Aus meinem Leben. Zweiter Teil - August Bebel 9 стр.


Er motivierte dieses damit, daß Preßfreiheit und volle Vereins-und Versammlungsfreiheit fehlten. Diese fehlten aber von Anfang an, und doch klang damals sein Urteil anders. Das Urteil, das er jetzt über das geltende Wahlrecht fällte, deckte sich mit dem, das das Demokratische Wochenblatt längst und wiederholt abgegeben hatte. Diese plötzliche auffällige Meinungsänderung wurde offenbar wieder durch die zunehmende Opposition in seinem Verein verursacht.

In Nr. 80 des Sozialdemokrat vom 19. Juli kündigt Schweitzer an, daß er eine dreiwöchige Haft in der Stadtvogtei antrete, die ihm wegen eines Flugblattes vom Landgericht Elberfeld zuerkannt worden war. Er ernannte W. Real in Düsseldorf zum Vizepräsidenten und Hasselmann zum Leiter des Vereinsorgans, mit dessen Eintritt die Rüpelhaftigkeit im Ton des Blattes einkehrte. Der pathetische Schluß der Ansprache lautete:

Indem ich meine Haft antrete, richte ich an alle Parteigenossen meinen herzlichsten Abschiedsgruß. Ich hoffe, den Verein in derselben Blüte, in der ich ihn verlasse, oder in noch gesteigertem Maße (nach ganzen drei Wochen) wiederzufinden.

Im Sommer 1868 hatte Johann Jacoby eine Rede über Die soziale Frage gehalten, in der er stark nach links und weit ab von der Fortschrittspartei rückte. Auf einem großen Volksfest, das auf der Asse bei Braunschweig abgehalten wurde, hatte sich Bracke über dieses Auftreten Jacobys sehr günstig ausgesprochen und es begrüßt. Bracke stellte hier über die Rede folgende Thesen auf: Erstens, das demokratische Programm von Johann Jacoby verdient im höchsten Maße die Beachtung des deutschen Volkes; zweitens, nach demselben gibt es in den Zielen keinen prinzipiellen Unterschied zwischen der entschiedenen demokratischen Partei und der eigentlichen Arbeiterpartei; drittens, beide Parteien müssen in dem von Jacoby aufgestellten Ziel: Umgestaltung der bestehenden staatlichen und gesellschaftlichen Zustände im Sinne der Freiheit, gegründet auf Gleichheit alles dessen was Menschengesicht trägt, übereinstimmen. Darauf antwortete der Sozialdemokrat in einem Verwirrung überschriebenen Artikel:

Der von Jacoby aufgestellte Satz einer gerechten Verteilung des Arbeitslohnes zwischen Kapital und Arbeit, die zu erstreben wäre, ist eine über alle Maßen verfehlte, alberne und hohle Phrase; es ist traurig, daß es Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins gibt, die an diesen elenden Brocken herumkauen. Wenn einer behauptet, es seien beachtenswerte Gedanken in Jacobys Rede, wird es hoffentlich von allen Seiten tönen: Nein! es ist albernes, hohles Geschwätz eines wichtigtuenden Bourgeois.

Diese erregte, grobe Sprache zeigte, welche Aufregung es Schweitzer verursachte, sobald Mitglieder des Vereins den Anschein erweckten, als wollten sie mit Vertretern nahestehender Parteien Fühlung nehmen. Der Verein mußte nach außen mit einer Art chinesischer Mauer umgeben sein, damit er ihn absolut beherrschen und nach seinem Willen lenken konnte.

Die nächste Generalversammlung des Vereins war auf den 22. bis 26. August nach Hamburg einberufen. Waren auf der Braunschweiger Generalversammlung nur 2508 Mitglieder vertreten, auf der Berliner 3102, so jetzt 8192 durch 36 Delegierte. Der Verein war also wesentlich stärker geworden. Man hat diese Entwicklung ausschließlich der Tätigkeit und der Leitung Schweitzers zugeschrieben. Mit Unrecht. Der Druck der Krise, die sich als Folge des sechsundsechziger Krieges eingestellt hatte, war gewichen, an deren Stelle brachte das Jahr 1868 eine Prosperitätsperiode. Damit hatte die Hoffnungsfreudigkeit und das politische Leben in den Arbeiterkreisen von neuem eingesetzt, wovon nicht nur der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein, sondern auch der Verband der Arbeitervereine profitierte, an dessen Spitze ich stand und der damals über 13000 Mitglieder zählte, die freilich keine programmatische Geschlossenheit wie der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein besaßen. Schweitzer suchte jetzt Karl Marx für sich zu gewinnen. Er hatte Marx den Dank des Vorstandes für sein Werk Das Kapital votieren lassen, auch hatte er ihn zur Generalversammlung nach Hamburg eingeladen, eine Einladung, die Marx wegen Ueberbürdung mit Arbeit ablehnte. Auch erlaubte er, daß Geib folgenden Antrag stellte:

Die Generalversammlung erklärt, da der Druck des Kapitals und der Reaktion in allen Kulturländern aus im wesentlichen gleichen Ursachen auf der Arbeiterklasse lastet und da die Bestrebungen der Arbeiter nur dann erfolgreich sein können, wenn sie einheitlich zusammenhängend in allen Kulturländern auftreten, ist es die Pflicht der deutschen Arbeiterpartei und der Arbeiterparteien aller Kulturländer, die von denselben Prinzipien geleitet werden, gemeinsam vorzugehen.

Dieser Antrag wurde einstimmig angenommen. Aber wie radikal sich Schweitzer auch gebärdete, die Unzufriedenheit mit seiner Diktatur nahm zu. So beantragten die Erfurter Mitglieder: Schweitzer solle spezifizierte Rechnung ablegen über die Gelder, die er seit dem 1. Januar 1868 der Kasse entnommen habe. Der Vorstand solle die Abrechnung prüfen. Düsseldorf verlangte, daß Präsidium und Redaktion des Vereinsorgans getrennt würden, die Einrichtung könne leicht zu Despotismus führen; sie hätte bereits dazu geführt. Weiter waren lebhafte Klagen auf den vermiedenen Generalversammlungen laut geworden, daß die Redaktion des Sozialdemokrat ihr mißfallende Korrespondenzen unterdrücke, andere willkürlich ändere, ja fälsche. Ein Antrag, das Organ von seiten des Vereins zu übernehmen, wurde auf der Generalversammlung für untunlich, die Trennung der Redaktion vom Präsidium als unzweckmäßig erklärt. Dagegen wurde beschlossen, daß der vierundzwanzigköpfige Vorstand des Vereins, der in vielen Orten verteilt wohnte, konzentriert werden solle. Er wurde nach Hamburg verlegt. Das war der erste harte Schlag, der die Diktatur Schweitzers traf. Bei den Erörterungen hierüber machte er eine Mitteilung, durch die er sich wider Willen denunzierte. Er äußerte: Dies wird unsere letzte Generalversammlung sein. Die Feindseligkeit der preußischen Regierung wird immer mehr hervortreten. Der Verein wird aufgelöst werden. Und siehe da, kaum drei Wochen später löste die Leipziger Polizeibehörde, da der Verein in Leipzig seinen Sitz hatte, den Verein wegen der örtlichen Kassenverwaltungen auf, einer Einrichtung, die von Anfang an im Verein bestanden hatte.

Es ist ganz zweifellos, daß Schweitzer vorher von dieser Auflösung wußte, ja daß sie zwischen ihm und dem Berliner Polizeipräsidium verabredet war und die Leipziger Polizei auf Wunsch von Berlin den Verein auflöste. Natürlich unterließ unter so bewandten Umständen Schweitzer jede Beschwerde gegen das Vorgehen der Leipziger Polizei bei Kreishauptmannschaft und Ministerium. Schweitzer schloß seinen bezüglichen Artikel, worin er die Auflösung besprach, mit den Worten:

Wir fügen uns einfach darum, weil es nach Lage der Dinge das Vernünftigste ist, was wir tun können. Daher erkläre auch ich andurch:

Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein hat sich aufzulösen Arbeiter in ganz Deutschland! Wir stehen heute am Grabe des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins.

Aber der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein lebt unter uns fort.

So stehen wir auch am Grabe Lassalles; er selbst aber weilt noch unter uns.

Daß unser Verein aufgelöst wurde, gereicht ihm, gereicht uns zur Ehre. Der Verein hat seine Schuldigkeit getan für die Arbeitersache darum wurde er aufgelöst.

Die alte Form ist gefallen wir werden neue Formen für die Betätigung unseres Strebens zu finden wissen.

Dann dankt er für das ihm geschenkte Vertrauen.

Dann dankt er für das ihm geschenkte Vertrauen.

Wir haben gemeinsam gekämpft und gelitten wir werden auch in Zukunft gemeinsam kämpfen und leiden.

So auf die Rührseligkeit spekulierend, rührte er die Mitglieder zu Tränen, und sie vertrauten ihm weiter.

Wäre es die Feindseligkeit der preußischen Regierung gegen den Verein gewesen, wie Schweitzer wider besseres Wissen schrieb, dann war es jetzt seine Pflicht und Schuldigkeit, den Verein dem Einfluß der preußischen Regierung nach Möglichkeit zu entziehen, zum Beispiel dessen Sitz nach Hamburg zu verlegen, dessen Vereins- und Versammlungsgesetz kein Verbindungsverbot kannte. Außerdem hatte der Verein in Hamburg-Altona seine stärkste Mitgliedschaft, die für die Finanzen des Vereins wie für das Blatt das eigentliche Rückgrat bildete. Auch fehlte es in Hamburg nicht an geistigen Kräften. Statt dessen gründete Schweitzer den neuen Verein unter den Augen der Berliner Polizei, und Berlin wurde dessen Sitz. In Preußen bestand aber das Verbindungsverbot so gut wie in Sachsen, und außerdem verlangte das damalige preußische Vereins- und Versammlungsgesetz, daß die Mitgliederlisten des Vereins aus ganz Deutschland bei dem Polizeipräsidium eingereicht werden mußten. Und wiederum verriet er seine Beziehungen zum Berliner Polizeipräsidium und sein Einverständnis mit der Auflösung, indem er in Nr. 119 des Sozialdemokrat sagte:

Man habe Berlin als Sitz der Partei gewählt, damit die Polizei fortwährend Gelegenheit habe, sich davon zu überzeugen, daß die Partei ihre Agitation auf Grund und in Gemäßheit der bestehenden Gesetze betreibe.

Wie rührend folgsam gegen die liebe Polizei von der Leitung einer demokratischen Partei!

Wenn je die innige Verbindung zwischen Schweitzer und dem Berliner Polizeipräsidium nachgewiesen werden konnte, so jetzt. Aber nicht allein, daß der Verein nunmehr unter die Kontrolle des Berliner Polizeipräsidiums kam, Schweitzer benutzte auch die Neugründung, um die ihm unbequemen Beschlüsse der Hamburger Generalversammlung aus der Welt zu schaffen und durch die neue Organisation seine Diktatur unumschränkter denn je zuvor zu befestigen. Er verkündete den neuen Plan mit den Worten:

Jedenfalls wird dafür gesorgt werden, daß die Einheitlichkeit der Partei durch ganz Deutschland gewahrt werde. Denn diese Einheitlichkeit ist unser bestes Kleinod sie ist der Grundgedanke der Lassalleschen Organisation, und von dieser werden wir niemals abgehen.

So mußte also die beständige Berufung auf Lassalle dazu dienen, seine Autorität aufrecht zu erhalten und den Mitgliedern Sand in die Augen zu streuen.

Die neue Vereinsgründung fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt in einem kleinen Kreise Auserwählter, die mit ihm durch dick und dünn gingen. Das neue Statut enthielt geradezu ungeheuerliche Bestimmungen. So sollte der Präsident sechs Wochen vor der ordentlichen Generalversammlung in Urabstimmung durch die Mitglieder des Vereins gewählt werden, also ehe noch die Generalversammlung gesprochen und dessen Geschäftsführung geprüft hatte. Ein Mißtrauensvotum auf der Generalversammlung war dann wirkungslos, ebenso eine unliebsame Kritik seiner Tätigkeit. Ferner besagte §5 der Statuten:

Wenn der Präsident es für dringlich hält, so kann er, vorbehaltlich der in drei Monaten einzuholenden Genehmigung des Vorstandes, alle Anordnungen treffen.

Der Vorstand selbst sollte, im Gegensatz zu den Beschlüssen der Hamburger Generalversammlung, wieder über ganz Deutschland verteilt wohnen. Die Generalversammlung sollte eine Statutenänderung nur dann vornehmen können (§7), wenn ein solcher Antrag von 60 Mitgliedern unterzeichnet und drei Monate vor der Generalversammlung beim Vorstand eingereicht worden war. Wo und wie der Verein aufs neue gegründet wurde, darüber hat man nie Sicheres erfahren. Aber die Polizei mußte davon unterrichtet sein, sonst hätte sie den Verein nicht anerkannt. Der organisierte Arbeiter unserer Zeit wird sich bei dem Lesen solcher Vorgänge fragen, wie denn dergleichen möglich gewesen sei und ob denn nicht die ungeheure Mehrheit der Mitglieder des Vereins sich wie ein Mann erhob und gegen solche Ungeheuerlichkeiten protestierte, den Urheber derselben aber sofort von seinem Posten entfernte? Von alledem keine Spur. Mit seinem Blatte beherrschte Schweitzer absolut den Verein; jeder, der wagte aufzumucken, dessen Beschwerde flog in den Papierkorb, und wer in einer Versammlung austrat, der wurde als Verräter an dem Kleinod der Lassalleschen Organisation gebrandmarkt und mit dem Bann belegt. Im Verein war er tot. Ließ aber jemand sich merken, daß er mit Liebknecht und mir sympathisiere, so galt dieses selbst in den Augen der meisten Mitglieder als ein Verbrechen, womöglich größer als Blutschande oder Mord. Das war die Folge der systematisch von ihm betriebenen Verhetzung.

Doch die Umwandlung in den Anschauungen vollzog sich bei einem Teil der Vereinsmitglieder rascher, als wir damals selbst für wahrscheinlich hielten.

Unter dem 26. November 1868 veröffentlichte Schweitzer einen langen Aufruf in dem mittlerweile seit dem 10. Oktober vergrößerten Sozialdemokrat, der damals 3400 Abonnenten hatte, in welchem er seine Ansicht über die Finanzlage des Vereins darlegte, die durch das Wachstum desselben eine wesentlich günstigere geworden war. Zum Schluß kündigte er an, daß er auf drei Monate in die Einsamkeit des Gefängnisses wandere, die er wegen Veröffentlichung einer Broschüre, Der Arbeitslohn und der Kapitalgewinn, anzutreten hatte. Er schließt den Artikel mit den Worten:

Lassalle sagt in betreff der Organisation, daß alle Einzelkräfte zusammengeschmiedet werden müßten zu einem einzigen Hammer. Die Partei war, als sie mich zu ihrem Führer erkor, der Meinung, daß mein Arm kräftig genug sei, diesen Hammer zu schwingen. Ich will hoffen, daß mir diese Kraft niemals erlahmt.

An Selbstgefühl ließen diese Ausführungen nichts zu wünschen übrig.

Anfang Dezember trat er seine Haft an, er wurde aber bereits gegen Ende Dezember wieder aus dieser entlassen, weil sein Vater schwer erkrankte, der noch vor Ende des Jahres starb. Schweitzer erhielt darauf eine Woche Urlaub zur Ordnung von Familienangelegenheiten. Jetzt spielte sich aber dasselbe ab, was sich 1866 abgespielt hatte, als er auf Urlaub entlassen wurde. Aus der einen Woche wurden viele Wochen Urlaub, und nun begann Schweitzer abermals eine umfassende politische Tätigkeit, als sei der Urlaub ihm nur zu diesem Zweck gewährt worden.

Am 1. Januar 1869 kündigte der Sozialdemokrat an, der Präsident sei noch auf Tage den Geschäften der Parteileitung entzogen. Am 14. Januar veröffentlichte Schweitzer unter den Augen der Polizei im Sozialdemokrat eine lange Ansprache an die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins und berief die Generalversammlung des Vereins auf den 27. bis 30. März nach Barmen-Elberfeld.

Nach normalem Gang hätte Schweitzer dieser Generalversammlung gar nicht beiwohnen können, da um diese Zeit seine Haft noch nicht zu Ende war. Aber er wußte bereits, daß er die Freiheit dazu haben würde. Weiter ordnete er an, daß die Präsidentenwahl sechs Wochen vor der Generalversammlung, zwischen dem 24. Januar und dem 7. Februar stattzufinden habe, wie es die neue, von ihm oktroyierte Organisation vorschrieb.

Ferner kündigte er die Einberufung einer Konferenz des Vorstandes in einer Stadt Mitteldeutschlands an, in der über die Agitation in Süddeutschland und Sachsen beschlossen werden sollte. Gegen uns nahm der Sozialdemokrat jetzt eine noch schärfere Stellung ein, da wir bewußt oder unbewußt im Schlepptau der österreichischen Politik uns befänden. Bemerkt sei hier, daß um diese Zeit Liebknecht wiederholt im Demokratischen Wochenblatt Oesterreich gegenüber eine Taktik eingeschlagen hatte, die ich für durchaus verfehlt hielt, was wiederholt zwischen uns zu Meinungsverschiedenheiten führte. Liebknecht war eben ein Mann des Extrems. Wie sein Haß gegen Bismarck und den Nordbund oft die Grenze überschritt, so auch wieder seine Zuneigung zu Oesterreich, dessen liberalem Bürgerministerium er übermäßige Leistungen zutraute. Es war nur natürlich, daß Schweitzer diese Schwäche Liebknechts ausnutzte, wobei ich bemerken will, daß es im Jahre 1867 auch für Schweitzer eine Periode gab, in der er dem Bürgerministerium seine Unterstützung in Aussicht stellte. Er wollte offenbar Hofstetten die Wege in Wien ebnen.

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