Es gibt so mancherlei liebgewordene Bequemlichkeit, die man nicht dem modernen Leben opfern möchte: einen einzigen Raum wollte sie haben, wo man sich wirklich zu Hause fühlte.
Vergeblich hatte der Kulturspezialist der gnädigen Frau vorgehalten, daß ein Betthimmel geradezu fabelhaft unmodern geworden sei, daß der dicke Engel, der aus vergoldetem Holz über den Betten schwebte, jeder Kunst entbehre und sogar anatomische Mängel aufweise.
Frau Bomberling war fest geblieben. Auch die Kultur muß ihre Grenzen haben.
Diesen Engel hatte ihr August eigenhändig geschnitzt und vergoldet. Sie hatte immer gefunden, daß Hermann ihm ähnlich sähe.
Zwischen diesen Räumen mit eigner Atmosphäre und dem stummen Kulturgebiet auf der anderen Seite lag, als freundlicher Vermittler, das große Speisezimmer.
Es war der Raum, der am häufigsten alle Bomberlings vereint sah. Eichenmöbel und Lederstühle machten es behaglich. In einer Ecke tickte, fest und bestimmt, die große Standuhr. Am Fenster hüpfte ein Kanarienvogel im Bauer, den Hermann Napoleon getauft hatte, worauf Frau Bomberling stolz war.
Am Umgang erkennt man den Menschen.
Es lag Würde in ihrem Ton, wenn sie dem Mädchen sagte:
»Geben Sie Napoleon frisches Futter.«
An der Wand hing ein großes Stilleben, ein delikates Bild. Es war nicht nur von einem Maler gemalt, der weltberühmt war, es stellte eine echte Straßburger Gänseleberpastete vor, umgeben von Austern, roten Hummern, frischen Spargelbündeln und einem Strauß ausgewählter Rosen.
Der Geschmacksspezialist hatte Frau Bomberling auf dieses vornehme Bild aufmerksam gemacht, das aus dem Nachlaß eines Bankiers billig zu erstehen war. Frau Anna hatte es eigentlich teuer gefunden. Sie meinte, daß es der Maler zu einer Jahreszeit gemacht haben müsse, in der diese Delikatessen gerade besonders hoch im Preise gestanden hätten. Aber sie konnte sich nicht davon losreißen. So wurde es gekauft und dem Eßtisch gegenüber gehängt. Wo es gewiß am Platz war. Denn Kunst soll anregend wirken.
Der erste, der jeden Morgen, sobald der Frühstückstisch gedeckt war, dieses freundliche Zimmer betrat, war Bomberling selbst. Er war ein Frühaufsteher und genoß das Behagen eines kurzen Alleinseins an jedem Morgen aufs neue.
Erst ging er zum Fenster und sah nach dem Wetter, das er immer schön fand. Dann zwängte er einen seiner runden Finger in das Vogelbauer und lockte Napoleon, den er so früh am Morgen einfach Hänschen nannte. Und dann ging schon die Tür auf, und das Mädchen mit reiner Schürze und reinem Häubchen kam herein, sagte freundlich guten Morgen und stellte die blanke Kaffeekanne auf den sorgsam gedeckten Tisch.
Kaffeeduft gibt Behagen wie Sonnenschein.
Lächelnd setzte sich Bomberling an den Tisch, steckte sich die kleine Frühstücksserviette in den Kragen, der wie ein weißer Ring den vollen Hals mit dem Doppelkinn zusammenhielt, und packte das Messer zum Angriff . . .
Früher, als die Kinder noch klein waren, hatte er sie sich oft als fröhliche Morgengäste ins Zimmer geholt. Er hatte sich Babette aufs Knie gesetzt, ihr gelbseidenes Haar gestreichelt, ihre kleinen weißen Finger auf den breiten Rücken seiner behaarten Hand gelegt und sich immer wieder gewundert, wie zierlich solche kleinen Mädelchen gearbeitet waren. Oder er hatte sich den dicken Hermann auf den kräftigen Rücken gebuckelt und war mit ihm um den Tisch herumgerannt. Das hatten sie Karussellfahren genannt.
Aber jetzt waren die Kinder groß und redeten gebildet. Er steckte seine Bissen gern ungeniert in den Mund.
Mit sicherer Hand faßte Bomberling die Leberwurst und säbelte sich ein dickes Stück herunter. Dann warf er die Wurst zurück und griff in das volle Semmelkörbchen. Ehe er Brot und Wurst vereinte, nahm er mit lautem Schlürfen einen großen Schluck des starken Kaffees. Wohlig wärmend rann die heiße Flüssigkeit ihren dunklen Weg.
Aber unser Wohlbehagen hängt nicht allein von unseren eigenen Anstrengungen ab.
Gerade als Bomberling, Brot und Wurst kauend, innen und außen gewärmt, in dem illustrierten Teil der Morgenzeitung den Katafalk eines aufgebahrten Milliardärs studierte, ging hinter seinem Rücken die Tür auf, und Frau Anna, im hellblauen Schlafrock, jedoch noch ohne die moderne Haarfülle, kam herein. Klirrend setzte sie das Schlüsselkörbchen neben die Leberwurst. Dann nahm sie Bomberling gegenüber Platz und begann, sich mit auffallend viel Geklapper dem Frühstück zu widmen. Mehrere Mal räusperte sie sich laut und klopfte mit dem Löffel gegen die Tasse, wie wenn sie eine öffentliche Ansprache halten wollte. Aber Bomberlings Aufmerksamkeit blieb bei Leberwurst und Katafalk.
Selbst als Frau Anna, langsam und nicht ohne Betonung, gesagt hatte:
»Wir sind im Oktober, mein August « wendete er nicht den Kopf, sondern sagte kauend, die Augen in der Zeitung, daß er die Miete schon vom Geschäft aus bezahlt habe.
Das Selbstverständliche vergißt man zu achten.
Die hellblauen Schlafrockschultern zuckten geringschätzend, und Frau Anna sagte, daß sie, um das zu hören, nicht so früh aufgestanden wäre.
Bomberling legte rasch die Serviette fort, erhob sich und steckte sich eine Morgenzigarre an. Er war überzeugt davon, daß Frau Anna, wie immer, wenn sie einen Augenblick allein zusammen waren, ohne müde zu sein, ihm wieder einmal mitteilen würde, wie und was sie in all den Jahren gelitten habe, die Frau eines Sargmachers zu sein, und daß sie nicht eher ruhen werde, bis die Lebensbahn ihrer Kinder in ein höheres Milieu gelenkt wäre.
Daher beeilte er sich, rasch die Krümel von dem runden Hügel der Weste, über dem sich die dicke goldene Uhrkette schlängelte, abzuschütteln und sagte:
»Mein altes Mäuschen, ich muß leider schleunigst fort. Wenn du mir noch etwas zu sagen hast, telefoniere, du weißt: 8182.«
Er kniff Frau Anna in gewohnter Weise in die rechte Backe und beeilte sich, aus dem Zimmer zu kommen.
Aber ein Ehemann ist selten sein eigener Herr.
»Ich habe mit dir zu reden,« sagte Frau Anna sanft, aber fest. Und Bomberlings Füße waren gebannt.
Frau Anna begann. Aber sie hielt sich nur kurz bei dem vielen Leid auf, das sie durch die Art von Bomberlings Beruf gelitten. Sie sprach von Babette. In ernstem Ton erinnerte sie ihren Gatten daran, daß das Kind in diesem Oktober siebzehn Jahre alt werde. Und ehe noch Bomberling hatte einwenden können, daß er zu jedem Geschenk bereit sei, hatte sie ihm feierlich erklärt, daß viele Mädchen aus guter Familie in diesem Alter schon verlobt wären.
Sie schöpfte ein wenig Atem, und es gelang Bomberling zu sagen, daß ein Mädchen warten müsse, bis der Rechte kommt.
Dabei hatte er sich schon wieder zum Gehen gewandt, denn er wußte nicht, daß die Unterhaltung erst jetzt begann.
Ohne von seinen Worten Notiz zu nehmen sprach Frau Anna weiter, ohne Aufenthalt, ohne zu stocken.
So wie man redet, wenn man weiß, was man will. Sie teilte Bomberling mit, daß die Eltern für das Glück der Töchter zu sorgen hätten. Daß dies in seinen Kreisen zu den ersten Pflichten der menschlichen Natur gehöre.
Napoleon schmetterte in seinem Bauer einen langen Triller, und Frau Anna unterbrach sich und rief:
»Halt den Schnabel, Napoleon.«
Aber auch die Zwiesprache zwischen den Gatten wurde nun heftiger. Denn Frau Anna war etwas außer Atem gekommen, und Bomberling fand Zeit zu antworten.
Bis Frau Anna den Namen und das Einkommen eines Geheimen Regierungsrates über den Frühstückstisch schleuderte.
Erst nach einer Weile fragte Bomberling leise und verdutzt:
»Liebt sie ihn denn?«
»Sie kennt ihn doch noch gar nicht,« sagte Frau Anna, nun wirklich ärgerlich über so viel Schwerfälligkeit.
Sie goß sich Eau de Cologne auf das Taschentuch und tupfte sich hörbar atmend die Stirn.
Sie goß sich Eau de Cologne auf das Taschentuch und tupfte sich hörbar atmend die Stirn.
Das war eine Wendung des Gesprächs, die Bomberling nicht fremd war. Er atmete erleichtert auf, zündete seine Zigarre, die bei dem schnellen Wortwechsel ausgegangen war, noch einmal an und maß dabei die teppichbelegte Strecke bis zur Tür. Da läutete es draußen.
Für den Großstädter ist die Flurklingel die Stimme des Schicksals. Es wollte offenbar Bomberling zur Hilfe kommen.
Frau Anna zuckte zusammen, griff ohne Zögern zum Schlüsselkorb und verschwand.
Bomberling war nicht der Mann, der Zeit verlor.
Im gleichen Augenblick war er zu der anderen Tür hinaus.
Draußen auf der Diele fand er sich seinem Neffen Paul gegenüber, der sich vergeblich bemühte, den Hut abzunehmen, denn er hatte die Arme voll Blumen.
Bomberling zog seine Uhr.
»Ist es nicht längst Geschäftszeit, Junge?« fragte er.
Paul bejahte das, aber auf dem Wege zur Fabrik habe er in einem Laden diese Blumen gesehen. Babette hatte gestern so bedauert, daß man nirgends mehr Maiglöckchen bekomme. Da hätte er ihr diese rasch bringen wollen.
»Dann tu's nur und komme mir dann nach,« sagte Bomberling.
Damit fiel die Tür hinter ihm zu. Er wollte seine Freiheit nicht noch einmal aufs Spiel setzen.
Als ihn ein Stadtauto geschwind und geschickt durch das Gewimmel von Straßen und Plätzen trug, wo sich die frische Geschäftigkeit eines neuen Tages regte, dachte er, wie einfach es wäre, wenn aus Babette und Paul ein Paar werden würde.
Gerade im Jahr, als Babette geboren werden sollte, war ihm Paul, der damals zehnjährig war, als einzige Erbschaft eines Onkels zugefallen, den man in der ganzen Familie stets den Erbonkel genannt hatte.
Aber Testamente bergen noch mehr Wunder als andere Geheimnisse.
Als der Onkel starb, hinterließ er den betrübten Verwandten nichts als diesen Sohn. Die anderen lehnten die Annahme dieser Erbschaft ab. August trat sie an. Alle belächelten seine Dummheit, denn damals war sein Geschäft noch klein, und er hätte wohl genug an seinen eigenen Kindern haben können.
Aber unsere Dummheiten sind oft das Klügste, was wir im Leben tun. Paul war jetzt längst sein einziger Vertrauter in dem großen Fabrikbetrieb, der unaufhaltsam anwuchs und immer weitere Anforderungen an Überlegung und Arbeitskraft stellte.
Denn alles kommt anders. Er hatte gedacht, daß etwas, das nicht modern war, nicht unmodern werden konnte. Das war ein Irrtum gewesen. Man hatte den Stil erfunden. Alles mußte jetzt stilvoll sein. Man wollte auch hier Eigenart. Besondere Linien in der Schnitzerei. Mit Kunst gehämmerte Beschläge. Dann wurde das Verbrennungssystem immer moderner und beliebter. Man mußte auch geschmackvoll ausgestattete Urnen führen.
Als sich bei Paul ein nettes Zeichentalent zeigte, hatte ihn Bomberling auf die Kunstschule geschickt.
Er wurde sein erster Zeichner und leitete nun das große Schnitzatelier der Fabrik. Und das war gut; denn Bomberling konnte rechnen wie ein Finanzminister, aber vom Zeichnen verstand er so viel wie von der Musik. Es wollte ihm nicht einleuchten, warum ein Schnörkel schöner sein sollte, wenn er nach rechts umbog statt nach links. Die Menschen machten sich das Leben auf alle Weise verzwickt.
Er runzelte die Stirn. Der Geheime Regierungsrat fiel ihm ein.
Ärgerlich warf er den Stummel seiner Zigarre zum Wagenfenster hinaus. In der Großstadt findet alles sein Unterkommen. Ein Schusterjunge fing ihn auf und steckte ihn in den Mund.
Bomberling mußte lachen. Gesunde schleppen sich nicht lange mit Ungemach. Als das Auto hielt, war es Bomberling schon wieder behaglicher zumut, und als er erst bei der Arbeit war und die neueste Musterkollektion aus Ebenholz in Augenschein nahm, hatte er seine alte Fröhlichkeit wiedergefunden . . .
Inzwischen wartete Paul auf Babette.
Als nahen Verwandten des Hauses hatte ihn das Mädchen nicht in das Kulturgebiet, sondern in das Speisezimmer geführt. Dort war niemand, nur Napoleon trillerte einen Morgengesang. Das laute Stimmenduett der ehelichen Unterredung hatte ihn angeregt.
Paul sah ernsthaft auf den kleinen gelben Federball, der sich beleidigt aufplusterte, weil jemand näher kam, und dachte: »Du hast es gut. Du siehst sie alle Tage.«
Niemand kam. Paul ging zum Büfett, um sich in dem blanken Silbertablett zu spiegeln. Er hatte keine Ahnung, welche Krawatte er heute umgebunden hatte. Als er von Hause fortging, wußte er ja nicht, daß er Babette heute sprechen würde. Aber das einfältige Tablett verkleinerte ihn auf lächerliche Weise. Die Krawatte war nichts als ein undeutlicher Fleck.
Als Paul es mit den Fensterscheiben versuchen wollte, wurde er gestört. Babette war hereingekommen. Ihr blondes Haar schmiegte sich glatt an den zierlichen Kopf und leuchtete über den Ohren in zwei dicken Puffen. Ein schwarzes Samtkleid, gürtellos und eng geschnitten, das den Hals freigab, ließ ahnen, wie schön das ganze Mädchen war.
Mit ganz besonderer Sorgfalt hatte sich Babette heute bekleidet: Denn sie hatte etwas sehr Besonderes vor.
Ein Lächeln auf dem Gesicht, hatte sie Paul gefragt, was ihn so früh hergeführt habe, als sie auch schon die Blumen bemerkte und an Paul vorüber zum Tisch eilte.
»Wie schön!« rief sie. »Die ganze Nacht träumte ich von Maiglöckchen.«
Eilig nahm sie einen Busch von den weißen Blüten und hellgrünen Blättern in den Arm, um sie sofort in ihr Zimmer zu tragen.
In der Tür besann sie sich. Sie drehte sich lächelnd zu Paul zurück und sagte, daß er nicht etwa zu warten brauche, bis sie wieder zurückkäme, sie wisse ja, daß er in die Fabrik müsse. Dann nickte sie ihm freundlich zu und verschwand.
Langsam ging Paul hinaus. Er hätte den Hut viel rascher nehmen können, als er tat; denn seine Arme waren jetzt leer.
Als Babette zurückkam, goß sie sich stehend ein wenig Kaffee ein und biß in ein braunes Semmelchen. Kauend ging sie hin und her, mit ihren Blumen beschäftigt.
Sie hatte nie Geduld, sich schon am Morgen feierlich vors Essen zu setzen, und heut besonders nicht.
Sie hatte beschlossen, den berühmten Schauspieler zu besuchen, der als Romeo und Hamlet, als Don Carlos und Faust teils über ihrem Waschtisch hing, teils hinter ihrem Spiegel steckte. Sie wollte ihn um ein Autogramm bitten. Ob er die Blonden leiden mochte? Man sagte, daß er ein Südländer sei. In der italienischen Stunde mußte sie stets an ihn denken. Io t' amo = ich liebe dich.
Sie fuhr ertappt zusammen. Hermann war ins Zimmer gekommen und ließ sich auf einen Stuhl plumpsen.
»Vater schon bei seinen Särgen?« fragte er und gähnte.
Babette fragte zurück: ob etwa sein Frühaufstehen bedeute, daß er ins Kolleg ginge?
»Unsinn, Frühschoppen,« knurrte Hermann, gähnte wieder und klingelte nach warmem Kaffee.
Babette suchte den Rest der Blumen zusammen, nickte dem Bruder freundlich zu und ging hinaus. Sie mußte in den Unterricht zu Fräulein Grisheim hinaus.
Ehe sie die Wohnung verließ, suchte sie die Mutter auf.
Mißtrauen ist die Tugend der Hausfrau. Frau Bomberling saß in der Küche und beobachtete durchs Lorgnon das Kochen der Quittenmarmelade.
Babette gab ihr einen herzlichen Kuß und dachte zärtlich: »Wie stolz würde die Gute sein, wenn sie die Schwiegermutter des berühmtesten Schauspielers wäre.«
Die Mutter streichelte lächelnd Babettes weiche Wangen und dachte gerührt: Meine Geheime Frau Regierungsrat.
Hoffnung hat verschiedene Gesichter . . .
Zwischen den Büchern und Heften ein Bild ihres Romeo betrat Babette bald darauf mit fröhlichem Morgengruß Fräulein Grisheims Schulzimmer. Sie tauschte mit Hilde Wegner, ihrer Vertrauten. einen Blick des Einverständnisses. Heute also.