Die Unerwünschten - Owen Jones 2 стр.


Ja, gut, wahrscheinlich hat du recht. Du hast noch gar nicht gesagt, wo die Kinder sind.

Ich weiß nicht genau, ich dachte, jetzt sollten sie eigentlich zurück sein Sie sind zusammen weg, um am Wochenende eine Geburtstagsparty oder etwas Ähnliches zu organisieren.

Die Lees hatten zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, und sie schätzten sich glücklich deswegen, weil sie zehn Jahre lang versucht hatten Kinder zu bekommen, bevor der Junge gezeugt wurde. Die Kinder waren jetzt zwanzig und sechzehn, daher hatten Herr und Frau Lee es seit langem aufgegeben, auf weiteren Nachwuchs zu hoffen.

Sie hatte auch vor langer Zeit aufgegeben, es zu versuchen.

Es waren jedoch brave, respektvolle und gehorsame Kinder und sie machten ihre Eltern stolz, zumindest das, was die Eltern über sie wussten, machte sie stolz. Sie waren eben genauso wie alle braven Kinder: zu neunzig Prozent in Ordnung, aber sie konnten durchaus auch Dummheiten anstellen und manche Gedanken behielten sie für sich, weil sie wussten, ihre Eltern würden sie nicht billigen.

Der Sohn Master Lee, auch Den oder Junger Lee genannt, war gerade zwanzig geworden und seit fast zwei Jahren mit der Schule fertig. Er und seine Schwester hatten eine glückliche Kindheit verbracht, aber langsam begann es ihm zu dämmern, dass sein Vater ein sehr hartes Leben für ihn geplant hatte, wobei er durchaus schon sein ganzes Leben gearbeitet hatte, jedenfalls vor und nach der Schule. Aber damals war trotzdem noch Zeit geblieben für Fußball, Tischtennis und die Mädchen auf den Tanzfesten der Schule.

Mit all dem war jetzt Schluss genauso wie mit seiner Aussicht auf ein Sexleben. Das war zwar noch nie besonders glänzend gewesen war ab und zu ein Kuss und noch seltener ein dezentes Herumgefummel, aber jetzt hatte sich seit fast zwei Jahren gar nichts mehr getan. Den würde schlagartig in die Stadt ziehen, wenn er auch nur einen Schimmer gehabt hätte, was er dort machen sollte, aber er hatte auch keinerlei Ehrgeiz, außer möglichst oft eine Nummer zu schieben.

Seine Hormone spielten dermaßen verrückt, dass er schon ein paar Ziegen äußerst attraktiv fand, was ihn ungeheuer beunruhigte.

Er musste nicht sehr tief in sich gehen um zu begreifen, dass er heiraten sollte, wenn er eine feste Beziehung mit einer Frau haben wollte.

Eine Ehe, auch wenn sie mit der Zeugung von Kindern verbunden war, begann ausgesprochen verlockend auszusehen.

Fräulein Lee, besser bekannt als Din, war ein sehr hübsches 16-jähriges Mädchen, die im Sommer von der Schule abgegangen war, zwei Jahre früher als ihr Bruder, was für die Region, in der sie lebte, ganz normal war. Nicht weil sie weniger intelligent war, sondern weil beide Eltern und auch die Mädchen selbst annahmen, es wäre umso besser, je früher sie anfingen, eine Familie zu gründen. Ein Mädchen unter zwanzig hatte es auch leichter, einen Ehemann zu finden als eines, dass ein paar Jahre älter war. Din akzeptierte diese althergebrachte Weisheit ohne sie zu hinterfragen, trotz der Bedenken ihrer Mutter.

Sie hatte ebenfalls ihr ganzes Leben vor und nach der Schule gearbeitet, wahrscheinlich härter als ihr Bruder, obwohl der das niemals so sehen würde, denn Mädchen erledigten faktisch alle anfallenden Sklavenarbeiten egal welcher Art.

Din hatte jedoch durchaus Fantasien. Sie träumte von romantischen Techtelmechteln, in denen ihr Liebhaber sie nach Bangkok entführen und dort Arzt werden würde, während sie den ganzen Tag mit ihren Freundinnen auf Shoppingtour ging. Ihre Hormone machten ihr auch Probleme, aber die einheimische Kultur gestattete nicht, dass sie das zugab, nicht einmal vor sich selbst. Ihr Vater, ihr Bruder und wahrscheinlich sogar ihre Mutter würden sie verprügeln, wenn sie sie dabei erwischten, dass sie einem Jungen, der nicht zur Familie gehörte auch nur zulächelte.

Sie wusste es und akzeptierte das auch, ohne Fragen zu stellen.

Ihr Plan war, auf der Stelle nach einem Ehemann zu suchen, eine Aufgabe, bei der ihr ihre Mutter Hilfe angeboten hatte, denn beide Damen Lee wussten, dass man sie am besten so schnell wie möglich erledigen sollte um damit jedes Risiko auszuschließen, Schande über die Familie zu bringen.

Insgesamt gesehen war die Familie Lee ganz typisch für die Gegend und damit war sie auch sehr zufrieden. Sie führte ihr Leben innerhalb der Zwänge der heimischen Konventionen und fand das in Ordnung und richtig, auch wenn beide Kinder Träume von einer Flucht in die große Stadt hegten. Das Problem lag in einem Mangel an Ehrgeiz; es war in den Hügelbewohnern seit Jahrhunderten tief verwurzelt und hielt sie zurück. Für die Regierung erwies sich das als eine gute Sache, sonst wären schon alle jungen Leute aus den ländlichen Gebieten verschwunden und nach Bangkok und von dort aus in fremde Länder wie Taiwan und Oman abgewandert, wo die Gehälter höher waren. Die Befreiung von starrem Gruppenzwang war jedoch verlockend.

Viele junge Mädchen hatten allerdings die Reise nach Bangkok angetreten. Ein paar von ihnen hatten auch eine ordentliche Arbeit gefunden, aber viele endeten in der Sexindustrie der größeren Städte. Von dort aus reisten einige auch weiter ins Ausland, sogar in Länder außerhalb Asiens. Es kursierten zahlreiche Horrorgeschichten, um junge Mädchen von diesem Weg abzuhalten; bei Din und ihrer Mutter hatte das funktioniert.

Herrn Lee gefiel sein Leben und er liebte seine Familie, obwohl man das außerhalb der eigenen vier Wände nicht zugab. Er wollte sie nicht wegen irgendeiner Krankheit verlieren, die er vielleicht schon seit seiner Jugendzeit mit sich herumtrug.

Alter Herr Lee (obwohl er wusste, dass ihn einige der nicht so respektvollen Dorf-Jugendlichen Alter Ziegenbock Lee nannten) war in seiner Jugend Idealist gewesen und hatte sich gleich nach Beendigung der Schulzeit zum Kampfeinsatz in Nordvietnam gemeldet. Sie lebten nahe an der Grenze zu Laos, also war Nordvietnam nicht weit weg. Er wusste, dass die Amerikaner diese Region und Laos bombardiert hatten und wollte seinen Beitrag leisten, dass damit Schluss war.

Er hatte sich der kommunistischen Idee verschrieben und war, sobald man ihn brauchen konnte, zur Kampfausbildung nach Vietnam gegangen. Viele seiner Mitkämpfer hatten genauso wie er zum Teil Chinesen im Stammbaum, hatten aber die Einmischung ausländischer Mächte in die Zukunft ihrer Landsleute satt. Er konnte nicht verstehen, warum sich Amerikaner, die tausende Meilen weit weg lebten darum scherten, wer in diesem kleinen Teil der Welt an der Macht war. Er hatte sich nie darum gekümmert, welchen Präsidenten sie gewählt hatten.

Wie das Schicksal aber so spielte, bekam er nie die Chance, auch nur einen zornigen Schuss abzufeuern, weil er gleich am ersten Tag nach Ausbildungsende beim Transport vom Trainingscamp zum Schlachtfeld vom Schrapnell einer amerikanischen Bombe getroffen wurde. Seine Verletzungen waren sehr schmerzhaft, aber nicht lebensbedrohlich. Sie reichten jedoch zur Ausmusterung, als er soweit wiederhergestellt war, aus dem Krankenhaus entlassen zu werden. Der größte Schrapnellsplitter hatte ihn am linken Oberschenkel getroffen, aber ein paar kleinere Splitter hatten sich in seinen Magen gebohrt, von denen er jetzt glaubte, sie könnten die Quelle seiner Beschwerden sein. Daher stammte auch das Gerücht, dass auf ihn geschossen worden wäre.

Er war mit einem bösen Hinken heimgekommen sowie mit einer Abfindung, die hoch genug ausfiel, einen kleinen Bauernhof zu kaufen, aber aufgrund seines verwundeten Beins hatte er stattdessen einen Hof und eine Herde Ziegen gekauft, die er züchtete und verkaufte. Innerhalb eines Jahres nach seiner Heimkehr war sein Bein so gut es eben ging geheilt und er heiratete ein hübsches einheimisches Mädchen, das er sein ganzes Leben lang gekannt und gemocht hatte. Sie war auch bäuerlicher Herkunft, sie ließen sich häuslich nieder und führten ein zufriedenes, wenn auch ärmliches Leben.

An jedem Wochentag außer sonntags hatte Herr Lee seitdem seine Herde zum Grasen ins Hochland getrieben. Im Sommer übernachtete er oft in einem der Biwaks, die er an verschiedenen Stellen errichtet hatte, das hatte er bei der Armee gelernt. Jene Zeit betrachtete er im Rückblick nostalgisch als glückliche Tage, obwohl er das damals nicht so empfunden hatte.

In den Bergen gab es außer Menschen keine Raubtiere mehr, weil schon vor langer Zeit alle Tiger zum Zweck der Verwertung in der chinesischen Medizinbranche getötet worden waren. Herr Lee hatte dabei gemischte Gefühle. Einerseits wusste er, dass das eine Schande war, aber andererseits hatte er auch keine Lust, jede Nacht seine Ziegen gegen umherstreifende Tiger zu verteidigen. Bis zu Beginn seiner Krankheit vor etwa einer Woche hatte er fast dreißig Jahre lang Ziegen gehütet, daher kannte er die Berge so gut wie die meisten Leute ihre örtliche Parkanlage.

Er wusste, welche Gebiete man wegen Landminen und Strychnin-Päckchen meiden musste, die die Amerikaner in den 70er Jahren abgeworfen hatten, er kannte die Gebiete, die geräumt waren, wobei die Pioniere wohl ein paar übersehen hatten, wie eine seiner Ziegen vor nur einem Monat erfahren musste. Es war eine Schande, obwohl ihr Kadaver nicht verweste und sie auch ein schnelles Ende gefunden hatte. Ein losgetretener Stein hatte eine Mine zur Explosion gebracht, sie himmelwärts geschossen und dabei den Kopf sauber abgetrennt.

Der Weg war zu weit, den Kadaver nach Hause zu transportieren, also hatte Herr Lee einige Tage in den Bergen verbracht und sich vollgestopft, während sich seine Familie daheim auf dem Hof zu Tode ängstigte.

Herr Lee war ein zufriedener Mann. Er genoss seine Arbeit und das Leben im Freien und hatte sich seit langem mit der Tatsache abgefunden, dass er nie reich sein oder nochmals ins Ausland kommen würde. Deswegen waren er und seine Frau jetzt froh, dass sie nur zwei Kinder hatten. Er liebte sie beide gleichermaßen und wollte nur das Beste für sie, aber er freute sich auch, dass sie nicht mehr zur Schule gingen und deshalb den ganzen Tag auf dem Hof arbeiten konnten, wo seine Frau Kräuter und Gemüse anbaute und drei Schweine und einige Dutzend Hühner hielt.

Herr Lee überlegte, in welchem Maß er durch die zusätzliche Hilfe seinen Hof vergrößern könnte. Vielleicht ein weiteres Dutzend Hühner und ein paar Schweine mehr halten und ein Feld mit Zuckermais anlegen?

Er erwachte aus seinen Fantasien. Was, wenn es etwas Ernstes ist, Mud? Ich habe bis jetzt nichts gesagt, aber diese Woche bin ich zweimal in Ohnmacht gefallen und zwei oder drei Mal war ich nahe dran.

Warum hast du mir das nicht schon vorher erzählt?

Naja, ich wollte dir eben keine Angst machen und du hättest sowieso nichts machen können, oder?

Nein, ich selber nicht, aber hätte dich schon früher zu deiner Tante geschickt und dich vielleicht überredet, dass du zu einem Arzt gehst.

Ach, du kennst mich doch, Mud. Ich hätte gesagt Warten wir mal ab, was Tante dazu sagt, bevor wir das ganze Geld ausgeben. Trotzdem gebe ich zu, dass ich mich ab und zu ganz schön komisch fühle und ich habe schon ein bisschen Angst davor, was Tante morgen sagen wird.

Ja, ich auch. Fühlst du dich wirklich so schlecht?

Manchmal schon, aber ich habe einfach überhaupt keine Kraft mehr. Ich konnte doch immer zusammen mit den Ziegen rennen und herumspringen, aber jetzt werde ich schon müde, wenn ich ihnen nur zusehe!

Irgendetwas stimmt nicht, da bin ich sicher.

Schau, Paw. Sie verwendete für ihn den fantasielosen Kosenamen, der auf Thailändisch Papa bedeutete. Die Kinder sind am Tor. Willst du sie jetzt in die Sache einweihen?

Nein, du hast recht, warum sollen sie sich jetzt Sorgen machen, aber ich glaube, die Tante wird mich morgen am späten Nachmittag holen lassen. Erzähl ihnen, dass wir zum Abendessen eine Familienkonferenz abhalten und sie dabei sein sollen.

Ich glaube, ich gehe jetzt ins Bett. Ich bin schon wieder müde. Mit Tantes Spucke bin ich eine Weile in Schwung gekommen, aber die Wirkung ist wieder vorbei. Sag ihnen, dass ich in Ordnung bin, aber bitte Den, dass er morgen die Ziegen für mich hinaustreibt, ja? Er muss sie nicht weit weg führen, nur den Fluss hinunter, damit sie ein bisschen Flussgras fressen und Wasser trinken können ein oder zwei Tage macht ihnen das nichts aus.

Wenn du zehn Minuten Zeit hast, koche mir doch bitte deinen Spezialtee. Den mit Ingwer, Anis und den anderen Zutaten Das sollte mich etwas aufmöbeln Oh, und ein paar Melonen- oder Sonnenblumenkerne vielleicht kannst du Din sagen, dass sie sie für mich knackt?

Was ist mit einem Becher Suppe? Es ist deine Lieblingssuppe

Ja, gut, aber wenn ich schlafe, stell sie einfach auf den Tisch und ich trinke sie später kalt.

Hallo, Kinder, ich gehe heute früh ins Bett, aber macht euch keine Sorgen, ich bin schon in Ordnung. Eure Mutter erzählt euch dann die Einzelheiten. Ich glaube, ich habe nur irgendeinen Infekt. Gute Nacht zusammen.

Gute Nacht, Papa, erwiderten alle. Din sah besonders besorgt drein, als sie zuerst Herrn Lees Rückzug beobachteten und sich dann gegenseitig ansahen.

Als Herr Lee in der stillen Dunkelheit lag, fühlte er, wie seine Körperseiten noch stärker pochten, wie ein fauliger Zahn, der nachts im Bett immer schlimmer weh tat. Er war aber so erschöpft, dass er nach kurzer Zeit schon fest schlief, noch bevor man ihm seinen Tee, die Suppe und die Samen brachte.

Draußen in der Dämmerung diskutierten die übrigen Mitglieder der kleinen Familie auf dem großen Tisch Herrn Lees schlimme Lage in gedämpftem Ton, obwohl laute Gespräche auch niemand gehört hätte.

Wird Papa sterben, Mama?, fragte Din, den Tränen nahe.

Nein, meine Liebe, natürlich nicht, antwortete diese. Wenigstens glaube ich es nicht.

1 2 DIE ZWICKMÜHLE DER FAMILIE LEE

Wie das auf dem Land so üblich war, schliefen alle zusammen im einzigen Raum des Hauses: Mama und Papa in einem Doppelbett, die Kinder jeweils in Einzelbetten, jedes Bett war mit einem Moskitonetz geschützt. Als dann alle bei Tagesanbruch aufwachten, schlichen sie auf Zehenspitzen herum, um Heng nicht zu wecken.

Sie wussten, dass etwas nicht stimmte, weil er normalerweise als Erster aufstand und sich auf den Weg machte, sogar wenn der Morgen sehr kalt war. Sie lugten durch das Moskitonetz in sein leichenblasses Gesicht und sahen besorgt aus, bis sie die Mutter hinausscheuchte.

Din, tu uns einen Gefallen, Liebes. Mir gefällt nicht, wie dein Vater aussieht, dusch dich schnell, lauf zur Tante und finde heraus, ob sie uns schon etwas sagen kann, sei so gut. Wenn sie noch nicht fertig ist, weil es so früh ist, dann bitte sie, sich für ihren Lieblingsneffen besonders zu bemühen bevor es zu spät ist.

Din fing an zu weinen und rannte zur Dusche. Tut mir leid, Liebes, ich wollte dich nicht erschrecken!, rief Wan hinter ihrer Tochter her.

Als Din eine Viertelstunde später bei ihrer Großtante eintraf, war die alte Schamanin bereits wach und angekleidet, saß auf dem großen Tisch vor dem Haus und aß Reissuppe.

Guten Morgen, Din, schön dich zu sehen, magst du eine Schale Suppe? Sie schmeckt sehr fein. Da war in ihre Großnichten vernarrt, besonders in Din, aber als sie hörte, was diese zu sagen hatte, konnte sie nicht anders: Sie musste einfach loswerden, dass ihre Mutter eine Menge verlangte, wenn sie in so einem Fall innerhalb von 24 Stunden eine ordentliche Diagnose erwartete.

Deine Mutter, also wirklich! Nun gut, sehen wir mal, was wir tun können dein Paw sieht schlecht aus?

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