Vom Mars zur Erde - Albert Daiber 3 стр.


Verzeih mir, edler Anan, daß ich mich nicht entschließen konnte, zur Erde zurückzukehren, sondern hier auf dem Lichtentsprossenen zurückblieb, sprach Fridolin.

Ich habe dir nichts vorzuwerfen, mithin auch nichts zu verzeihen, entgegnete der ehrwürdige Greis. Wir haben weder dich noch deine Brüder zum Fortgehen gedrängt. Es stand euch frei, zu gehen oder zu bleiben. Als wir hier vernahmen, daß du deine Gefährten nicht begleitet habest, da wurde einfach der Auftrag, dein Bild zu malen und die Ehrentafel für dich auszuführen, zurückgezogen. Und bevor wir dich in Angola wiedersehen wollten, beschlossen wir, erst die Anfertigung der Bilder und Tafeln der uns so teuren, für immer nun fernen Erdensöhne abzuwarten und sie hier in diesem Saale aufzustellen. Erst nachdem wir dieser Ehrenpflicht genügt hatten, riefen wir dich.

Etwas bedrückt hatte Frommherz der Auseinandersetzung Anans gelauscht. Es lag eine feine Ironie in den Worten wie in der Handlungsweise des Marsiten. Daß man ihn zuerst in den Saal gewiesen, in dem nur sein Bild fehlte, empfand er doch als eine moralische Verurteilung seiner Drückebergerei. Darauf hinaus lief im Grunde auch Anans Rede.

Du machst ein betrübtes Gesicht. Was fehlt dir, mein Freund? fragte Anan nach kurzem Stillschweigen.

Ich bin mir bewußt, einen Fehler begangen zu haben, antwortete Frommherz.

Den hast du deinen Brüdern gegenüber begangen durch die Art, wie du dich benahmst. Doch verlieren wir hierüber keine weiteren Worte mehr. Für uns ist die Sache abgetan.

Der ehrwürdige Eran sprach mir von einer Sühne meiner Schuld, bemerkte Frommherz.

Nun ja, entgegnete der edle Anan. Du weißt darum. Wir wollten dir hier in Angola eine deiner würdige Beschäftigung zuweisen, durch die du uns nützlich sein kannst, natürlich nur wenn du willst.

Gewiß, gern, wirklich von Herzen gern, beeilte sich Frommherz zu antworten. Selbst wenn ihr mir keine Aufgabe zugewiesen hättet, würde ich euch um irgend eine nützliche Arbeit gebeten haben.

So bleibt es also bei der Ausarbeitung eines Wörterbuches deiner Muttersprache, entschied Anan. Zieh mit Bentan, unserm wackern Bruder hier, in sein nahes Heim. Dort kannst du dich in aller Ruhe an die Erledigung deiner Aufgabe machen. Und von Zeit zu Zeit wird es uns freuen, dich in diesem Hause bei uns wiederzusehen. Dann wollen wir in anregender Unterhaltung die Erinnerung an deine ausgezeichneten Gefährten pflegen. Ein herzlicher Händedruck, und Anan, der Älteste der Alten, zog sich zurück.

Das ist besser abgelaufen, als ich zu hoffen wagte. Ich habe mir in der letzten Zeit ganz unnützerweise eine fürchterliche Angst gemacht, murmelte Frommherz vor sich hin.

Bist du zufrieden mit dem Ausgange deiner Angelegenheit, Fridolin? forschte Eran mit eigentümlichem Lächeln.

Gewiß, sehr, gestand Frommherz.

Nun wohl, so komm! Hier steht Bentan, dein Gastgeber. Sein Heim wird für lange Zeit wohl auch das deine sein.

Drittes Kapitel.

Eine Sisyphusarbeit

Schon seit längerer Zeit weilte Fridolin Frommherz im vornehmen Heim Bentans, des würdigen Alten, dessen ganzes Wesen und Gebaren seinen Gast viel an Eran erinnerte, den er aber an Zahl der Jahre übertraf. Das Haus lag am lieblichen Ufer des tiefblauen Sees von Angola und gewährte von der Terrasse und den Fenstern der Vorderseite aus einen entzückenden Blick über die Wasserfläche hinweg nach den fernen, sanften Höhenzügen, die den See einschlossen.

Ein sorgfältig angelegter, tadellos unterhaltener Garten umgab das Haus von der Landseite. Alte, immergrüne, lorbeerartige Baumriesen wechselten gruppenweise ab mit den verschiedensten Arten hochstämmiger, prachtvoller Palmen. Dazwischen schoben sich Sträucher und Büsche, überladen mit farbenprächtigen, duftenden Blüten.

Die schönste Blume dieses paradiesischen Sitzes aber war Benta, Bentans holde Enkelin. Dies erkannte auch Frommherz an, der Benta oft mit einer jener Lichtelfen verglich, die nach der Sage seiner Heimat von menschlicher Gestalt, glänzend schön sind, Tanz und Musik lieben und dem Menschen gegenüber freundliche Gesinnungen hegen.

Und einen solchen Ort hatte man ihm, dem Erdensohne, als Arbeitsstätte zur Strafe angewiesen! Frommherz lachte laut auf bei diesem Gedanken. Eine herrlichere Belohnung für sein Zurückbleiben hätte ihm gar nicht gewährt werden können, wenn, ja wenn nur nicht das verwünschte Wörterbuch gewesen wäre.

Vom ersten Augenblicke an war Benta dem Gaste des Hauses freundlich entgegengetreten. Aber in dem Wesen und ganzen Benehmen der graziösen, jungen Marsitin lag so viel Würde und Erhabenheit, bei aller Bescheidenheit doch wieder so viel stolzes Selbstbewußtsein, daß Fridolin Frommherz zu einer Achtung gezwungen wurde, die mehr den Charakter der Ehrfurcht trug.

Oft an den wunderbar schönen Abenden, wenn Phobos und Deimos, die Monde des Mars, am Himmel ihre stillen, glänzenden Bahnen zogen, saß Frommherz nach getaner Arbeit auf der Terrasse des Hauses, der liebenswürdigen Einladung Bentans folgend. In herzlicher, freundschaftlicher Weise unterhielten sich dann jeweils die beiden Männer. Der alte Marsite mit seinem reichen, abgeklärten Wissen streute bei diesen Unterhaltungen dann oft goldene Körner der Weisheit aus, die bei Frommherz auf fruchtbaren Boden fielen und nach und nach seine bisherige, der Erweiterung noch sehr bedürftige Lebensauffassung umzuformen begannen.

Hin und wieder erschien an solchen Abenden auch Benta und beteiligte sich an den Gesprächen der Männer. Besonders lebhaft wurde die Unterhaltung, wenn Frommherz, durch allerlei Fragen veranlaßt, von der Erde im allgemeinen, von seiner engeren Heimat aber im besonderen ausführlicher erzählte, namentlich von dem Leben und Treiben ihrer kernigen Bewohner.

Die genußreichsten Abende aber waren für Frommherz die, an denen Benta stimmungsvolle Lieder in künstlerisch vollendetem Vortrage zur Harfe sang. Diese Augenblicke erschienen dem Erdensohne als der Inbegriff des wirklich göttlich Schönen. Sie ließen ihn seine langweilige Arbeit völlig vergessen und erweckten in ihm eine Summe wunderbar seliger Empfindungen, wie er sie bis dahin noch niemals gekannt hatte.

Aber wenn er dann nach einem solchen Abend voll märchenhafter Schönheit und reinster Glücksempfindung am nächsten Morgen wieder am Schreibtische seines hohen, luftigen Arbeitszimmers saß, um mit schweren Seufzern an der endlos scheinenden Lösung seiner Aufgabe weiter zu arbeiten, da verflog vor dem Realen, Nüchternen im Nu aller ideale Schwung der Gedanken, die Seligkeit jeglicher Empfindung.

Ja, ja, ein Wörterbuch zu schaffen, das hat mir gerade noch gefehlt, brummte Frommherz eines Tages grimmig vor sich hin, als ein weiteres Jahr seit seinem Aufenthalte in Angola dahingeeilt war. Es ist einfach, um aus der Haut zu fahren. Das ist keine Arbeit für einen Moralphilosophen. Diese Idee ist, um toll, verrückt zu werden. Hol der . . . Doch Frommherz verschluckte das Weitere in edler Selbstbeherrschung und wandte sich seinen Manuskriptbogen und den Hunderten von losen Zetteln zu, die, in verschiedenen Stößen verteilt, alphabetisch geordnet vor ihm auf dem Tische lagen.

Heute packte ihn ob seiner Arbeit eine gelinde Verzweiflung. Bald da, bald dort griff er einen Zettel heraus, verarbeitete seinen Inhalt, strich das Geschriebene durch oder warf den unbrauchbar gewordenen mit einem Seufzer der Erleichterung in den umfangreichen Papierkorb zu seiner Seite. Ein Kästchen auf dem Schreibtische barg unbeschriebene Zettel, und jeden neuen, seine Gedankenreihe kreuzenden Einfall notierte Frommherz sorgfältig und fügte den Vermerk den vielen Hunderten von älteren Blättern bei.

Das war des Fridolin Frommherz täglich sich erneuernde Aufgabe. Fürwahr eine schwere Sache! Um die Wörterbucharbeiten seiner gelehrten Freunde an der Tübinger Universität hatte er sich früher niemals bekümmert. Hätte er einst eine Ahnung gehabt, daß ihm hier oben auf dem Mars eine ähnliche Arbeit zugemutet werden würde, dann hätte er sich sicherlich mit dem Studium seiner Muttersprache etwas eingehender befaßt. So aber, ohne jede tiefere Vorbereitung, ohne jedes Hilfsmittel ein deutsch-marsitisches Wörterbuch herzustellen, alles hierzu erst aus sich selbst heraus zu schaffen, diese schier endlose und heillos schwierige Arbeit begann ihm manchmal das sonst so paradiesisch schöne Dasein auf dem Mars zu versalzen. Und welch elenden Eindruck machte wiederum auf die Marsiten das schneckenartige Vorwärtsschreiten einer Arbeit, für die sie sich außerordentlich interessierten! Schon verschiedene Male hatte der Erdensohn über den Stand seiner Arbeit seinen Freunden in Angola Vorträge gehalten, die über die Unregelmäßigkeit der deutschen Sprache die Köpfe schüttelten. Sie schien den Marsiten noch in einem Entwicklungsstadium zu stecken, das die ihrige schon seit Tausenden von Jahren überwunden hatte.

Wie rasch und leicht hatten die sieben Schwaben die Sprache ihrer Freunde auf dem Mars in ihrer edlen Einfachheit erlernt! Nur einer unter ihnen, Herr Hämmerle, der Philologe, hatte etwas daran auszusetzen gefunden. Er hatte das Kraftvolle, das in der Unregelmäßigkeit der deutschen Konjugation und Deklination liegt, dem Ebenmäßigen, Abgeschliffenen, Weichen der Marssprache entgegengesetzt und den Preis der Schönheit seiner deutschen Muttersprache zuerkannt.

An dies alles erinnerte sich jetzt wieder Fridolin Frommherz. Er sprang vom Stuhle auf und maß erregt das Zimmer.

Wäre ich nicht von der hohen Denkweise der Marsiten felsenfest überzeugt, wüßte ich nicht auf das bestimmteste, daß ihnen jegliche Quälerei fernliegt, ich müßte wahrlich annehmen, daß ihnen ein böser Geist diese Art meiner Beschäftigung angab, rief er zornig. Doch was nützt meine Aufregung? Nichts! Ja, wäre doch nur diese deutsche Muttersprache so glatt, so regelmäßig, so einfach nach wenigen Regeln zu konstruieren wie das wohllautende, vokalreiche Idiom der Marsiten! Um wie viel leichter wäre dann meine Arbeit! Seufzend strich sich der Gelehrte mit der Linken über die Denkerstirn. Dann setzte er sich wieder an den Schreibtisch und schrieb emsig weiter. Da trat Eran in das Zimmer.

Welch große Überraschung und Freude, dich endlich wieder einmal in Angola zu sehen! rief der Schwabe, als er den Eintretenden erkannt hatte.

Nun, Freund Fridolin, wie geht es dir? Wie weit ist das große Werk gediehen? fragte Eran, dem Erdensohne herzlich die Hand zum Gruße schüttelnd.

Wie soll es mir gehen, würdiger Eran? Einerseits gut, anderseits schlecht!

Ich verstehe dich nicht! gestand Eran.

Nun, ich fühle mich gesund, aber die Arbeit liegt mir sehr auf dem Magen.

So, so! lächelte Eran.

Ja, dem Himmel sei es geklagt. Die Sache wird schwieriger, je weiter ich vorwärtsschreite. Aber ich schulde dir noch die Antwort auf deine zweite Frage. Ich arbeite am G meines Werkes.

Wie? Erst am siebenten Buchstaben von den fünfundzwanzig des Erdenalphabetes? Kaum möglich!

Und doch ist es leider so, wie ich dir sage, antwortete Frommherz betreten.

Merkwürdig! erwiderte Eran, den Kopf schüttelnd. Du bist doch schon seit zwei Jahren deiner Zeitrechnung ununterbrochen an der Arbeit. Wann willst du sie denn beenden?

Das weiß ich selbst nicht, murmelte der Gelehrte, es wird je länger, je schlimmer. Da sieh her! Mit diesen Worten zog er eine große Schublade seines Schreibtisches auf. Sie war bis oben mit eng beschriebenen Bogen von stattlicher Größe gefüllt.

Fast tausend Manuskriptseiten und noch nicht einmal ein Drittel des Werkes vollendet! Nein, ehrwürdiger Eran, ein so umfangreiches Buch hat Fridolin Frommherz auf Erden niemals geschrieben! Und da, sieh alle die Zettel und mühsam gesammelten Notizen ihr habt mir wahrlich Schweres aufgebürdet und laßt mich die Daseinsfreuden auf dem Lichtentsprossenen sauer genug verdienen.

Ein Lächeln huschte über Erans milde Züge. So möchtest du wohl lieber wieder zur Erde und dein Wörterbuch unvollendet uns zurücklassen?

Nein, nein, das doch nicht, erwiderte Frommherz hastig, und eine Blutwelle stieg ihm ins Gesicht, als er bei diesen Worten unwillkürlich an Benta dachte.

Warum aber klagst du dann? Eine Arbeit, deren Erfüllung keine Unmöglichkeit, sondern nur eine einfache Frage der Zeit ist, berechtigt nach meiner Auffassung zu keiner Klage. Und du, mein Freund, hast ja Zeit in Hülle und Fülle. Niemand drängt dich.

Aber dein Erstaunen, deine Äußerungen von vorhin über den langsamen Gang . . .

Galten nicht dir, Fridolin, sondern lediglich deiner komplizierten Muttersprache, unterbrach Eran den Erdensohn. Beruhige dich also, mein Freund! Gerade das Bewußtsein, uns ein dauerndes Monumentalwerk durch deine geistige Tätigkeit zu schaffen, sollte dich alle Schwierigkeiten, die dir dabei entgegentreten, und deren Bedeutung ich gewiß nicht unterschätzen will, nur um so kraftvoller überwinden lassen.

Du sprichst die richtigen Worte zu richtiger Zeit aus, edler Eran! Ich gestehe dir, daß ich gerade heute meines Werkes wegen recht entmutigt war. Nun kommst du wie gerufen und belebst mir die gesunkene Hoffnung in wunderbarer Weise von neuem wieder. Dafür nimm meinen besten Dank!

Es bedarf dessen nicht, Freund Fridolin. Im Gegenteil! Ich bin beglückt, daß du dich wieder selbst gefunden hast, und daß dadurch das frühere, so feste Vertrauen in dein Können wieder bei dir eingezogen ist.

Eran erhob sich. Ich werde jetzt öfter als bisher von Lumata nach Angola kommen. Wir haben eine Reihe wichtiger Beratungen vor uns. So werde ich dich in Zukunft in kürzeren Zwischenräumen wiedersehen als in der letzten Zeit. Damit verabschiedete sich Eran in liebenswürdiger Weise.

Der Erdensohn vermochte aber nach dem Weggange des ehrwürdigen Alten nicht gleich wieder seine Arbeit aufzunehmen. Gedanken aller Art bewegten ihn. Der Appell Erans an sein Ehrgefühl hatte in ihm merkwürdige Gefühle geweckt. Wie klein kam er sich diesem Marsiten gegenüber vor! Ja, Eran hatte recht: Man kann, was man wirklich ernstlich will. Und sollte er umsonst, ohne nennenswerte Gegenleistung nur die Annehmlichkeiten des Lebens unter diesen ausgezeichneten Menschen hier oben genießen dürfen? Gerade deshalb waren ja die andern vom Mars wieder fortgezogen, weil sie der Gastfreundschaft der Söhne des Mars keine ebenbürtige, wirklich nutzbringende Leistung entgegenzusetzen hatten. Nein, er mußte und wollte eine Tat vollbringen, die einigermaßen wenigstens einen Gegenwert bot für das, was er von den Marsiten empfing. Die Art der Arbeit, nicht diese selbst, die er bisher als eine Last empfunden, sie erschien ihm jetzt als ein glückliches Mittel zur Abtragung seiner Dankesschuld. Jetzt erst kam ihm auch mit einem Male die segensreiche Bedeutung seiner Aufgabe zu vollstem Bewußtsein. Das war keine Sühne, um die es sich hier handelte, nein, das war der Weg zur zielbewußten Umformung seines eigenen, bisher so schwankenden Ichs, das ausdauerndem und ernstem Streben wenig geneigt war.

Mit wie großem Mißmute war er heute morgen an sein Werk gegangen! Er schämte sich in diesem Augenblicke ordentlich deswegen. Nun war eine Arbeitsfreude, eine Emsigkeit in ihm lebendig geworden, die, endlich zu vollster Stärke erweckt, nie mehr einschlafen oder versiegen würde, das fühlte er. Und mit lautem Danke an den Zauberer Eran, der das Wunder fertig gebracht hatte, nahm Frommherz seine Arbeit wieder auf. Die gehobene Stimmung, in der sich Bentans Gast befand, fiel dem Alten auf, als er am Abend des wichtigen Tages mit Fridolin Frommherz zu Tische saß.

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