Aus Kroatien: Skizzen und Erzählungen - Arthur Achleitner 2 стр.


Im engen Raume, den Tonidandel Speisesaal nannte, befand sich das einzige gediegene Möbel des Hauses: ein Auszugtisch. Dazu sechs wackelige Stühle, eine Kredenz mit Gläsern, Geschirr von Steingut und Zinn.

In diesem, von vier Unschlittkerzen feenhaft erleuchteten Saale erwartete Tonidandel, vor dem herrschaftlich mit einem Linnen gedeckten Auszugtische stehend, seinen Gast Pegan. Durch das Häuschen zog der verlockende Duft einer gebratenen Gans.

Als auch Tonidandel diesen Duft in die knotige Nase bekam, öffnete er nicht nur die Fenster des Speisesaales, sondern auch die Haustüre, um den Bratenduft möglichst rasch entweichen zu lassen.

Bis zur Ankunft Pegans war jeder verräterische Duft verflüchtigt, aber dafür qualmten im Speisezimmer die zu Stumpen herabgebrannten Unschlittkerzen, die der Offiziersdiener schleunigst erneuern mußte.

Kurz fiel die Begrüßung des Gastes aus. Tonidandel verwies auf die Notwendigkeit einer späteren Verabreichung des Bilikum (Willkommtrunkes), so der Starešina gekommen sein werde. Weißt, lieber Bruder, für uns beide ist jetzt die Hauptsache, daß wir uns mit Gansbraten satt essen, und zwar vor der Ankunft des Bürgermeisters und vor dem dienstlichen Erdäpfeldiner!

Capsico! rief Hauptmann Pegan mit seiner fetten Stimme. Die knusperig gebratene und von der Köchin gut zerteilte Gans wurde aufgetragen. Der Diener füllte dann die großen, unförmlichen Gläser mit fast schwefelgelbem, doch vorzüglichem kroatischem Weine und verschwand auf einen Wink Tonidandels. So schnell verzehrten die Offiziere die ärarische Gans, als stünde in der nächsten Viertelstunde Alarm und Abmarsch des Bataillons bevor. Tonidandel war überhaupt ein Schnellesser und rasch gesättigt; Pegan hingegen gehorchte lediglich dem Drängen des Kameraden, kaute kaum und verschlang die Brocken. Der Diener wurde gerufen und mußte rasch abtragen, hernach lüften und die Kerzen mit der Scheere putzen.

Hinaus! befahl der Gebieter, der nun die vorhanglosen Fenster schloß.

Ich muß sagen, lieber Bruder, daß mir dieses Essen im Eilmarschtempo wahrscheinlich nicht gut bekommen wird!

Weiß schon, worauf du anspielst! Mußt aber auf den Slibowitz warten!

Nimm einen kräftigen Schluck vom Weine! Und behalte im Gedächtnis. Kein Ton darf verraten werden, daß wir soeben auf Regimentsunkosten eine Gans verzehrt haben!

Sehr wohl, Herr Chef! Die Sache wird immer mysteriöser!

Im Laufe des Abends wird dir alles klar werden!

Auf die Minute genau erschien der Starešina im Hause. Ein hochgewachsener Likaner, breitschulterig, helläugig, gutmütig. Wenn die blonden Haare nicht überlang gewesen wären, hätte man diesen Südslaven für einen Deutschen halten können. Unbegrenzten Respekt vor der Militärmacht verriet sein unterwürfiges, demütiges Verhalten. Der Vorsteher, seines Zeichens ein Schmiedmeister, faßte die ihm gewordene Einladung nicht als besondere Ehre und Auszeichnung auf; er schien zu glauben, daß er befohlen war, zu ungewöhnlicher Stunde einen außerordentlichen und unangenehmen Befehl des Stadtkommandanten entgegenzunehmen. Ängstlich begrüßte er die Offiziere; unterwürfig fragte er in schlecht verständlichem Deutsch nach den Befehlen und Wünschen des Herrn Kommandanten.

Tonidandel beruhigte den Vorsteher sogleich mit dem Hinweise, daß es sich tatsächlich um eine Einladung, nicht um eine militärdienstliche Angelegenheit handle. Ich feiere nämlich heute meinen Namenstag und will an meinem freilich mager bestellten Tische liebe Gäste haben! Meinen Freund und Kameraden Herrn Hauptmann Pegan und den Starešina!

Der Vorsteher richtete sich überrascht auf und warf einen forschenden Blick auf den Gebieter. Zu viel der hohen Ehre! Ich nicht wissen, gnädiger Herr, wie ich kommen dazu! Mit überschwenglicher Höflichkeit stammelte der Schmiedmeister seine Glückwünsche zum Namensfeste, wobei er beteuerte, bis zur Stunde nicht gewußt zu haben, daß der Herr Kommandant den Taufnamen Raphael führe.

Hauptmann Pegan platzte heraus. Hab' ich auch nicht gewußt!

Das ist nebensächlich! Nun wollen wir dem Starešina das Bilikum reichen! Tonidandel füllte einen Pokal mit Wein, hielt eine kleine Ansprache an den Gast, der sich so wohl fühlen möge im Hause wie im eigenen Heim, und reichte dann dem Pokal dem Vorsteher, der aufrecht stehend den Willkommspruch angehört hatte, sich nun verbeugte, den Pokal entgegennahm, einen Segenspruch für den Hausherrn feierlich sprach und den Pokal auf einen Zug leerte.

Die Offiziere leerten ihre gefüllten Gläser gleichfalls bis zur Nagelprobe.

Und nun zu Tisch!

Während die Herren sich setzten, trug der Diener eine Schüssel voll Kartoffeln herein.

Trotz der großen Befangenheit richtete der Likaner einen neugierigen und forschenden Blick auf den Inhalt der Schüssel. Und dabei rutschte ihm die Frage heraus: Što je to? (Was ist das?) Tonidandel füllte den Teller des Vorstehers mit Kartoffeln und sprach schmunzelnd. Erst essen! Die Erklärung wird alsbald folgen! Greif zu, Herr Hauptmann!

Die Offiziere nahmen aus der Schüssel, doch nur je eine Kartoffel und aßen mit gut geheuchelten Appetit.

Zögernd griff der Starešina zu, beguckte das ihm fremde Gericht, stocherte daran und schnupperte vorsichtig. Da er sah' daß die Offiziere das seltsame Zeug wirklich verzehrten, gewann der Vorgesteher doch so viel Vertrauen, ein Stück davon in den breiten Mund zu schieben.

Was wir da essen, sind Erdäpfel, Krompir, lieber Starešina! Erdäpfel, was wachsen in unserem Küchengarten! Wirklich Erdäpfel, die aber die Graničari2 nicht essen wollen!

Der Vorsteher hatte rasend schnell eine zweite Kartoffel gegessen und rief geradezu frohlockend. To je guska! Das ist Gans! Schmecken nach Gansbraten sehr gut! Prozim! (Ich bitte!) Darf ich noch mehr davon essen?

Der Kommandant erwiderte lachend. Nur zu! Alles dürfen Sie essen! Bis Ihnen die Ohren stauben! Der Starešina soll sich ja überzeugen, daß die Erdäpfel wirklich sehr gut schmecken!

Für die Lika mit ihrer häufigen Hungersnot wird es ein Segen sein, wenn der Anbau der ausgezeichneten Erdäpfel allgemein durchgeführt wird!

Gierig verzehrte der Vorsteher die Kartoffeln. Schmatzend wie ein Fischotter beim Fischfraß. Dann aber hielt er inne und sprach. Bitt ich schönstens, Herr Kapetan! Seltsam find' ich, daß schmecken dieser Erdapfel so stark nach Gans! Wahrhaftig wie gebratene Gans! Schmecken jeder Erdapfel so?!

Dem Hauptmann Pegan ging ein Licht auf; ein Lächeln umspielte seine Lippen.

Völlig ernsthaft und im Tone der Belehrung erwiderte der Kommandant: Es gibt drei verschiedene Sorten von Erdäpfeln, lieber Starešina! Eine Sorte heißt Schneeflocken, weil dieser Erdapfel weiß und mehlig ist wie Schnee! Eine andere Sorte heißt Rosenkartoffel von wegen der rosaroten Farbe! Was Sie eben gegessen haben, ist der Gänse-Erdapfel, weil er nach Gänsebraten schmeckt! Ganz so, wie es in Deutschland einen Gänsekohl gibt!

Wunder Gottes! rief staunend der Vorsteher. Das sein prachtvoll!

Schmecken herrlich! Der Banus in Agram und der Zar (Kaiser) in Wien können nicht Besseres essen! Und der Ganserdapfel machen so prachtvolle Durst!

Während sich Hauptmann Pegan vor Lachen krümmte, versicherte Tonidandel schmunzelnd: Das ist ja das Schönste an einem Erdapfel! Und den von ihm erzeugten Durst wollen wir nun löschen mit Wein! Trinken wir auf das Wohl des Chefs unseres Likaner Grenzregiments, der zum Segen des Graničari die Erdäpfel bei uns einführen will! Der Herr Oberst lebe hoch!

Völlig ernsthaft und im Tone der Belehrung erwiderte der Kommandant: Es gibt drei verschiedene Sorten von Erdäpfeln, lieber Starešina! Eine Sorte heißt Schneeflocken, weil dieser Erdapfel weiß und mehlig ist wie Schnee! Eine andere Sorte heißt Rosenkartoffel von wegen der rosaroten Farbe! Was Sie eben gegessen haben, ist der Gänse-Erdapfel, weil er nach Gänsebraten schmeckt! Ganz so, wie es in Deutschland einen Gänsekohl gibt!

Wunder Gottes! rief staunend der Vorsteher. Das sein prachtvoll!

Schmecken herrlich! Der Banus in Agram und der Zar (Kaiser) in Wien können nicht Besseres essen! Und der Ganserdapfel machen so prachtvolle Durst!

Während sich Hauptmann Pegan vor Lachen krümmte, versicherte Tonidandel schmunzelnd: Das ist ja das Schönste an einem Erdapfel! Und den von ihm erzeugten Durst wollen wir nun löschen mit Wein! Trinken wir auf das Wohl des Chefs unseres Likaner Grenzregiments, der zum Segen des Graničari die Erdäpfel bei uns einführen will! Der Herr Oberst lebe hoch!

Živio! rief der Vorsteher, der sich gleich den Offizieren erhoben hatte.

Die Gläser klangen und wurden geleert.

Nie in meinem Leben haben mir der Wein so gut geschmeckt wie heute auf den Gans-Erdapfel! Herr Kommandant wissen ja, wie selten unsereiner zu wirklichem Gansbraten kommen! Aber nun werden wir bekommen guten Ersatz für wirkliche Gans durch Erdapfel, was auch so nach Gans schmecken! Hoch und heilig gelobte der Vorsteher, all seinen Einfluß im Städtchen und bei den Dorfältesten des Bezirkes aufzubieten, um den Leuten diese Wundergabe, den nach Gansbraten schmeckenden Erdapfel, zugänglich zu machen. Im nächsten Frühjahre werde sicherlich in der Lika alles diese Erdapfelsorte anbauen, vorausgesetzt, daß man Samen und Knollen davon vom Regiment erhalte.

Soviel die Leute wollen, sollen sie bekommen!

Tausend Dank, Gnaden Herr Kommandant! Ich werde predigen davon, wie gut, sehr gut sein besonders der Gans-Erdapfel! Ich sein überzeugt, daß ganze Bevölkerung sich bemühen wird, diese Erdapfel sich zu verschaffen! Ein listiger und zugleich fragender Blick streifte den Hausherrn.

Tonidandel verriet in keiner Weise, daß er die Bedeutung dieses Likaner Ausdrucks kannte. Absichtlich ignorierte er die listige Anspielung des Vorstehers, der auf den Busch hatte klopfen wollen.

Auf Regimentsunkosten wurden noch etliche Krüge Weines geleert. Bevor aber der glückselige Vorsteher den Zungenschlag bekam, hob der Hausherr die Sitzung mit dem Bedeuten auf, daß frühmorgens die Kompagnie ausrücken müßte, daher die Nachtruhe erwünscht sei.

Schon in aller Frühe rücken Herr Kapetan aus? fragte blinzelnd der Vorsteher beim Abschied.

Ich nicht! Aber die Kompagnie! Und nun Gute Nacht, lieber Starešina!

Mit einiger Mühe brachte der Kommandant den schwatzhaft und überschwenglich gewordenen Gast zur Haustüre und auf den Heimweg.

Im Speisezimmer bei trübem Licht der Kerzenstumpen fragte Pegan den Vorgesetzten, ob die Kompagnie wirklich in aller Frühe ausrücken müsse.

Aber keine Idee, lieber Bruder! Ich habe das nur gesagt, um den Vorsteher und meine Erdäpfel los zu werden! rief lachend der Hausherr.

Was! Die Erdäpfel willst du los werden? Wieso denn?

Ja! Es wird keine Stunde währen und im Küchengarten wird dann kein Erdapfel mehr zu finden sein!

Nicht möglich! Du mußt Wachen aufhellen, den Diebstahl verhindern!

O nein, lieber Bruder! Im Gegenteil! Es wird mich sehr freuen, wenn sich unsere Graničari, allen voran der Starešina, in dieser Nacht meine Erdäpfel verschaffen! Du mußt nämlich wissen, lieber Bruder, daß der Grenzer niemals stiehlt; er verschafft sich nur eine ihm nicht eigene Sache! Und da im Regimentsbefehl deutlich zu lesen ist, daß wir den Graničari Gelegenheit zum Verschaffen geben sollen, rühre ich ordergemäß keinen Finger, so unsere Grenzer sich heute nacht sämtliche Erdäpfel aus meinem Küchengarten holen!

Ah! Jetzt verstehe ich alles! Die Erdäpfel hast du mit der Gans braten lassen, damit.

Stimmt! Und jetzt verlöschen wir das Licht; im Dunkel der Nacht wollen wir vom rückwärtigen Zimmer aus beobachten, wie sich die Graničari die Gänsekartoffeln holen!

So geschah es.

Am Morgen stellte Kommandant Tonidandel in Gegenwart des Hauptmanns Pegan dienstlich fest, daß im Küchengarten nicht eine Kartoffel mehr zu finden war. Diese Konstatierung erfolgte zum Zwecke, daß dienstlich an das Regimentskommando der Vollzug des Befehles gemeldet werden konnte. Pegan unterschrieb das Dienstschreiben als Zeuge.

Tonidandels Hoffnung, mit einem Erdäpfel-Befehl so bald nicht mehr belästigt zu werden, erfüllte sich vollauf; denn der Regimentschef schien sich zu beruhigen mit der Vollzugsmeldung. Und die Grenzer wollten von den Kartoffeln nichts wissen, weil die verschafften Erdäpfel aus dem Kompagnie-Küchengarten nicht nach Gänsebraten schmeckten.

Und bei den Graničari galt es fürder ausgemacht, daß der Starešina ein großer Lügner sei.

* * * * *

So zurückgezogen, gesellschaftlich abgeschlossen Kommandant Tonidandel im Städtchen lebte, ab und zu besuchte er doch den Prota (Erzpriester der griechisch-orthodoxen Gemeinde), einen ehrwürdigen Greis mit schneeweißem Bart und langem Silberhaar, im Pfarrhause. Sowohl der ruhige Prota wie seine Gattin, die stille Poša (Poscha), besonders aber die liebliche Tochter Maca (Matza, Marie) waren dem bärbeißigen Kompagniekommandanten überaus sympathisch. Tonidandel fühlte sich wohl bei dieser Familie, zumal ihm der Prota, der, wie alle Stände in der Militärgrenze, unter dem Militärgesetz und der Militärverwaltung stand, nie Unannehmlichkeiten, Verdruß oder Scherereien verursacht hatte. Gelegentlich vom Prota geäußerte Worte über die drückende Militärdidaktur, über den Despotismus des Regimentschefs nahm Tonidandel umso weniger übel, als der Kompagniekommandant doch selbst seine eigene, nicht gerade rosige Meinung über den gewalttätigen Chef hatte.

So saß denn Tonidandel etliche Tage später an einem Abend im kahlen, doch behaglich erwärmten Wohnzimmer des Pfarrhauses und kneipte mit dem Prota vom Weine, den der Kommandant vorher ins Haus gesandt hatte. Der Erzpriester mit kümmerlichem Einkommen war so arm, daß er den hohen Gast nicht hätte entsprechend bewirten können. Deshalb schickte Tonidandel mit der Besuchsansage stets Wein, Slibowitz, zuweilen auch kalten Aufschnitt ins Pfarrhaus.

So auch diesmal. Und wie die Herren nach der Begrüßung der Damen gemütlich beisammen saßen, erzählte Tonidandel vergnügt die Geschichte von den Gänsekartoffeln, und zugleich sprach er die Hoffnung aus, für die Dauer seiner Dienstzeit mit Erdäpfel-Befehlen verschont zu bleiben.

Der ehrwürdige Prota wagte kaum ein Lächeln. Würdevoll schloß er sich der Hoffnung des Kommandanten an und leerte auf die Erfüllung des Wunsches Tonidandels sein Glas.

Ist recht so, lieber Prota! Ich hoffe aber noch mehr, nämlich die endliche Berufung unter Vorrückung nach Europa!

Bog daj!3 rief der Erzpriester und hob die Augen zur geschwärzten Decke. Und nachdem er die Unschlittkerze geputzt hatte, wagte er die sanft vorgebrachte Bemerkung, daß sich bei bescheidenen Ansprüchen doch auch in der weltentlegenen Lika leben lasse. Besser freilich vielleicht im Provinzial!4

Glaub' Er das nicht, lieber Prota! erwiderte eifrig der Kommandant. In mancher Beziehung sind die Zustände bei uns in der Grenze sogar besser! Wir haben doch nicht die Rechtsbeugungen der adeligen Gutsbesitzer, nicht die Willkürherrschaft der autonomen Komitate, nicht die Gier und Leidenschaft politischer Hitzköpfe im Provinzial!

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