Bergrichters Erdenwallen - Arthur Achleitner 2 стр.


Ehrenstraßer erledigte inzwischen einen Citoakt in seiner ruhigen, gewissenhaften Weise. So still ist's in dem kahlen, schlechtgetünchten Raum, daß das Kritzeln der Feder auf dem ziemlich rauhen Aktenpapier, sowie das Summen einiger nach Freiheit lüsternen Fliegen an den geschlossenen, vorhanglosen Fenstern das einzige Geräusch geben.

Ganz in die Arbeit versunken, überhörte der Richter das leise Klopfen sowie das Aufklinken des Thürschlosses. Erst als eine silberhelle Mädchenstimme rief: Lieber Papa! hob Ehrenstraßer den Kopf und blickte auf.

Ah, mein Herzensschatz! Tritt nur ein, Emmy! Was führt dich zur Amtszeit zu mir?

Verlegen, lieblich errötend steht die etwa zwanzigjährige blonde Tochter aus erster Ehe vor dem Papa, eine hübsche Erscheinung, und in der Kopfbildung wie in den Augen von unverkennbarer Ähnlichkeit mit dem Vater. Ob der leisen Rüge, die Emmy in der Frage Papas sogleich empfand, bat die Tochter, das Eindringen in die Kanzlei zur Amtszeit gütigst entschuldigen zu wollen.

Schon gut, Emmy! Du weißt, daß ich während der Amtsstunden ausschließlich meinem Berufe angehöre und hier Störungen in Privatangelegenheiten vermieden wissen will. Es muß sonach deinem Besuch ein besonderes Ereignis zu Grunde liegen! Sprich, mein Kind: Was führt dich hierher?

Ehrenstraßer hatte sich erhoben und trat seiner Tochter näher, die plötzlich die Arme ausbreitete, dem überraschten Vater um den Hals fiel und an seiner Brust zu weinen begann.

Emmy Kind! Was soll denn das bedeuten?

Unter Thränen schluchzte die Tochter: Verzeih, lieber Papa! Laß mich weinen an deiner treuen Vaterbrust!

Um Gotteswillen! Was bewegt dich so sehr? Was ischt denn vorgefallen?

Das Mädchen erbebte und weinte heftig, ohne eine Antwort zu geben.

Forschend richtete der Richter seine scharfen Blicke auf die Tochter, deren Verhalten ihm völlig unfaßbar erscheint.

Hat es zu Hause Verdruß gegeben, Emmy?

Die Tochter schüttelte den Blondkopf.

Ischt dir jemand zu nahe getreten? Ich kann das bei den ruhigen Verhältnissen in unserm Städtchen nicht glauben. Sprich, mein Kind! Und vergiß nicht: Ich bin zur Arbeit hier verpflichtet! Sprich!

Ich kann nicht, lieber Papa! stammelte Emmy.

O, Weiber! Widerspruch über Widerspruch! Da kommst du mir in die Kanzlei in einem Zustande, der an Fassungslosigkeit grenzt, suchst eine Aussprache mit deinem Vater und nun du reden darfst, und sollst, heißt es: Ich kann nicht reden! Das verstehe, wer will; ich verstehe es nicht!

Verzeihe, guter, lieber Papa!

Der Richter wurde stutzig und wiederholte die Worte: Verzeihe, guter, lieber Papa! Das klingt gewissermaßen verdächtig! Ist im Herzkämmerchen etwas nicht in der Alltagsordnung, was?

In großer Verwirrung flüsterte Emmy unter erneuter Umarmung dem Vater zu: Verzeih' mir, süßer Papa! Ich kann nichts dafür Franz!

Jetzt löste Ehrenstraßer die Umarmung und ernst sprach er: Was muß ich hören? Wer ischt Franz? Wie kommt meine engelreine Tochter zu einem Franz? Wer ischt das? Was hat es gegeben? Ich will nicht hoffen

Abwehrend rief Emmy: Nein, nein, lieber Papa, wie kannst du nur denken! Ich kenne meine Pflicht! Aber

Was aber?

Verwirrt stammelte Emmy: Franz, der Sohn des Cementfabrikanten Ratschiller, hat mich begleitet auf dem üblichen Spaziergang und hat mich

Nun?

..... hat mich gefragt, ob ich seine Frau werden möchte! Verzeihe mir, lieber Papa!

So? Das ischt ja das Allerneuste! Und der junge Mann scheint nicht zu wissen, bei wem man zuerst in solchen Angelegenheiten anfrägt?

Errötend lispelte Emmy: Verzeihe, Papa! Franz wollte zuerst meine Meinung wissen, er kommt dann gewiß zu dir, um deinen Segen zu erbitten!

Ei, der Tausend! Also perfectum est! Ich muß sagen: Eine solche Selbständigkeit hätte ich meiner sanften Emmy gar nicht zugetraut! Du hast dem Cementmenschen also schlankweg dein Jawort gegeben?

Doch nicht, lieber Papa! Ich habe nur gesagt, Franz solle um deinen Segen bitten!

Ach, du liebe Einfalt vom Lande! lachte der Richter auf.

Bitte, bitte, lieber Herzenspapa, sei nicht böse, und gieb uns deine Einwilligung! flehte in holder Verwirrung die Tochter.

Adagio, lento tempo, Kind! Ein alter Jurist überstürzt nichts! Und im tempo furioso wird nicht geheiratet. Der alte, goldene Juristenspruch: Quis, quid, ubi, quibus auxilius, cur quomodo, quando gilt auch in diesem Falle!

Papa, ich verstehe kein Wort von dem gelehrten Zeug!

Ehrenstraßer lächelte. Das glaub' ich gern! Doch genug nun von der überraschenden Sache! Geh' heim, Emmy, wir werden darüber schon noch reden!

Bitte, Herzensväterchen, bitte schön! schmeichelte das Mädchen.

Nur nicht pressieren, Kind! Ich höre Stimmen im Warteraum, es wird der citierte Wachtmeister kommen! Verlaß mich nun, Kind, mich ruft die Pflicht! Adieu, Emmy!

Das Mädchen küßte Papa herzhaft und wirbelte dann zur Thüre hinaus.

Eine schöne Bescheerung! Aber ein gutes Kind ischt Emmy doch, denn von dem Werber weg ischt sie zum Vater gelaufen! Eigentlich ganz natürlich, ich bin ihr ja der einzige und nächste, hm, der einzige dürfte ich gewesen sein! murmelte der Richter und klingelte dann.

Herr Bezirksrichter befehlen? fragte der eintretende Diener.

Ischt der Wachtmeister da? Soll eintreten!

Zu Befehl, Herr Bezirksrichter! rief Perathoner und schob seine Kugelgestalt ins Vorzimmer hinaus.

Gleich darauf trat der stämmige Gendarmeriewachtmeister, der wohl in Uniform war, jedoch nur das Seitengewehr und statt des Federnhutes das gewöhnliche Dienstkäppi trug, salutierend ein und stellte sich militärisch stramm vor dem Richter auf. Herr Bezirksrichter befehlen?

Mein lieber Wachtmeister! Sie werden vom Gendarmen, der heute mit auf Kommission beim Amareller war, bereits erfahren haben, daß wir nicht viel Erfolg hatten. Ich will den Akt nun nicht schlummern lassen, vielleicht kann seitens der Gendarmerie gelegentlich eine wertvolle Wahrnehmung gemacht werden. Ich möchte Sie daher dahin verständigen, daß nach dem Befund der erbrochenen Truhe im Hemmernmooshofe das gebrauchte Werkzeug sehr wahrscheinlich ein Schraubenzieher mit einer abgebrochenen Ecke gewesen ischt. Achten Sie und die Ihnen unterstellte Mannschaft bei Requisitionen, Besuchen und sonstigen Patrouillen auf ähnlich beschaffene derartige Werkzeuge und erstatten Sie mir dann sogleich Anzeige.

Sehr wohl! Haben Herr Bezirksrichter sonst noch Befehle für mich?

Nein! Ich danke Ihnen!

Mit militärischem Gruß trat der Wachtmeister ab. Der Richter wollte sich weiter seiner Arbeit widmen, doch parierten die Gedanken nimmer, die sich mit der überraschend gekommenen Verlobung beschäftigten. So quälte sich Ehrenstraßer ab, einen Akt fertig zum Expedit zu stellen und endlich legte er die Feder nieder und ging nach Hause.

II.

Ziemlich am Ende des Städtchens, in einer Art Villenviertel, stand das Haus, in welchem der Richter sich vor Jahren eingemietet hatte, weil im Amtsgebäude die Räume zu einer Dienstwohnung nicht ausreichten. Ehrenstraßers zweite Frau hatte sogleich nach der Trauung lebhaft protestiert gegen eine so kleine Wohnung, außerdem wollte sie nicht, wie sie sagte, mit Sträflingen und Inquisiten unter dem gleichen Dache wohnen und des weiteren könne man nicht wissen, wie groß die Familie noch werde. Diese letztere Bemerkung hatte den sonst so ernsten Richter lachen machen, sie gab den Ausschlag, die große Wohnung am Stadtende wurde gemietet und nach kurzen Jahren bevölkerten zwei Mädchen aus zweiter Ehe das Haus, welches die Umwohner aus guten Gründen mählich die Judenschule zu nennen pflegten.

Frau Bianca Ehrenstraßer stammte aus einer Weinhändlersfamilie Südtirols und zeigte in der äußeren Erscheinung den Ampezzanertypus. Anfangs ein feines Figürchen mit südländischem Temperament, kohlschwarzen Augen und blauschwarzem Haar, entwickelte sich die Richterin mit den Jahren zur korpulenten Frau, die trotz des ständigen Aufenthaltes in reindeutschen Bezirken mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuß stand und wälsche Lebensart beibehielt. Eine Folge davon war ein steter Dienstbotenwechsel, der dem Gatten das Leben sauer machte und welcher die Bewohner des Amtsstädtchens jahraus, jahrein mit Gesprächsstoff versorgte. Heißt es doch, ein Dienstbotenvermittelungsbureau in Innsbruck sei allein gar nicht im stande, bei Bezirksrichters den Bedarf an Dienstboten zu decken, denn gewechselt wird in jedem Monat, entweder die Köchin oder das Kindermädel und eine Scheuerfrau ist im Städtchen nicht mehr aufzutreiben, weil alle diesbezüglich in Frage kommenden Personen bereits im Hause gewesen sind.

Frau Ehrenstraßer oblag am Nachmittag zur Stunde, da der Bezirksrichter die Kanzlei verließ, der Lektüre eines italienischen Romanes, und hatte sich so sehr darin vertieft, daß sie die Anrede der in das Wohnzimmer gekommenen Köchin Cenzi, einer drallen Unterinnthalerin, überhörte. Cenzi wiederholte die Frage: Ich bitt', Frau, was soll zum Abend gekocht werden?

Frau Bianca richtete sich auf mit den Anzeichen hoher Entrüstung und zeterte: Come? Was sein das Manieren? I sono eine gnädige Frau, eine perfetta, wirkliche Gnädige! Du müssen sagen gnä' Frau zu mir, capisca?!

Demütig senkte Cenzi den Kopf und sprach dann: Gnä' Frau, ich bitt', was soll ich zum Abend richten?

Das sein Sachen der cuciniera, ich haben keine Zeit!

Ratlos stand das Mädchen vor der Gebieterin; erst vierzehn Tage im Haus und nicht ganz sicher vertraut mit der Kochkunst, weiß Cenzi nicht, wie sie sich zurechtfinden soll, zumal sie von der Sprache der Gnädigen nichts versteht.

Bring' burro fresco con pane bianco! Kinder wollen Jause!

Kopfschüttelnd entfernte sich das Mädchen, entschlossen, am nächsten Ersten zu kündigen.

Wenige Augenblicke später stürmten die Töchterchen zweiter Ehe, Mädchen mit wälschem Typus im Alter von sechs und fünf Jahren, im tempo furioso lärmend in die Wohnstube und begannen den Speisetisch zu umkreisen, wobei die Kinder wie toll um burro fresco (frische Butter) und Weißbrot schrieen.

Vergebens gebot Frau Bianca solchem Heidenlärm, die Mädchen kümmerten sich nicht im geringsten um das tace und lärmten weiter. Mama riß am Glockenzug, doch als vom Gesinde niemand kam, befahl sie Lina, dem Kindermädel aufzutragen, die Jause zu bringen.

Lina sprang hinaus, kam aber bald zurück, um in welscher Sprache zu berichten, daß von den Dienstboten niemand zu finden sei.

Welche Wirtschaft! zeterte Mama und stürmte hinaus. Die Mädchen benutzten die Abwesenheit der Mutter, um die Tischlade einer Revision zu unterziehen, sowie im Buffet Nachsuche zu halten. Jubelnd wurde die Honigflasche entdeckt und ihres Inhaltes beraubt, Schwarzbrot wurde mit Öl aus der Karaffe beträufelt und gierig verzehrt. Unter gegenseitigen Püffen konnte es nicht anders sein, daß es Scherben gab, in Trümmern liegt die Huiliere am Boden und ihr Rest breitet sich zu einem prächtigen Oval auf dem Teppich aus, Honigspritzer bedecken Tisch und Stühle. Die jüngere Tochter erklomm auf einem Stuhl die Höhe, um im oberen Schrank des Büffets zur Marmelade zu gelangen, die von den kleinen Händchen aber nicht erfaßt werden konnte. Klirrend fiel das Glas um und riß noch andere mit und patsch schlug die Marmelade unten am Boden auf.

Subito! schrieen die Racker von Mädchen und begannen den süßen Inhalt aufzutunken, indem sie sich auf den Boden setzten und schlankweg mit den Fingern die Marmelade zu Munde führten. In dieser reizvollen Situation traf Frau Bianca ihre Sprößlinge, und die Überraschung war so groß, daß die Richterin im Schrecken die Butterdose fallen ließ.

Die Mädchen benutzten die momentane Verwirrung, um in rasenden Sprüngen sich nach außen in Sicherheit zu bringen; Bianca stand allein vor der Bescheerung, fassungslos für den Augenblick, doch fand sie sogleich die Sprache wieder, als Herr Ehrenstraßer eintrat und in seiner ruhigen Weise der Gattin einen Guten Abend wünschte.

Ein Wortschwall ergoß sich über den Richter, welcher verwundert den Scherbenhaufen betrachtete und sich ein spöttisches Lächeln nicht versagen konnte. Eine schöne Bescheerung das! Die Mädels treiben es bunt!

Sofort nahm Frau Ehrenstraßer Ihre Kinder in Schutz; schuld an den skandalösen Verhältnissen im Hause seien die Dienstboten und Emmy, die sich so viel wie gar nicht nach Recht und Pflicht um das Hauswesen kümmere.

Ein ernster Blick traf die Gattin und ebenso ernst klang die Erwiderung. Das Hauswesen und die Führung des Haushaltes ischt doch wohl deine Sache als Frau und Mutter! Und Emmy ischt wohl deine Stieftochter, keinesfalls aber dein Dienstmädchen! Ich hoffe, du wirst dir das merken! Im übrigen dürfte Emmy die längste Zeit im Hause gewesen sein!

Come? rief überrascht die Gattin.

Emmy war heute zu ganz ungewöhnlicher Zeit bei mir in der Kanzlei und gestand, daß der Sohn des Cementfabrikanten Ratschiller sie um ihre Hand gebeten habe!

Welche Neuigkeit! Und was haben du gesagt, carissimo?

Die Sache muß denn doch erst geprüft und überlegt werden!

Ha! Emmy sein also sposa felice, ich gratulieren! Gleich ich wollen der Braut wünschen Glück! Mit dem Feuer ihres südländischen Temperaments wollte Frau Bianca forteilen, die Stieftochter, welche ein Zimmer im oberen Stockwerk bewohnt, aufzusuchen.

Doch der Richter hielt die Gattin zurück. Keine Übereilung, Liebste! Wir sind noch nicht so weit und Ehrenstraßer hielt inne, er wollte es nicht aussprechen, daß ihn die übergroße Freude der Gattin über den Weggang Emmys aus dem Hause wenig angenehm berühre.

Aber Frau Bianca war Feuer und Flamme für das Heiratsprojekt und riß sich los.

Bleib'! Und sorge dafür, daß die Bescheerung da weggeschafft wird! Man müßte sich ja schämen, wenn ein Besuch diese Wirtschaft erblickte!

Sollen Domestiken ausputzen! Ich müssen zu Emmy! Und fort rauschte die Gattin.

Herr Ehrenstraßer begab sich seufzend in seine Stube, die sein Tuskulum im sonst so lärmerfüllten Hause ist, wo er sich einigermaßen ungestört den Studien seines Faches hingeben kann in den wenigen ihm verbleibenden freien Stunden. Diesmal sollte dem fleißigen Manne freilich nur ein Halbstündchen Ruhe beschieden sein, denn die Mädchen hatten es bald los, daß Mama im obern Stockwerk bei Emmy weilt, und sogleich ward ein Kriegsspiel insceniert, dessen Lärm häuserweit zu hören war.

Der seelensgute Vater legte seufzend das juristische Litteraturblatt aus der Hand und begab sich in den Flur zum Schauplatz des Damenkrieges, um Ruhe zu gebieten.

Im drolligsten Kauderwelsch erklärten die Mädchen, daß sie ja nur ein Indianerspiel vollführten und Papa möge sie nicht stören.

Kinder, gebt Ruhe! Der Lärm ischt zu groß! Mädchen sollen überhaupt ruhig spielen. Nehmt euere Puppen! Indianerspiele treiben nur wilde Buben!

Wir sein anche Bubi! Juih! lärmten die Racker und balgten sich wie toll.

Herr meines Lebens! So kann es nicht weiter gehen! Ruhig, Kinder! Oder es setzt Hiebe ab!

Papa uns nit slag! lachten die Mädchen und wirbelten die Treppe hinunter, um im Garten weiter zu spielen.

Назад Дальше