sein Schnaufen ist Musik.

Mittelstaedt ermuntert ihn, indem er den Landsturmmann Kantorek mit Zitaten des Oberlehrers Kantorek tröstet. »Landsturmmann Kantorek, wir haben das Glück, in einer großen Zeit zu leben, da müssen wir alle uns zusammenreißen und das Bittere überwinden.« Kantorek spuckt ein schmutziges Stück Holz aus, das ihm zwischen die Zähne gekommen ist, und schwitzt. Mittelstaedt beugt sich nieder, beschwörend eindringlich: »Und über Kleinigkeiten niemals das große Erlebnis vergessen, Landsturmmann Kantorek!«

Mich wundert, dass Kantorek nicht mit einem Knall zerplatzt, besonders, da jetzt die Turnstunde folgt, in der Mittelstaedt ihn großartig kopiert, indem er ihm in den Hosenboden fasst beim Klimmzug am Querbaum, damit er das Kinn stramm über die Stange bringen kann, und dazu von weisen Reden nur so trieft. Genauso hat Kantorek es früher mit ihm gemacht.

Danach wird der weitere Dienst verteilt. »Kantorek und Boettcher zum Kommissbrotholen! Nehmen Sie den Handwagen mit.«

Ein paar Minuten später geht das Paar mit dem Handwagen los. Kantorek hält wütend den Kopf gesenkt. Der Portier ist stolz, weil er leichten Dienst hat.

Die Brotfabrik ist am andern Ende der Stadt. Beide müssen also hin und zurück durch die ganze Stadt.

»Das machen sie schon ein paar Tage«, grinst Mittelstaedt. »Es gibt bereits Leute, die darauf warten, sie zu sehen.«

»Großartig«, sage ich, »aber hat er sich noch nicht beschwert?«

»Versucht! Unser Kommandeur hat furchtbar gelacht, als er die Geschichte gehört hat. Er kann keine Schulmeister leiden. Außerdem poussiere* ich mit seiner Tochter.«

»Er wird dir das Examen versauen.«

»Darauf pfeife ich«, meint Mittelstaedt gelassen. »Seine Beschwerde ist außerdem zwecklos gewesen, weil ich beweisen konnte, dass er meistens leichten Dienst hat.«

»Könntest du ihn nicht mal ganz groß schleifen?« frage ich.

»Dazu ist er mir zu dämlich«, antwortet Mittelstaedt erhaben und großzügig.

Was ist Urlaub? Ein Schwanken, das alles nachher noch viel schwerer macht. Schon jetzt mischt sich der Abschied hinein. Meine Mutter sieht mich schweigend an; sie zählt die Tage, ich weiß es; jeden Morgen ist sie traurig. Es ist schon wieder ein Tag weniger. Meinen Tornister hat sie weggepackt, sie will durch ihn nicht erinnert werden.

Die Stunden laufen schnell, wenn man grübelt*. Ich raffe mich auf und begleite meine Schwester. Sie geht zum Schlachthof, um einige Pfund Knochen zu holen. Das ist eine große Vergünstigung, und morgens schon stellen sich die Leute hin, um darauf anzustehen. Manche werden ohnmächtig.

Wir haben kein Glück. Nachdem wir drei Stunden abwechselnd gewartet haben, löst sich die Reihe auf. Die Knochen sind zu Ende.

Es ist gut, dass ich meine Verpflegung erhalte. Davon bringe ich meiner Mutter mit, und wir haben so alle etwas kräftigeres Essen.

Immer schwerer werden die Tage, die Augen meiner Mutter immer trauriger. Noch vier Tage. Ich muss zu Kemmerichs Mutter gehen.

* * *

Man kann das nicht niederschreiben. Diese bebende, schluchzende Frau, die mich schüttelt und mich anschreit: »Weshalb lebst du denn, wenn er tot ist!«, die mich mit Tränen überströmt und ruft: »Weshalb seid ihr überhaupt da, Kinder, wie ihr «, die in einen Stuhl sinkt und weint: »Hast du ihn gesehen? Hast du ihn noch gesehen? Wie starb er?«

Ich sage ihr, dass er einen Schuss ins Herz erhalten hat und gleich tot war. Sie sieht mich an, sie zweifelt: »Du lügst. Ich weiß es besser. Ich habe gefühlt, wie schwer er gestorben ist. Ich habe seine Stimme gehört, seine Angst habe ich nachts gespürt, sag die Wahrheit, ich will es wissen, ich muss es wissen.«

»Nein«, sage ich, »ich war neben ihm. Er war sofort tot.« Sie bittet mich leise: »Sag es mir. Du musst es. Ich weiß, du willst mich damit trösten, aber siehst du nicht, dass du mich schlimmer quälst, als wenn du die Wahrheit sagst? Ich kann die Ungewissheit nicht ertragen, sag mir, wie es war, und wenn es noch so furchtbar ist. Es ist immer noch besser, als was ich sonst denken muss.«

Ich werde es nie sagen, eher kann sie aus mir Hackfleisch machen. Ich bemitleide sie, aber sie kommt mir auch ein wenig dumm vor. Sie soll sich doch zufrieden geben, Kemmerich bleibt tot, ob sie es weiß oder nicht. Wenn man so viele Tote gesehen hat, kann man so viel Schmerz um einen einzigen nicht mehr recht begreifen. So sage ich etwas ungeduldig: »Er war sofort tot. Er hat es gar nicht gefühlt. Sein Gesicht war ganz ruhig.«

Sie schweigt. Dann fragt sie langsam: »Kannst du das beschwören?«

»Ja.«

»Bei allem, was dir heilig ist?«

Ach Gott, was ist mir schon heilig; so was wechselt ja schnell bei uns.

»Ja, er war sofort tot.«

»Willst du selbst nicht wiederkommen, wenn es nicht wahr ist?«

»Ich will nicht wiederkommen, wenn er nicht sofort tot war.«

Ich würde noch wer weiß was auf mich nehmen. Aber sie scheint mir zu glauben. Sie stöhnt und weint lange. Ich soll erzählen, wie es war, und erfinde eine Geschichte, an die ich jetzt beinahe selbst glaube.

Als ich gehe, küsst sie mich und schenkt mir ein Bild von ihm. Er lehnt darauf in seiner Rekrutenuniform an einem runden Tisch, dessen Beine aus ungeschälten Birkenästen bestehen. Dahinter ist ein Wald gemalt als Kulisse. Auf dem Tisch steht ein Bierseidel.

* * *

Es ist der letzte Abend zu Hause. Alle sind schweigsam. Ich gehe früh zu Bett, ich fasse die Kissen an, ich drücke sie an mich und lege den Kopf hinein. Wer weiß, ob ich je wieder so in einem Federbett liegen werde!

Meine Mutter kommt spät noch in mein Zimmer. Sie glaubt, dass ich schlafe, und ich stelle mich auch so. Zu sprechen, wach miteinander zu sein, ist zu schwer.

Sie sitzt fast bis zum Morgen, obschon sie Schmerzen hat und sich manchmal krümmt. Endlich kann ich es nicht mehr aushaken, ich tue, als erwachte ich.

»Geh schlafen, Mutter, du erkältest dich hier.«

Sie sagt: »Schlafen kann ich noch genug später.«

Ich richte mich auf. »Es geht ja nicht sofort ins Feld, Mutter. Ich muss doch erst vier Wochen ins Barackenlager. Von dort komme ich vielleicht einen Sonntag noch herüber.«

КОНЕЦ ОЗНАКОМИТЕЛЬНОГО ОТРЫВКА

Sie schweigt. Dann fragt sie leise: »Fürchtest du dich sehr?«

»Nein, Mutter.«

»Ich wollte dir noch sagen: Nimm dich vor den Frauen in acht* in Frankreich. Sie sind schlecht dort.«

Ach Mutter, Mutter! Für dich bin ich ein Kind, warum kann ich nicht den Kopf in deinen Schoß legen und weinen? Warum muss ich immer der Stärkere und der Gefasstere sein, ich möchte doch auch einmal weinen und getröstet werden, ich bin doch wirklich nicht viel mehr als ein Kind, im Schrank hängen noch meine kurzen Knabenhosen, es ist doch erst so wenig Zeit her, warum ist es denn vorbei?

So ruhig ich kann, sage ich: »Wo wir liegen, da sind keine Frauen, Mutter.«

»Und sei recht vorsichtig dort im Felde, Paul.«

Ach Mutter, Mutter! Warum nehme ich dich nicht in meine Arme, und wir sterben. Was sind wir doch für arme Hunde!

»Ja, Mutter, das will ich sein.«

»Ich werde jeden Tag für dich beten, Paul.«

Ach Mutter, Mutter! Lass uns aufstehen und fortgehen, zurück durch die Jahre, bis all dies Elend nicht mehr auf uns liegt, zurück zu dir und mir allein, Mutter!

»Vielleicht kannst du einen Posten bekommen, der nicht so gefährlich ist.«

»Ja, Mutter, vielleicht komme ich in die Küche, das kann wohl sein.«

»Nimm ihn ja an, wenn die andern auch reden «

»Darum kümmere ich mich nicht, Mutter «

Sie seufzt. Ihr Gesicht ist ein weißer Schein im Dunkel. »Nun musst du schlafen gehen, Mutter.«

Sie antwortet nicht. Ich stehe auf und lege ihr meine Decke über die Schultern. Sie stützt sich auf meinen Arm, sie hat Schmerzen. So bringe ich sie hinüber. Eine Weile bleibe ich noch bei ihr. »Du musst nun auch gesund werden, Mutter, bis ich wiederkomme.«

»Ja ja, mein Kind.«

»Ihr dürft mir nicht eure Sachen schicken, Mutter. Wir haben draußen genug zu essen. Ihr könnt es hier besser brauchen.«

Wie arm sie in ihrem Bette liegt, sie, die mich liebt, mehr als alles. Als ich schon gehen will, sagt sie hastig: »Ich habe dir noch zwei Unterhosen besorgt. Es ist gute Wolle. Sie werden warm halten. Du musst nicht vergessen, sie dir einzupacken.«

Ach Mutter, ich weiß, was dich diese beiden Unterhosen gekostet haben an Herumstehen und Laufen und Betteln! Ach Mutter, Mutter, wie kann man es begreifen, dass ich weg muss von dir, wer hat denn anders ein Recht auf mich als du. Noch sitze ich hier, und du liegst dort, wir müssen uns so vieles sagen, aber wir werden es nie können.

»Gute Nacht, Mutter.«

»Gute Nacht, mein Kind.«

Das Zimmer ist dunkel. Der Atem meiner Mutter geht darin hin und her. Dazwischen tickt die Uhr. Draußen vor den Fenstern weht es. Die Kastanien rauschen.

Auf dem Vorplatz stolpere ich über meinen Tornister, der fertig gepackt daliegt, weil ich morgen sehr früh fort muss.

Ich beiße in meine Kissen, ich krampfe die Fäuste um die Eisenstäbe meines Bettes. Ich hätte nie hierherkommen dürfen. Ich war gleichgültig und oft hoffnungslos draußen; ich werde es nie mehr so sein können. Ich war ein Soldat, und nun bin ich nichts mehr als Schmerz um mich, um meine Mutter, um alles, was so trostlos und ohne Ende ist. Ich hätte nie auf Urlaub fahren dürfen.

Aufgaben zum Text

1. Was ist mit zweiter Kompanie? Was machen sie im Feld-Rekrutendepot?

2. Wie glauben Sie, was symbolisiert das Mädchen im Sommerkleid auf dem Plakat?

3. Wohin begeben sich die Freunde in einer Nacht? Was nehmen sie mit?

4. Was bekommt Paul?

5. Welche Stimmung herrscht unter den Freunden? Warum?

6. Beschreiben Sie Pauls Stadt.

7. Was erfahren Sie über seine Familie und über die Verhältnisse in der Familie?

8. Beschreiben Sie die Stimmung der Einwohner der Stadt. Erinnern Sie sich an das Gespräch mit dem Schuldirektor und dem Deutschlehrer.

9. Was hat Paul auf Urlaub festgestellt?

10. Erzählen Sie die Episode mit Kantorek nach. Warum ist diese Episode so ausführlich geschildert?

11. Warum sagt Paul, dass er nie auf Urlaub hätte fahren dürfen?

Texterläuterungen

Kost, die das, womit sich jemand ernährt; Essen

Witzbold, der 1) jemand, der oft Witze macht; 2) pej. jemand, den man nicht ernst nimmt, weil er inkompetent ist

Schlafmütze, die 1) jemand, der gern schläft; 2) jemand, der kein Temperament hat, langweilig ist und träge reagiert

arrangieren die nötigen Vorbereitungen treffen, damit etwas durchgeführt werden kann; organisieren

Fußlappen, der von den Soldaten an Stelle von Socken in den Marschstiefeln getragene Fußbekleidung

ein Verhältnis (mit jemandem) sexuelle Kontakte zu jemandem, mit dem man nicht verheiratet ist

mogeln (meist bei Spielen) kleine Tricks anwenden, die gegen die (Spiel)Regeln verstoßen; schwindeln

Trab, der Laufschritt

Laden, der eine Vorrichtung (meist aus Holz) außen am Fenster, die man morgens aufklappt und abends zuklappt

bon ami gute Freunde

un moment Moment, Augenblick

la guerre der Krieg

grand malheur großes Unglück

puavers garçons arme Jungen

Druckpunkt nehmen sich drücken

Fachwerk, das eine Art zu bauen, bei der die Wände von vielen Holzbalken gegliedert werden, die von außen sichtbar sind

Dolbenberg, der Name des Berges

Schleuse, die eine Vorrichtung an einem Kanal, die meist aus zwei Toren besteht, zwischen denen man das Wasser höher und niedriger machen kann, um somit Schiffen zu helfen, auf eine höhere oder niedrigere Ebene zu kommen

Schlinggewächse, die Pflanzen, die um etwas herum nach oben wachsen

Alge, die eine einfache, meist sehr kleine Pflanze, die im Wasser schwimmt

Plätterin, die eine Frau, die plättet (bügelt)

Drogerie, die ein Geschäft, in dem man besonders Mittel zur Kosmetik und Körperpflege (aber keine rezeptpflichtigen Medikamente) kaufen kann

Kartoffelpuffer, der eine Mischung aus rohen geriebenen Kartoffeln, Eiern und Mehl. Sie wird in Form von runden Scheiben in heißem Fett gebacken; Reibekuchen

Preiselbeere, die eine kleine rote Beere, die an sehr niedrigen Sträuchern im Wald wächst und die man meist zu Wild isst

Mahagoni, das ein sehr hartes Holz von rötlicher Farbe, aus dem man besonders Möbel macht

Zunder, der leicht brennbares Material, das man besonders früher verwendete, um Feuer anzuzünden

Langemark und Bixschoote belgische Orte in Westflandern

abtrudeln abschieben, sich trollen

Konfirmand, der ein Jugendlicher, der sich gerade auf die Konfirmation vorbereitet oder gerade konfirmiert wurde

Gefallen, der etwas, das man aus Freundlichkeit für jemanden tut

Franzmann, der Franzose

in einem Zug in einem großen Schluck

annektieren meist ein Land bringt ein Gebiet (meist mit Gewalt und ohne rechtlichen Anspruch) in seinen Besitz

das Eiserne Kreuz preißischer Kriegsorden, 1813 gestiftet

Kluft, die ein tiefer Gegensatz zwischen zwei Personen, ihren Meinungen und Haltungen

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