Geister, Frauen Und Andere Einbildungen - Stephen Goldin 4 стр.


Die Stadtgrenze lag genau einen halben Meter von den Zehenspitzen von Ryans Stiefeln entfernt. Ryan stand da, nicht sonderlich in Eile, diese Linie zu überqueren. Fünfzig Zentimeter waren alles, was zwischen ihm und möglicher Verrücktheit lag. Er starrte auf die Stadt und versuchte, etwas aus ihrer undurchschaubaren Silhouette heraus zu lesen erfolglos.

Schließlich zog er den Kommunikator aus seiner Hosentasche. Das kalte Metall-Kästchen in der Hand zu halten, fühlte sich irgendwie beruhigend an. Es war ein Symbol für die Erde, hier mitten in der Fremde dieses Planeten. Irgendwie war das Schiff ebenso wie die Erde selbst nicht ganz so weit weg, solange er es in der Hand hielt. Ryan war nicht gerade ein außerordentlich mutiger Mann. Trotz all der Propaganda hatten Planeten-Kundschafter meistens doch auch ihre eigenen, menschlichen Gefühle und Ängste. Ryans Angst war Einsamkeit.

Trotzdem sprach er mit ruhiger, gleichmäßiger Stimme. Die Mitteilung ging nicht zu einem der Menschen auf dem Schiff, sondern zu dem JVA-Modell-Computer, der das Schiff steuerte. Die menschliche Gesellschaft war zu groß, zu vielfältig, zu komplex geworden, als dass menschliche Gehirne sie noch verstehen hätten können, also brauchte es technische Hilfe. Computer waren zu Vätern-Müttern-Lehrern der menschlichen Rasse geworden. Java-10 war das tragbare Gegenstück zu dem gigantischen Gehirn, das die Erde kontrollierte.

Ich stehe kurz davor, die Stadt zu betreten, sagte Ryan.

Ich brauche nicht noch einmal zu betonen, dass höchste Vorsicht geboten ist, antwortete Java-10. Fünf frühere Expeditionen sind hier verschwunden. Versuche häufige, oder stetige Kommunikation aufrecht zu erhalten. Und vergiss nicht, wenn du es nicht schaffst, dann wird es keine neuen Versuche geben. Die Stadt wird trotz ihres potentiellen Wertes zerstört werden müssen.

Ich verstehe, sagte Ryan knapp. Over and out. Er schaltete seinen Kommunikator aus und steckte ihn wieder in seine Tasche.

Er stand vor der Grenze und zögerte. Zu seiner Rechten war sein Kundschafter-Schiff neben den fünf anderen stationiert, vorbereitet und jederzeit startklar, sollte es nötig werden. Hinter sich fühlte er die Wüste, trocken und tödlich, ihre Staub-Dünen, die sich mit jeder zufälligen Brise, die über sie hinweg blies, lautlos verschoben. Vor ihm wartete de Stadt, deren Umrisse, Schönheit und völlige Fremdheit in die Augen stach. Glitzernde Mauern, die in verrückten Winkeln abstanden, scheinbar die Produkte des Deliriums eines betrunkenen Architekten. Zerbrechliche, beinahe feenhafte Strukturen wuchsen seitlich eine aus der anderen, manche hunderte Meter über dem Boden. Andere Gebäude, noch erstaunlicher, schienen einfach in der Luft zu hängen, ohne sichtbare Träger. Von Zeit zu Zeit wurde die Stadt von einem Wind berührt, der die gesamten Bauwerke in Vibrationen versetzte, wie einen singenden Kristall, so dass es schien, als seufzte die Stadt ein Sirenen-Lied.

Menschen hatten diese Stadt die einzige auf einem sonst völlig verlassenen Planeten schon fünfmal vor ihm betreten. Keiner dieser Menschen war jemals zurückgekehrt. Detektoren hatten keinerlei Lebensformen anzeigen können, bevor die Menschen gekommen waren. Sechzehn Lebensformen wurden nun registriert die sechzehn Menschen, die drinnen verschwunden waren. Und nun hatte Ryan die Chance, die Anzahl auf siebzehn zu erhöhen.

Niemand hatte auch nur die geringste Ahnung, wer die Stadt gebaut hatte, oder wann, oder wieso. Alles, was bekannt war, war, dass sie sechzehn Menschen verschluckt hatte, die lebten, aber scheinbar unfähig waren, zu entkommen, trotz der besten Bewaffnung, die die Erde bieten konnte. Die Stadt generierte ein Feld einer unbekannten Energie, die vom Stadtzentrum aus kugelförmig nach außen strahlte bis zu einem bestimmten Abstand, und nicht weiter. Einige der Männer, die das Feld betreten hatten, hatten den Funkkontakt mit ihren Schiffen noch einige Zeit lang aufrechterhalten. Aber die erhaltene Information war praktisch nutzlos, denn die Männer waren tiefer und tiefer in einen Zustand gerutscht, der nur als Delirium bezeichnet werden kann, und hatten schließlich den Kontakt mit der Realität völlig verloren und die Kommunikation beendet.

Die Neugier auf der Erde und die Nachfrage nach der Technologie, die diese Stadt repräsentierte, waren schlagkräftig. Wegen dieser hatten sechzehn Menschen die Stadt betreten und waren verrückt geworden.

Vielleicht würde es einen siebzehnten geben.

Tief einatmend überquerte Ryan die Grenze.

***

Nichts passierte. Ryan stand da, erwartungsvoll, Muskeln angespannt, die Zähne zusammen gebissen, aber es gab keinen Unterschied zwischen seinen Wahrnehmungen nun und seinen Wahrnehmungen einen Moment davor. Er nahm seinen Kommunikator wieder aus seiner Tasche und genoss das beruhigende Gefühl, das er ihm gab. Ich habe soeben die Grenze zu der Stadt überschritten. Bisher fühle ich keine Wirkung.

Gut, antwortete das Schiff. Gehe weiter zum Zentrum der Stadt. Bewege dich langsam und gehe kein Risiko ein.

Verstanden, sagte Ryan, und brach die Verbindung wieder ab.

Die nächsten Gebäude waren immer noch über hundert Meter entfernt. Ryan bewegte sich sehr zielstrebig auf sie zu. Alle Sinne waren gespannt, auf der stetigen Suche nach irgendeinem Hinweis, wie unscheinbar auch immer, auf Gefahren. Nichts bewegte sich, und die einzigen Geräusche waren das Flüstern des Windes. Die Stadt hatte absolut keinen Geruch, was noch auffälliger war als ein Gestank. Ryan hatte die leise Vorstellung als betrete er eine Kristall-Burg, aber der Gedanke verschwand schnell wieder.

Er erreichte das erste Gebäude und streckte vorsichtig eine Hand aus, um es zu berühren. Es war glatt und hart wie Glas, und doch undurchsichtig. Es fühlte sich unter seinen tastenden Fingern weder kalt noch warm an, aber es erzeugte ein Prickeln in seinen Fingerspitzen. Er zog seine Hand zurück. Die Stellen, wo seine Finger angekommen waren, waren kleine, dunkle Flecken auf der sonst milchigen Oberfläche. Die Flecken verschwanden vor seinen Augen, bis die ganze Wand wieder einfarbig war.

Es gab keine Öffnungen oder Brüche nirgendwo entlang der Mauer. Ryan schritt neben der Mauer entlang, parallel zu ihr, ohne sie noch einmal zu berühren. Er hielt Ausschau nach einer Tür, oder einer Öffnung irgendeiner Art, durch die er das Gebäude betreten konnte. Die Mauer erschien glatt, hart und durchgehend, mit keinem sichtbaren Eingang. Doch plötzlich flimmerte ein Teil der Mauer und wurde zu Luft, zurück blieb ein großes Tor, das Ryan benutzen konnte. Erschrocken machte er einen Schritt zurück, dann zog er seinen Kommunikator heraus und beschrieb dem Schiff im Orbit über ihm die jüngsten Entwicklungen.

Ist sonst irgendetwas passiert, das eine potentielle Gefahr bedeuten könnte? war die Antwort.

Noch nicht. Es scheint immer noch keinerlei Anzeichen von Leben zu geben abgesehen von der Erscheinung dieser Tür.

Dann musst du das Risiko eingehen, hinein zu gehen, und es zu erkunden, sagte Java-10 emotionslos.

Klar, dachte Ryan, dir kann es ja egal sein. Es ist ja nicht dein Kopf. Verstanden.

Er hatte eine Taschenlampe bei sich, aber schon ein kurzer Blick hinein zeigte ihm, dass er sie nicht nötig haben würde. Das Innere des Gebäudes war hell erleuchtet, die Wände schienen selbst zu strahlen. Als er durch das Tor trat, schaute sich Ryan neugierig um.

Das Gebäude hatte keinerlei Einrichtungsgegenstände. Das einzige Element darin war eine breite Wendeltreppe, die entlang der zylindrischen Mauern hinauf führte, hinauf, und hinauf. Der Kundschafter verdrehte seinen Hals, um zum oberen Ende der Treppe empor zu sehen, aber sie schien bis in die Unendlichkeit weiter zu gehen. Alle fünfundzwanzig Stufen gab es eine große Plattform mit einem kleinen Fenster in der Wand, um auf die Stadt zu sehen. Ein Geländer aus klarem Plastik säumte die Innenseite des Treppenhauses.

Das Gebäude hatte keinerlei Einrichtungsgegenstände. Das einzige Element darin war eine breite Wendeltreppe, die entlang der zylindrischen Mauern hinauf führte, hinauf, und hinauf. Der Kundschafter verdrehte seinen Hals, um zum oberen Ende der Treppe empor zu sehen, aber sie schien bis in die Unendlichkeit weiter zu gehen. Alle fünfundzwanzig Stufen gab es eine große Plattform mit einem kleinen Fenster in der Wand, um auf die Stadt zu sehen. Ein Geländer aus klarem Plastik säumte die Innenseite des Treppenhauses.

Ryan bewegte sich langsam vorwärts, noch immer auf alles gefasst, was passieren könnte. Das Echo, das seine Stiefel erzeugten, als sie über den harten Steinboden schritten, war beinahe ohrenbetäubend im Vergleich zu der völligen Stille, unter der der Rest der Stadt begraben lag. Er erreichte den Fuß der Treppe und legte seine Hand auf das Geländer. Das Plastik fühlte sich kühl und irgendwie beruhigend an, als wäre er inmitten dieser Fremde einem alten Freund begegnet. Vorsichtig machte er sich daran, die Stufen zu erklimmen, einen Fuß nach dem anderen, seine Hand immer fest am Geländer. Seine Augen bewegten sich von einer Seite zur anderen, auf der Suche nach wahrnehmbaren Gefahren. Aber keine erschien. Dann ergriff ihn die Ungeduld, und er begann, die Treppen hinauf zu rennen.

Schließlich, auf der vierten Etage, blieb er stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Er war mittlerweile vielleicht sechzehn Meter über dem Parterre. Das Tor war immer noch da und wartete geduldig auf seine Rückkehr, aber aus dieser Höhe sah es viel kleiner aus. Er ging hinüber zu dem Fenster, sah hinaus und sah

New York City zu Mittag, die Gehsteige voll mit Geschäftsleuten auf ihrem Weg zum Mittagessen, Leute beladen mit Plastiktüten, die beim Einkaufen von einem Laden zum nächsten unterwegs waren

Er blinzelte und schaute noch einmal. Da war nur die fremde Stadt, die zusammengekauert und still dasaß, wartend und wartend. Still. Keine Bewegung, kein Geräusch, keine Schatten.

Mit zitternden Händen riss Ryan seinen Kommunikator regelrecht aus seiner Tasche. Er ließ seine bebenden Finger die rechteckige Form einen Moment lang streicheln, dann rief er das Schiff. Ryan ruft Java-10. Ich habe soeben eine Halluzination erlebt. Er beschrieb kurz, was ihm für nur eine Sekunde vor dem Fenster erschienen war.

Interessant, überlegte der Computer. Das stimmt mit den Berichten anderer Halluzinationen überein, die von deinen Vorgängern beschrieben wurden. Was auch immer mit ihnen geschehen ist, beginnt nun mit dir zu passieren. Du musst von nun an mit doppelter Vorsicht vorgehen.

Ryan setzte sich auf eine Stufe, um wieder zu sich zu kommen. Er wünschte sich, dass sein Partner, Bill Tremain, die Möglichkeit bekommen hätte, ihn auf dieser Mission zu begleiten. Er und Bill waren schon seit der Ausbildung ein Team. Zusammen hatten sie mehr als dreißig Welten ausgekundschaftet, dem Unbekannten hatten sie sich Seite an Seite gestellt. Er würde sich nicht so einsam fühlen, das wusste er, wenn Bill hier bei ihm wäre. Aber der Computer wollte nicht noch mehr Personal riskieren als unbedingt nötig war. Außerdem, alle früheren Erkundungen waren von Teams aus zwei oder mehr Personen unternommen worden, und sie alle waren gescheitert. Vielleicht hatte ein einzelner Mann eine bessere Chance.

Aus dem Augenwinkel sah er eine Bewegung, die Ryans Aufmerksamkeit erregte. Schnell wirbelte er seinen Kopf herum, um etwas, das wie eine menschliche Figur aussah, wegrennen und unter den Treppen unter sich verschwinden zu sehen. Eine rothaarige Figur. Bill Tremains Figur. Und das war vollkommen bescheuert, denn Bill Tremain war oben an Bord des Schiffs.

Trotzdem ging Ryan langsam die Treppe zurück hinunter, um nachzusehen. Aber da war natürlich niemand; die Wand unter den Treppen war glatt und hart mit keinem Platz, wo sich eine fliehende Person verstecken hätte können. Nein, das Gebäude war verlassen, abgesehen von ihm selbst. Die Stille bezeugte das.

Suchst du etwas, Jeff? fragte eine Stimme von oben.

***

Der Mann, der auf der dritten Plattform stand, war nicht Ryans Partner. Nein, es war Richard Bael, ein alter Bekannter aus Studienzeiten. Oh, mach dir keine Sorgen, lächelte Bael. Ich bin völlig real.

Das machte Sinn. Bael war einer der früheren sechzehn, die die Stadt betreten hatten. Wie bist du hierhergekommen? stammelte Ryan.

Oh, machte Bael schulterzuckend, es gibt Möglichkeiten. Er begann, die Stufen leichtfüßig hinab zu laufen. Du wirst es lernen, nach einer oder zwei Wochen.

Ich habe nicht vor, so lange zu bleiben, antwortete Ryan vorsichtig. Er versuchte, langsam den Kommunikator in seiner Tasche zu fassen, aber Bael sah die Bewegung.

Oh, wirst du dein Schiff rufen? Darf ich ihnen ein paar Worte sagen?

Sie würden sich sehr freuen, von dir zu hören, meinte Ryan. Was ist mit deinem eigenen Kommunikations-Apparat passiert?

Ich habe ihn wohl irgendwo hingelegt und dann vergessen, sagte Bael mit einer wegwerfenden Handbewegung. Ich dachte, dass er nicht wirklich wichtig war. Er stand nun neben Ryan und streckte seine Hand aus. Ryan gab ihm den Kommunikator.

Hallo da oben, hier ist Richard Bael. Könnt ihr mich hören?

Ja, antwortete die emotionslose Stimme von Java-10.

Ich möchte einen verspäteten Bericht machen, bezüglich meiner Erkundung dieser Stadt. Ich nehme an, ihr habt alle Rekorder angeschaltet, bereit jedes Wort davon aufzuzeichnen.

Korrekt.

Gut dann, hier ist er: Schert euch zum Teufel! Er schaltete den Apparat ab und gab ihn Ryan zurück. Ich wollte das schon immer machen, aber ich hatte bisher nie den Mut dazu, grinste er gutmütig.

Ryan packte den Kommunikator aus seiner Hand, leicht erschrocken von Baels Aktion. Hier ist Ryan, Java-10 kommen. Hörst du mich?

Positiv. Ist Bael wirklich dort mit dir? Die Frage war tonlos, nicht ungläubig.

Es scheint so.

Ich bin in Wirklichkeit Peter Pan, mischte sich Bael neckisch ein.

Halts Maul! rief Ryan.

Kein Grund dich so aufzuregen, Jeff. Ich wollte nur helfen.

Frag ihn, wieso er die Stadt nicht verlässt, beharrte Java-10.

Oh, antworte nicht, Jeff. Ich habe es satt, die kleinen Götter-Spielchen des Computers zu spielen. Er bewegte sich auf die Tür zu. Gib das dumme Ding weg. Der Tag ist zu schön, um ihn damit zu verbringen, mit einem kleinen Kästchen zu sprechen.

Ryan zögerte.

Schau, du kamst doch her, um die Stadt zu erkunden, oder? fuhr Bael fort. Nun, ich bin bereit, dir eine Stadtführung zu geben. Worauf wartest du eine eingravierte Einladung? Gut, bitte sehr.

Er zog eine kleine Karte aus seiner Tasche und schnippte sie vor Ryans Füße. Ryan bückte sich und hob sie auf. In goldenen Buchstaben eingraviert waren die Worte: HR. RICHARD BAEL ERBITTET GNÄDIGST DIE ANWESENHEIT VON HR. JEFFREY RYAN FÜR EINE PERSÖNLICH GELEITETE STADTFÜHRUNG.

Ist das gut genug für dich? fragte Bael fröhlich.

Ryan steckte die Karte sorgfältig zur Aufbewahrung in seine Proben-Tasche um sie später genauer zu analysieren. Ist gut, Bael, wie du willst. Der Kommunikator wanderte zurück in seine Tasche. Auf geht's.

Mit einer übertrieben einladenden Bewegung trat Bael durch die Tür, Ryan folgte ihm mit zwei Schritten Abstand. Als Ryan das Gebäude verlassen hatte, verschwand die Öffnung und die Mauer war wieder völlig undurchdringbar. Er zog es vor, sich wegen einer solchen Kleinigkeit nicht aus der Fassung bringen zu lassen. Er hatte kaum Zweifel, dass die Stadt schon bald noch viel größere Überraschungen für ihn bereithalten würde.

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