Pünktlichkeit ist Höflichkeit! Mit diesen Worten begrüßte Professor Stiller die Eintretenden. Nehmt Platz, fuhr er fort, und sagt mir sofort, ob binnen vier Tagen die von mir gestern gerügten Ausstände am Weltensegler in Ordnung gebracht werden können; denn nächste Woche müssen wir unbedingt hinauf, koste es, was es wolle.
Ich wüßte wirklich von keinem nennenswerten Fehler meinerseits, der den Aufstieg des Luftschiffes hindern könnte, meckerte Blieder mit seiner blechernen Stimme.
Was? schrie der Professor erbost, muß ich dir altem Baumeister, dem vor lauter Genialität allerdings nichts einfällt, nochmals das wiederholen, was ich dir gestern tadelnd sagte?
An Stelle der Antwort begnügte sich Blieder, mit den Achseln zu zucken.
In der geschlossenen Gondel kann ich keine Glasfenster brauchen, das könntest du wissen, um so mehr, als ich dieses wichtigen Umstandes bereits am Anfange, beim Entwurf des Planes gedachte, entgegnete der Gelehrte.
Ja, aber warum? Ich sehe wirklich nicht ein . . .
Mein lieber Blieder, du siehst allerdings weder ein noch aus. Deine in die Gondel eingesetzten Spiegelgläser sind hart und spröde, den gewaltigen niederen Temperaturen im Ätherraum gegenüber völlig widerstandslos. Also hinaus mit den Gläsern, weg mit ihnen und ersetze sie durch elastischen, widerstandsfähigen Glimmer. Der hält alle Temperaturen über und unter Null gleich gut aus. Zwei Tage Zeit hast du dazu, und in diesen muß die Änderung gemacht sein.
Aber wenn . . . begann Blieder, wurde aber heftig durch den Professor unterbrochen.
Es gibt weder ein Wenn noch ein Aber. Sei froh, daß ich dir in Anbetracht der Kürze der Zeit die mancherlei andern Unebenheiten hingehen lasse, deren du dich bei der Konstruktion schuldig gemacht hast. Aber eine wichtige Sache muß noch verbessert werden. Du dachtest nämlich nicht mehr daran, obgleich du auch darauf aufmerksam gemacht wurdest, daß eine Gondel, die während einer bestimmten Zeit der Aufenthaltsraum für eine mehrköpfige Gesellschaft sein soll, auch eine Klappe für allerlei Abfallstoffe haben muß. Wir benötigen ein paar solcher doppelten, auf das dichteste schließenden Klappen, und zwar rechts- und linksseitig, beileibe nicht am Boden.
Dort wären sie aber am einfachsten anzubringen.
Glaube ich, erwiderte spöttisch lächelnd Professor Stiller, wir wünschen aber nicht unterwegs aus der Gondel zu fallen, sondern wollen womöglich heil und gesund den Mars erreichen.
Aber im Innern längs der Gondelwand sind die Provianträume, unter diesen die Akkumulatoren und . . .
So teile sie entsprechend ein, und die Sache ist geordnet. Sela! Nun zu dir, Schnabel! Wovon meinst du, daß unsere Expedition unterwegs leben soll?
Natürlich von den mitzuführenden Nahrungsmitteln, von Konserven und andern guten Sachen, auch besten Neckarwein nicht zu vergessen, antwortete schmunzelnd der mit einem hübschen Bäuchlein ausgestattete, eß- und trinkfeste Mathematiker.
Den Wein vergessen wir auch nicht, sei unbesorgt, Schnabel. Aber von was lebt denn sonst noch der Mensch außer von Speise und Trank?
Nun, von Luft! entgegnete Schnabel etwas gereizt über diese Frage.
Gewiß! Nur sage mir, woher wir denn die Luft auf unserer Reise beziehen sollen. Im Ätherraume gibt es bekanntlich keine, und die vom Cannstatter Wasen in der Gondel mitgenommene Heimatluft hält leider auch nicht lange vor.
O zum Kuckuck! Es ist die Anlage für die feste Luft, die ich vergaß anbringen zu lassen.
So ist es! Mache deinen Fehler so rasch als möglich gut. Blieder soll dir dabei helfen. Ob die Anlage feste Luft enthält, werde ich dann selbst noch prüfen; denn du wärest imstande, sogar die Füllung zu vergessen. Wie ich dir gestern mittag schon sagte, ist auch die ganze Steuerungsanlage fehlerhaft. An Stelle der Vermittlung durch die Welle hast du unbegreiflicherweise die lebendige Kraft des elektrischen Stromes unmittelbar auf die Aluminiumschraube übertragen.
Laut mathematischer Berechnung das einzig Richtige! brummte Schnabel.
Bleib mir hier mit deiner Mathematik vom Leibe, wenn sie solch offenkundigen Unsinn zeitigt! entgegnete zornig Professor Stiller. Ich trage die Verantwortung für die gewagte Expedition. Alles, was ihre Gefahr irgendwie vermehren kann, muß ich nachdrücklich zurückweisen, alles dagegen willkommen heißen, was zu ihrer Sicherheit und zum möglichen Gelingen beizutragen vermag.
Als ob wir, Blieder und ich, nicht alles getan hätten, was du von uns verlangtest! Aber natürlich, euch Allerhöchsten von der Universität ist selten etwas recht zu machen.
So scheint es wirklich zu sein, bestätigte seufzend Blieder.
Darüber will ich mich mit euch nicht streiten, denn dies wäre eine höchst zwecklose Sache. Sorgt lieber dafür, daß der Weltensegler nächste Woche segelfertig ist. Höchste Zeit dafür ist es, soll die Reise überhaupt gelingen. Seit Tagen schon drängen mich deshalb meine Kollegen in Tübingen, denen ich als Zeit des Aufstieges die ersten Tage des Dezembers angegeben hatte, und zwar als äußersten Zeitpunkt. Nun entsteht wieder eine Verzögerung. Die Sache muß rasch zu Ende gebracht werden. Abgesehen von der allgemeinen Lächerlichkeit, der wir uns aussetzen würden, wenn die Abreise immer von neuem wieder verschoben wird, laufen wir überhaupt Gefahr, die uns gebotenen günstigen Konjunkturen nicht voll und ganz ausnützen zu können. Also sputet euch! Ich bitte dringend darum.
Wie lange wird die Reise dauern? fragte Schnabel neugierig und bestrebt, der ihm unangenehmen Unterhaltung eine freundlichere Wendung zu geben.
Das hängt von jedem Tage, ja von jeder Stunde ab, die wir früher fahren können, entgegnete Professor Stiller. Die für die Verbesserung der gerügten Fehler eingeräumten weiteren vier Tage bedeuten für uns eine höchst unliebsame Verlängerung der Reise. Mars hat jetzt das Maximum seiner Annäherung an die Erde erreicht und entfernt sich nun von ihr wieder mit jeder Minute. Wie lange unter diesen Umständen die Reise im Ätherraume dauern wird, läßt sich nur ahnen, genau aber nicht sagen. Sobald wir glücklich aus dem Anziehungskreise der Erde und des Mondes herausgekommen und in den des Mars gelangt sind, wird die Reise außerordentlich rasch vonstatten gehen trotz der gewaltigen Entfernungen, die wir zurückzulegen haben. Dank der mächtigen, vom Mars ausgehenden elektromagnetischen Strömungen der Anziehung werden wir diesem Planeten mit ganz fabelhafter Schnelligkeit zufliegen, mit einer Schnelligkeit, die mindestens täglich auf zwei Millionen Kilometer einzuschätzen ist. Immerhin rechne ich auch im günstigsten Falle auf eine Reisedauer von mehreren Wochen. Der Vorsicht halber nehmen wir aber für drei Monate Proviant mit uns.
Und wenn ihr den Mars nicht erreicht, wenn die ganze Reise mißlingt, was dann? forschte Schnabel.
Dann, mein Lieber, geht es uns, wie es schon so manchem Forscher vor uns gegangen ist und nach uns noch gehen wird: wir sind die Opfer, die Märtyrer der Wissenschaft. Mit diesem Fall haben wir aber auch schon gerechnet, als wir beschlossen, die kühne Fahrt zu unternehmen. Glücklicherweise sind sämtliche übrigen Teilnehmer gleich mir keine Familienväter, sondern der Mehrzahl nach jüngere Männer, die diesen Schritt in das Ungewisse, Geheimnisvolle wagen und vor ihrem Gewissen verantworten können. Ich persönlich rechne mit aller Sicherheit auf das Gelingen der Reise, auf den Triumph der Wissenschaft.
Mit staunender Bewunderung sieht heute die ganze Kulturwelt auf uns und unser Neckartal, wo so kühne Pläne vor ihrer Verwirklichung stehen, und kommt ihr einst mit dem Weltensegler glücklich wieder zurück, so werdet ihr in einer Weise empfangen und gefeiert werden, wie es noch niemals Menschen vor euch geschah, warf Blieder ein.
Zuerst müssen wir nach dem Mars gekommen sein, bevor wir überhaupt an eine Rückkehr denken können, entgegnete Professor Stiller lächelnd. Einige Jahre dürfte unsere Abwesenheit von hier schon dauern; denn eine solche ungeheure Reise erfordert begreiflicherweise auch außergewöhnliche Zeitdauer. Und das interessanteste Studienobjekt ist der Mensch selbst, der auf jenem fernen Weltkörper haust. Wie ihr wißt, beweisen uns unsere teleskopischen Beobachtungen, daß es ganz besonders hochstehende Wesen sein müssen, die dort wohnen. Wer weiß, ob sie uns nicht geistig wie körperlich weit überragen.
Oder uns gegenüber noch sehr minderwertig sind, was auch nicht unmöglich wäre, bemerkte Schnabel hochmütig. Auf keinen Fall möchte ich mit.
Du bleibst auch besser unten auf der Erde, entgegnete Professor Stiller. Und nun haben wir genug geschwatzt. Eilt an eure Arbeit! In vier Tagen werde ich auf den Wasen kommen und mich überzeugen, ob die gerügten Anstände in Ordnung gebracht sind. Nächste Woche muß die Abreise des Weltenseglers unbedingt stattfinden; ich betone dies nochmals mit allem Nachdruck. Jeder weitere Tag des Wartens bedeutet für mich und mein an sich schon aufgeregtes Nervensystem eine fürchterliche Qual. Sie zu vermindern, liegt in eurer Hand. Ihr habt mir oft und viel Verdruß bereitet, macht also, daß ich ohne allzu großen Groll von euch und dieser Erde scheiden kann. Mit diesen Worten entließ der Professor seine Besucher.
Zweites Kapitel
Die Abreise der Weltensegler
Für Professor Stiller und seine Gefährten vergingen die folgenden Tage in fieberhafter Tätigkeit mit den Vorbereitungen zur Reise. Auch auf dem Cannstatter Wasen in der Werkstätte des Weltenseglers herrschte wieder regste Tätigkeit. Das Luftschiff war aus der gewaltigen Halle heraus auf den großen, freien Platz davor gebracht und hier fest verankert worden. Nun erst konnte man die riesigen Formen des Ballons richtig erkennen. Er hatte eine länglich ovale Gestalt, ebenso die an ihm befestigte geschlossene Gondel. Infolge dieser Ähnlichkeit machte die Gondel den Eindruck, als befinde sich ein zweiter kleinerer Ballon unterhalb des großen, gewissermaßen wie Mutter und Kind.
Die Länge des Luftschiffes betrug, von einer Spitze zur andern gemessen, zweihundert Meter, die mittlere Höhe zwanzig Meter.
Das innere Gerippe des Ballons bestand aus einem Netzwerk von luftleer gemachten, sehr dünnen, aber außerordentlich starken Metallblechröhren. Darüber legte sich ein zweites, gleich konstruiertes Gerippe und über dieses ein drittes. Wohl waren die drei Lagen unter sich verbunden, aber doch so, daß auch jede einzelne für sich allein tätig sein und die Gondel tragen konnte. Es war sozusagen ein dreifach übereinander gestülpter Ballon.
Zur Anfertigung der Metallröhren wurde die von Professor Samuel Schwab in Tübingen neu entdeckte Metallmischung, Suevit genannt, verwendet. Diese Mischung zeichnete sich durch außerordentliche Leichtigkeit, fabelhafte Widerstandsfähigkeit und gewaltige Tragkraft aus und stellte alle bis jetzt in dieser Richtung bekannten Metallpräparate in den Schatten. Suevit bestand der Hauptsache nach aus Aluminium, dem aber in bestimmtem prozentualem Verhältnisse Wolfram neben etwas Kupfer und Vanadium beigegeben war. Diese Legierung ließ sich zu feinstem Blech auswalzen, ohne dabei von ihrer Widerstandskraft auch nur das geringste einzubüßen. Aus diesem Blech nun wurden die Röhren geformt, die zur Anfertigung der drei Ballongerippe dienten. Die Röhren waren nahtlos und wurden, nachdem sie auf das sorgfältigste luftleer gemacht worden waren, mit dem neuen merkwürdigen Gase Argonauton gefüllt.
Zur Umhüllung der einzelnen Metallgerippe diente das von dem leider zu früh verstorbenen Eßlinger Großindustriellen Wilhelm Weckerle erfundene Gewebe aus Seide und Leinen, das das Staunen und die Vewunderung der gesamten Textilbranche erregte. Die Fäden dieses Gewebes wurden auf eigens dazu gebauten Webstühlen mittels neuer Maschinen auf geistreiche Weise so miteinander verknüpft, daß sie nahezu unzerreißbar und von wunderbarer Glätte wurden. Jeder einzelne der drei Ballons wurde mit dem Stoff umhüllt, dann erst wurde dieser so lange mit Kautschuklösung getränkt, als er aufnahmefähig war. Durch dieses Verfahren wurde der Stoff für das Gas vollständig undurchdringlich gemacht. Nichtsdestoweniger wurde der Vorsicht wegen das Ganze noch mit einer dünnen Kautschukmasse umgeben und auf diese endlich die Pillerinlösung aufgetragen, eine von Professor Piller in Tübingen zu diesem Zwecke hergestellte Eisensilikatflüssigkeit. Sie gab dem Überzuge eine einer Panzerung ähnliche Widerstandskraft, die selbst durch Anwendung größter äußerer Gewalt kaum überwunden werden konnte. Der Ballon stellte so das Ideal des starren Systems des Luftschiffes dar.
In dieser peinlich genauen Art wurden auch die einzelnen Bestandteile des Ballons behandelt. Die Berechnung war so getroffen, daß auch nach einem etwaigen Verlust der ersten, äußersten Hülle oder, was kaum anzunehmen war, auch der zweiten mittleren, die innerste immer noch als selbständiges Ganzes zu funktionieren und die Gondel zu tragen vermochte.
Auf diese Weise suchte Professor Stiller allen nur möglichen Gefahren im Weltraum erfolgreich zu trotzen. Jede Ballonhülle war mit einer besonderen Klappe versehen, die vom Gondelinnern aus dirigiert werden konnte.
Der Ballon war, wie bereits gesagt, mit dem neu entdeckten, spezifisch unendlich leichten Gase Argonauton gefüllt. Kaum noch wägbar (0,01), besaß das Argonauton die unschätzbare Eigenschaft, weder durch enorme Hitze (+1350 Grad), noch durch größte Kälte (-500 Grad) irgendwie in seinem Aggregatzustande beeinflußt oder gar verändert zu werden. Es war zur Zeit noch das einzige wirklich beständige oder permanente Gas, das Rätsel der Gelehrtenwelt.
Das Gerippe der Gondel bestand aus derselben Art von Röhren und einem Überzuge aus Weckerleschem Gewebe, das in ähnlicher Weise wie der Ballon mit Kautschuk überzogen und mit Pillerinlösung widerstandsfähig gemacht worden war; Außerdem trug die Gondel noch eine dicke Isolierschicht aus Asbest. Im Innern aber war sie dicht mit Pelzwerk ausgeschlagen; galt es doch, dem Wärmeverlust im ungeheuer kalten Ätherraume, dessen Temperatur auf 120 bis 150 Grad Celsius unter Null geschätzt wurde, nach Möglichkeit vorzubeugen. An Sitz- wie Liegegelegenheit fehlte es in der Gondel nicht. Ihr Inneres machte sogar einen äußerst wohnlichen und behaglichen Eindruck. An den Längsseiten der zehn Meter langen und fünf Meter breiten Gondel befanden sich in einer Art von Schränken die Vorräte von den verschiedenartigsten Nahrungsmitteln.
Unterhalb der Vorratsräume liefen die Leitungen der elektrischen Apparate für Heizung und Beleuchtung des Gondelinnern und diejenigen für die Erneuerung der Luft. Die Fortschritte der technischen Wissenschaften hatten es möglich gemacht, ganz gewaltige Mengen elektrischer Kraft auf einem verhältnismäßig kleinen Raume festzulegen. Auf diese Weise nur war es dem Weltensegler möglich, ohne nennenswerte Mehrbelastung diejenigen Energiemengen an elektrischer Kraft mit sich zu führen, die in ihrer umgesetzten Form als Licht und Wärme nicht nur die Existenz der Gondelbewohner ermöglichen, sondern auch zur Vorwärtsbewegung und Lenkung des Luftschiffes selbst dienen sollten. Für letztere Zwecke waren am Ballonkörper selbst seitwärts, rechts und links, Luftschrauben angebracht, die durch die elektrische Kraft von der Gondel aus in Tätigkeit gesetzt werden konnten. Zur ebenfalls elektrisch betriebenen Steuerung dienten mit dem imprägnierten Weckerleschen Stoffe bespannte, wagrecht wie senkrecht einstellbare große, mit Suevitröhren eingefaßte Flächen. Dadurch war eine Steuerung nach zwei Richtungen hin möglich, horizontal sowohl wie auch vertikal.