Mit Der Hand Auf Seinem Herzen - Shanae Johnson


Mit der Hand auf seinem Herzen

Original published under the title: Hand Over His Heart

Copyright © 2018, Ines Johnson. All rights reserved.

Originally published by Ines Johnson, Arlington VA, USA.

Dieses Buch ist reine Fiktion. Alle in diesem Buch beschriebenen Personen, Orte und Handlungen sind frei erfunden oder werden fiktiv gebraucht.

Ohne die schriftliche Einwilligung der Autorin darf dieses Buch in keinerlei Form und auf keinem Weg weder ganz noch in Auszügen vervielfältigt oder übertragen werden. Ausgenommen sind autorisierte Händler.

© Copyright der deutschen Ausgabe 2021 by Ines Johnson

Übersetzung: Annerose Keller

Lektorat: Marion Waba

Hergestellt in den USA

Erste Ausgabe 2021

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Epilog

Kapitel Eins

Frans Blick folgte der Linie auf dem Monitor. Die Linie schnellte in die Höhe, als wolle sie den höchsten Berg erklimmen und stürzte dann sofort wieder in die Tiefe wie ein Fallschirmspringer, der vergessen hatte, an der Leine zu ziehen. Das Spiel wiederholte sich wieder und wieder. Wenn das keine Metapher für sein Leben war, dachte Fran.

Er beobachtete den EKG-Monitor, während sein Herz einige Male weiter schlug. Der Rhythmus war stark und gleichmäßig. Zumindest im Moment. Aber genau wie der Arzt, der gerade sein Herz untersuchte, wusste Fran, dass dieses Schlagen jeden Moment aufhören konnte.

Offensichtlich alles beim Alten, Corporal DeMonti. Dr. Nelsons Stimme war gleichmäßig wie die Linie auf dem Monitor, die er beobachtete. Er kritzelte mit seinem Bleistift etwas auf seinen Notizblock, blickte dabei von einem Gerät zu dem anderen und dann wieder auf seine Uhr. Nicht ein einziges Mal schaute zu Fran.

Fran war es gewohnt, von denen übersehen zu werden, die höhergestellt waren als er. Als Corporal in der US-Armee hatte er sich um einen höheren Dienstgrad bemüht. Er war nur noch einen kleinen Schritt von der Beförderung zum Sergeanten entfernt gewesen bis ein Einsatz schiefgegangen war.

Nein, die mangelnde Aufmerksamkeit des Arztes störte ihn also nicht. Was ihn allerdings störte, war, dass der Mann mit einem Bleistift schrieb. Das Graphit auf dem Papier war Fran nicht beständig genug. Es konnte mit dem rosaroten Gummi am anderen Ende des Bleistifts einfach wieder ausradiert werden. So, wie auch Frans Leben durch eine falsche Bewegung einfach ausradiert werden konnte. Wenn die Granatsplitter, die sich in seiner Brust festgesetzt hatten, nur wenige Millimeter nach links wanderten und sein Herz verletzten, war es vorbei mit ihm. Gelöscht von den Seiten des Lebens.

Leider ist es immer noch zu riskant, zu operieren und die Splitter zu entfernen, sagte der Arzt. Er blickte auf und sah Fran endlich an. Wir können im Moment nichts anderes tun als Ihre Therapie fortzusetzen. Und zu beten. Fran war jedes Mal wieder überrascht, wenn ein Arzt über das Beten sprach. Er hätte erwartet, dass ein Mensch, der sich den Naturwissenschaften verschrieben hatte, lieber greifbaren Dingen vertraute als geistlichen. Aber er hatte er sich schon mehrmals geirrt. Zumindest in diesem Krankenhaus für Veteranen. Er war hier schon vielen Frauen und Männern begegnet, die Situationen er- und überlebt hatten, in denen man das Überleben nur einer höheren Macht zuschreiben konnte. Daher scheuten sie sich nicht, den Herrn anzurufen, wenn ihr Verstand ein körperliches Problem nicht lösen konnte. Fran wusste sehr gut, dass Gott der Einzige war, der ihm noch helfen konnte. Somit hatte er auch kein Problem damit, dieses Medikament anzuwenden. Er hätte nur gern gewusst, was der Herr mit ihm vorhatte. Wollte er Fran bald zu sich holen? Oder war es sein Wille, Fran noch eine Weile auf der Erde herumlaufen zu lassen?

Fran zog es vor, einen soliden Plan zu haben. Aber er kannte auch das alte Sprichwort: Der Mensch denkt, Gott lenkt.

Allerdings glaubte er auch nicht, dass Gott ihn nur zum Spaß ein bisschen zappeln lassen würde. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass sich der Schöpfer einen so grausamen Scherz mit ihm erlauben würde.

Als Fran das Untersuchungszimmer verließ, lächelten ihn einige der Frauen auf den Gängen an und versuchten, seine Blicke auf sich zu lenken. Mit bloßem Auge betrachtet wirkte Fran vollkommen gesund. Er hatte weder einen Teil seiner Gliedmaßen verloren noch sichtbare Narben davongetragen, wenn man die Narben auf seiner Brust einmal außer Acht ließ. Nein, seine Verletzung lag tiefer. Tiefer als die Metallsplitter in seinem Körper. Die Wunde reichte bis in seine Seele hinein.

Es war alles seine Schuld gewesen.

Als es geschah, waren Fran und seine Abteilung gerade mit einer Arbeit beschäftigt gewesen, die das Leben der Frauen und Kinder im Kriegsgebiet hätte leichter machen sollen. Die Explosion, die die Splitter in Frans Brust zurückgelassen hatte, hatte keinem seiner Männer das Leben gekostet. Doch sie hatte sechs Menschen die Lebensgrundlage geraubt und das Leben des Selbstmordattentäters genommen, der sein Leben einer fragwürdigen Berufung geopfert hatte.

Für die Überlebenden war seitdem nichts mehr wie zuvor gewesen. Und gerade als sie angefangen hatten, ihr Leben auf der Bellflower Ranch langsam wieder in den Griff zu bekommen, hatte die nächste Bombe eingeschlagen. Nein, das konnte nicht einfach ein Scherz von Gott sein. Dafür war das alles viel zu grausam.

Fran verließ den Parkplatz des Krankenhauses und machte sich auf den Weg zur Ranch. Sein Herz wurde weit, als er die Landschaft sah, die sich vor ihm ausbreitete. Montana war einfach wunderschön.

Fran war in New York City aufgewachsen. Seine Berge waren die Wolkenkratzer gewesen, seine Wiesen der Asphalt. Aber nichts kam der majestätischen Schönheit der Natur gleich, die sich hier in den Himmel erhob.

Afghanistan hatte die gleiche Wirkung auf ihn gehabt. Das Land, das von vielen als Wüste bezeichnet wurde, war voller zerklüfteter Berge und tiefer Täler. Schnee bedeckte die schroffen Berggipfel und die Täler waren fruchtbar und ernährten Vieh und Menschen.

Fran war erstaunt gewesen, an einem Ort, der als so schlimm beschrieben wurde, so viel Schönheit und Überfluss anzutreffen. Doch die Beschreibungen zeichneten eben nicht das ganze Bild. Die guten Menschen des Landes versuchten, nicht ins Visier des Krieges zu geraten. Doch nur zu oft gelang es ihnen nicht und der Pinselstrich der Gewalt legte sich auch über ihr Leben.

Fran bog in die Ranch ein. Nachdem der ihnen übergeordnete Offizier die Ranch gekauft hatte, hatten die Soldaten sie bald in Purple Heart Ranch umbenannt. Die violetten Blüten der Glockenblume, welche das Siegel der Ranch zierten, erinnerten an die Purple-Heart-Auszeichnung, die man als Soldat bekam, wenn man im Krieg durch Feindeshand verwundet wurde. Jeder Mann von Frans Truppe war verwundet worden. Und nun, da sie hierhergekommen waren, um Ruhe und Heilung zu finden, war ihnen der nächste Schlag versetzt worden.

Fran und die restlichen Männer seiner Einheit mussten innerhalb weniger Wochen heiraten, wenn sie auf der Ranch bleiben wollten, auf der ihre Wunden zu heilen begonnen hatten und die ihnen ihren Lebensmut zurückgegeben hatte. Das Problem war nur, dass nicht viele Frauen bereit dazu waren, ein Leben lang an einen verwundeten Soldaten gekettet zu sein. Und ganz bestimmt nicht an einen, der sein Herz nicht verschenken konnte, weil es jeden Moment aufhören konnte zu schlagen.

Fran würde die Ranch also bald verlassen müssen. Doch er würde erst gehen, wenn er wusste, dass die anderen versorgt waren. Schließlich war er dafür verantwortlich, dass jeder von ihnen einen Teil von sich verloren hatte. So viel schuldete er ihnen also. Er würde dafür sorgen, dass sie die Sicherheit bekamen, die sie verdient hatten. Und wer weiß vielleicht würden sie ja sogar Liebe finden.

Es war ein schöner Traum. Einer, den er früher einmal auch für sich selbst gehabt hatte. Doch für ihn würde sich dieser Traum nie erfüllen, denn seine Brust war eine tickende Zeitbombe.

Kapitel Zwei

Eva atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Dann nahm sie den Stift zur Hand, der auf dem Papier vor ihr lag, schüttelte ihre verkrampfte Hand aus und versuchte es noch einmal.

Sie rechnete die Zahlen im Kopf durch. Beim Aufschreiben der Ziffern und des entsprechenden Betrags in Worten durfte sie keinen Fehler machen. Es war eine hohe Summe. Die höchste, die sie je im Leben am Stück bezahlt hatte.

Nachdem sie die Zahlen dreimal überprüft und anschließend noch dreimal durchgelesen hatte, legte sie den Stift zur Seite. Er rollte davon, aber sie ließ ihn rollen. Sie brauchte ihn nicht mehr. Das Geld war weg und ihr Konto nun leer. Aber das war es wert.

Vorsichtig riss sie den Scheck aus ihrem Scheckbuch. Es war der erste. Sie hatte noch nie zuvor einen Scheck ausgestellt. Sie hatte immer bar bezahlt. Es war ihr erstes Scheckkonto, das sie benutzte, um Schecks auszustellen und nicht, um welche einzulösen. Und es war ihr erster Scheck.

Sie reichte ihn der Frau hinter der Glasscheibe. Die Augen der Frau waren freundlich und ihr Lächeln geduldig. Sie überflog die Zahlen und Buchstaben auf dem Papier.

Eva hielt den Atem an. Hoffentlich hatte sie keinen Fehler gemacht. Sie konnte keinen einzigen Cent mehr in diesen Scheck investieren.

Sieht alles gut aus, meine Liebe, sagte die Frau.

Evas Schultern entspannten sich sichtlich, als sie das hörte.

Hier ist Ihr Stundenplan. Die Frau von der Zulassungsstelle reichte Eva ein Blatt, auf dem Nummern von Räumen und Namen von Fächern und Professoren säuberlich aufgelistet waren. Dann sehen wir Sie am Montag, Ms. Lopez.

Ja, flüsterte Eva. Das werden Sie.

Viel Spaß mit Ihren Kursen, Liebes.

Gleichfalls. Ich meine, danke. Haben Sie einen schönen Tag.

Eva wandte sich vom Schalter der Zulassungsstelle ab und drückte ihren Stundenplan an die Brust. Die Schlange der Studenten hinter ihr, die sich ebenfalls anmelden wollten, war lang. Sie sahen gelangweilt und müde aus. Keiner schien so elektrisiert zu sein wie sie. Vielleicht, weil die meisten von ihnen Stipendien oder finanzielle Unterstützung bekamen oder Eltern hatten, die für ihr Studium aufkamen.

Eva hatte das alles nicht. Sie hatte jeden Cent selbst verdient, mit dem sie gerade das College bezahlt hatte. Es hatte drei Jahre gedauert, aber sie hatte es geschafft. Sie hatte genug für ihr erstes College-Semester verdient. Und zwar nicht nur für Online-Kurse. Nein, sie würde auf einem richtigen Campus unterwegs sein. Und es war auch nicht nur ein paar Kurse an einer Volkshochschule. Nein, das hier war ein richtiges College.

Sie wollte nicht etwas Besseres sein. Gut, im Grunde war sie das. Zum ersten Mal in ihrem Leben gehörte sie zur Elite. Sie wünschte sich nur, dass ihre Eltern sie sehen könnten. Irgendwie wusste sie, dass sie auf sie herabblickten und vor Stolz strahlten.

Sie hatte es geschafft. Sie hatte ihren Traum wahr gemacht. Ihre Eltern hatten ihr vom ersten Tag im Kindergarten an gesagt, dass Bildung der Schlüssel zu ihren Träumen war. Mit einer guten Ausbildung war alles möglich.

Eva wusste nicht genau, was sie mit ihrem Studium anfangen wollte. Sie wusste nur, dass sie studieren wollte. Sie liebte es, zu lernen und in einem Klassenzimmer zu sitzen, während der Lehrer vorn an der Tafel wunderbare Dinge erklärte.

Die vergangenen drei Jahre nach ihrem Schulabschluss waren ihr so trist vorgekommen. Doch bald würde sie wieder an einem Pult sitzen, wo sie hingehörte. Und dann war alles möglich.

Eva stieg in den Stadtbus und machte sich auf den Weg nach Hause. Ihr Zuhause befand sich nicht in den hübschen Stadthäusern rund um den Campus. Es befand sich auch nicht in einem der schicken Wohnungen im Geschäftsviertel. Nein, ihr Zuhause war ein heruntergekommener Wohnblock in dem alles andere als angesagten Viertel der Stadt, in dem die Menschen für Löhne arbeiteten, die oft unter dem gesetzlichen Minimum lagen.

Der Bus fuhr nicht bis zu ihrem Wohnblock. Eva stieg bei der Kirche aus. In den vergangenen Monaten, seit sie hierhergezogen war, war sie ein paarmal hier gewesen. Wo auch immer Eva hinzog, sie suchte sich stets eine Kirche in der Nähe ihrer Wohnung. Selbst wenn sie sonst niemanden in der Umgebung kannte in einer Kirche fühlte sie sich immer zuhause.

Guten Abend, Ms. Lopez.

Beim Klang der bekannten Stimme drehte Eva sich um. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie den älteren Mann sah. Hallo, Pastor Patel!

Eva ging hinüber und um ihm die Hand zu schütteln. Doch der Pastor ignorierte ihre Hand und schloss sie herzlich in die Arme. Eva nahm dies dankbar an. Pastor Patels Umarmungen fühlten sich so an wie die, mit denen ihr Vater sie früher in die Arme geschlossen hatte.

Ich habe Sie einige Wochen nicht gesehen, sagte der Pastor mit leicht mahnendem Unterton.

Ich habe ein paar Extraschichten eingelegt, um mehr Geld zu verdienen. Aber ab jetzt werden Sie mich häufiger sehen. Ich werde an den Wochenenden mehr Zeit haben. Ich habe es geschafft! Ich habe mich am College eingeschrieben.

Дальше