Märchen / Сказки. Книга для чтения на немецком языке - Герман Гессе 4 стр.


Aber einmal kam er nicht wieder. Er hatte Freunde in Paris gefunden, und weil die reiche Geliebte ihm langweilig geworden und das Studium ihm längst verdrießlich war, blieb er im fernen Land und lebte wie die große Welt, hielt Pferde, Hunde, Weiber, verlor Geld und gewann Geld in großen Goldrollen, und überall waren Menschen, die ihm nachliefen und sich ihm zu eigen gaben und ihm dienten, und er lächelte und nahm es hin, wie er einst als Knabe den Ring des kleinen Mädchens hingenommen hatte. Der Wunschzauber lag in seinen Augen und auf seinen Lippen, Frauen umgaben ihn mit Zärtlichkeit und Freunde schwärmten für ihn, und niemand sah er selber fühlte es kaum, wie sein Herz leer und habgierig geworden war und seine Seele krank und leidend war. Zuweilen wurde er es müde, so von allen geliebt zu sein, und ging allein verkleidet durch fremde Städte, und überall fand er die Menschen töricht und allzu leicht zu gewinnen, und überall schien ihm die Liebe lächerlich, die ihm so eifrig nachlief und mit so wenigem zufrieden war. Frauen und Männer wurden ihm oft zum Ekel, dass sie nicht stolzer waren, und ganze Tage brachte er allein mit seinen Hunden hin oder in schönen Jagdgebieten im Gebirge, und ein Hirsch, den er beschlichen und geschossen hatte, machte ihn froher als die Werbung einer schönen und verwöhnten Frau.

Da sah er einstmals auf einer Seereise die junge Frau eines Gesandten, eine strenge, schlanke Dame aus nord-ländischem Adel, die stand zwischen vielen ändern vornehmen Frauen und weltmännischen Menschen wundervoll abgesondert, stolz und schweigsam, als wäre niemand ihresgleichen, und als er sie sah und beobachtete und wie ihr Blick auch ihn nur flüchtig und gleichgültig zu streifen schien, war ihm so, als erfahre er jetzt zum allerersten Male, was Liebe sei, und er nahm sich vor, ihre Liebe zu gewinnen, und war von da an zu jeder Stunde des Tages in ihrer Nähe und unter ihren Augen, und weil er selbst immerzu von Frauen und Männern umgeben war, die ihn bewunderten und seinen Umgang suchten, stand er mit der schönen Strengen[14] inmitten der Reisegesellschaft wie ein Fürst mit seiner Fürstin, und auch der Mann der Blonden zeichnete ihn aus und bemühte sich, ihm zu gefallen.

Nie war es ihm möglich, mit der Fremden allein zu sein, bis in einer Hafenstadt des Südens die ganze Reisegesellschaft vom Schiffe ging, um ein paar Stunden in der fremden Stadt umherzugehen und wieder eine Weile Erde unter den Sohlen zu fühlen. Da wich er nicht von der Geliebten[15], bis es ihm gelang, sie im Gewühl eines bunten Marktplatzes im Gespräch zurückzuhalten. Unendlich viele kleine, finstere Gassen mündeten auf diesen Platz, in eine solche Gasse führte er sie, die ihm vertraute, und da sie plötzlich sich mit ihm allein fühlte und scheu wurde und ihre Gesellschaft nicht mehr sah, wandte er sich ihr leuchtend zu, nahm ihre zögernden Hände in seine und bat sie flehend, hier mit ihm am Lande zu bleiben und zu fliehen.

Die Fremde war bleich geworden und hielt den Blick zu Boden gewendet. »Oh, das ist nicht ritterlich«, sagte sie leise. »Lassen Sie mich vergessen, was Sie da gesagt haben!«

»Ich bin kein Ritter«, rief Augustus, »ich bin ein Liebender, und ein Liebender weiß nichts anderes als die Geliebte, und hat keinen Gedanken, als bei ihr zu sein. Ach, du Schöne, komm mit, wir werden glücklich sein.«

Sie sah ihn aus ihren hellblauen Augen ernst und strafend an: »Woher konnten Sie denn wissen«, flüsterte sie klagend, »dass ich Sie liebe? Ich kann nicht lügen: ich habe Sie lieb und habe oft gewünscht, Sie möchten mein Mann sein. Denn Sie sind der erste, den ich von Herzen geliebt habe. Ach, wie kann Liebe sich so weit verirren! Ich hätte niemals gedacht, dass es mir möglich wäre, einen Menschen zu lieben, der nicht rein und gut ist. Aber tausendmal lieber will ich bei meinem Manne bleiben, den ich wenig liebe, der aber ein Ritter und voll Ehre und Adel ist, welche Sie nicht kennen. Und nun reden Sie kein Wort mehr zu mir und bringen Sie mich an das Schiff zurück, sonst rufe ich fremde Menschen um Hilfe gegen Ihre Frechheit an.«

Und ob er bat und ob er knirschte, sie wandte sich von ihm und wäre allein gegangen, wenn er nicht schweigend sich zu ihr gesellt und sie zum Schiff begleitet hätte. Dort ließ er seine Koffer an Land bringen und nahm von niemand Abschied.

Von da an neigte sich das Glück des Vielgeliebten. Tugend und Ehrbarkeit waren ihm verhasst geworden, er trat sie mit Füßen, und es wurde sein Vergnügen, tugendhafte Frauen mit allen Künsten seines Zaubers zu verführen und arglose Menschen, die er rasch zu Freunden gewann, auszubeuten und dann mit Hohn zu verlassen. Er machte Frauen und Mädchen arm, die er dann alsbald verleugnete, und er suchte sich Jünglinge aus edlen Häusern aus, die er verführte und verdarb. Kein Genuss, den er nicht suchte und erschöpfte; kein Laster, das er nicht lernte und wieder wegwarf. Aber es war keine Freude mehr in seinem Herzen, und von der Liebe, die ihm überall entgegenkam, klang nichts in seiner Seele wider.

In einem schönen Landhaus am Meer wohnte er finster und verdrossen und quälte die Frauen und die Freunde, die ihn dort besuchten, mit den tollsten Launen und Bosheiten. Er sehnte sich danach, die Menschen zu erniedrigen und ihnen alle Verachtung zu zeigen; er war es satt und überdrüssig, von unerbetener, unverlangter, unverdienter Liebe umgeben zu sein; er fühlte den Unwert seines vergeudeten und zerstörten Lebens, das nie gegeben und immer nur genommen hatte. Manchmal hungerte er eine Zeit, nur um doch wieder einmal ein rechtes Begehren zu fühlen und ein Verlangen stillen zu können.

Es verbreitete sich unter seinen Freunden die Nachricht, er sei krank und bedürfe der Ruhe und Einsamkeit. Es kamen Briefe, die er niemals las, und besorgte Menschen fragten bei der Dienerschaft nach seinem Befinden. Er aber saß allein und tief vergrämt im Saal über dem Meere, sein Leben lag leer und verwüstet hinter ihm, unfruchtbar und ohne Spur der Liebe wie die graue wogende Salzflut. Er sah hässlich aus, wie er da im Sessel am hohen Fenster kauerte und mit sich selber Abrechnung hielt. Die weißen Möwen trieben im Strandwinde vorüber, er folgte ihnen mit leeren Blicken, aus denen jede Freude und jede Teilnahme verschwunden war. Nur seine Lippen lächelten hart und böse, als er mit seinen Gedanken zu Ende war und dem Kammerdiener schellte. Und nun ließ er alle seine Freunde auf einen bestimmten Tag zu einem Fest einladen; seine Absicht aber war, die Ankommenden durch den Anblick eines leeren Hauses und seiner eigenen Leiche zu erschrecken und zu verhöhnen. Denn er war entschlossen, sich vorher mit Gift das Leben zu nehmen.

Am Abend nun vor dem vermeintlichen Fest sandte er seine ganze Dienerschaft aus dem Hause, dass es still in den großen Räumen wurde, und begab sich in sein Schlafzimmer, mischte ein starkes Gift in ein Glas Zyperwein und setzte es an die Lippen.

Als er eben trinken wollte, wurde an seine Türe gepocht, und da er nicht Antwort gab, ging die Tür auf, und es trat ein kleiner alter Mann herein. Der ging auf Augustus zu, nahm ihm sorglich das volle Glas aus den Händen und sagte mit einer wohlbekannten Stimme: »Guten Abend, Augustus, wie geht es dir?«

Der Überraschte, ärgerlich und beschämt, lächelte voll Spott und sagte: »Herr Binßwanger, leben Sie auch noch? Es ist lange her, und Sie scheinen wahrhaftig nicht älter geworden zu sein. Aber im Augenblick stören Sie hier, lieber Mann, ich bin müde und will eben einen Schlaftrunk nehmen.«

»Das sehe ich«, antwortete der Pate ruhig. »Du willst einen Schlaftrunk nehmen, und du hast recht, es ist dies der letzte Wein, der dir noch helfen kann. Zuvor aber wollen wir einen Augenblick plaudern, mein Junge, und da ich einen weiten Weg hinter mir habe, wirst du nicht böse sein, wenn ich mich mit einem kleinen Schluck erfrische.«

»Das sehe ich«, antwortete der Pate ruhig. »Du willst einen Schlaftrunk nehmen, und du hast recht, es ist dies der letzte Wein, der dir noch helfen kann. Zuvor aber wollen wir einen Augenblick plaudern, mein Junge, und da ich einen weiten Weg hinter mir habe, wirst du nicht böse sein, wenn ich mich mit einem kleinen Schluck erfrische.«

Damit nahm er das Glas und setzte es an den Mund, und ehe Augustus ihn zurückhalten konnte, hob er es hoch und trank es in einem raschen Zuge aus.

Augustus war todesbleich geworden. Er stürzte auf den Paten los, schüttelte ihn an den Schultern und schrie gellend: »Alter Mann, weißt du, was du da getrunken hast?«

Herr Binßwanger nickte mit dem klugen grauen Kopf und lächelte: »Es ist Zyperwein, wie ich sehe, und er ist nicht schlecht. Mangel scheinst du nicht zu leiden. Aber ich habe wenig Zeit und will dich nicht lange belästigen, wenn du mich anhören magst.«

Der verstörte Mensch sah dem Paten mit Entsetzen in die hellen Augen und erwartete von Augenblick zu Augenblick, ihn niedersinken zu sehen.

Der Pate setzte sich indessen mit Behagen auf einen Stuhl und nickte seinem jungen Freunde gütig zu.

»Hast du Sorge, der Schluck Wein könnte mir schaden? Da sei nur ruhig! Es ist freundlich von dir, dass du Sorge um mich hast, ich hätte es gar nicht vermutet. Aber jetzt lass uns einmal reden wie in der alten Zeit! Mir scheint, du hast das leichte Leben satt bekommen? Das kann ich verstehen, und wenn ich weggehe, kannst du ja dein Glas wieder vollmachen und austrinken. Aber vorher muss ich dir etwas erzählen.«

Augustus lehnte sich an die Wand und horchte auf die gute, wohlige Stimme des uralten Männleins, die ihm von Kinderzeiten her vertraut war und die Schatten der Vergangenheit in seiner Seele wachrief. Eine tiefe Scham und Trauer ergriff ihn, als sähe er seiner eigenen unschuldigen Kindheit in die Augen.

»Dein Gift habe ich ausgetrunken«, fuhr der Alte fort, »weil ich es bin, der an deinem Elend schuldig ist. Deine Mutter hat bei deiner Taufe einen Wunsch für dich getan, und ich habe ihr den Wunsch erfüllt, obwohl er töricht war. Du brauchst ihn nicht zu kennen, er ist ein Fluch geworden, wie du ja selber gespürt hast. Es tut mir leid, dass es so gegangen ist, und es möchte mich wohl freuen, wenn ich es noch erlebte, dass du einmal wieder bei mir daheim vor dem Kamin sitzest und die Englein singen hörst. Das ist nicht leicht, und im Augenblick scheint es dir vielleicht unmöglich, dass dein Herz je wieder gesund und rein und heiter werden könne. Es ist aber möglich, und ich möchte dich bitten, es zu versuchen. Der Wunsch deiner armen Mutter ist dir schlecht bekommen, Augustus. Wie wäre es nun, wenn du mir erlaubtest, auch dir noch einen Wunsch zu erfüllen, irgendeinen? Du wirst wohl nicht Geld und Gut begehren, und auch nicht Macht und Frauenliebe, davon du genug gehabt hast. Besinne dich, und wenn du meinst, einen Zauber zu wissen, der dein verdorbenes Leben wieder schöner und besser und dich wieder einmal froh machen könnte, dann wünsche ihn dir!«

In tiefen Gedanken saß Augustus und schwieg, er war aber zu müde und hoffnungslos, und so sagte er nach einer Weile: »Ich danke dir, Pate Binßwanger, aber ich glaube, mein Leben lässt sich mit keinem Kamm wieder glattstreichen[16]. Es ist besser, ich tue, was ich zu tun gedachte, als du hereinkamst. Aber ich danke dir doch, dass du gekommen bist.«

»Ja«, sagte der Alte bedächtig, »ich kann mir denken, dass es dir nicht leichtfällt. Aber vielleicht kannst du dich noch einmal besinnen, Augustus, vielleicht fällt dir das ein, was dir bis jetzt am meisten gefehlt hat, oder vielleicht kannst du dich an die früheren Zeiten erinnern, wo die Mutter noch lebte, und wo du manchmal am Abend zu mir gekommen bist. Da bist du doch zuweilen glücklich gewesen, nicht?«

»Ja, damals«, nickte Augustus, und das Bild seiner strahlenden Lebensfrühe sah ihm fern und bleich wie aus einem uralten Spiegel entgegen. »Aber das kann nicht wiederkommen. Ich kann nicht wünschen, wieder ein Kind zu sein. Ach, da finge doch alles wieder von vorne an!«

»Nein, das hätte keinen Sinn, da hast du recht. Aber denke noch einmal an die Zeit bei uns daheim und an das arme Mädchen, das du als Student bei Nacht in ihres Vaters Garten besucht hast, und denke auch an die schöne blonde Frau, mit der du einmal auf dem Meerschiff gefahren bist, und denke an alle Augenblicke, wo du einmal glücklich gewesen bist und wo das Leben dir gut und wertvoll erschien. Vielleicht kannst du das erkennen, was dich damals glücklich gemacht hat, und kannst dir das wünschen. Tu es, mir zuliebe, mein Junge!«

Augustus schloss die Augen und sah auf sein Leben zurück, wie man aus einem dunklen Gange nach jenem fernen Lichtpunkt sieht, von dem man hergekommen ist, und er sah wieder, wie es einst hell und schön um ihn gewesen und dann langsam dunkler und dunkler geworden war, bis er ganz im Finstern stand und nichts ihn mehr erfreuen konnte. Und je mehr er nachdachte und sich erinnerte, desto schöner und liebenswerter und begehrenswerter blickte der ferne kleine Lichtschein herüber, und schließlich erkannte er ihn, und Tränen stürzten aus seinen Augen.

»Ich will es versuchen«, sagte er zu seinem Paten. »Nimm den alten Zauber von mir, der mir nicht geholfen hat, und gib mir dafür, dass ich die Menschen liebhaben kann!«

Weinend kniete er vor seinem alten Freunde und fühlte schon im Niedersinken, wie die Liebe zu diesem alten Manne in ihm brannte und nach vergessenen Worten und Gebärden rang. Der Pate aber nahm ihn sanft, der kleine Mann, auf seine Arme und trug ihn zum Lager, da legte er ihn nieder und strich ihm die Haare aus der heißen Stirn.

»Es ist gut«, flüsterte er ihm leise zu, »es ist gut, mein Kind, es wird alles gut werden.«

Darüber fühlte Augustus sich von einer schweren Müdigkeit überfallen, als sei er im Augenblick um viele Jahre gealtert, er fiel in einen tiefen Schlaf, und der alte Mann ging still aus dem verlassenen Hause.

Augustus erwachte von einem wilden Lärm, der das hallende Haus erfüllte, und als er sich erhob und die nächste Tür öffnete, fand er den Saal und alle Räume voll von seinen ehemaligen Freunden, die zu dem Fest gekommen waren und das Haus leer gefunden hatten. Sie waren erbost und enttäuscht, und er ging ihnen entgegen, um sie alle wie sonst mit einem Lächeln und einem Scherzwort zurückzugewinnen; aber er fühlte plötzlich, dass diese Macht von ihm gewichen war. Kaum sahen sie ihn, so begannen sie alle zugleich auf ihn einzuschreien, und als er hilflos lächelte und abwehrend die Hände ausstreckte, fielen sie wütend über ihn her.

»Du Gauner«, schrie einer, »wo ist das Geld, das du mir schuldig bist?« Und ein anderer: »Und das Pferd, das ich dir geliehen habe?« Und eine hübsche, zornige Frau: »Alle Welt weiß meine Geheimnisse, die du ausgeplaudert hast. O wie ich dich hasse, du Scheusal!« Und ein hohläugiger junger Mensch schrie mit verzerrtem Gesicht: »Weißt du, was du aus mir gemacht hast, du Satan, du Jugendverderber?«

Und so ging es weiter, und jeder häufte Schmach und Schimpf auf ihn, und jeder hatte recht, und viele schlugen ihn, und als sie gingen und im Gehen die Spiegel zerschlugen und viele von den Kostbarkeiten mitnahmen, erhob sich Augustus vom Boden, geschlagen und verunehrt, und als er in sein Schlafzimmer trat und in den Spiegel blickte, um sich zu waschen, da schaute sein Gesicht ihm welk und hässlich entgegen, die roten Augen tränten, und von der Stirne tropfte Blut.

»Das ist die Vergeltung«, sagte er zu sich selber und wusch das Blut von seinem Gesicht, und kaum hatte er sich ein wenig besonnen, da drang von neuem Lärm ins Haus und Menschen kamen die Treppen heraufgestürmt: Geldleiher, denen er sein Haus verpfändet hatte, und ein Gatte, dessen Frau er verführt hatte, und Väter, deren Söhne durch ihn verlockt ins Laster und Elend gekommen waren, und entlassene Diener und Mägde, Polizei und Advokaten, und eine Stunde später saß er gefesselt in einem Wagen und wurde ins Gefängnis geführt. Hinterher schrie das Volk und sang Spottlieder, und ein Gassenjunge warf durchs Fenster dem Davongeführten eine Handvoll Kot ins Gesicht.

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