Ungewöhnlich konnte der Auftrag zur Kontrolle der Amtsführung eines Dorfpfarrers nicht genannt werden; denn der Militärverwaltung in der Militärgrenze war alles unterstellt: Männer, Frauen und Kinder, alle Stände, Klerus, Stadtbürger und Landvolk. Demnach war das Regimentskommando nicht nur kompetent, sondern auch verpflichtet, die Dienstgeschäfte der Pfarrer zu überwachen, Ordnung zu schaffen, besonders dann, wenn Beschwerden eingelaufen waren.
Tonidandel vermutete, daß just über den im Befehle genannten Popen namens Vid (Veit) Denunziationen in Karlstadt eingelaufen sein dürften, und daß dieser Pope möglicherweise kein ordnungsgemäß geprüfter Priester von normaler Ausbildung, sondern nur ein Protektionskind ohne Fachbildung sein werde.
In diesem Falle war besondere Vorsicht angezeigt, um nicht gegen den Protektor zu verstoßen.
Tonidandel ersah aus der Bezirkskarte, daß die Inspektionsreise zum Amtssitz des Popen Vid mindestens drei Tage beanspruchen werde. Er übertrug daher die Dienstgeschäfte der Kompagniekommandantur dem Hauptmann Pegan und trat dann mit üblicher Bedeckung die Reise zu Pferd an.
Ein erbärmliches Nest war das Dorf; die Holzhäuser tief im Boden steckend, meist nur ein Gelaß enthaltend, mit Stroh oder Dünger gedeckt. Der Fürsorge der Militärverwaltung entsprachen nur die Kirche und die steingefügten Häuser für den Popen und für die Schule.
Der langhaarige und bärtige Pope Vid sprang wie ein gehetzter Hirsch herbei, als Hauptmann Tonidandel mit sechs Soldaten am Pfarrhause hielt. Überschwenglich und untertänig begrüßte der Pope den erlauchten und gnädigen Herrn, völlig nach Domestikenart, unterwürfig und kriechend.
Barsch fragte Tonidandel in dem üblichen Gemisch von Militärdeutsch und Likaner Kroatisch, ob der Pope Vid heiße und der Pfarrer dieses Dorfes sei.
Gehorsamst aufzuwarten, gnädiger Herr! Ich bin der Pope dieses Dorfes auf Empfehlung des hochwürdigsten Archimandriten durch die Gnade des erlauchten Chefs des Likaner Regiments, des gnädigsten Herrn Oberst K. in Karlstadt! Womit kann ich Euer Hochwohlgeboren dienen! Ich bitte um die hohe Ehre, die Schwelle meines Hauses überschreiten zu wollen!
Den Hinweis auf die Ernennung zum Popen durch den Regimentschef K. hielt Tonidandel einstweilen für eitel Prahlsucht. Sein Pferd und die Bedeckungsmannschaft schickte der Offizier in das Dorfgasthaus. Und sofort machte sich Tonidandel an die Erledigung der Dienstgeschäfte, die für einen Offizier ebenso seltsam wie lästig waren.
Der Forderung, die Register (Pfarrmatrikel) vorzulegen, suchte sich der Pope zu entziehen mit dem Hinweise, daß er kein Freund von Schreibereien sei und um keinen Preis der Welt den gnädigen Herrn Kommandanten belästigen wolle.
Scharf bestand Tonidandel auf der Vorlage der Pfarregister. Der Pope wand und krümmte sich. Und er jammerte: Halten zu Gnaden, erlauchter Herr Hauptmann! Die Matrikel, so Euer Herrlichkeit wünschen, ist ganz überflüssig, also nicht vorhanden!
Waaas? Wieso?
Halten zu Gnaden, Erlaucht! Li ja baš tako!8 Ganz überflüssig! Wird ein Kind geboren, so taufe ich es, das Kind ist da, braucht also nicht aufgeschrieben werden, weil es da ist! Stirbt einer in meiner Gemeinde, so ist er weg; den Toten schreibe ich nicht auf, weil er eben weg ist!
Prachtvoll! höhnte Tonidandel.
Danke gehorsamst für diese Anerkennung Euer Erlaucht! Sie freut mich sehr!
Und die Hochzeiten! Werden diese auch nicht aufgeschrieben?
Nur die Namen, von wegen der Gebühren, wenn die Paare nicht gleich bezahlen! Die Zahlung ist die Hauptsache! Wovon soll ein armer Pop leben?
Eine interessante Wirtschaft in einem Pfarramt!
Ich danke untertänigst! Aber interessant ist bei mir nichts, das Einkommen schlecht!
Wo hat Er denn studiert?
Gehorsamst aufzuwarten, beim Archimandriten!
Wie? Unbegreiflich! Zeig' Er mir seinen Lehrbrief!
Halten zu Gnaden, Herrlichkeit! Ich besitze ein solches Dokument nicht!
Tod und Teufel! Also hat Er Theologie gar nicht gelernt!
Zu dienen, Erlaucht! Der hochwürdigste Archimandrit hat mich höchstpersönlich unterrichtet, hat mich gelehrt: Messe lesen, Predigen, alle praktischen Funktionen, die ein Pop wissen und ausüben muß! Ganz praktisch, nur praktisch! Ein Dokument hierüber haben mir der hochwürdigste Archimandrit nicht auszufertigen geruht!
Warum hat Ihn der Archimandrit in so auffallender Weise sozusagen abgerichtet?
Aus Dankbarkeit!
Wie? Was? Wie kommt ein Archimandrit dazu, einem Menschen wie Ihm so sonderbar zu Dank verpflichtet zu sein?
Das kann ich Euer Herrlichkeit nur ins Ohr sagen, denn es muß das ein Geheimnis bleiben!
Und ehe der Offizier diese widerliche Zudringlichkeit verhindern konnte, hatte ihm der Pope das Geheimnis ins Ohr geflüstert.
Erst starrte der Hauptmann den sonderbaren Pfarrer an, verblüfft in hohem Maße; dann aber lachte Tonidandel, daß ihm das Wasser aus den Augen schoß.
Zum Schlusse dieser denkwürdigen Pfarrmatrikelkontrolle bestand der Offizier auf der Einhändigung des Ernennungsdekretes.
Dieses Dokument lieferte der Pope ersichtlich ungern, zögernd und wider Willen ab.
Ein Blick auf Dienstsiegel und Unterschrift. Und Tonidandel frohlockte.
Es stimmte genau; der Oberst K., kein anderer, hatte dieses Monstrum von Theologen zum Pfarrer ernannt. Und den Popen Vid mußte er völlig vergessen haben: denn sonst würde er den Hauptmann nicht auf das Protektionskind gehetzt, Kontrolle und Bestrafung angeordnet haben.
Wegen der weiteren Erledigung dieser Angelegenheit, erklärte der Offizier, daß ein Bescheid dem Pfarrer schriftlich zugehen werde.
Das Ernennungsdekret nahm er mit.
Wie zu Stein erstarrt blieb der Pope stehen, als der Hauptmann lachend das Pfarrhaus verließ.
Zwei Tage später schrieb Tonidandel in der Kanzlei zu S. den gewünschten Bericht an das Regimentskommando in Karlstadt. Zwar nicht erschöpfend, aber sarkastisch, knapp und sehr verständlich. Der Inhalt lautete ungefähr: Eine Pfarrmatrikel gibt es im Dorfe . nicht; der mit Dekret des Regimentskommandanten, des Herrn Oberst K. zum Pfarrer ernannte Jaša Vid war früher durch viele Jahre Kutscher beim Archimandriten ., der den Vid aus Dankbarkeit zum Popen abrichtete, weil der Vid niemals einen Lohn für seine Kutscher- und Hausknechtsarbeit erhalten hat. Deshalb besitzt der Vid auch keinen theologischen Lehrbrief und keine theologischen Kenntnisse. Vid behauptet, daß der Archimandrit ihn dem Herrn Regimentschef empfohlen habe. Die Bestrafung wegen ungenügender Matrikelführung wolle das hohe Regimentskommando vornehmen.
Bezüglich der Errichtung von Räuberkommandos wird gehorsamst bemerkt, daß es im Dienstbereiche des Kompagniekommandos S. Räuber nicht gibt.
Deshalb wird gehorsamst um Angabe der Dörfer gebeten, in die zwecklos Detachements gelegt werden sollen.
Lachend fügte Tonidandel diesem Schriftstück das Dienstsiegel des Kompagniekommandos und seine Unterschrift bei.
Das Städtchen S. und die Lika wurden bald darauf eingeschneit, von allem Verkehr gänzlich abgeschnitten. Wochen vergingen. Und als erstmals wieder auf Schlitten die Militärpost aus Karlstadt nach S. kam, enthielt die Posttasche unter anderm ein Schriftstück, das den Befehl zur Aufstellung von Räuberkommandos widerrief und dem Kompagniekommando mitteilte, daß Oberst K. unter Beförderung zum Generalmajor nach Wien versetzt worden sei. Also war Hauptmann Tonidandel seinen Befehlsgeber und Peiniger los geworden.
Des Popen Meisterstück
Als Kommandant Tonidandel von der Grenzerkompagnie S. auf Regimentsbefehl (unterzeichnet: K.) die Untersuchung gegen den Dorfpopen Vid wegen ungenügender Führung der Pfarrmatrikel durchgeführt und dieses sonderbaren Pfarrers Ernennungsdekret mitgenommen hatte, verlebte der Pope Vid begreiflicherweise schwere Tage bitterster Angst in Erwartung der Strafe und der Absetzung. Denn soviel Verstand besaß Jaša Vid noch von seiner Tätigkeit als Rosselenker her, daß er selbst die Belassung auf seinem Posten für unmöglich hielt, nachdem in seine Führung der Pfarrgeschäfte von militärischer Seite hineingeleuchtet worden war. An der Entlassung von kurzer Hand zweifelte Vid keinen Augenblick; sie konnte nur noch die Frage weniger Wochen sein und hing zeitlich davon ab, wann der Kompagniekommandant den Rapport schreiben, das amtliche Schriftstück beim Regimentskommando in Karlstadt eintreffen und Oberst K. dazu kommen werde, das Aktenstück zu erledigen.
Den ersten Tag nach Tonidandels Abzug verlebte der Pope in völliger Verzweiflung. Der zweite Tag verging in dumpfem Hinbrüten. Am dritten Tage dämmerte im pfarrlichen Kutschergehirn der Gedanke auf, daß das bittere Unheil vielleicht abgewendet werden könnte, wenn man den allmächtigen Regimentskommandanten bei besonders guter Laune antreffen, ihm ein besonders schönes Pferd vorführen und kniefällig um Belassung auf dem Posten trotz mangelhafter Registerführung und früherer Kutschertätigkeit bitten würde.
Mit einer gewissen Findigkeit, die der Logik nicht entbehrte, kam Vid zu der Folgerung, daß der Regimentsgewaltige ihn nicht zu hart bestrafen könne, nachdem doch der Oberst in eigener Person den Kutscher zum Pfarrer ernannt hatte. Schuld des Popen konnte es nicht sein, falls etwa der Archimandrit dem Regimentskommandanten verschwiegen haben sollte, daß Vid früher des Archimandriten Rosselenker gewesen. Wußte dies aber der Oberst, hatte er trotzdem die Ernennung vollzogen, so durfte er, nun durch die Stocherei des Kontrolloffiziers der Tatbestand aktenmäßig geworden, nicht so grausam sein, den Popen, sein Protektionskind, davonzujagen.
Am vierten Tage beschäftigte sich Vid mit dem Verhalten des Hauptmannes gegenüber dem ins Ohr geflüsterten Geheimnis. Der Pope fragte sich, warum der Offizier sich krümmte und so schrecklich lachte, daß ihm das Wasser aus den Augen schoß? Die Beförderung des Kutschers zum Popen mochte in fremden Augen ungewöhnlich erscheinen; Vid erblickte in ihr nichts anderes als die Tilgung einer Dankesschuld. Verjagt der Oberst den Popen vom Pfarrposten, so wird der Archimandrit entweder für eine andere Stelle sorgen oder den rückständigen Kutschersold bezahlen müssen.
Weshalb aber lachte der Offizier so unbändig? Ist er vielleicht ein Feind des Regimentskommandanten? Will er ihm mit der Aufdeckung des Geheimnisses, daß Vid früher Kutscher gewesen, einen besonderen Streich spielen? Darüber Näheres und Sicheres zu erfahren, bestand keine Möglichkeit. Doch eines erriet Vid gefühlsgemäß: eine Hauptrolle werde und müsse seine Tätigkeit als Rosselenker spielen. Dieses Gefühl lenkte auf den Gedanken, die Gunst des Regimentskommandanten neuerdings, und zwar durch Pferde zu gewinnen. Der arme schlechtbezahlte Dorfpope besaß jedoch keine Pferde, konnte solche nicht kaufen. Ein schönes wertvolles Roß schon gar nicht. Und ein Pope konnte ein Prachtroß auch nicht verschaffen. Nur darüber reden könnte er mit einem Besitzer oder mit einem Sachverständigen in der Pferdebeurteilung.
Eigentümer schöner Pferde gab es im Dorfe nicht, wohl aber im nächsten größeren Orte. Sachverständige im Heimatsdorfe genug. Gleich der nächste Nachbar des Pfarrhauses, der Mirko, stand im Rufe eines Pferdekenners, der freilich viel schwätzte; doch erzählte die Fama von ihm, daß er nachts auf geheimnisvollen Gängen sehr schweigsam, stumm wie das Grab, sei.
Nicht über die beunruhigende Sache betreffend die drohende Absetzung, nur über Pferde wollte der Pope mit Mirko sprechen. Bei nächster Gelegenheit fragte also Vid, wie doch eigentlich die kavalleristische Episode im Provinzial bei der Landwehr gewesen sei.
D.V.